Kapitel 36
Philippa und Hester gelang es, auf der langen
Fahrt ins Hochland ein wenig zu dösen. Die Kutsche von Baronin
Beeht war weich gepolstert und sie hatten jede eine Bank für sich
allein. Baronin Beeht hatte genauso reagiert, wie Hester es
vorausgesagt hatte. Man hatte der Baronin nicht angesehen, dass sie
vor dem Morgengrauen aus dem Bett geholt worden war, und sie hatte
die Situation sofort verstanden. Für Irinas Niedertracht hatte sie
nur ein Kopfschütteln übrig, und sie wunderte sich über die
Unverfrorenheit, dass jemand ein geflügeltes Pferd aus den Ställen
der Akademie gestohlen hatte. Während den Kutschpferden das
Geschirr angelegt wurde, hatte sie einen Korb mit Proviant
zubereiten lassen und persönlich zwei warme Wolldecken aus Hesters
Schlafzimmer geholt.
Als der Kutscher schließlich gähnend und
ungewaschen auf den Bock stieg, beugte sich Baronin Beeht ein
letztes Mal in die Kutsche. Sie redete mit einer Unverblümtheit,
die Philippa sehr zu schätzen wusste. »Was immer Sie tun, Meisterin
Winter«, warnte sie die Pferdemeisterin, »unterschätzen Sie unseren
neuen Fürsten nicht, ebenso wenig diesen grässlichen Slathan, der
nie von seiner Seite weicht. Ich habe … gewisse Geschichten über
ihn gehört.«
Philippa blinzelte, weil ihre Augen trocken und
empfindlich waren. Sie war sich nicht sicher, ob sie die Baronin
richtig verstanden hatte. Der Schlafmangel lähmte ihre
Denkfähigkeit. Sie wünschte, sie wäre bereits unterwegs, könnte
sich von dem gleichmäßigen Hufgetrappel beruhigen lassen und eine
Weile die Augen schließen.
»Hester wird es Ihnen erklären«, erklärte
Baronin Beeht. »Ich will Sie natürlich nicht zu Landesverrat
anstacheln, aber wir müssen diese jungen Reiterinnen schützen. Sie
sind die ganze Hoffnung von Oc.«
Bevor Philippa etwas antworten konnte, zog
Baronin Beeht sich zurück und schloss vorsichtig den Kutschschlag.
»Viel Glück, Hester, Liebes, und pass auf dich auf«, sagte sie
durch das Fenster.
»Ja, Mamá.«
»Danke«, konnte Philippa gerade noch sagen,
bevor die Kutsche auf großen Rädern und gut geölten Achsen aus dem
Hof schoss und in die breite Allee einbog.
Philippa lehnte sich in die Kissen zurück und
betrachtete das Mädchen, das ihr gegenübersaß. »Was hat sie damit
gemeint, Hester?«, fragte sie. »Um was für Geschichten geht
es?«
Trotz der Müdigkeit war Hesters Blick ganz klar.
»Es geht um den Fürsten, Meisterin Winter. Mamá hat es sich zur
Aufgabe gemacht, über alles informiert zu sein, was man sich in
Oscham so erzählt.«
»Und was erzählt man sich über Wilhelm?«
»Dass er merkwürdige Gelüste hat«, antwortete
Hester mit bewundernswerter Offenheit. »Und dieser Slathan sorgt
dafür, dass sie befriedigt werden.«
»Aber …« Philippa versuchte, mit ihrem von
Müdigkeit umnebelten Gehirn Hesters Gedankengängen zu folgen. »Aber
Hester, es ist doch nicht ungewöhnlich, dass ein Mann …«
»Man sagt, er könne nicht mehr auf normalem Weg
mit einer Frau verkehren«, erklärte Hester. Sie schien keinerlei
Scham angesichts dieses Themas zu empfinden, und Philippa pries
insgeheim Baronin Beehts pragmatische Erziehung. »Slathan führt ihm
junge Mädchen zu, und er … missbraucht sie. Man munkelt, es wäre
sogar schon eine gestorben, vielleicht sogar mehrere.«
»Verstehe.« Philippa erinnerte sich, wie sich
Wilhelms Brust unter ihren Fingern angefühlt hatte, diese Wölbung,
die bei ihr oder bei Hester ganz normal war … bei einem Mann jedoch
eine verstörende Wirkung hatte. »Und weiß Ihre Mamá auch, wieso er
sich so merkwürdig verhält?«
Hester gähnte. »Slathan besorgt ihm irgendwelche
Mittel«, fuhr sie fort. »Aber die Apotheker verschweigen aus Furcht
ihre Zusammensetzung. Wohl aus Angst um ihre Töchter und Enkelinnen
… Die adligen Familien, die davon wissen, gehen ihm möglichst aus
dem Weg. Mamá hatte Papá geraten, die Angelegenheit vor den Rat zu
bringen, aber er hat gesagt …« Sie verzog den Mund und sah
plötzlich um Jahre gealtert aus. »Er hat gesagt, es wäre nur Gerede
und er könne nichts tun, solange sich kein Zeuge melden
würde.«
»Bedauerlicherweise hat er damit Recht.«
Philippa seufz te und schloss die Augen. Sie würde später über
alles nachdenken, sobald sie sich überzeugt hatte, dass Larkyn und
Schwarzer Seraph in Sicherheit waren. Die Kutsche schaukelte in
schnellem Tempo über die Straße, dieselbe Straße, die Friedrich
immer für die bestausgebaute von ganz Oc gehalten hatte … Ach, wäre
Friedrich doch noch bei ihnen! Der alte Fürst hätte niemals
zugelassen, dass sich irgend jemand an den geflügelten Pferden oder
einer Flugschülerin vergriff … Hätte er davon erfahren, hätte er
seinen
ältesten Sohn zweifellos enterbt und stattdessen Frans zum
Thronerben erklärt.
Doch das Verschwinden von Pamella hatte eine
ähnliche Wirkung auf Friedrich gehabt, als hätte ihm jemand ein
Messer ins Herz gestoßen. Und nun war Wilhelm mit seinem anormal
glatten Kinn, seiner hohen Stimme und den verdächtigen Wölbungen
auf der Brust …
Philippa schlug die Augen auf. Hester schlief in
ein Kissen geschmiegt, und ihre Reitkappe war verrutscht. Die
Vorhänge waren zugezogen, und in der Kutsche herrschte ein
angenehmes Dämmerlicht, obwohl Philippa an den Schatten vor den
Fenstern erkannte, dass die Sonne bereits aufgegangen war.
Wilhelm. Mysteriöse Arzneien, Apotheker,
Slathan. Die geheimen Ställe, eine fruchtbare Stute, ein
gestohlener Hengst.
Plötzlich erkannte sie trotz ihrer Müdigkeit und
des ganzen Durcheinanders glasklar, worum es bei dieser
Angelegenheit wirklich ging.
Wilhelm wollte selbst fliegen. Er wollte es so
sehr, dass er sogar seinen Körper manipulierte, um ein geflügeltes
Pferd an sich binden zu können, und für diesen Zweck versuchte er
außerdem, ein geeignetes Fohlen für sich zu züchten.
Sollte ihm das gelingen, würden die
Pferdemeisterinnen von Oc ihre Stellung und ihre Macht
verlieren.
Und er setzte damit die einzige Kostbarkeit von
Oc aufs Spiel – und zugleich das, was ihr kleines Fürstentum
schützte.
Philippa zwang sich, die Augen zu schließen,
atmete langsamer und versuchte sich zu entspannen, damit sie
schlief. Sie würde heute ihre ganze Kraft und einen wachsamen
Verstand brauchen. Die Schlacht um den Südturm war nichts,
verglichen mit dem bevorstehenden Kampf gegen Wilhelm.
Dorsas Haus war eigentlich mehr eine Hütte als
ein Haus. Es bestand nur aus einem einzigen Raum mit einer hohen
Decke und einer offenen Feuerstelle. Auf der einen Seite befand
sich ein Abtritt, auf der anderen eine von Kräutern überquellende
Werkstatt. Dorsa half Lark auf die unbequeme Pritsche; sie war mit
Kissen übersät, die mit Reisig gefüllt zu sein schienen. Tup stand
in der Tür zur Werkstatt, wieherte und stampfte protestierend mit
dem Huf, weil er nicht bei Lark sein konnte. Das blonde Mädchen
pumpte Wasser in einen Eimer und stellte ihn vor Tup. Lark hörte,
wie er trank, und versuchte den Kopf zu heben, doch Dorsa legte ihr
behutsam die Hand auf die Stirn.
»Nein, nein, Kindchen«, sagte sie. »Bleiben Sie
liegen, damit die alte Dorsa Sie untersuchen kann.«
»Aber Tup …«, protestierte Lark heiser.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Das Mädchen
kümmert sich um Ihren Kleinen.«
»Verstecken Sie ihn«, krächzte Lark.
»Aber ja, sicher, wenn Sie wollen. Er kann in
der Werkstatt bleiben. Die betritt niemand außer mir.«
Lark wollte fragen, ob das stumme Mädchen
überhaupt etwas von Pferden verstand, aber Dorsa begann ihre Wunden
abzutasten, und der Schmerz vertrieb sogar die Gedanken an Tup aus
ihrem Kopf. Die Welt schien nur noch aus Schmerz zu bestehen, er
brannte in ihrer Brust, in der Hüfte und im Bein. Lark hätte fast
ihre eigene Stimme nicht wiedererkannt, als sie laut schrie.
Dorsa murmelte: »Ja, Kindchen, ich weiß. Lassen
Sie die
alte Dorsa nur herausfinden, was kaputt ist. Ah, da, eine Rippe,
gut, gut. Und die Hüfte ist auch verletzt. Und …« Ihre Finger
fuhren an Larks Bein bis zu ihrem geschwollenen Knöchel hinunter,
der unter dem Leder des Stiefels eine Beule bildete. »Wir müssen
den Stiefel wohl aufschneiden.«
Lark lag ächzend und stöhnend da, während Dorsa
in die Werkstatt eilte. Als sie zurückkam, hielt sie einen
verbeulten Blechbecher hoch. »Und jetzt trinken Sie das hier. Es
lindert Ihre Schmerzen ein wenig, und dann kann die alte Dorsa
herausfinden, was sich da unter dem Stiefel verbirgt.«
Dankbar und ohne zu fragen, was das für ein
Trunk war, leerte Lark den Becher. Die Medizin verschaffte ihr
sofort Erleichterung. Der Schmerz war zwar immer noch da, aber sie
spürte ihn wie aus weiter Ferne, als wäre ein dicker Vorhang
zwischen dem Schmerz und ihrem Bewusstsein vorgezogen worden. Sie
seufzte und entspannte die Muskeln. Als sich Dorsa mit einem
kleinen scharfen Messer an ihrem Reitstiefel zu schaffen machte,
glaubte sie, Tups Hufschläge auf den groben Bodendielen zu hören,
und dann schien es ihr, als berühre er mit seinen weichen Lippen
ihre Wange. Sie hob langsam die Hand, um ihn zu streicheln, doch
sie sank schlaff wieder herab, bevor sie sich überzeugen konnte, ob
er wirklich da war.
Als Lark aufwachte, schien die untergehende
Sonne durch das einzige Fenster der Hütte. Sie hatte fast den
ganzen Tag verschlafen. Mit dem Erwachen kehrte der Schmerz zurück,
doch sie versuchte ihn zu ignorieren, setzte sich in den
stacheligen Kissen auf und sah sich nach Tup um.
Sofort stand das alte Kräuterweib neben ihr und
grinste
so breit auf sie herab, als wäre es eine ganz besondere Freude für
sie, ein verletztes Mädchen aufzunehmen.
»Oh, wir sind wach, ja?«, rief sie. »Gut, gut.
Eine kleine Brühe und dann noch etwas Medizin. Sie halten sich gut,
ganz gut, ja.«
»Nein …«, widersprach Lark. »Warten Sie … wo ist
Tup?«
»Tup? Tup? Ach ja, das kleine geflügelte Pferd!
Na, er ist hier, nebenan in Dorsas Werkstatt. Er kann Sie
sehen.«
»Er braucht … er braucht Hafer. Eine Decke. Heu
…«
»Ja, gewiss, nur keine Sorge. Das Mädchen wird
etwas mitbringen. Sie musste nur erst ihr Kind füttern.«
»Wer ist sie?«
»Sie ist die, von der ich Ihnen erzählt habe!«,
rief Dorsa. Sie klang fast triumphierend. »An Erdlin in Moosberg
und auch in Oscham. Ich habe es Ihnen erzählt!«
Lark runzelte die Stirn und versuchte sich zu
erinnern, aber ihr Gehirn war von den Schmerzen und dem Mittel
benebelt. Der Tag der Beisetzung des alten Fürsten schien so lange
zurückzuliegen.
Dorsa eilte geschäftig hin und her, brachte Lark
eine Schüssel Brühe mit Fleisch und Gemüse, half ihr, sich
aufrechter hinzusetzen, und drückte ihr einen klobigen Holzlöffel
in die Hand.
Lark aß die Suppe restlos auf. Wieder reichte
Dorsa ihr den Blechbecher, und Lark trank ihn schnell leer. Dann
hob sie die Decke an und betrachtete ihren rechten Knöchel. Er war
geschient und mit einer dicken grauen Bandage umwickelt. »Wie
schlimm ist es?«, wollte sie wissen.
Dorsa berührte vorsichtig die Bandage. »Scheint
ziemlich schlimm«, erklärte sie. »Der Knöchel ist gebrochen.«
»Ich glaube, ich habe mir auch eine Rippe
gebrochen.«
»Ja, ja«, bestätigte das Kräuterweib mit einem
Nicken. Ihr dünnes graues Haar wehte um ihren Kopf. »Ich weiß auch
welche, merken Sie das?« Sie bohrte Lark einen knochigen Finger in
die Seite, woraufhin sie zusammenzuckte.
»Werde ich …?«, begann Lark, sank dann jedoch
zurück, weil sie sich nicht traute, diese Frage zu stellen.
Dorsa grinste, und auf ihrem Gesicht bildete
sich ein feines Netz von Falten. »Wieder gehen können, meinen Sie?
Aber ja. Es ist nur ein gebrochener Knöchel.«
»Nein«, flüsterte Lark. Das Mittel tat bereits
seine Wirkung, und ihre Augenlider wurden wieder schwer. »Nein,
Dorsa, mir ist klar, dass ich wieder gehen kann. Aber kann ich auch
reiten? Kann ich … werde ich wieder fliegen können?«
Dorsa legte behutsam ihre klauenartige Hand auf
Larks Stirn und strich über ihre Augenlider, damit sie sie schloss.
»Ja, Larkyn Hammloh, ja«, sagte sie sanft. »Sie haben doch noch Ihr
kleine Figur, hm? Spüren Sie, wie warm sie auf Ihrer Haut liegt?
Ihre Göttin hat Sie zu Dorsa gebracht. Sie werden wieder reiten.
Ihre Gottheit beschützt Sie, aber das hat nichts mit Zauberei zu
tun. Sie werden eine der größten Fliegerinnen von Oc werden, Larkyn
Hammloh.«
Lark glaubte nicht wirklich an die Worte des
Kräuterweibs, aber sie hörten sich wohltuend an, und die
Vorstellung tröstete sie. Sie seufzte, als das Mittel, das Dorsa
ihr verabreicht hatte, sie wie eine weiche Wolke umhüllte, auf der
sie dahintrieb. Kurz bevor sie einschlief, sah sie Tup, der mit
seiner weichen Schnauze ihre Stirn berührte und ihren Duft einsog.
Diesmal gelang es ihr, ihn zu liebkosen, bevor sie das Bewusstsein
verlor. Sie streichelte seine seidenweichen Lippen und wunderte
sich kaum, dass die alte Dorsa ihm Zutritt in ihre Hütte
gewährte.
Am Nachmittag erwachte Philippa durch das Rütteln
der Kutsche aus einem tiefen Schlaf. Ihr war heiß. Hester lag immer
noch zusammengerollt auf der schmalen Bank gegenüber. Das Gesicht
hatte sie in einem Kissen vergraben, die Haare hatten sich aus
ihrem Knoten gelöst und hingen ihr in die Stirn. Philippa verzog
das Gesicht und streckte sich, um die Verspannung in ihrem Nacken
zu lockern. Beneidenswert, diese jungen Leute, dachte sie. Sie
können immer und überall schlafen.
Sie lupfte eine Ecke des Vorhangs. Die
Farbenpracht draußen vor dem Fenster überraschte sie. Zweige mit
grünen, roten und gelben Blüten hingen tief über der Stra ße. In
den Hecken schwirrte es nur so von Leben, Vögel huschten durch das
Astwerk, und braune Kaninchen suchten vor den trommelnden Hufen der
Kutschpferde Schutz zwischen den Wurzeln der Bäume. Die Straße war
schmaler und holperiger geworden. Sie mussten schon weit im
Hochland sein. Der Lakai von Baronin Beeht sah die Bewegung des
Vorhangs und rief dem Kutscher etwas zu. Einen Augenblick später
hielt die Kutsche, der Diener öffnete die Tür und verbeugte sich
vor Philippa.
Sie legte den Finger auf die Lippen. »Hester
schläft noch«, flüsterte sie.
»Gewiss, Meisterin«, erwiderte der Diener. »Der
Kutscher hat mich gebeten, Ihnen zu sagen, dass wir Park Dikkers
bereits passiert haben. Am Ende dieses Weges liegt der Ort
Willakhiep. Vielleicht möchten Sie sich ein bisschen frisch machen,
bevor wir ihn erreichen?«
Philippa warf einen Blick in den Himmel. Die
Sonne hatte ihren Zenit bereits weit überschritten. »Was ist mit
den Pferden?«, fragte sie.
»Sie hätten ebenfalls eine Pause verdient«,
erklärte der
Mann. »Aber man hat uns gesagt, dass Sie es sehr eilig
haben.«
»Das haben Sie richtig verstanden«, erwiderte
Philippa. Sie kletterte aus der Kutsche, schloss vorsichtig die Tür
hinter sich und streckte die Arme über den Kopf. »Ich glaube, bis
zum Unteren Hof ist es noch eine Stunde von hier. Ist das zu lang
für die Pferde?«
Der Kutscher blickte von seinem Sitz herunter.
»Die Pferde haben gerade gesoffen. Wenn sie sich auf dem Hof
gebührend ausruhen können, dann schaffen sie diese Stunde
noch.«
»Sehr gut«, sagte Philippa. Sie sah sich nach
einer geeigneten Stelle um, wo sie sich erleichtern konnte, und
fand ein Gebüsch dicht neben der Straße. »Warten Sie kurz. Es
dauert nicht lange, und dann fahren wir weiter. Es befindet sich
noch Proviant im Korb, falls Sie etwas essen möchten.«
»Danke, Meisterin«, erwiderte der Diener. »Aber
das ist nicht nötig. Baronin Beeht hat uns ebenfalls gut
versorgt.«
»Natürlich«, meinte Philippa und nickte. »Das
hätte ich mir denken können.«
Eine Stunde später wachte auch Hester auf, und
gerade als sie den letzten Proviant von Baronin Beeht verspeist
hatten, bogen sie von der Straße auf den holperigen Weg ab, der zum
Unteren Hof führte. Philippa wartete kaum, bis die Kutsche
angehalten hatte, sprang aus dem Schlag, und bevor Hester ihr
folgen konnte, war sie schon auf halbem Weg zum Haus. Sie klopfte
an die Küchentür und registrierte nebenbei, dass der Rautenbaum in
voller Blüte stand, die Scheune frisch geweißt war und der
Küchengarten hinter der schwarzen Steinmauer bestellt und bepflanzt
war.
Hester holte sie ein und sagte: »Ist das Larks
Zuhause? Wie wunderschön es hier ist!«
Eine junge Frau, die Philippa nicht kannte,
öffnete die Küchentür und hob bei ihrem Anblick erstaunt die
Brauen. »Bei Zitos Ohren!«, rief sie aus. »Da sind ja noch
zwei!«
Sie trat in die Diele zurück und hielt die Tür
weit auf.
Philippa ging an ihr vorbei zur Küche und blieb
wie angewurzelt in der offenen Tür stehen.
An dem alten Küchentisch saß Irina Stark vor
einem dicken Steingutbecher mit Tee und einem Teller Keksen.
»Die beiden haben es nicht geschafft, Philippa«,
erklärte sie mit einer gewissen Genugtuung. »Sie sind weg.«