Draußen neigte sich die Oberfläche von Titan.
Bradley Reynolds betrachtete sie teilnahmslos und ließ sich von den schlingernden Bewegungen des Schreiters in leichten Schwingungen auf seiner Koje hin und her wiegen. Er hatte sich ein Kissen unter den Kopf gekeilt, so daß er die Fensterluke direkt vor Augen hatte. Bei dem stark gedämpften Licht im Raum gewann die Titan-Landschaft an Detailreichtum und Farbenpracht. Er konnte schroffe Felsenriffe erkennen, die das rötliche Eis durchbrachen. Schmutziggrauer Schnee, von Kies durchsetzt, klebte in den Spalten. Alles war von diesem durchdringenden roten Glühen durchtränkt – die wabernde Wolkendecke am Himmel, die glitzernden Ammoniak-Eiszapfen, die verwitterten Felsblöcke.
Wieder kippte die Szenerie. Der Schreiter sank mit pneumatischem Pfeifen herab. Bradley erkannte den wuchtigen Schlag, mit dem die Vorderbeine ruckartig nach vorn stießen. Sie fanden einen Halt, und der Schreiter wogte vorwärts. Er spürte, wie die Stoßdämpfer den Schwung absorbierten, und dann schwangen die Hinterbeine schwerfällig vor und brachten den Boden wieder in die Waagerechte.
Eine verflucht unbeholfene Art der Fortbewegung. Wieviel leichter war es doch bei dieser geringen Schwerkraft und in der dichten Atmosphäre, die Helikopter zu benutzen – mit Düsentriebwerken und Triple-Sensor-Navigation und sehr schnell. Die Hubschrauber hatten die umfassende Erforschung von Titan ermöglicht, und Bradley hatte angenommen, daß er mit ihnen ein paar der Kristallnetz-Anlagen besuchen würde. Aber er hatte nicht mit Najima, dem nominellen Leiter der Kuiper-Basis, gerechnet.
Bradley hob resigniert die Augenbrauen. Offenbar rosteten seine Instinkte allmählich ein. Er hatte ausdrücklich verkündet, daß er sich zu einem Nickerchen in sein Abteil zurückziehen wolle, denn er wußte, daß Najima vor Frustration beinahe platzte und deswegen todsicher unaufhörlich herumnörgeln würde – und dann war er, eingelullt von dem sanften Wiegen des Schreiters, doch tatsächlich eingeschlafen. Gute Strategie, lausige Taktik.
Er schwenkte die Beine aus der Koje. Schon vor langer Zeit hatte er ein Gespür für drohende Gefahren entwickelt, welches alle älteren Leute besitzen, die Fähigkeit, unausgeglichene Kräfte und Momente auf einer zerbrechlichen, spröden Achse wahrzunehmen. Seine Knöchel, seine Knie und sein Kreuz – verwundbare Stellen in seiner Rüstung. Breitbeinig ging er über den schwankenden Boden die drei Schritte bis zum Schott. Die Tür ließ sich mühelos öffnen. Er hakte sie an der Wand fest und spähte durch die Öffnung.
Die drei saßen in runden Sesseln und vor ihnen eröffnete sich die durchsichtige Halbkugel des Schreiters. Gebrochen von dem dicken, transparenten Sichtfenster schien die Landschaft draußen sich um sie herumzukrümmen und zusammenzuziehen. Mara schaute in die vorüberziehende Gegend hinaus und schien nachzudenken. Tsubata und Najima redeten miteinander. Najima allein bediente die Steuerung des Schreiters.
„… habe noch keine genauen Informationen über die Lage des Einbruchs“, sagte Najima soeben in seiner abgehackten, forschen Art, „und wenn die Abrutschbewegungen weitergehen …“
„Sind sie stark genug, um eine Umkehr zu rechtfertigen?“ fragte Tsubata.
„Nein. Die Absenkung liegt dreiundvierzig Kilometer in dieser Richtung.“ Najima wies aus dem Fenster.
„Nicht so nah, daß ein Riß bis zu uns vordringen könnte?“ Mara sprach sachlich und interessiert.
„Wir haben noch nie eine so große Einbruchstelle gemessen“, sagte Najima; er drehte seinen Sessel zu Mara, und Bradley zog hastig den Kopf zurück. „Ich wünschte, wir hätten es. Dann könnte ich diesen alten Mann problemlos nach Kuiper zurückbringen und wäre ihn los.“
„Sie meinen“, sagte Tsubata, „dann hätten Sie einen Vorwand.“
„Einen soliden Grund“, entgegnete Najima steif. „Ich benutze keine Vorwände.“
„Diese ganze Idee mit dem Schreiter ist ein Vorwand“, sagte Mara.
Najima funkelte sie wütend an. „Inwiefern?“
„Sie wollen den Teil von Titan vorweisen, den Sie am meisten studiert haben“, sagte Mara leichthin, als sei die Antwort selbstverständlich. „Also tun Sie so, als sei dieser scheppernde Schreiter sicherer als ein Hubschrauber.“
„Muß ich Ihnen wirklich noch einmal erklären …“
„Brauchen Sie nicht. Ich habe Ihnen den Quatsch schon beim ersten Mal nicht abgekauft, und dieser Trip zeigt, daß ich recht hatte.“
„Ein Schreiter kann nicht umkippen.“
„Nein, aber er kann auch nicht schweben, oder? Wenn sich zum Beispiel unter ihm eine Bodenspalte öffnet?“
„Unwahrscheinlich. Beinahe ausgeschlossen. Und ich wehre mich gegen den Ausdruck ‚Vorwand’. Wo …“
„Hören Sie, Najima, es ist mir völlig schnuppe, wie …“
„… wohingegen ich weiß, daß die Hubschrauber jetzt, wo die Stürme aufkommen, gefährlich sein können.“
„Sie haben gute Piloten.“
„Wir haben vier Männer und eine Frau verloren. Die Winde …“
Mara schnaufte. „Und wie viele mit den Schreitern?“
„Ach, ein paar.“
„Oder mehrere?“ Mara lachte, und Tsubata, normalerweise unerschütterlich, grunzte vergnügt.
„Also gut“, sagte Najima. „Alles in allem vier. Eine Klippe ist losgebrochen und hat sie zerquetscht.“
„Die Untersuchung“, meinte Mara, „ist abgeschlossen.“
Najima fuhr fort mit seinen Erklärungen, aber Bradley wandte sich ab und begab sich behutsam außer Sicht, zurück auf seine Pritsche. Es war amüsant, Mara zuzuhören, wie sie Najima bearbeitete, aber das meiste von dem, was sie unabsichtlich enthüllt hatten, hatte er ohnehin bereits vermutet. Er ließ sich sanft in die willkommene Umarmung seiner Koje sinken und schaute wieder aus dem Fenster auf eine verwitterte, braune Felsnadel, als das Gemurmel der Stimmen draußen plötzlich anschwoll.
„Also gwr“, sagte Najima scharf, „ich versuche in der Tat, ihn genau im Auge zu behalten. Zu seinem eigenen Besten.“
„Um sicherzugehen, daß er Ihnen hier nicht zusammenbricht“, sagte Tsubata schroff.
„Natürlich. Sein Tod hier würde sich sehr ungünstig …“
„Wie unangenehm“, warf Mara sarkastisch ein.
„… auf uns alle auswirken“, schloß Najima bissig.
„Was Sie nicht begreifen, Najima, ist, daß Bradley aus persönlichen Gründen hier ist und nicht zu einer offiziellen Inspektion“, sagte Mara.
„Aber er hat gesagt …“
„Ein Vorwand. Sie haben diese Täuschungsmanöver nicht erfunden, wissen Sie.“
„Ein Vorwand wofür?“ Najima klang jetzt aufrichtig verwirrt.
„Die Effizienz der Kuiper-Basis interessiert ihn einen Dreck“, sagte Tsubata.
„Ihre Führungsqualitäten ebenfalls“, fügte Mara hinzu. „Er will das Netz sehen. Das ist alles.“
„Wir haben holographische …“
„Keine Bilder. Bradley will es erleben. Er ist komisch in diesen Dingen. Er …“ Ihre Stimme schwankte unsicher.
„Reynolds kann sich seine touristischen Anwandlungen sonstwo hinstecken“, sagte Najima wütend.
„Rein rechtlich ist er Ihr Chef“, sagte Tsubata mit Nachdruck.
„Das halbe Sonnensystem liegt zwischen uns und dem Orb. Wieso sollte jemand vom Jupiter mir sagen, was ich auf Titan zu tun habe?“
„Es gehört alles zum selben Forschungsprojekt“, sagte Mara.
„Zwei völlig verschiedene Dinge“, beharrte Najima.
„Kugelförmige Wale auf dem Jupiter, supraleitfähige Kristalle auf Titan – es ist Leben, so oder so“, sagte Mara.
„Wir wissen nicht, ob sie supraleitfähig sind“, erwiderte Najima. „Nicht überall in der Matrix.“
„Sie haben wirklich das Talent, um den Kern der Sache herumzureden“, sagte Mara.
„Was ist denn der Kern der Sache?“ fragte Najima verärgert. „Daß man hierherkommt und mir meine Zeit stiehlt? Ich dachte, ich müßte einen guten Eindruck auf diesen alten Mann machen, wenn ich einen größeren Etat haben will. Zum Teufel, achtundzwanzig Leute, die von der Kuiper-Basis aus operieren, können nicht …“
„Bevor Ihnen die Sicherungen durchbrennen“, sagte Mara, „denken Sie bitte daran, daß wir auch nicht wollten, daß er herkommt.“
„Das stimmt“, bestätigte Tsubata. „Er ist zu alt dafür.“
„Dann hätten Sie ihn zurückhalten sollen“, sagte Najima.
Mara zuckte die Achseln. „Er wollte. Auf dem ganzen Weg, in der Beschleunigung und mit schmerzenden Gelenken, unfähig, sich in einem halben gzu bewegen, hat er nur von Titan geredet. Sogar als er eine Nachricht von der Erde erhielt …“
Mara verstummte abrupt, und das schwere Stampfen der wuchtigen Schritte des Schreiters erfüllte die Stille.
„Weiter“, sagte Najima. „Was für eine Nachricht?“
„Seit wann steht diese Tür offen?“ fragte Mara laut.
Bradley hörte die Schritte von Stiefeln über den Fußboden herankommen und klappte die Augen zu. Er spürte, daß jemand in der Türöffnung stand. „Alles in Ordnung“, sagte Mara in einem Bühnen-flüstern.
Er rollte sich auf die Seite und sagte mit schlaftrunkener Stimme, als sei er gerade erwacht: „Komm herein.“
Ein Grinsen erfüllte Maras Gesicht mit komprimierter Energie. Sie trat ein und schloß die Tür.
„Ein sehr geschicktes Ausweichmanöver“, sagte Bradley.
„Was …?“
„Wie du seine Aufmerksamkeit abgelenkt hast, nachdem du verraten hattest, daß wir diesen Funkspruch von der Erde erhalten. hatten.“
„War es so offensichtlich?“
„Für mich ja. Aber allzu leicht zu durchschauen bist du nicht. Du hast mir nie gesagt, daß du die Nachricht gelesen hast. Sie war unmißverständlich ausschließlich für meine Augen bestimmt.“
„Naja …“
„Schon gut. Du weißt also, daß man mich zurückbeordert hat.“
„Ja. Aber sie hatten nicht das Recht, dir auf halber Strecke zum Satum den Teppich unter den Füßen …“
„Sie haben jedes Recht. Ich hatte ihnen nämlich erst gesagt, daß ich das Orb verlassen hätte, als wir uns schon außerhalb des Jupiter-Orbit befanden.“
„Aber dich wegen dieser einen Dienstpflichtverletzung zurückzurufen …“
Er lächelte, und seine braungefleckte Hand machte eine abwinkende Gebärde. „Das ist nur eine Ausrede. Das Anti-Senilitätsgesetz verbietet ihnen, mich einfach zu feuern. Daran ändern auch Rawlins Berichte nichts. Aber das Orb verlassen? Ohne Genehmigung als Passagier mit dem regulären Versorgungs-Shuttle nach Titan fliegen?“ Er schnalzte mit der Zunge und schüttelte traurig den Kopf. „Sie haben mich, Mara. Ich bin eine gerupfte Gans.“ Er stemmte sich ächzend hoch und die gelblichen, schlaffen Falten seines Gesichtes formten sich zu einem resignierten Lächeln. „Für mich ist hier Schluß. Eigentlich nicht schlecht – ich bin bis an die äußersten Grenzen der Menschheit gekommen. So weit von der Erde entfernt, wie es jetzt nur geht. Ich habe immer ein gewisses, neugieriges Interesse für Pluto empfunden, aber das kann warten. Vielleicht gibt es ja noch andere Leben, weißt du?“
„Sie können nicht …“
„Sie können. Ganz einfach.“
„Was wirst du tun?“
„Ich gehe zurück. Es war reines Glück, daß ich überhaupt zum Orb gekommen bin. Ich habe diesen Job als Bedingung für meine Unterstützung des Projektes verlangt.“
Sie lehnte sich gegen das von Schweißnähten durchzogene, blaue Schott und verschränkte die Arme fest unter der Brust. Dann wanderten ihre Hände zu den Hüften hinunter und schoben sich schließlich dicht hinter ihren Rücken, in den engen Zwischenraum zwischen ihrem Kreuz und der Wand. „Da kann man nicht sicher sein. Vielleicht verlangen sie deinen Rücktritt und du bekommst eine niedrigere Position.“
„Mara, das Leben ist die Kunst, ausreichende Schlußfolgerungen aus nicht ausreichenden Daten zu ziehen. Ich weiß, worauf diese Sache hinausläuft.“
„Aber du warst es doch, der uns auf die einzig richtige Weise zusammengeführt hat. Nur deshalb konnten wir das Alpha-Libra-Puzzle lösen.“
„Na und? Jetzt haben sie, was sie wollten.“
„Aber es gibt noch soviel mehr. Wir haben ein bißchen Mathematik aus dem Alpha-Libra-Zeug herausgeholt, klar, aber …“
„Das Wichtigste ist zu wissen, daß wir es überhaupt decodieren konnten. Das zeigt uns, daß es grundlegende Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Intelligenzen gibt.“
„Sie können uns nicht einfach einen neuen Leiter von außerhalb vor die Nase setzen.“
„Tun sie auch nicht. Dazu sind sie zu schlau.“
„Wen denn dann?“
„Vielleicht dich, Mara.“
Sie lachte scharf und bellend auf und begann, in dem tortenförmigen Raum auf- und abzugehen. In dem emailleartigen Licht schien es Bradley, als verströme sie eine in ihr aufgestaute Energie. Das Deck unter ihren Füßen wogte mit den stampfenden Schritten des Schreiters. „Mich nicht. Rawlins schon eher. Das könnte ich mir vorstellen.“
„Den habe ich ziemlich fertiggemacht“, sagte Bradley, und überrascht fühlte er, wie Stolz in ihm aufstieg. Bis zu diesem Moment war ihm nicht klar gewesen, wie sehr sich die Wunden der Vergangenheit in ihm angesammelt hatten, wie sich die Bitterkeit aufgestaut hatte, für jenen Augenblick, da er Rawlins als fernen, geschlagenen Feind sehen würde. Wenn man eine Rechnung als beglichen ansah, war das ein sicheres Anzeichen dafür, daß das Spiel, irgendwo tief im Innern, bereits zu Ende war. Ich werde alt, ich werde alt, ich rolle meine Hosen auf, dachte er. Es war Jahrzehnte her, daß er Eliot gelesen hatte – in jugendlicher Begeisterung –, aber die Zeilen kamen ihm allzu leicht in den Sinn.
Er fühlte, wie der Schreiter erbebend zu Boden sank. Irgend etwas in seinem Absinken ließ Mara stehenbleiben. Unvermittelt trommelte jemand gegen die Tür und man hörte gedämpftes, unverständliches Schreien. Mara öffnete, und Najima stand im Türrahmen. „Dr. Reynolds, ich … kommen Sie und schauen Sie hinaus.“
Bradley wälzte sich wieder von seiner Koje herunter. Behende und mit allzu beiläufiger Anmut landete er auf seinen Füßen. Der Boden hatte sich glücklicherweise beruhigt, und so schritt er aufrecht und sicher zu seinem Drehsessel. „Was gibt’s?“
„Da“, sagte Najima schlicht. Sein Zeigefinger war unnötig; über dem Horizont erhob sich eine rötliche Blase. Aus ihrer von Warzen bedeckten Oberseite wallten weiße Wolken hoch. Während sie noch zusahen, brach ein neuer Schwall aus der fleckigen Haut hervor. Mit dem ausströmenden Gas wurden dunkle Schwärme wie Schrapnelle ausgespien, schossen in stumpfen, parabelförmigen Bahnen hoch in den Himmel und regneten dann durch die dünner werdenden Wolken wieder herab. Schwarze Kerne im feuchten Fleisch eines Apfels, dachte Bradley. „Ein Eisvulkan“, sagte er.
„Genau“, sagte Najima. „Wir wußten natürlich, daß es in dieser Gegend verschlossene Druckblasen gab. Aber diese Dinge sind nicht vorhersehbar. Sie verstehen doch?“
„Ich verstehe.“
„Wir müssen sofort umkehren …“
„Nein.“
„Es geht mir um Ihre …“
„Ich sagte nein.“
Najima schwenkte seinen Sessel herum und nahm ein geduldiges, entspanntes Aussehen an. Er verschränkte die Finger ineinander und betrachtete Bradley, und seine Augen glitzerten wie kleine, schwarze Perlen. Bradley überlegte, wie er jetzt wohl am besten verfahren sollte.
„Sie machen sich doch sicher keine Sorgen wegen der Lava, oder?“ fragte er. Oft war es besser, seinem Gegner eine einfache Frage zu stellen. So gewann man Zeit zum Nachdenken.
Najima schnappte nach dem Köder und erging sich in einer weitschweifigen Erklärung über die Eruptionsmechanismen. Titan war ein massiver Schneeball mit gefrorener Kruste und einem Felskern im Zentrum. Der Bereich zwischen diesen festen Begrenzungen war angefüllt von einem Brei aus Staub, Eis und Flüssigkeit. Der Druck und der stotternde Verfall des radioaktiven Gesteins führte zu einer allmählichen Erwärmung von bestimmten Regionen des Schneeballs. Heiße Flüssigkeit drang nach oben, der Druck verstärkte sich und entlud sich schließlich in einem Schwall von Lava aus flüssigem Methan, Ammoniak und Wasser.
„Das ist kaum gefährlich“, meinte Bradley. „Für Titan-Verhältnisse recht heiß, zugegeben, aber immer noch mindestens fünfzig Grad kälter als wir.“
Najima schüttelte seinen viereckigen, kurzgeschorenen Kopf. „Die Felsbrocken, die da herausgeschleudert werden …“
„Wir scheinen uns ja nicht in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft zu befinden“, sagte Bradley, und es klang wie ‚Sei ein braver Junge’. „Man sieht, wie sie die Hänge herunterrollen.“
Najimas glattes, dunkles Gesicht nahm einen verschleierten, wissenden Ausdruck an. „Dann sehen Sie auch die Risse.“
Bradley spähte durch das dicke Plexiglas auf die Öffnung des Vulkans. Jenseits der nahegelegenen Anhöhen wanden sich Alabasterwolken hinauf in das unveränderte Rosa des Himmels. Vom seltsam aufgeblähten Gipfel aus schoben sich feine, gewundene Linien die Hänge herab. Während er noch zusah, verbreiterten sich einige von ihnen. Aus einem der Risse quollen Gaswolken hoch. Es sah aus, als versuche der Vulkan mühsam, sich von seiner verkrusteten Haut zu befreien; er war aufgedunsen und geschwollen. „Spalten im Eis“, sagte Bradley.
„Wenn wir in eine davon hineinfallen …“ begann Tsubata.
„Wir können sie umgehen“, entgegnete Najima knapp und fest. Sein Gesicht war zu einer Maske geworden.
„Nicht, wenn sie sich unter uns auftun“, sagte Bradley. Er lächelte bei sich. Ganz sicher hatte Najima die Absicht gehabt, die Spalten als Vorwand für die Rückkehr zur Kuiper-Basis zu benutzen. Aber das Argument war zweischneidig; Tsubata hatte das bemerkt und diskret darauf hingewiesen: Gefährlich war es in jeder Richtung – auf den Vulkan zu und von ihm weg.
Najima legte seinen kantigen Kopf merkwürdig schräg, als müsse er nachdenken. „Nun, es ist immer …“
„Ich würde vorschlagen – in dem Bewußtsein, Sir, daß dieses Fahrzeug selbstverständlich immer noch unter Ihrem Kommando steht und ich lediglich ein Passagier bin –, daß wir hier abwarten, bis die Unruhe sich gelegt hat.“ Bradley spreizte freundlich die Hände.
„Das können wir nicht“, sagte Najima.
„Wir haben Vorräte …“ Mara wollte hilfreich einspringen.
„Ja, aber in einer solchen feindseligen Umgebung wäre es unvernünftig, sie aufzubrauchen. Und das würden wir, falls wir lange hierblieben.“ Najima beugte sich mit ernsthafter Miene vor. Den bewußt maskenhaften Gesichtsausdruck hatte er über dem Bestreben, sich auf das Problem zu konzentrieren, vergessen. Bradley erinnerte sich, daß Najima schließlich an erster Stelle Ingenieur und erst in sehr untergeordneter, zweiter Linie Verwaltungsmensch war. „Das Terrain hier ist nicht sicher“, fuhr Najima fort. „Wir stehen auf einer von Felsen durchsetzten Eisdecke. Es kann sein, daß sie reißt.“
„Aber doch nicht so bald?“ sagte Bradley.
„So etwas läßt sich unmöglich vorhersagen.“
„Dann schlage ich vor, wir suchen uns einen festen Felsenuntergrund“, sagte Bradley.
„Ich könnte einen Hubschrauber rufen …“
„Der auf dem Eis landen soll? Das könnte an sich schon gefährlich sein.“
„Das glaube ich kaum.“
Bradley gab seinem Gesicht einen kühlen, distanzierten Ausdruck. „Wie oft haben Sie es schon versucht?“
„Na, noch nie. Wir vermeiden solche Situationen. So sind unsere Anweisungen.“
„Sie haben also keinerlei Erfahrung.“
Najima zögerte. „Nein.“
„Ich bin immer noch Ihr Commander, Mr. Najima.“
Najima blickte von Mara zu Tsubata und dann wieder zu Bradley. Er hatte rein technisch immer noch das Kommando hier. Aber es gibt eine psychologische Kraft, die oft stärker ist als Legalismen, und unter dem lastenden Schweigen der Drei wich Najima schließlich dem Blick Bradleys aus. Er räusperte sich tief und rumpelnd und sagte: „Ich glaube, ich habe verstanden, Sir.“
„Die Relaisstation Vier ist nicht allzu weit entfernt“, sagte Bradley in neutralem Ton.
„Können wir dort unterkommen?“ fragte Mara.
„Unsere Stationen sind alle sicher“, sagte Najima. Er betrachtete Bradley forschend und als müsse er sich bemühen, den Anschluß nicht zu verlieren. „Sie scheinen eine ganze Menge über unsere Operationen zu wissen, Sir.“
„Ich mache stets meine Hausaufgaben“, sagte Bradley. Er ließ seine Stimme gleichförmig und geistesabwesend klingen. Vor allem durfte er Najima nicht wissen lassen, wieviel hiervon abhing. Wenn der Mann Verdacht schöpfte, könnte er leicht eine Anfrage zur Erde beamen. Und falls das geschähe, würden die wenigen, kostbaren Tage, die Bradley noch blieben, weiter zusammenschrumpfen, und die Folgen würden jeden von ihnen treffen.
Der Schreiter ließ die schäumende Vulkankuppel in zügigem Tempo hinter sich. Bradley gab vor, sich wieder ausruhen zu müssen, und kehrte in den wie ein Stück Torte geformten Abschnitt zurück, in dem sich die Schlafräume befanden. Der Schreiter war eine Kuppel, die auf hydraulischen Schwingarmen befestigt war, und die Steuerkabine nahm die Hälfte dieser Kuppel in Anspruch. Der restliche Teil war in drei Lager- und Besatzungsräume eingeteilt. Es war ein interessanter Kommentar zur Menschheit, fand Bradley, daß die Planer sich für getrennte Räume entschieden hatten, obgleich jeder davon so klein sein mußte. Auf den ersten Blick hätte man glauben sollen, daß die durch das ständige Leben in geschlossenen Räumen, abgekapselt von dem knirschenden Gefühl Titans, hervorgerufene Klaustrophobie nach großen Räumen verlangt hätte, nach einem Gefühl von luftiger, ausgedehnter Weite. Aber selbst hier wollten die Menschen lieber ihre Privatsphäre behalten. Die Reibung, die sich aus dem ständigen Kontakt ergab, erwies sich als zu anstrengend.
Kleine, kleine Gesten im Angesicht des Fremden, dachte er.
Bradley spähte durch die wächserne Transparenz der Fensterluke und versuchte, trotz des Geschaukels einen Blick auf das zu erhaschen, weshalb er hergekommen war: Die großen, kristallenen Netze, die Titan umspannten und deren Natur im Dunkeln lag. Er wußte, daß es in der Nähe eine ganze Reihe von ihnen gab. Der Titan-Orbiter hatte sie völlig übersehen. Unter der rotbraunen Wolkendecke spannen die weißen Fasern ein scheinbar ungeordnetes Netz. Frühe Spekulationen hatten in Titan so etwas wie eine eisige Ursuppe gesehen, reich an Methan und Ammoniak. Das Netz schien allerdings einige ölartige Kettenmoleküle zu enthalten, aber damit endete die Analogie zur Erde auch. An manchen Stellen war das Kristallgebilde von simpler, monokliner Struktur, und an anderen, da, wo sich die weißen Stränge durch Gletscherspalten und Eisfelder zogen, verschmolz es zu komplexen, ineinander verschlungenen Matrizes. Die erste bemannte Expedition hatte gelbe Farbmarkierungen in der Nähe des Netzes hinterlassen. Einige Wochen später sickerten zitronenfarbene Flecken und Tupfen kilometerweit entfernt hervor. Es gab eine Art von Verdauung – ein leichter Abbau des Öls, das die Männer verwendet hatten –, aber keinerlei Hinweis darauf, wie die Energie nutzbar gemacht wurde. Augenscheinlich lieferte es die elektrische Energie für die gelegentlich ausbrechenden zuckenden Ströme, die sich über die Titanoberfläche kräuselten, aber nicht einmal in diesem einzelnen, einfachen Punkt herrschte wirklich Klarheit.
Bradley ließ sich zurücksinken; das angestrengte Blinzeln ermüdete ihn. Najima und die anderen in der Kuiper-Basis zeigten sich in ihren Berichten angesichts der Erfolglosigkeit ihrer Experimente immer wieder von neuem überrascht. Die Entwicklung von genauen Prüfverfahren erforderte eine Arbeitshypothese. Aber was noch wesentlicher war: Für die Experimente bedurfte es auch einer wissenschaftlichen Methode, die von den richtigen Voraussetzungen ausging.
Nach Jonathons irrwitzigem Tanz, nach Coreys Sturz in den Wahnsinn war Bradley nicht mehr so sicher. Alle diese Entdeckungen waren von den äußersten, nackten Rändern menschlicher Erfahrung gekommen, nicht aus dem warmen, behaglichen Fleckchen rings um das golden leuchtende Lagerfeuer der Menschheit.
Lag darin eine Moral? Die Offenbarungen – und wie hatte er nach ihnen gedürstet, ohne es zu wissen! – kamen auf dem Vektor des Unerwarteten. Die Konsens-Realität blieb unfruchtbar.
Das Alpha-Libra-Puzzle war, wie sich zeigte, nicht bis ins letzte Komma logisch. Und Jonathons lächerliche Liebe zu Kreisen als vollkommenen Kurven – vernünftig, unter einer Voraussetzung, die ebenso absurd war wie die läppischen Regeln des triefäugigen, alten Plato, aber ohne diese Voraussetzung … Nein, er spürte, daß es da noch einen Mittelweg geben mußte.
Und dann … vielleicht waren seine Meditationen in Nordafrika, so beruhigend sie auch waren, eine Ablenkung von dem gewesen, was er wirklich suchte. Sollte er versuchen, das Unerwartete einzufangen, um dieses Ding zu finden, das sich durch eine verschwommen empfundene Leere definierte? Sollte er versuchen, es mit einem listigen, schnellen Blick aus den Augenwinkeln zu erhaschen?
Mara öffnete die Tür einen Spalt weit und sah erwartungsvoll herein. Ihre hochgezogenen Augenbrauen schienen ihrem Gesicht einen frischgeprägten Ausdruck zu verleihen, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Eine unbewußt herablassende Besorgnis für dieses wirrköpfige alte Wrack auf seiner überernsten Mission?
„Komm rein“, rief er dröhnend. „Meine Fähigkeit zu schlafen hat auch eine Grenze.“
„Schlafen, was?“ Sie trat ein und schloß die Tür. „Ich glaube dir kein Wort.“
„Oh?“
„Du überlegst dir, wie du mit Najima fertigwirst und was du tun sollst, wenn er beschließt, umzukehren.“
Bradley grinste. Einen Grund hatte sie erraten, aber es war der weniger verzweifelte. Er sagte: „Ich glaube nicht, daß er umkehren wird.“
„Getroffen. Du hast ihn eingeschüchtert, und er will nicht, daß du dir ein Bein brichst, solange er dich unter seinen Fittichen hat. Er wird in der Relaisstation Vier unterkriechen, bis der Vulkan erloschen ist. Oder bis die Erde dir die Genehmigung verweigert, dich überhaupt auf Titan aufzuhalten.“
„Najima vermutet doch nicht, daß ich Schwierigkeiten mit der Erde habe?“
„Möglich wäre es.“
„Hat er etwas gesagt?“
„Nur, daß es ihm nicht gefallen hat, wie du so plötzlich aufgetaucht bist. Er dachte, er bekäme lediglich Vorräte vom Orb.“
„Ich wollte, daß er das glaubt.“
„Damit er keine Zeit hätte, sich bei der Erde zu beschweren?“
„Ja, und damit er sich keine Möglichkeit ausdenken konnte, mich in der Kuiper-Basis festzuhalten.“
Mara setzte sich auf das Fußende der Koje. Ihre Stirn legte sich in Falten, als suche sie im Prisma seines letzten Satzes nach einem konvergierenden Teil seines Innern, das wahre Spektrum seines Wesens. „Du wirst langsam ziemlich byzantinisch, Bradley.“
„Weil ich die Erde nicht darüber informiert habe, daß ich nach Titan komme?“
„Ja. Das war gefährlich.“
„Ein Glücksspiel.“
„Was ist denn so verdammt wichtig an diesem Eisball? Die Zeta-Botschaft ist das Wesentliche …“
„Mara, Mara. Wie haben wir am Ende das Puzzle entschlüsselt? Der konventionellen Weisheit zufolge erkundet man das Universum, indem man durch ein Teleskop schaut.“
„Ja. Durch ein Radioteleskop.“
„Aber was wir schließlich sahen, haben wir im Spiegel gefunden.“
„Naja …“
„Siehst du nicht, was mit der Zeta-Botschaft passiert? Ein neuer Zweig der Wissenschaft wird geboren. Hast du die Übersicht gesehen, die wir letzten Monat bekommen haben?“
„Das erste nicht-mathematische Element?“
„Ja.“
„Mir ist nicht klar, was es bedeutet.“
„Das ist niemandem klar. Es gibt eine Denkschule, die übersetzt diese Kringel mit – wie ging es noch gleich?“
„Die Formulierung lautet: ‚Die Fähigkeit, einen Überlebensvorteil vergrößernd auf ein anderes Wesen zu übertragen.’ Das ist eine grobe Übersetzung.“
Bradley lächelte. Im Bullauge sah er sein blasses Spiegelbild; es erinnerte ihn an oft gefaltetes Packpapier, ein Netz von brüchigen Runzeln. „Warum übersetzt man es nicht weniger grob mit ‚Liebe’?“
„Hm. Möglich.“
„Früher oder später wird die Botschaft solche Fragen aufwerten. Spezialisten werden sich in die Haare geraten und die poetische Lesart gegen die praktische setzen. Ganze Universitätsabteilungen, Konferenzen, Dissertationen …“
„Ich sehe immer noch nicht, wie Titan dabei helfen kann.“
„Na, indem er uns einen neuen Kontext gibt.“ Bradley war überrascht, daß sie ihn nicht verstanden hatte. „Wir können uns nicht an irgendeiner Illusion von Einzigartigkeit messen. Es sind Menschen wie Rawlins, die an starre Definitionen glauben – seine Angst vor dir wurzelt in schlichter Ignoranz. Und unsere Aufgabe ist es, die Definitionen zu erweitern, bis selbst Rawlins sie nicht mehr als Tarnung verwenden kann.“ Er faltete seine verdorrten, fleckigen Hände auf dem Bauch und spürte, wie eine behagliche Schläfrigkeit ihn zu durchdringen begann. Und, dachte er, selbst im Fremden eine verzeihende Seele zu finden.
Stunden später loderte die Außenbeleuchtung der Relaisstation Vier auf, ein einladendes Strahlen im rötlichen Tageslicht von Titan.
Eine Welt aus Rost, dachte Bradley. Ein schmaler Bruchteil des sichtbaren Spektrums sickerte durch die Wolkenhülle herab und tauchte das bucklige Land in ein modriges Glühen. In dem grellen Licht warf der Schreiter einen spinnenartigen Schatten auf die nahegelegene schiefergraue Wand, die das Tal umsäumte. Seine stampfenden Beine wirbelten Staubwolken auf, als er sich rückwärts in die Luftschleuse der Station schob.
Najima schaltete die Maschine ab und sicherte die Steuerkonsole. Dann sah er hinüber zu Bradley. „Ich dachte, ich erspare Ihnen die Mühe, einen Anzug anzulegen. Unsere Heckschleuse mündet direkt in die Station.“
„Danke, aber ich habe sowieso …“ Bradley brach ab; je weniger Najima über die Tatsache nachdachte, daß Bradley einen titantauglichen Anzug bei sich hatte, desto besser. Ein Anschein von Hilflosigkeit würde nützlich sein. „Diese weißen Linien – ist das das Netz?“ fragte er im Plauderton.
„Ja, ich glaube schon. Sie liegen ziemlich dicht in dieser Gegend.“
Aus dem Heck des Schreiters drang das Pfeifen der Luftschleuse, und dann kam ein bitterkalter Windstoß heran. Bradley schauderte. Der Kragen seiner blauen Jacke flatterte schlaff im frischen Atem von Titan. Die gute Isolierung des Schreiters verdeckte die Tatsache, daß die Temperatur in der zerklüfteten, reifbedeckten Landschaft draußen hundert Grad unter dem Gefrierpunkt von Wasser lag. Der Hügel war von rosafarbenen Eisflecken bedeckt, die auf der Erde sogleich zu einem brennenden Schwall von Ammoniakdunst aufgeblüht wären.
Tsubatas trockene Stimme bestätigte, daß die Verbindung mit der Station hergestellt sei. Najima schwenkte auf seinem Sitz herum und erhob sich, aber Bradley hob die Hand. „Wir sind auf einer Art Felseninsel, nicht wahr?“
„Eine Klippe, die durch das Eis stößt, ja.“ Najimas klobiger Kopf wackelte zustimmend. „Keine Sorge – diese Orte sind die stabilsten auf Titan. Kuiper-Basis ist nur die größte von ihnen.“
„Sie könnten aber absinken.“
„Unwahrscheinlich, Sir. Diese Täler haben ein langes Leben.“
„Wie Steine in einem Eisberg.“
„Vermutlich. Aber es ist ein kugelförmiger Eisberg, und der Ozean ist innen. Das macht die Kruste relativ stabil.“
Bradley nickte. Najimas sanftmütige Freundlichkeit durchbrach die rauhe Schale des Basis-Commanders, wann immer sich die Möglichkeit bot. Bradleys zur Schau getragene Vorsicht brachte die weichherzige Seite Najimas zum Vorschein, und in den nächsten Tagen, während ihres Aufenthaltes in der Station, würde er an dieser Facette arbeiten können. Falls sie sich nicht alle entspannten und ihre Gereiztheit bändigten, würde es sicherlich Schwierigkeiten geben.
„Ich nehme an, daß das Netz das weiß?“ fragte Bradley milde.
„Sie vermuten, daß es das weiß. Daß es ein Bewußtsein hat.“
„Eine Hypothese.“
„… die unbewiesen ist. Wir haben keinerlei Hinweise auf Nerven …“
„Warum treten sie in den sicheren Gebieten so geballt auf?“
Najimas olivenfarbenes Gesicht legte sich in Falten. „Nun ja, sie bestehen größtenteils aus Silikaten und metallischen Elementen. Es erscheint nur natürlich, daß geologische Formationen dort entstehen …“
„… wo ihre Bausteine reichlich vorhanden sind“, schloß Bradley für ihn.
„Selbstverständlich.“
„Könnte das Kristallgebilde nicht von sich aus die sicheren Bereiche aufsuchen?“
„Die Vorstellung, daß die elektrochemischen Prozesse im Netz Leben repräsentieren …“
„… ist unmodern“, sagte Bradley. „Aber das waren Hosen auch einmal. Was könnte es Vernünftigeres geben, falls die Kristallmatrix die winzigen Verschiebungen in der Titankruste wahrnehmen kann?“
„Und woher wollen wir wissen, daß sie das kann?“
„Wir wissen es nicht. Wenn vor langer Zeit ein leichter Überlebensvorteil darin lag, zu wissen, wo das Land sich verschieben und zerreißen würde, dann ist das ein evolutionärer Mechanismus.“
Najimas verschleierte Augen begannen zu glänzen. „Woher wußten Sie, daß das Kristallnetz sich bewegt?“
„Das wußte ich nicht. In Ihren Berichten steht nichts …“
„Wir sind nicht sicher. Wir möchten keine Behauptungen aufstellen, bevor die Messungen nicht abgeschlossen sind.“
Bradley unterdrückte ein Lachen. „Okay. Und was sind die vorläufigen Ergebnisse?“
„Einige der langen Kettenmoleküle scheinen eine Verschiebung der Kristallflächen auszulösen, die sich wellenförmig durch die gesamte Struktur fortsetzt und sie pro Jahr um ein paar Millimeter weiterbewegt.“
„Also können die Kristallstränge wandern. Je besser das Kristallnetz seine Umgebung wahrnehmen und verstehen kann, desto sicherer wird es.“
„Aber das Kristallgebilde ist nur ein Stück“, sagte Mara. Bradley sah auf. Sie hatte offenbar hinter ihm gestanden und die Auseinandersetzung genossen. Die Hüfte vorgestreckt, stand sie herausfordernd da, ihr schwarzes Haar schimmerte im emailartigen Licht des Schreiters, und ihre Lippen waren dunkel betont.
„Na und?“
„Bei einem Einzelwesen gibt es keine Evolution“, sagte sie. „Es gibt kein genetisches Material an irgendwelche Kinder weiter. Keine Reproduktion, keine Selektion.“
Najima wirkte erleichtert über diese plötzliche Unterstützung von unerwarteter Seite. „Das klingt sehr vernünftig“, sagte er.
„Wieder konventionelle Weisheit.“ Bradley fühlte sich plötzlich müde. „Und wenn nun jede Faser des Netzes ein Kind ist?“
Mara runzelte die Stirn. „Es gibt keinen Hinweis …“
„Das sind Spekulationen ohne jede Basis“, sagte Najima mit gewichtiger Ernsthaftigkeit, und Bradley begriff jetzt, was ihn hier draußen zu einem guten, soliden Stationsleiter machte. „Was wir brauchen, Sir, sind mehr Daten. Dafür …“
„… brauchen Sie weitere Mittel“, meinte Bradley. „Ein Syllogismus, der mir möglicherweise nicht zum ersten Mal unterkommt.“ Er seufzte. „Wollen wir diese Angelegenheit nicht beim Essen erörtern?“
Die Kocher feuerten und eine Mahlzeit erschien: ein geschmorter Pfannkuchen aus einem zähen, undefinierbaren Zeug, Preiselbeerkuchen, Zitronenschaum mit einem merkwürdig kalkigen Nachgeschmack. Am Mitteltisch wurde geplaudert, und danach hörte man das vertraute Klappern und Zischen der Geschirrspülanlage. Dieses anheimelnde Ritual ließ den Raum unter der Doppelkuppel der Station menschlich erscheinen und brachte die vier näher zueinander. Die Station glich annähernd einer Kugel, um so einen größtmöglichen Innenraum zu schaffen und gleichzeitig den peitschenden Titanwinden eine geringe Oberfläche entgegenzusetzen. Das obere (und wärmere) der beiden Stockwerke war den Quartieren vorbehalten. Auch hier hatte das Bedürfnis nach Privatsphäre Vorrang; für jede Person stand eine eigene, enge Zelle zur Verfügung.
Nach dem Essen schlief die Unterhaltung ein. Tsubata suchte sich einen Lesefilm aus, Mara nahm ein ausgiebiges Dampfbad und Najima streifte durch die Station und überprüfte müßig die Geräte. Die Keramikwände waren behängt mit Schraubenschlüsseln, Eishaken und Meßlehren, klebstreifenumwickelten Hämmern, stumpfen Zangen und komplizierten Gerätschaften mit Rädchen und Buchsen, deren Funktion Najima offenbar bekannt war, während Bradley nur raten konnte. Die Arbeitsbereiche waren unaufgeräumt, wie immer, wenn niemand direkt verantwortlich ist. Rollen von Messingdraht, ausgefräste, fasrige Metallstücke, Splitter und Späne von glänzendem Kupfer, wirre Drahtknäuel, Mikroschaltkreisplatten – alles lag wild durcheinander in den Werkstätten verstreut. Najima ordnete, sortierte, registrierte, lagerte, und allmählich wich die chaotische Flut zurück.
Dann begab sich Najima mit klappernden Stiefeln über die Treppe nach unten in die Versorgungs- und Kommunikationsebene. Bradley nagte an seiner Unterlippe. Er konnte nur warten.
Er erhob sich aus seinem Sessel und schaute auf die große, schimmernde Sichtscheibe. Das gleichmäßige Zwielicht von Titan regte sich mit dem Wind. Staubfahnen verhüllten den Horizont.
Er wandte sich ab, ging in seine winzige Kammer und schloß die Tür. Der Schreiter parkte im Erdgeschoß, wo Najima jetzt herumstöberte. Bradley überdachte noch einmal die Anlage der Station, aber es bot sich ihm nichts zu tun. Er dachte daran, schlafenzugehen oder Mara zu suchen, um mit ihr zu plaudern, oder noch etwas von den Lebensmittelreserven der Station zu essen, um Energie zu tanken. Doch dann legte er sich hin und studierte stattdessen eine Karte von der Umgebung der Station.
Als Najima klopfte, stopfte Bradley die Karte unter das Kissen, bevor er antwortete. Aus Gründen der psychologischen Gleichheit wollte er auf seinen Füßen stehen.
Mit umwölkter Stirn trat Najima ein. „Wir sollten unter vier Augen miteinander reden“, sagte er gepreßt.
„Sie haben Kuiper gerufen.“ Es war keine Frage.
„Dort ist eine Direktive von der Erde eingegangen“, sagte Najima formell. Bradley spürte, daß der Mann nervös war, und sein steifes Gehabe sollte dazu dienen, Bradley auf sichere Distanz zu halten.
Bradley sagte gar nichts.
„Sie haben mich belogen.“
„Nein.“
„Sie haben gesagt, Sie befänden sich auf einem Inspektionsbesuch. Auf einer offiziellen …“
„Ich habe impliziert, es sei offiziell.“
„Sie haben die Implikation im Raum stehen lassen, ohne sie zu korrigieren.“
„Das stimmt.“
Najima stemmte die Hände in die Hüften und funkelte Bradley an. „Die Erde wußte nicht, daß Sie kamen, bis Sie schon kurz vor Titan waren. Als man Ihnen befahl, zum Orb und dann zur Erde zurückzukehren, sandten Sie einen Funkspruch und sagten dies zu.“
„Ich werde es auch tun“, antwortete Bradley sanft.
„Die Erde hat eine Landung auf Titan nicht genehmigt. Sie sollten im Orbit bleiben.“
„Das ist wahr.“
„Dann gehe ich seit drei Tagen völlig unnötige Risiken ein. Wenn Sie hier gestorben wären, unter meiner Verantwortung …“
„Ich weiß. Ich bitte um Entschuldigung.“
„Sie sind zu alt für so etwas, Dr. Reynolds. Gehen Sie zurück zur Erde. Sie sind – ein Wahnsinniger.“
„Ich weiß. Ein Wahnsinniger.“ Bradley fühlte, wie die Worte emporstiegen und ihn von dieser letzten Charade befreiten. „Ein verrückter, rasender Wahnsinniger.“
Als er in jener Nacht im Bett lag – eine künstliche Nacht natürlich, denn Titans rötliches Leuchten änderte sich nie – und als die blassen Lichter immer matter wurden, lauschte Bradley den Geräuschen der anderen drei, die sich ebenfalls in ihre Zellen zurückzogen.
Tsubata als erster, Mara nur einen Augenblick später. Er sollte mit ihr reden, und er wollte es auch, aber das Gespräch mit Najima hatte ihm jedes Wort verleidet. Sein ganzes Leben lang hatte er nach dem rauhen, wahren Gefühl der Dinge gesucht, und nicht nach dem Schein der Worte, der die Realität umgab. Das Wesen, den Kem, das Ding hinter den Symbolen: das war es, was er wollte. Nicht immer mehr Worte, Berichte, Argumente.
Er war sicher, daß er auf der Erde nichts Solides finden würde. Najima würde morgen umkehren, wenn der Vulkan nicht mehr aktiv seinen eisigen Zorn ausspie. Zurück nach Kuiper und dann auf das wartende Shuttle. In einer flachen Ellipse zum Orb. Von da in einer etwas längeren zur Erde, und der Wahnsinnige wäre unter Dach und Fach.
Er würde sich in der einbalsamierenden Üppigkeit von Luna oder einer der Satellitenstädte zur Ruhe setzen. Unten würde eine spartanische Erde zweifellos die Arbeit am Alpha-Libra-Puzzle und an Titan fortführen. Der Wahnsinnige durfte vielleicht zusehen, aber mehr nicht. Er durfte hinunterspähen, auf einen unförmigen, blauweißen Planeten. Abgetrennt, ausgetrocknet, tot. Ein alter Mann, der an ein summendes Lebenserhaltungs-Modul angeschlossen war, der mit wäßrigen Augen die künstliche Handlung auf dem 3-D verfolgte, der, in eine Welt aus Kissen gebettet, einen Collie auf seinem Schoß streichelte. Zufriedenheit. Der Mühe Lohn. Das Ende.
Nein. Nein.
Najima rumorte immer noch im oberen Stockwerk der Station. Bradley schloß die Augen, um einen Moment lang auszuruhen. Er hatte im Schreiter soviel wie möglich geschlafen, weil er wußte, daß er den Schlaf brauchen würde, und jetzt brauchte er ihn.
Die Geräusche versanken, er begann zu dösen, und ohne daß er es merkte, übermannte ihn der Schlaf.
Er erwachte langsam und spürte, daß er frei von seinem Körper war. Einen unsteten Augenblick lang schwebte er, und etwas in ihm war unschlüssig, ob er nun in diesen verbrauchten, runzligen Kadaver zurückgleiten sollte, der da zwischen den Kissen hingestreckt lag, oder ob er hinauswehen sollte, zu einer neuen, nebelhaften Bestimmung. Und während er diese Frage erwog, schwoll das bunte Summen und Plätschern des Lebens in ihm an: die körnige Beschaffenheit der beharrlich widerstehenden materiellen Welt, die Freudendes Zusammenseins mit anderen, eines einfachen Schwatzes über einer Tasse Kaffee, die Freuden der Arbeit und der Ruhe nach der Arbeit. Alles lag vor ihm ausgebreitet wie bei einem ungeheuren Fest, etwas, was jeden Tag von neuem ergriffen und gewonnen werden mußte. Er erwachte unter dem sachlichen Surren der Ventilation, und sein Erwachen war ein willkürlicher Akt, als hätte er einen Anker losgelassen und triebe jetzt träge an die Oberfläche.
Es war Zeit. (Ja, daran war kein Zweifel.) Zeit war es. Zeit. Zeit. Zeit.
Er stand auf und öffnete die Tür einen Zentimeter weit. Stille. Die Lichter der Station brannten gedämpft. Er trat in den Schatten des Korridors hinaus.
Bei der nächsten Tür blieb er stehen und lauschte. Er hatte plötzlich eine Vision von Mara und Tsubata, wie sie ineinander verschlungen hinter dieser Tür lagen, glatte Gliedmaßen auf zerknüllten Laken, eine Einheit, die er bis zu einem bestimmten Grad arrangiert hatte. Hatte er das Frische, das Praktische in Tsubata gesehen und Mara sanft in diese Richtung gedrängt? Es war kein Zufall, daß diese neuen Männer oft, zumindest kulturell, aus Asien kamen und mit sicherer Anmut eine Welt betraten, die der Westen einst grellbunt gefärbt hatte. Sie waren ein Teil des Pendelschwungs der menschlichen Geschichte: Ost, West, Ost, West. Vielleicht wüde Titan sich am Ende solchen Männern ergeben. Aber in anderer Hinsicht war Bradley da nicht so sicher. Dem Osten fehlte eine Eigenschaft, die der Westen besaß – war es Dreistigkeit oder schlichte Dummheit? –, und er fürchtete, dieses Element könnte der Schlüssel zu dem sein, was hier verborgen lag.
Er schüttelte die besinnliche Stimmung ab und schob sich den Gang hinunter. Er bewegte sich behutsam. Die Treppe, die zur unteren Ebene hinunterführte, vibrierte schwach unter seinen gedämpften Schritten. Er durchquerte die kreisförmige untere Werkstatt und zwängte sich zwischen Stapeln von Material hindurch. In einer rechteckigen Nische hing eine Maschine wie ein riesiges Metallbaby, das darauf wartete, gebadet und gewickelt zu werden.
Bradley erreichte die Stelle, wo Station und Schreiter miteinander verbunden waren, und machte eine Pause. Kam dieses gelegentliche schwache Stampfen von oben, von dem ruhelosen Najima? Er versuchte angestrengt, das Geräusch zu entschlüsseln. Die Ärzte behaupteten, daß ihre Künste sein Gehör auf dem Stand eines Dreißigjährigen gehalten hätten, aber er wußte, daß er die tiefen, dröhnenden Klänge von Musik und wahrscheinlich auch andere Töne, wie dünnes Wispern oder ferne Gespräche, nicht mehr wahrnahm.
Unbewußt streckte er eine Hand aus, und plötzliche, stechende Kälte ließ ihn zurückfahren. Die Wand der Werkstatt hatte ihre normale, eisige Temperatur bewahrt; die Station hatte sich noch nicht völlig für ihre Gäste erwärmt. Sie verbrachte lange Monate unter Titan-Temperaturen, ein Stück dieser Welt, und selbst ihre Luft lagerte dann als flüssige Brühe in den Tanks.
Das Geräusch wiederholte sich nicht. Bradley wußte, daß er nicht gut genug hörte, um zu merken, wenn er verfolgt würde, zumindest dann nicht, wenn er den Schreiter betreten hätte. Sei’s drum; von hier gab es kein Zurück mehr. Er trat durch die Schleuse des Schreiters in die Anzugkammer.
Der Schreiter war für flexible Einsätze konstruiert, und dazu gehörte auch die Möglichkeit, daß ein verletztes oder schwaches Besatzungsmitglied allein auf Titan hinausgehen mußte. Vier Schutzanzüge hingen an schwenkbaren Ständern. Bradley schwenkte seinen Anzug heraus und ließ ihn auf der automatischen Ankleideplattform einrasten. Die Isolation machte den Anzug unförmig, und er bewegte sich schwerfällig.
Bradley schob sich rückwärts in die Umhüllung. Das S-förmig geschwungene Anzugfutter schmiegte sich dicht an ihn. Er beugte sich vor und schlängelte seine Arme nach hinten in die Ärmelröhren. Mühsam und angespannt zwängte er den Kopf durch den Halsring. Das Gestell trug zwar den Anzug und legte ihn automatisch an, aber es hielt ihn, wie jemand mit zittrigen Händen einen Leichnam hält. Bradley richtete sich auf, drückte auf einen Knopf, und der Anzug schloß sich auf dem Rücken. Der Helm senkte sich sanft auf den Halsring herab. Ein letzter kurzer Ruck, und die Verriegelung rastete ein.
Bradley überprüfte methodisch die internen Systeme und ruhte sich für einen Moment aus. Im Helmradio hörte er das leblose Piepen des Peilsignals der Station. Anderen Funkverkehr gab es nicht. Es war sinnlos, noch zu warten, sagte er sich; er löste den Anzug von dem Ständer, und das Gewicht sank wie eine Decke auf seine Schultern. Er machte einen Schritt und dann noch einen. Ein Fußgelenk protestierte. Dennoch, es würde gehen. Seine schwer beladene Gestalt wankte voran.
Es war sicherer, viel sicherer, wenn er durch die kleinere Schleuse des Schreiters hinausging. Er trat zu der Instrumentensäule, die aus dem Boden des Schreiters emporragte, und gab ein paar Instruktionen ein. Eine langsame Zyklusrate; das würde das Pumpengeräusch niedrighalten. In seinem Anzug hörte er nichts, aber der Schreiter absorbierte wahrscheinlich den größten Teil der Geräusche von der Schleuse, ehe sie in die Station dringen konnten. Zumindest hoffte er das. Es war entscheidend, daß er sich unbeobachtet von der Station entfernen konnte, damit sie nicht wußten, in welche Richtung sie ihn verfolgen sollten.
An der Schleuse leuchtete das grüne Licht auf. Bradley öffnete die Klappe. Sie ließ sich leicht zurücklegen, und unbeholfen kletterte er in die Schleusenkammer. Er löste den Pumpenzyklus aus und wartete, daß die nährende menschliche Luft absickerte. Durch seine Stiefel spürte er, wie mit einem Schwall etwas anderes in die Schleuse hereindrang: der dünne, leicht dunstige Eishauch von Titan. Dann öffnete sich die untere Luke, und er trat hinaus in das Antlitz des Außerirdischen.
Mit einem freudigen Hochgefühl empfand er die Befreiung von der schalen Enge der Station. Und mehr noch: Er hatte recht gehabt. Diese Welt war ein neuer Ort, frisch und seltsam glitzernd, wenn man sie so sah. Die dicken Bullaugen des Schreiters hatten diese gefrorene Galerie einer Welt verzerrt und gebrochen, wie ein Aquarium, das Fische zu aufgedunsenen, kunstlosen Kreaturen aufquellen läßt. Jetzt war er frei davon.
Er trat aus dem schützenden, kreisrunden Schatten des Schreiters heraus. Der fleckige Himmel hing schwer über ihm. Der spröde Boden knirschte unter seinen Füßen. Etwas bewegte sich zu seinen Füßen, und überrascht sah er ein paar Meter vor sich einen kleinen Wirbelwind, in dem sich Staubteilchen und Flocken in einer eisigen Spirale drehten. Ein kreisförmiges Wesen, sichtbar gemacht erst durch die Last, die es trug. Es sprang in die Höhe, saugte den Boden auf und wich vor Bradley zurück. Er ging weiter und mitten hindurch; halb erwartete er die Berührung des Windes zu spüren. Als er zurückschaute, war der tanzende Kreisel verschwunden.
Er sah hinüber zu den matt erleuchteten Luken der Station und des Schreiters. Nichts rührte sich. Kein Gesicht spähte heraus, erschreckt, weiß und mit aufgerissenen Augen. Nur die Abgasauslässe, die in die Wände der Station eingelassen waren, wandten sich mit einem erstarrten Ausdruck von überraschter Bestürzung nach oben.
Ein Windstoß jagte über die freie Fläche rings um die Station, auf der Flucht vor einem dunklen Streifen am Horizont. Womöglich braute sich ein Sturm zusammen. Wenn er nur kräftig genug würde, dann könnte Najima keine Hubschrauber herbeirufen, um nach ihm zu suchen. Ein gutes Zeichen, aber zunächst mußte Bradley aus der Umgebung der Stadtion verschwinden.
Er machte sich auf den Weg, und absichtlich setzte er seine Schritte im Takt seiner flachen Atmung, um zu einem Rhythmus zu gelangen. Er marschierte bergauf. Er hatte sich die Karte dieser Gegend ins Gedächtnis eingeprägt und schätzte, daß der Schreiter den Gebirgskamm, der sich vier Kilometer entfernt hinzog, nicht überwinden konnte. Wenn sie ihn damit verfolgten, würden sie einen langen Umweg machen müssen, parallel zu dem Kamm bis zu einem Durchbruch, der sechs Kilometer weiter nördlich lag. Bis dahin müßte er den Bereich, in dem die Linien des Netzes am dichtesten waren, erreicht haben; er lag gleich hinter dem Gipfel des Bergkammes.
Frostige Schleier wehten herab. Bradley fand, daß das Land in seinem eigenen Licht viel leuchtender erschien als im Innern des Schreiters. Die Wolkenbänke verstreuten ihre trübe Strahlung gleichmäßig und verteilten die Energie, die von der unsichtbaren Sonne herabsickerte. Auch Titan hatte eine geringfügig kältere Nachtseite, aber das Licht drang durch die dichte Luft bis dorthin und verbannte jede wirkliche Nacht. Nicht einmal Saturn mit seinen leuchtenden Streifen war durch die Wolkenschichten zu erkennen.
Bradley warf einen Blick zurück. Die Station war hinter einer zerklüfteten Anhöhe verschwunden. Das Gelände hier war dunkel und metallisch wie eisenhaltiger Lehm. Seine Stiefel wirbelten feines Pulver auf. Er hörte nichts als seinen eigenen seufzenden Atem und das gelegentliche Pfeifen seines Anzugs, wenn dieser irgendwelche Druckkorrekturen vornahm. Er konnte diese Welt zwar sehen, aber er konnte sie weder riechen noch hören, weder fühlen noch schmecken. Er war ein Alien unter Glas.
Platschend durchquerte er eine Pfütze. Sie sah aus wie Wasser, aber ein Tropfen, der auf seine Sichtscheibe gespritzt war, verdampfte sogleich zu gekräuseltem Dunst. Ammoniak? Er knipste die Handlampe an, und der zitronengelbe Lichtstrahl hüpfte und tanzte über die zerrissene Oberfläche des Tümpels. Er schaltete das Licht wieder aus, für den Fall, daß man auf der Station über eine Möglichkeit verfügte, so weit zu sehen, und der Kontrast ließ die Umgebung für einen Augenblick noch trüber erscheinen.
Mit pochendem Herzen marschierte Bradley weiter. Der Aufstieg erwies sich als anstrengender als er erwartet hatte, selbst in dieser geringen Gravitation. Er fand es plötzlich verwunderlich, daß ein solcher Mond, dessen Gravitation kaum stärker war als die von Luna, eine derartig dicke Atmosphäre besaß. Die schreckliche Kälte war das Geheimnis.
Methan und Wasserstoff waren so träge, daß sie nur langsam aus der Flasche der Schwerkraft heraussickern konnten. In seiner dicken Isolierung spürte Bradley nichts als das beruhigende Reiben und Strecken des Schutzanzugs. Er blieb einen Moment stehen und ließ sein Wasser in das Urinal des Anzugs laufen. Er keuchte ein wenig. In seiner Phantasie sah er sich den Anzug öffnen und direkt auf Titan pinkeln. Beim Auf treffen würde der gelbe Strahl augenblicklich gefrieren, und die Kälte würde sich ausbreiten, den Strahl hinauf, und die dünne, blasse Wassersäule würde in Sekunden kristallisieren, wobei das gelöste Ammoniak vielleicht frei würde, während die Kälte die Spitze seines Penis erreichte und sich in seine Eingeweide ergosse, ein Organ nach dem anderen ergriffe und sich ausbreitete, bis er zu Stein erstarrt wäre.
Grotesk, ja, und komisch, ja. Bradley stampfte mit dem Fuß auf, um einem kribbelnden Gefühl zu begegnen, und ging dann weiter.
„Bradley. Bradley!“
Maras Stimme. Verdattert blieb er eine Sekunde lang stehen und setzte sich dann wieder in Gang.
Es hatte keinen Sinn zu antworten. Sie könnten seine Trägerwelle anpeilen und die Richtung bestimmen.
„Bradley, komm zurück!“
Er kämpfte sich durch ein Feld von klobigen, zernarbten Steinen. Rosafarbener Schnee wehte um seine Füße. Er mußte vorsichtig sein. Wenn er stürzte, könnte er sich einen Knochen brechen, und das wäre das Ende seiner Reise.
„Er hört nicht“, sagte Mara leise.
„Er muß uns hören.“ Najimas Stimme klang nervös, aber fest. Das Radiorauschen verschluckte seine nächsten Worte, und dann sagte er: „Wir müssen jetzt einen Suchplan in Gang setzen.“
Mara: „Wie?“
„Luftunterstützung … nein, das würde wohl zu lange dauern.“
Bradley stapfte weiter. Sein Atem war jetzt ein rauhes Keuchen.
„Welche Richtung mag er genommen haben?“ fragte Tsubata, und seine Stimme klang hohl.
Mara: „Ich weiß nicht … Moment. Zu dem Kristallgebilde. Natürlich.“
Tsubata: „Das ist es, was er will.“
Mara: „Ja.“ Pause. „Ja.“
Najima: „Ich könnte Luft-Boden-Überwachungsgleiter starten. Damit kann man Bewegungen ausmachen.“
Mara: „Er könnte den Start sehen.“
Najima: „Na und? Wenn er nicht gesehen werden will, müßte er stehenbleiben. Sie würden zumindest sein Fortkommen verlangsamen.“
Mara: „Gut. Gut. He, das Radio. Er kann …“
Die Leitung war tot.
Mit pendelnden Armen beschleunigte Bradley seinen Schritt. Wenige hundert Meter vor ihm ragte der Felskamm zerklüftet in den rosafarbenen Himmel. Er rollte den zähen Kem einer getrockneten Frucht auf der Zunge und bearbeitete ihn konzentriert. Dann nahm er einen langen Zug von metallisch schmeckendem Orangensaft und schließlich einen Schwall reinen Sauerstoff, der ihm kühl zu Kopf stieg.
Ein Stein rutschte unter seinem Stiefel weg, und er geriet ins Taumeln. Vorsichtig, vorsichtig. Das Gestein hier sah zernarbt und abgeschliffen aus. Erosion? Ströme von Ammoniak und Methan, die dieses Hochland abgehobelt hatten? Oder wiederholtes Gefrieren und Auftauen von Ammoniak in den Steinen, das sie zerbrochen und die Eisenerzadern pulverisiert hatte? In den Klippen und Felsblöcken gab es keine Linien, keine Spuren der Evolution. Alles hier war rein. Der Schutt des urzeitlichen Sonnensystems war hier angeschwemmt und hatte sich wie eine Schale um den eisigen Ball gelegt. Kein Schiefer, kein Sandstein, kein Granit. Nichts, was von einer Entwicklung Zeugnis ablegte, nichts, was im Innern gebacken oder von geduldigen Ozeanen abgelagert worden wäre. Eine frische Welt mit einer Oberfläche aus Müll, verbrämt mit …
Verbrämt mit …
Über ihm ragte der Bergkamm auf. Er kletterte einen Hang hinauf, und plötzlich lag der Grat hinter ihm. Vor ihm erstreckte sich ein schmales Tal. Felsspalten krochen wie Finger den Hang herauf auf ihn zu.
Verbrämt mit weißen Fasern …
Wenige hundert Meter weiter unten sah er einen elfenbeinfarbenen Strang. Aber ein Riß im Fels versperrte ihm den Weg; er würde am Kamm entlanggehen müssen, bis er einen sicheren Abstieg fand.
Der Himmel flackerte auf. Ein grelles, weißes Lodern strahlte über ihm auf und warf Schatten über das Land.
Ein Überwachungsgleiter. Bradley blieb regungslos stehen und hoffte, daß sein blauer Anzug sich nicht allzu deutlich abzeichnete.
Er verzog das Gesicht. Natürlich würde er auffällig sein, deswegen trugen sie ja diese Farben. Also wußten sie jetzt, wo er war. Vielleicht, wenn er mit Mara spräche …
Nein, sinnlos. Durch Reden konnte er Najima nicht aufhalten.
Bradley begann, hastig am Grat entlangzulaufen. Seine Stiefel glitten auf dem zusammengebackenen Eis ab; er spürte einen stechenden Schmerz und marschierte weiter.
Er trat über aufgewehten Staub hinweg und an rötlich-braunen Eisplatten vorbei. Die verschlissene Maschine seines Körpers begann zu schmerzen, und obwohl er sich auf seinen Weg konzentrierte, begannen Bilder durch seine Gedanken zu huschen, Bilder von Vonda und Mara und Corey, Erinnerungen an die Zeit, da er sich, schwitzend in seinem Kugelhelm, auf dem Mars abgekämpft hatte. Sein Körper war eine Tafel, beschrieben von diesen Menschen und diesen Orten, seine Haut ein zurechtgeschnittenes, verknittertes Manuskript. In seinem Körper fand er Aufzeichnungen, soviel er wollte: Das Brennen der Nahrung, die in seinem Bauch verweste, der Reste seines Abendessens, oder die süßen Nadelstiche seines protestierenden Knöchels, den er sich neulich gestoßen hatte, als er im Schreiter die Balance verloren hatte, oder einen Schmerz von säuerlicher, verschwommener Art, eine Folge dieser Anstrengungen, oder ein silbriges Stechen in der Wade, verursacht durch eine winzige Unebenheit im Anzug, oder ein Pochen in seiner Nase, das irgendwie an Jonathons Tanz erinnerte, oder den dumpfen Druck in seinen Schenkeln, ein Echo der jahrelangen Meditationen in Nordafrika, oder einen ziehenden Schmerz, während er immer weiter und weiter marschierte.
Die Zeit verschmolz zu einer endlosen Reihe von Schritten, zu dem Knirschen seiner Stiefel auf dem Kies, und zu dem Atem, der aus zusammenfallenden Lungen entwich. Eine betäubende Kälte kroch an seinen Beinen hoch. Er sah wie durch einen Tunnel, und die Luft in seinem Helm wurde dick und schmeckte faulig.
Wieviel Zeit noch? Najima konnte schnell laufen. Aber wenn Najima ihn nicht fand …
Bradley schwenkte um und begann den Hang hinunterzusteigen. Hier gab es große Felsblöcke, höher als er selbst. Er schlängelte sich zwischen ihnen hindurch und sah sich dann um. Wenn Najima nicht direkt über ihm auf dem Grat stände, würde er den blauen Anzug in den Schatten kaum entdecken können.
Bradley suchte den Himmel ab. Nirgends blinkten die Lichtereines Hubschraubers, und nirgends fand er den Punkt eines Überwachungsfliegers. Am wallenden Horizont spie der Trichter des Vulkans dampfende, bräunliche Wolken in die Höhe. Schwarze Flecken tanzten in der zerfaserten Rauchfahne.
Flecken …
Bradley blinzelte und sah purpurne Punkte am Rande seines Gesichtsfeldes schwindelerregend hin und her huschen. Den rissigen, rosigen Schnee zu seinen Füßen konnte er kaum erkennen.
Abrupt ging er weiter; eine hektische Energie brodelte in ihm auf. Sein Atem war ein dünnes Raspeln. Der Anzug war gut, aber er konnte ihm keine Energien und Reserven geben, die er nicht besaß. Ein warmer Anzug, ein schwerer Anzug. Alle Behaglichkeit des Heims. Ein Produkt des Westens. Was hatte Najima noch gleich erzählt? Als Gandhi im zwanzigsten Jahrhundert nach England gekommen war und ein Reporter ihn fragte, was er von der Zivilisation des Westens halte, habe Gandhi geantwortet: „Ich finde, das wäre eine gute Idee.“
Ja, und das war es auch gewesen. Viele Ideen, genaugenommen. Und ganz besonders eine: das Universum zu betrachten, zu besuchen, zu durchforschen.
Ein Schüler der Sterne zu sein.
Zu stampfen, zu marschieren, zu atmen …
Der Sandpapierboden glitt unter seinen Stiefeln weg. Er klammerte sich an einen Felsen und fand sein Gleichgewicht wieder. Ein kleiner Erdrutsch ließ den Staub unter seinen Füßen abfließen.
Seine Nase lief und seine Augen brannten. Er trank einen Schluck, und die Flüssigkeit sickerte wie öl durch seine Kehle.
Bradley stieß sich von dem Felsen ab. Er hatte die Orientierung verloren, und seine einzige Hoffnung war es jetzt, sich bergab zu kämpfen. Irgendwann würde er auf die Kristallfasern stoßen. Er mußte. Kleine Steinchen knirschten gegen seine Stiefel, nahmen ihm Balance und Geschwindigkeit.
Er wankte vorwärts, und die Felsen teilten sich vor ihm.
Erst sah er nur einen leuchtenden Fleck.
Er tat noch einen Schritt und sah das hohe, kantige Kristallgebilde, elfenbeinfarben und wenigstens zwei Meter hoch. Es schlängelte sich zwischen den Felsblöcken davon. Bradley dachte sogleich an einen wellenförmigen Zaun auf dem Lande, der achtlos zwischen Gestein errichtet worden war, aber dieses Ding hier erhob sich in einem Stück aus dem Boden und aus den Felsenflächen. Nahtlos. Als sei es hier gewachsen.
Das Kristallnetz. Die Matrix. Bradley hatte das Gefühl, zu fallen. Er sah goldene Kleckse, die tief in dem milchigen Kristall schwammen. Glitzernd. Kreisend.
Er zwinkerte. Seine Augen spielten ihm einen Streich. Aber nein … das Ding schien sich wirklich zu bewegen.
Er schüttelte den Kopf, um ihn zu klären. Die purpurnen Punkte waren verschwunden. Er atmete tief, und ein zusätzlicher Schwall von Sauerstoff schmeckte süß auf seinen Lippen. Er schaute über das Kristallgebilde „hinweg, dorthin, wo ein steiler Hang in ein unübersichtliches Tal hinunterführte. Dann sah er wieder auf die Konturen des Netzes. Sie bewegten sich nicht, aber sie bildeten einen Rahmen für Linien und Perspektiven, die sich umeinanderdrehten.
Ein kaltes, prickelndes Beben durchlief ihn. Er sah …
… flüchtende Antilope, verwundet, Flanke fleckig von trockenem Blut, Zunge heraushängend …
… den umhüllenden Mantel. Die breite Fläche einer sich wölbenden Welt, rubinrotes Tuch erstreckte sich weithin und drehte sich, golden jetzt, und bernsteinfarben …
… Kraft und Masse, eine ausgebleichte Erde, ächzend unter der Last von sieben lodernden Kreisen … die lachten …
… einen präzise definierten Raum, Miniaturfacetten von Licht und Anmut und Form, die sanfte Rundung glänzender Äpfel, feuchte Tropfen auf vollen Trauben …
Bradley schauderte. Seine Kopfhaut prickelte.
… dicken, üppigen Schaum, der zu den Sternen emporleckte …
… das verrottende Rosa von Titan, eine verrostende Welt, Gestank, Abfall, Hohlheit, Echos …
Er riß seinen Blick los und richtete ihn auf die schroffen grauen Felsen, um ihn dann langsam wieder auf das leuchtende Kristall zurückgleiten zu lassen. Ein rechteckiger Fleck: hier eine Seite, dort eine Verbindung; zwei Linien, verlängert, trafen sich dort …
… eine geschnitzte Figur aus polierter Eiche, das Bild eines dunklen Mannes, der in den Sturm winkte, und der Wind zerrte an seinem Haar …
Bradley trat näher. Schweiß tropfte über seine Augen, und er mußte blinzeln. Die Bilder flatterten. Menschen, Welten, verdrehte Wesen, verzerrte, blättrige Dinge und gezackte Streifen von Licht.
Er trat noch näher.
Er sah Sprünge in dem Kristallnetz, wie Risse in einer erkalteten Vanillesauce. Die gesamte Oberfläche war von einem Gewirr steingewordener Linien und Farben überzogen. Jeder kleine Einschnitt war eine Pyramide, ein Kubus, eine zerklüftete Form aus Spitzen und Winkeln, aber zusammen war es mehr als das.
Er sah einen Berg, an dem Insektenmaschinen arbeiteten; sie nagten an seinen Hängen. Plötzlich war der Berg ein Loch im Himmel, das sich träge mit schimmerndem Wasser füllte, und dann ein Kegel, ein Ameisenhügel. Ein komisches Gesicht mit einer krummen Nase.
(Vonda?)
(Mara?)
Alles das im Bruchteil einer Sekunde und ohne daß sich zwischen die Sprünge ein Gedanke hätte drängen können.
Sein Kopf rotierte in einem hohlen Raum ohne Luft.
Er schaute und blickte tiefer hinein. In die milchige Oberfläche eingeschnitten waren Rhomboiden, vielflächige Skulpturen, scharfe Schnittpunkte in verdrehten Perspektiven, Vielecke, die aneinanderstießen.
Und näher: Der einfache Würfel war ein Feld für feinere Schnitzereien, kleiner als ein Fingernagel, aber vollkommen gestaltet. Gezackte Sterne, Strudel und Fasern, die spinnwebfeine Linien zu einer Kugel in vibrierendem Raum spannen.
Sie verschlangen sich ineinander, vermischten sich zu etwas, das nach Bradley griff und ihn zwang, den Blick abzuwenden. Jede dieser komplexen Schichten …
… lautlos weinender Mann, zitternd …
… erweckte einen wirren Strom von Emotionen in ihm. Wie weit mochte diese Ordnung noch nach innen gehen? Mikroskopische Skulpturen, für das Auge viel zu fein gemeißelt?
Schwankend trat er zurück und starrte zum Himmel. Die Wolken wurden dünner, wie Nebel, wenn man sich ihm nähert, und er sah den Vater Saturn, der Titan in seinem Griff hielt. Jenseits des gestreiften Riesen bildeten zehn Milliarden Steme eine Galaxis, und zehn Milliarden Galaxien bildeten ein Universum. Die Milchstraße war ein Nebel, ein Diskus, der sich drehte, hunderttausend Lichtjahre breit. Der Diskus drehte sich wie ein Funkenwirbel, und Bradley konnte nicht sehen, wer ihn geworfen hatte.
… üppiger, feiner Lehm mit einem tiefen, erdigen Geruch öffnete sich zu seinen Füßen …
… eine nadelfeine Spitze von Angst zerteilte das Fleisch, ein süßer, gnädiger Stich …
… ein gefrorener Pfeiler von Urin sprang aus dem seidig-rostigen Land …
Er schrie in plötzlicher, aufberstender Erleichterung. Schrie. Er sank auf die Knie, ein Schüler der Sterne. Weinte. Sah und fühlte und umfing alles.
Der Himmel zersprang.
Etwas in ihm zerbrach.