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DER MANN SEINER TRÄUME
Während er auf der Suche nach Herrn Inthanets Adresse die Kitsalat Road durchstreifte und sich alle erdenkliche Mühe gab, einem gewaltsamen Tod zu entgehen, lief Siri dem Mann aus seinem Traum über den Weg. Da ihm noch nie ein Lebender im Traum erschienen war, hielt er den Mann, der da die Hauptstraße entlangspazierte, zunächst naturgemäß für einen Toten.
Es war der Lakai, der den König unter dem Feigenbaum bedient hatte und nach dem Auftritt der beiden Hubschrauberpiloten so unschön explodiert war. Er trug denselben struppigen Kinnbart, und seine Haare baumelten an seinem kahlen Schädel wie ein Hularöckchen. Wenn überhaupt, sah er eher wie ein Ceylonese als wie ein Chinese aus und war, wie Siri mit geübtem Blick feststellte, überaus lebendig.
Ohne recht zu wissen, warum, änderte er seine Pläne und folgte dem Mann in sicherer Entfernung. Sein Gang verriet das forsche Selbstbewusstsein des Europäers, und die Auswahl seiner Kleidung zeugte von Geschmack. Der seidige Glanz seines traditionellen laotischen Hemdes betonte seinen mächtigen Bauch. Er schien sich so zu kleiden, weil er es wollte, und nicht, weil er es musste.
Der Mann überquerte die Straße und betrat das Hotel Phousi. Durch die Glastür beobachtete Siri, wie er eine Zeitung aus dem Ständer an der Rezeption nahm, ein paar freundliche Worte mit dem Empfangschef wechselte und dann durch eine andere Tür im Speisesaal verschwand. Woraus Siri gleich mehrere Schlüsse zog.
Wer in einem so vornehmen Hotel zu speisen pflegte, war dort entweder Gast oder verhältnismäßig reich. Da es sich um eine laotische Zeitung handelte, war er kein ausländischer Tourist. Und seiner Kleidung nach zu urteilen war er weder Koch noch Kellner.
Siri stieß die Flügeltür auf und marschierte in die kleine Lobby. Der Empfangschef war ein Mann mittleren Alters, dessen Brille nur ein Glas hatte. Das rechte Auge war den Elementen schutzlos ausgeliefert.
»Guten Tag, Genosse«, sagte er und musterte den Gast ohne Gepäck mit argwöhnischem Blick.
»Wohlsein. Ich kam gerade vorbei und dachte, ich hätte einen Bekannten hier hineingehen sehen: einen dunkelhaarigen Mann mit Bart und Bauch.«
»Sie meinen Herrn Kumron?«
»Kumron – genau. Ich habe ihn so lange nicht mehr gesehen, dass ich mir nicht ganz sicher war. Er hat ein wenig zugenommen. Was treibt er eigentlich so?«
»Warum fragen Sie ihn das nicht selbst? Er ist im Restaurant.«
»Ach, ich möchte mich nicht aufdrängen. Ich bezweifle, dass er sich an mich erinnert. Aber meine Schwester wüsste bestimmt gern, wie es ihm ergangen ist. Sie hatten früher einmal ein … Verhältnis.«
»Aha. Nun ja, dann wird es sie sicher freuen, dass er es gut, um nicht zu sagen hervorragend getroffen hat.«
»Wie schön.«
»Bis vor Kurzem war er sogar Berater und Vertrauter der …« – er senkte die Stimme – »… königlichen Familie.«
»Nicht möglich!«
»Doch. Der König und er waren so dicke.« Er kreuzte die Finger vor seiner Nasenspitze.
»Donnerwetter.«
Plötzlich fiel dem Empfangschef ein, dass man ihm dringend geraten hatte, Fremden nicht zu trauen. Obwohl ihm der genaue Wortlaut entfallen war, hatte er für solche Gelegenheiten eine kleine Rede parat.
»Die königliche Familie hat unserem Land und unserem Volk jahrhundertelang das Blut ausgesaugt. Zum Glück sind wir den Tyrannen jetzt los und können unser großartiges Vaterland mit vereinten Kräften wieder aufbauen.«
Sein Vortrag ließ den rechten Schwung vermissen.
»Wenn er zu den Blutsaugern gehörte, ist der gute alte Kumron vermutlich schon auf dem Weg ins Umerziehungslager.«
»Aber nein, Genosse. Herr Kumron ist ja nicht auf den Kopf gefallen. Die Partei macht sich seine Kenntnisse zunutze, um ihre Macht in der Nordregion zu festigen.«
Plötzlich passte alles zusammen: der Berater des Königs, der Rettungsversuch, die Verbannung der königlichen Familie, die Abrechnung mit ihr. Die Piloten hatten es gewusst: »Wir sind verraten worden.«
Warum hätte ihm ein Lebender im Traum erscheinen sollen, es sei denn, er war auf andere Weise gestorben? Siri war kein Anhänger der Monarchie; er war nicht einmal ein besonders großer Freund des Kommunismus; aber er war ein Mann mit Prinzipien. Ganz gleich welche Überzeugung ein Mensch auch vertrat, er war auf die Ehre und das Vertrauen der Männer und Frauen angewiesen, die derselben Überzeugung anhingen wie er. Dieses Vertrauen zu missbrauchen, kam in Siris Augen einer Sünde gleich.
Er hatte die mehr als vierzig Jahre Dschungelkrieg nicht nur deshalb überlebt, weil er, wenn nötig, kämpfen oder die Flucht ergreifen konnte – das konnte schließlich jedes Tier -, sondern wegen der Menschen in seiner Umgebung. Sie alle einte dasselbe Schicksal. Man musste sich darauf verlassen können, dass ein Genosse zu seinem Wort stand und eher sein eigenes Leben hingab, als das eines Mitstreiters zu opfern. Zumindest anfangs war es so gewesen.
Kumron war zum Berater des Königs aufgestiegen. Er hatte sich einen Platz im Herzen des alten Herrn erobert. Doch um seine Privilegien zu sichern, hatte er ihre Fluchtpläne ausgeplaudert und die königliche Familie so um ihre letzte Überlebenschance gebracht. Da sich ihre wahren Freunde ohnehin an einer Hand abzählen ließen, war dieser Verrat vermutlich der Giftpfeil gewesen, der dem königlichen kwun endgültig den Garaus gemacht hatte. Wenn das Wort Ehre in der heutigen Zeit überhaupt noch eine Bedeutung besaß, hätte der Mann nicht belohnt, sondern hingerichtet werden müssen. Aber wer außer ihm wusste davon?
Siri bemerkte, dass er noch immer an der Rezeption stand und der Empfangschef ihn neugierig durch sein Brillenglas beäugte, weil er auf seine nächste Frage wartete. Außerdem schwante ihm, dass er der Einzige war, der in dieser Sache etwas unternehmen konnte.
»Wissen Sie was?«, sagte Siri. »Ich glaube, ich sage ihm doch rasch guten Tag.«
Er ging durch den braun getäfelten, mit rotem Linoleum ausgelegten Speisesaal. An der Rückwand brummte eine riesige Klimaanlage und sorgte für eine angenehme Temperatur. Die kleinen Tische waren, bis auf einen, ungedeckt. Dort saß Kumron mit dem Rücken zur Tür und las Zeitung. Vor ihm stand etwas, das in Laos seltener zu finden war als eine zweiköpfige Nagaschlange – eine eisgekühlte Flasche Bier.
Siri wusste, dass der Erfolg dieses kleinen Manövers davon abhing, wie sicher sich Kumron wähnte und wie sehr ihn sein Gewissen quälte. Der Doktor umrundete den Tisch und warf einen Schatten auf die Zeitung. Als Kumron bemerkte, dass Siri nicht der Kellner war, hob er den Blick.
»Glauben Sie an Geister, Genosse Kumron?«
Kumron war ein ruhiger, ausgeglichener Mensch, der sich von der Frage eines Fremden nicht aus der Fassung bringen ließ. Er lächelte höflich. »Darf ich fragen, wer das von mir wissen möchte?«
»Mein Name tut letztlich nichts zur Sache. Ich bin nur ein einfacher Bote.«
Der Kellner mit dem kurzärmeligen, ehemals blütenweißen Hemd und der breiten, grell gemusterten Krawatte nahm an, dass Siri sich zu Kumron setzen wollte, und schleifte einen zweiten Stuhl an dessen Tisch.
»Bitte«, sagte der Kellner, doch Siri blieb stehen. Der junge Mann zog sich in die Küche zurück.
»Die Nacht vom zehnten auf den elften habe ich mit einem gemeinsamen Freund in einem Obstgarten in Pakxong verbracht.«
»Verstehe. Wollen Sie sich nicht doch zu mir setzen?«
»Nein.Wir haben über alles Mögliche gesprochen. Ich war erstaunt, mit welcher Nachsicht er die Machenschaften der Pathet Lao zu betrachten schien. Er nahm es den hiesigen Kadern offenbar nicht einmal übel, dass sie ihn aus seinem Palast vertrieben hatten. Nur einem einzigen Menschen …«
»Guter Mann, falls es sich um ein vertrauliches Gespräch handelt, wäre es mir lieb, wenn wir uns woanders weiterunterhalten könnten. Darf ich Sie vielleicht zu einem Bier einladen?«
Er sah jetzt nicht mehr in Siris grüne Augen, die ihn mit starrem Blick durchbohrten.
»Nein. Ich bin gleich fertig.«
Und jetzt folgte die Lüge, die den Vernichter hoffentlich vernichten würde.
»Er sagte, nur einem Menschen könne er beim besten Willen nicht vergeben.«
Obwohl er keine Miene verzog, wich die Farbe aus Kumrons Gesicht wie Whisky aus einer umgestürzten Flasche.
»Sie haben ihn verraten.«
»Ich weiß nicht, wer Sie sind, und was Sie von mir wollen.«
Seine Stimme bebte. Der jähe Vorwurf hatte ihn kalt erwischt. Siri hatte ihm keine Zeit gelassen, sich zu sammeln. Es war, als ob der König höchstpersönlich vor ihm stünde und ihn des Verrats bezichtigte.
»Sie waren sich Ihrer Sache so sicher, dass Sie glaubten, es würde Ihnen niemand auf die Schliche kommen, Genosse Kumron. Sie glaubten, als sein engster Vertrauter seien Sie über jeden Verdacht erhaben. Er hielt Sie für einen Freund. Wie seine Familie habe auch ich nichts als Verachtung für Sie übrig.«
»Ich...«
Kumron konnte sich nicht wehren, weil er wusste, dass er erledigt war. Siri kam um den Tisch herum und beugte sich zu ihm hinunter.
»Ich habe Sie gefragt, ob Sie an Geister glauben, weil ich nicht den geringsten Zweifel habe, dass die verbliebenen königlichen Geister Sie früher oder später zur Strecke bringen werden. Ich nehme an, Sie sind mit ihrer Macht vertraut.«
Und zum krönenden Abschluss: »Wenn nicht, werden Prinz Phetsarath und ich schon dafür sorgen.«
Er ging hinaus.
Eigentlich hatte er »Wir haben nämlich beide dreiunddreißig Zähne« hinzusetzen wollen, aber erstens war er sich da nicht ganz sicher, und zweitens hatte er schon genug Unheil gestiftet. Durch das Fenster des Speisesaals sah er den Mann zusammengesunken auf seinem Stuhl sitzen, nur noch ein Schatten des erfolgsverwöhnten Würdenträgers, der er eben noch gewesen war. Dieser alte Mann würde nun die doppelte Last von Schuld und Rache schultern müssen. Siri hatte einen kleinen Sieg für die Loyalität errungen, und er widmete diesen Triumph seinem Freund, dem Gärtner. Er wusste nicht, ob der König wusste, dass Kumron seinen Sturz betrieben hatte, aber das spielte eigentlich auch keine Rolle. Eine gute Lüge am rechten Ort kann manchmal wahre Wunder wirken.
 
Dtui saß bereits seit einer Stunde vor dem Büro des Politbüromitglieds. Sie hatte keinen Termin mit Civilai vereinbart. Das war in Laos auch nicht üblich. Termine wurden nur selten eingehalten. Sie wusste, dass er sie früher oder später empfangen würde, und wider Erwarten wurde ihre Geduld schon bald belohnt. Flankiert von zwei diensteifrigen Männern, die noch nervöser wirkten als ihr Chef, kam Civilai den Flur entlang.
»Schwester Dtui«, sagte er. »Sie erhellen meinen Tag mit Ihrem Lächeln.«
»Genosse Civilai, kann ich Sie kurz sprechen?«
Die beiden Berater protestierten.
»Gewiss doch. Wie ich höre, ist jemand anderes auf dem Weg zu mir, aber Sie gehen selbstverständlich vor.«
In seinem Büro erzählte Dtui ihm von der Unterredung mit Ivanic.
»Meinen Sie«, schloss sie, »wir können den Schießbefehl zurücknehmen? Ich mache mir schreckliche Sorgen um den armen Bären.«
»Dtui, Liebchen, haben Sie vergessen, wo wir hier sind? Es ist ja schon schwierig genug, auch nur die einfachsten Dinge in die Wege zu leiten. Sie rückgängig zu machen, ist hingegen so gut wie unmöglich. Ist der Befehl erst mal bis zum schießwütigen Fußvolk durchgedrungen, ist es mit Sicherheit zu spät.«
»Können wir aus der Bären- nicht einfach eine Tigerjagd machen?«
Civilai lachte. Obwohl er es im Leben weiß Gott nicht leicht gehabt hatte, war er ein fröhlicher Mensch, der sein Amt und die Verhältnisse nicht allzu ernst nahm. Er besaß die Geistesgegenwart, etwaigen Katastrophen mit laotischer Gelassenheit entgegenzusehen. Diese Einstellung war seinen eher humorlosen Parteigenossen ein Dorn im Auge. Viele fragten sich, ob er sich überhaupt für irgendetwas interessierte, dabei lagen ihm die meisten Dinge in Wahrheit sehr am Herzen.
»Das Innenministerium denkt ohnehin, ich hätte ein paar Schrauben locker.Wenn ich anfange, sämtliche wilden Streuner in der Stadt zum Abschuss freizugeben, stecken sie mich umgehend in eine Zwangsjacke. Zumal ich mich dabei einzig und allein auf das Wort eines sowjetischen Zirkusdompteurs berufen kann.«
Er sah Dtui an, dass ihr die Geschichte naheging.
»Keine Sorge. Die Scharfschützen unserer Armee taugen nicht viel. Sie schießen vermutlich sowieso daneben.«
»Ihnen kommt das alles wahrscheinlich furchtbar albern vor, aber Dr. Siri und ich haben den Verdacht selbst auf den Bären gelenkt. Ich könnte keine Nacht mehr ruhig schlafen, wenn ich wüsste, dass er auf unser Betreiben hin erschossen worden ist.«
»Wann kommt Ihr Chef zurück?«
»Ich hole ihn gleich in Wattay ab. Er hat einen Linienflug ergattert, was er vermutlich Ihnen zu verdanken hat.«
»Alles eine Frage der richtigen Beziehungen. Gehört es in der Pathologie neuerdings zum Service, Siri vom Flughafen abzuholen? Oder fehlt er Ihnen so sehr?«
»Er hat angerufen. Ich soll mich um einen Gast kümmern. Er bringt jemanden mit, wollte mir aber nicht verraten, wen.«
»Das kann ja heiter werden.«
Es klopfte an der Tür, und einer der beiden Berater steckte den Kopf hindurch.
»Er ist hier, Genosse.«
»Ist gut.«
Civilai geleitete Dtui aus dem Zimmer. Im Wartebereich saß ein pausbäckiger Mann, der wie ein Chinese aussah und sich mit einem Papierfächer Luft zuwedelte, zwischen zwei stark schwitzenden Anzugträgern. Sein lockiges Haar erinnerte an ein Büschel schwarzer Trauben. Wie sein hautenger Safarianzug anschaulich belegte, war er unziemlich in die Breite gegangen.
Civilai trat vor ihn hin und schüttelte ihm die Hand. Der Mann starrte ihn durch seine altmodische Brille an, machte sich aber nicht die Mühe aufzustehen.
»Genosse Kim, wie schön, dass wir uns wiedersehen«, sagte Civilai mit hörbar gebremstem Enthusiasmus.
Eines der beiden feuchten Hemden übersetzte, doch statt einer Antwort nickte der Mann nur. Civilai zerrte Dtui neben sich.
»Das ist Schwester Dtui. Sie ist eine tapfere Soldatin im revolutionären Kampf zur Heilung der Kranken und schuftet Tag und Nacht, um unser kleines, aber florierendes Proletariat zu hegen und zu pflegen, damit es der Sache des bla, bla, bla undsoweiter, undsoweiter. Sie kennen den Text«, sagte er zu einem seiner Koreanisch sprechenden Berater, der erst kürzlich aus Pjöngjang zurückgekommen war. »Schwafeln Sie einfach weiter, bis ich wieder da bin.«
Er bedachte den Besucher mit einem Lächeln und brachte Dtui zur Tür.
»Wer war das?«
»Der Sekretär der nordkoreanischen Arbeiterpartei. Der nächste Präsident. Sohn von Präsident Kim alias ›Gott Vater‹ oder ›leibhaftiger Gott‹. Ich soll den Wonneproppen bei Laune halten, solange er in der Stadt ist.«
»Das klingt aber nicht sonderlich begeistert.«
»Ach ja? Wenn Sie wüssten, was für kulturelle Genüsse der Knabe unterhaltsam findet, würde sich auch Ihre Begeisterung in Grenzen halten.«
»Eins kann ich Ihnen garantieren, Onkel.«
»Nämlich?«
»Wenn er nicht der Sohn eines leibhaftigen Gottes wäre, würden ihn die Frauen nicht mit dem Gesäß betrachten.«
 
 
Am späten Nachmittag holperte die Antonow An-12 über die Landebahn des Flughafens Wattay und kam schliddernd zum Stehen. Voriges Jahr war die Air Lao auf – den wahrscheinlich einzigen nennenswerten – Beschluss des Verkehrs- und Luftfahrtministeriums zu Lao Aviation mutiert. Leider beschränkten sich die damit verbundenen Investitionen auf ein paar Töpfe Farbe. Bei Turbulenzen löste sich nach wie vor die eine oder andere Schraube, und die Fluggäste verschwanden nach wie vor im dichten Nebel der Klimaanlage, vorausgesetzt sie funktionierte.
Die Maschine stand schnurrend vor Stolz etwa achtzig Meter vom Ankunftsschuppen entfernt auf der Rollbahn, sodass die Passagiere ihr Gepäck eigenhändig über den weichen Asphalt schleppen mussten. Siris reichlich wirren Anweisungen entsprechend hatte Dtui ein Songtheo-Taxi requiriert und den Fahrer gebeten, mit ihr auf ihren Chef zu warten. Da trat er auch schon durch den hinteren Ausstieg der Maschine und kletterte vorsichtig die wacklige Flugzeugtreppe hinab. Unten angekommen, wartete er auf einen lebhaften alten Mann mit kurzgeschorenem weißem Haar, und zusammen kamen die beiden forschen Schrittes und in ein lebhaftes Gespräch vertieft auf den Wellblechschuppen zu.
Siri lächelte erfreut und winkte, als er seine Assistentin schwitzend in der stickigen Ankunftshalle stehen sah. Sie stützte sich auf eine kurze Schranke, die die Ankömmlinge von den Wartenden trennte. Obwohl es sich um einen Inlandsflug handelte, kontrollierten zwei Beamte hinter einem kleinen Schalter die Passierscheine der Fluggäste.
Da Siris Begleiter illegal reiste und ihm die nötigen Papiere fehlten, hätte dies der Beginn eines bürokratischen Albtraums sein können. Doch wie Siri erwartet hatte, ging alles glatt. Die Beamten prüften nur die Papiere derer, die sich um den Schalter drängten und mit ihren Reisedokumenten, ihren Wohnsitznachweisen, ihren Geburtsurkunden und ihren Unterschriftenlisten wedelten. Das Durcheinander ließ sich ganz einfach dadurch vermeiden, dass man um den Schalter einen großen Bogen machte.
Siri und sein Freund schoben sich an dem Gedränge vorbei und marschierten mit der Souveränität von Touristen, deren Papiere in bester Ordnung sind, durch die Schranke. Dass sie von einer Krankenschwester im weißen Kittel und einem Fahrer abgeholt wurden, tat ein Übriges. Wem ein solcher Empfang zuteilwurde, der musste etwas Besonderes sein.
»Dtui, das ist Herr Inthanet. Er ist...«
Bevor Siri sie einander vorstellen konnte, eilten zwei Polizisten in ungleichen Uniformen auf die kleine Gruppe zu. Einer von ihnen hatte ein kleines passbildgroßes Foto in der Hand. Dtui erkannte die Männer sofort wieder.
»Dr. Siri Paiboun?«, fragte der erste Polizist, obwohl er die Antwort offensichtlich bereits kannte.
»Ja.«
»Sie sind verhaftet, Genosse. Bitte kommen Sie mit.«
Alle außer Siri schienen überrascht.
»Darf ich fragen, was mir vorgeworfen wird?«
»Das erfahren Sie auf dem Revier, Doktor.«
Der zweite Polizist fasste Siri behutsam am Arm und bedeutete ihm, mit nach draußen zu kommen. Der Gefangene blickte in die verblüfften Gesichter von Inthanet, Dtui und dem Songtheo-Fahrer. Er hielt vier Finger hoch und zwinkerte seinem Reisegefährten zu.
»Keine Panik«, sagte er lächelnd. »Bitte bringen Sie Herrn Inthanet zu mir nach Hause, und machen Sie es ihm bequem. Ich komme in Kürze nach.«
Doch das Letzte, was sie an diesem Tag von Siri sahen, war sein Hinterkopf, als das Polizeifahrzeug den Parkplatz des Flughafens verließ. Dtui musterte den geheimnisvollen Besucher, zuckte lächelnd die Achseln und sagte:
»Heiß heute, was?«
»Verdammt heiß.«
»Woher kennen Sie Dr. Siri eigentlich?«