Kapitel 37
Philippa baute sich mitten in der Hammloh’schen
Küche auf und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Es ist also wahr,
Irina!«, zischte sie förmlich. »Sie hatten niemals vor, Larkyn das
Fliegen beizubringen!«
Irina stand auf. »Sie hat schließlich keinerlei
Talent dafür gezeigt«, gab sie mürrisch zurück.
»Kein Talent? Sie ist gerade zum ersten Mal mit
ihrem Fohlen geflogen, ohne Zaumzeug, ohne Flugkoppel, ohne
Leittier und in der Dunkelheit! Das nennen Sie also kein
Talent?«
»Das war pures Glück«, knurrte Irina.
»Sie hat ihr Glück selbst herbeigeführt«,
korrigierte Philippa die andere Frau. »Ich bin sicher, dass sie
hier landen wollte und Sie sie vertrieben haben.«
»Ich habe sie nicht einmal gesehen!«
»Bei Kallas Zähnen«, stellte Philippa erbittert
fest, »wir haben sie Ihnen anvertraut. Ich weiß nicht, wie Sie
damit leben können.«
»Ich diene dem Fürsten …«, begann Irina, doch
Philippa schnitt ihr mit einer schroffen Geste das Wort ab und
kehrte ihr den Rücken zu.
Sie fragte das Mädchen: »Wo ist Meister
Hammloh?«
»Oh«, erwiderte das Mädchen. »Ich nehme an, Sie
meinen Broh? Oder Nikh?«
»Broh, den Ältesten.«
»Er sucht nach seiner Schwester und dem Pferd«,
er widerte das Mädchen hastig. »Und Nikh auch. Sie sind beide ganz
krank vor Sorge. Sie haben mich beauftragt, auf die hier
aufzupassen. Aber ich weiß nicht, was ich tun soll, wenn sie sich
entschließt zu verschwinden. Ich kann wohl kaum eine
Pferdemeisterin daran hindern wegzufliegen, oder? Ich habe ihr Tee
und Frühstück gemacht, aber …«
»Wo ist ihr Pferd?«
Das Mädchen deutete aus dem Küchenfenster auf
die Scheune. »Im Stall. Nikh hat ihm heute Morgen Wasser gebracht
und es gefüttert, bevor er und Broh mit dem Ochsenkarren
losgefahren sind. Ich weiß nur nicht, was aus den Milchkannen
werden soll, die schon im Kühlkeller stehen …«
Hester trat einen Schritt vor. »Wie heißen
Sie?«
»Ich bin Peonie und kümmere mich um den
Haushalt, jetzt, wo Lark weg ist.« Peonie deutete auf die
ordentliche Küche. »Ich bestelle den Garten, melke die Kühe, mache
Butter und …«
»Danke, Peonie« sagte Hester streng. »Vielleicht
könnten Sie uns auch einen Becher Tee zubereiten.«
Philippa atmete erleichtert auf, dass sich
jemand anders mit der Haushälterin befasste. Sie wandte sich wieder
an Irina.
»Wie ich höre, liegt diese Unehrlichkeit bei
Ihnen in der Familie, Irina.«
Irina sank zurück auf ihren Stuhl. »Ich habe nur
Anweisungen befolgt«, erwiderte sie fast unterwürfig.
»Sie waren eine Pferdemeisterin«, knirschte Philippa. »Wie konnten
Sie das aufs Spiel setzen?«
Langsam hob Irina den Blick. Ihre Augen wirkten
trübe.
»Ich bin immer noch eine Pferdemeisterin«, entgegnete sie fast
trotzig.
»Wer wird denn jetzt noch mit Ihnen arbeiten?
Sicherlich niemand in der Akademie! Sobald sich Ihre Treulosigkeit
herumspricht, werden Sie sehr wahrscheinlich an den entlegensten
Flecken des ganzen Fürstentums geschickt, um dort zu dienen!«
Irinas Wangen röteten sich, bis sie die Farbe
alten Backsteins hatten. »Der Fürst hat mir versprochen …«
»Wilhelm hat genug eigene Probleme«, unterbrach
Philippa sie bitter. »Wie wir mittlerweile wissen. Wenn das der Rat
der Edlen erfährt und sein Verhalten als Hochverrat eingestuft wird
… verlieren Sie Ihren Schutzpatron, Irina.«
Bei ihren Worten wurde Irina bleich und kaute
nervös auf ihrer Lippe. Philippa wollte noch mehr sagen, doch da
hörte sie Stimmen im Hof und trat rasch mit Hester ans
Fenster.
Sie war so erleichtert, Broh Hammloh zu sehen,
der in Hemdsärmeln gefahren war und gerade vom Ochsenkarren stieg,
dass sie ganz weiche Knie bekam. Er musterte die Kutsche, die im
Hof wartete, und ging dann mit weit ausgreifenden Schritten zum
Haus, während sein jüngerer Bruder den Ochsen wegbrachte. Dabei
nahm Broh den breiten Strohhut ab und fuhr sich mit den Fingern
durch den dichten Schopf schwarzer Haare, in denen bereits die
ersten grauen Strähnen schimmerten. Dann runzelte er die Stirn und
biss die Zähne zusammen.
Das, dachte Philippa, macht Oc aus. Das ist kein
weibischer Edelmann, der seine Pervertiertheit unter einer
bestickten Weste versteckt, Menschen manipuliert und sich über das
Gesetz stellt, sondern ein aufrechter Bauer, ein hart arbeitender
Mann, ein liebevoller Bruder. Sie drehte
sich zur Tür um und wartete, dass Broh sie öffnete. Irgendwie
schien ein schweres Gewicht von ihren Schultern genommen zu
werden.
»Da sind Sie ja endlich«, begrüßte er sie ohne
Umschweife. Er deutete mit dem Kinn auf Irina. »Die da hilft uns
nicht weiter. Erzählt uns nur, dass unsere Schwester verschwunden
wäre, mitsamt ihrem geflügelten Pferd.«
»Sie haben Larkyn nicht gefunden, Meister
Hammloh?«
»Nein.« Er zog mit dem Fuß einen Stuhl heran,
setzte sich und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, ebenfalls
Platz zu nehmen. »Morgen fahren wir wieder los. Ich habe es noch
niemandem erzählt, weil ich nicht genau weiß, was eigentlich
geschehen ist. Die da wollte mir nichts sagen, aber Sie werden es
tun.« Seine Worte waren respektvoll und dennoch ein Befehl, wie
selbst Philippa ihn nicht besser hätte erteilen können.
Mit einem knappen Nicken setzte sie sich. »Sie
haben das Recht, danach zu fragen, Meister Hammloh«, erwiderte sie.
»Ich weiß nicht, ob ich alles erklären kann, aber ich werde mein
Bestes versuchen.«
Peonie trat mit einer Teekanne an den Tisch und
schwenkte darüber einen offenbar viel benutzten Fetisch. Sie
starrte Philippa mit großen Augen an. Mit einem Seufzer setzte sich
Hester auf einen Stuhl Irina gegenüber.
»Der neue Fürst«, begann Philippa, »möchte
offensichtlich eine eigene Blutlinie von geflügelten Pferden
gründen. Laut Gesetz ist das zwar Hochverrat, aber er ist der
Fürst. Eine solche Situation hat es in Oc noch nie zuvor gegeben,
in all den Jahrhunderten seiner Geschichte nicht.« Sie warf Irina
einen Seitenblick zu. »Das Wichtigste ist, dass wir Larkyn finden,
bevor Fürst Wilhelm das gelingt.«
»Was würde er mit ihr tun?«
»Das weiß ich nicht«, gab Philippa zu. »Aber
noch weiß sie mehr als wir, und vielleicht will er sie zum
Schweigen bringen. Wilhelm ist ein skrupelloser Mann. Und sehr
gefährlich, so wie die Mächtigen häufig sind. Ich weiß nicht, wie
weit er gehen würde.«
Lark versuchte, die Augen zu öffnen, aber es
schien, als lägen Gewichte auf ihren Lidern. Sie seufzte, blinzelte
und versuchte es erneut. Diesmal gelang es ihr, und ihre Pupillen
gewöhnten sich langsam an das dämmrige Licht. Sie warf einen Blick
durch das Fenster und sah, dass es schon wieder Abend geworden war.
Am schwarzen Himmel tauchten gerade die ersten Sterne auf. Dann
merkte sie, dass sie einen wahren Heißhunger hatte.
Dorsa stand an dem alten Spülbecken in der Ecke
und summte vor sich hin, während sie mit einem Löffel in einer
Pfanne herumkratzte. »Tup?«, krächzte Lark.
Beim Klang ihrer Stimme drehte sich Dorsa um und
lächelte sie an. »Aber ja«, gackerte sie. »Ihr kleines geflügeltes
Pferd steht da, gleich hier, hm?« Sie deutete auf die Werkstatt,
und Lark hob so weit den Kopf, dass sie an den Bündeln von Kräutern
und Wurzeln vorbeispähen konnte. Ihr Blick fiel auf Tups
Hinterhand. Er hatte den Kopf gesenkt und knabberte an dem
spärlichen Gras vor der Werkstatt. Irgendjemand hatte ihm eine
Decke umgelegt und sie mit einer Schnur um seinen Bauch
befestigt.
Dorsa trat rasch zu Lark, beugte sich über sie
und legte ihr eine Hand auf die Stirn. »Nein, kein Fieber. Gutes
Mädchen. Kommen Sie, wir setzen Sie auf, damit Sie trinken
können.«
Sie drückte Lark einen Becher klares Bergwasser
in die Hände, aus dem sie gierig trank. Nachdem sie ihn geleert
hatte, erklärte sie etwas schüchtern: »Ich bin unglaublich
hungrig.«
Dorsa klatschte in die Hände und kicherte, als
hätte sie gerade einen Preis gewonnen. »Hungrig! Ja, ja, das ist
ein gutes Zeichen!« Sie eilte zurück in ihre Kochnische und kam mit
einem vollen Teller zurück, auf dem eingelegte Blutrüben, eine Ecke
gelber Ziegenkäse und eine dicke Scheibe Brot lagen. Auf dem
Tellerrand fanden sich sogar zwei Butterkekse. »Hier, essen Sie
sich satt. Dorsa macht derweil Feuer.«
Das Essen schmeckte besser als alles, woran Lark
sich erinnern konnte. Sie versuchte sich zu entsinnen, wann sie das
letzte Mal etwas gegessen hatte, aber sie wusste nur, dass es mehr
als einen Tag her sein musste.
Nachdem sie den Teller geleert hatte, musste sie
den Abtritt benutzen, hatte jedoch Angst, ihr Bein zu belasten.
Aber das hatte Dorsa vorausgesehen. Sie stützte Lark, als sie über
den Boden hüpfte, blieb bei ihr, während sie die Notdurft
verrichtete, und half ihr dann zurück zur Pritsche. Lark tat jeder
Knochen und Muskel im Körper weh, und sie war froh, als sie wieder
lag.
»Dorsa«, sagte sie. Sie fuhr sich mit der Hand
durch ihr wirres Haar und versuchte nachzudenken. »Weiß
irgendjemand, dass wir hier sind?«
»Nein, aber nein; die alte Dorsa behält ihre
Geheimnisse für sich. Und das Mädchen spricht überhaupt
nicht.«
»Ich kann trotzdem nicht hier bleiben«,
protestierte Lark schwach. »Tup braucht Bewegung, und ich brauch
dringend etwas zum Anziehen. Und ein Bad«, setze sie hinzu, sah
dann jedoch missbilligend an sich herunter. Wie sollte sie mit den
verbundenen Rippen und dem Knöchel baden?
Dorsa reichte ihr einen Becher des
schmerzlindernden
Tranks, klopfte ihr beruhigend auf die Schulter und eilte durch
den Raum zu dem schiefen Steinbecken. »Sie sind jetzt wieder
daheim, im Hochland. Wir wissen uns zu helfen, hab ich Recht?
Morgen kümmern wir uns um das Bad.«
»Aber Tup«, sagte Lark. »Wer kümmert sich um
Tup? Und was, wenn jemand ihn sieht?« Bei diesem Gedanken versuchte
sie sich aufzurappeln, doch der Schmerz zwang sie, sich rasch
wieder hinzulegen.
Dorsa kam mit einem ausgefransten Handtuch in
den Händen zurück und knetete es in den Händen, als sie auf Lark
hinuntersah. »Sie wollen also nicht gefunden werden«, sagte sie.
»Das wollte das andere Mädchen auch nicht, nein.«
»Wer ist sie?«, fragte Lark.
Dorsa zuckte mit den Schultern. »Das weiß ich
nicht. Und sie kann es mir nicht sagen. Aber sie hatte auch ein
Pferd, als sie herkam, o ja.«
»Ein Pferd? Was …?« Doch bevor sie ihre Frage
stellen konnte, fielen Lark die Augen zu, der Schmerz ebbte ab, und
die Dunkelheit des Schlafs senkte sich über sie.
»O ja«, murmelte Dorsa. »Sie weiß, wie man sich
um ein Pferd kümmert. Schlafen Sie jetzt, Larkyn Hammloh, und
machen Sie sich keine Sorgen. Bald werden Sie sich besser fühlen.
Der erste Tag ist immer der schlimmste.«
Philippa war überrascht, als sie feststellte,
dass sich im oberen Stockwerk des Bauernhauses sechs Schlafzimmer
befanden. Broh stieß die Tür zu einem Raum auf und trat zur Seite,
um sie hineinzulassen.
»Es ist nicht vornehm«, erklärte er, »aber
bequem und sauber.«
Er hatte Recht. Der Raum war schmal und hatte
eine
niedrige Decke, aber das Bett war weich, und auf dem Fußende lag
eine reich bestickte Decke, die bestimmt hundert Jahre alt sein
musste. Peonie folgte mit einem Stapel Kopfkissen in den Armen,
legte sie ab, verließ den Raum und kam kurz darauf mit einem Krug
und einer Schale zurück. Philippa stellte sich an das schmale
Fenster und beobachtete, wie die Kutsche weggebracht wurde. Sie
hatte Irina Stark nicht daran gehindert wegzufliegen, denn sie
glaubte nicht, dass die Verräterin Larkyn noch etwas anhaben
konnte. Warum also hätte sie sie aufhalten sollen? Sie fragte Irina
auch nicht, wohin sie wollte. Das schien keine Rolle mehr zu
spielen. In der aufkommenden Dunkelheit konnte sie schwerlich nach
Larkyn und Schwarzer Seraph suchen. Sie könnte höchstens nach
Fleckham fliegen oder vielleicht sogar zum Palast, aber das spielte
auch keine Rolle mehr.
Nikh berichtete ihnen, dass es in Willakhiep ein
Wirtshaus gab, wo sich die Kutschpferde erholen und die Diener der
Beehts Zimmer und etwas zu essen bekommen konnten. Hester
versicherte Philippa, dass Baronin Beeht so etwas vorausgesehen und
ihre Bediensteten mit entsprechenden Mitteln ausgestattet hatte.
Hester selbst bezog das Zimmer neben dem von Philippa. »Das gehört
Lark«, sagte sie, als sie durch die Tür hineinspähte. »Es sind noch
ein paar von ihren Sachen da.«
»Ja«, bestätigte Broh Hammloh fast schroff.
»Hier auf dem Unteren Hof wird es immer ein Zimmer für Lark
geben.«
»Natürlich«, erwiderte Hester herzlich. Sie
lächelte ihn an und überraschte Philippa wieder einmal mit ihrer
Reife. Sie war ihrer so geschätzten Mutter bereits sehr ähnlich.
»Schwarz … ich meine, Lark hat uns alles von Ihnen und ihrem
Zuhause erzählt, Meister Hammloh.«
Er quittierte ihre Worte mit einem kurzen Senken
des Kopfes. Es war eine Geste von so schlichter Vornehmheit, dass
Philippa sich gerade noch davon abhalten konnte, zu seufzen und
sich die Hand aufs Herz zu legen. »Peonie hat das Abendessen
vorbereitet«, erklärte er dann. »Wir sollten essen und können dann
morgen früh weitersuchen.«
Philippa hatte das Gefühl, selbst ihre letzten
Kraftreserven verbraucht zu haben, und bezweifelte, dass sie auch
nur einen Bissen herunterbekam. Hester dagegen schien sich durch
ihr ausgiebiges Nickerchen in der Kutsche erholt zu haben. »Gut«,
antwortete sie erfreut. »Ich sterbe nämlich fast vor Hunger!«
Broh Hammloh nickte. »Das geht Lark auch immer
so, wenn sie nach Hause kommt.« Er drehte sich um und ging die
Treppe hinunter in die Küche.
Die Dunkelheit hatte sich über das Bauernhaus
gesenkt, als sie sich in der Küche auf den bunt
zusammengewürfelten, aber bequemen Stühlen niederließen. Zum
Abendessen hatten sich alle Brüder eingefunden, der schweigsame
Edmar, der hübsche Nikh und der nachdenkliche Broh. Peonie
servierte eine Suppe mit Hasenfleisch, Karotten, Kartoffeln und
Blutrüben und stellte einen frischen braunen Brotlaib mit einem
Teller süßer Butter auf den Tisch. Die Gesichter der Speisenden
waren ernst, aber das konnte ihren Appetit nicht schmälern. Selbst
Philippa fand, dass dieses einfache Essen genau das Richtige für
ihren müden Körper war. Wie die anderen leerte sie ihre
Suppenschüssel bis zur Neige und tunkte den letzten Rest Brühe mit
einer dicken Scheibe Brot auf. Als sie fertig war, legte sich eine
schwere, köstliche Müdigkeit über sie, und sie war erleichtert, als
Broh vorschlug, früh ins Bett zu gehen, damit sie am Morgen zeitig
aufbrechen konnten.
Sie ging mit Hester die Treppe hoch. Philippa
wollte gerade in ihrem Zimmer verschwinden, als Hester leise sagte:
»Ich hoffe, es geht ihr gut.« Sie stand auf der Türschwelle und
blickte in Larkyns Zimmer. »Es kommt mir irgendwie nicht richtig
vor, dass ich in ihrem weichen Bett schlafe, während sie sonst wo
sein kann.«
»Das verstehe ich«, erwiderte Philippa. »Aber
sie würde bestimmt wollen, dass Sie es bequem haben. Broh wird
gleich morgen früh nach ihr suchen, und Sie und ich werden morgen
Abend mit unseren Pferden hierher zurückkommen und bei der Suche
helfen.«
»Ich muss dauernd daran denken … wenn sie nun
heruntergefallen ist oder Seraph bei der Landung gestürzt ist
…«
»Denken Sie heute Nacht nicht mehr daran,
Hester. Es hilft nichts. Wir müssen das Beste hoffen.« Philippa gab
sich Mühe, zuversichtlich zu klingen, aber ihrer Stimme war die
eigene Sorge deutlich anzumerken.
Hester nickte. Philippa sah, dass das Mädchen
sie verstanden hatte. »Dann gute Nacht«, wünschte Hester.
»Gute Nacht. Schlafen Sie gut.«
Hester schloss die Tür, und Philippa drehte sich
zu ihrem Zimmer um. Da fiel ihr Blick auf Broh Hammloh, der mit
versteinerter Miene auf dem Treppenabsatz stand.
»Was wird der Fürst tun, wenn er sie vor uns
findet, Meisterin Winter?«
»Er hat es auf Larkyns Pferd abgesehen«,
erklärte Philippa erschöpft. »Ihre Schwester steht ihm einfach nur
im Weg.«
»Das verstehe ich nicht … ein geflügeltes Pferd,
das an eine Reiterin gebunden ist, ist ohne sie doch nichts
wert.«
»Wilhelm will ihn nicht, damit er fliegt.«
»Es gibt doch sicher noch andere Pferde. Warum
will der Fürst ausgerechnet dieses?«
»Meister Hammloh.« Philippa hatte Mühe, den Kopf
hochzuhalten. Sie rieb sich die pochenden Schläfen und suchte nach
einem Weg, Wilhelm zu beschreiben. »Ich kenne den Fürsten schon
mein ganzes Leben lang. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat
… kann ihn nichts aufhalten. Er kann sehr grausam sein, selbst zu
denen, die ihm nahestehen. Seinen Vater kannte ich noch besser als
ihn. Und selbst Fürst Friedrich hat sich wegen des Charakters
seines Sohnes Sorgen gemacht.«
»Mit gutem Grund, wie es aussieht.«
»Ja.« Philippa ging einen Schritt auf ihn zu,
stolperte jedoch und wäre fast hingefallen. Broh Hammloh war mit
einem Satz bei ihr. Er packte sie am Ellbogen und stützte mit der
anderen Hand ihren Rücken. Er strahlte so viel Kraft und Wärme aus,
dass Philippa fürchtete, ihre Knie würden nachgeben, und sie bräche
gleich in Tränen aus.
»Heda«, brummte er leise. »Ich halte Sie vom
Schlafen ab. Sie sind ja vollkommen erschöpft.«
»Das stimmt«, erwiderte sie zittrig. »Es tut mir
leid.«
»Keine Ursache«, sagte er plötzlich wieder
brüsk. Er stützte sie und brachte sie in ihr Zimmer. »Erholen Sie
sich gut, Meisterin Winter.«
Sie schaffte es, die Tür zu schließen und sich
eines Großteils ihrer Kleidung zu entledigen, dann fiel sie ins
Bett. Sie zog die alte Decke bis unters Kinn hoch. Sie roch nach
Sonne und frischer Luft, als hätte sie noch vor kurzem auf der
Wäscheleine gehangen. In dem alten Bauernhaus um sie herum knackte
es leise. Türen wurden vorsichtig geöffnet und geschlossen, und auf
der Treppe waren kräftige Schritte zu hören, als die Brüder in ihre
Zimmer gingen.
Der Wind strich über das Dach und raschelte in den Blättern des
Rautenbaumes. In der Scheune meckerte eine Ziege, ansonsten war es
ganz still.
Philippa drehte sich auf die Seite. Ihr Rücken
kribbelte noch, wo Broh Hammloh sie mit seiner kräftigen Hand
berührt hatte, und das Kissen an ihrer Wange war so alt, dass es
ganz weich war. Philippa betete, was nur selten vorkam. Sie betete
zu Kalla, dass auch Larkyn heute Nacht ein weiches Bett zum
Schlafen hätte und dass Schwarzer Seraph gesund und in Sicherheit
war.