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Das En­de der win­zi­gen Son­de rag­te aus dem Sand, und ihr mat­tes Schim­mern fing sei­nen Blick und ver­brann­te sei­ne See­le.

Reynolds muß­te nicht erst ei­ne Pro­be neh­men, um Be­scheid zu wis­sen. Wie ein gra­ben­des Tier leg­te er die Son­de mit den Hän­den frei. Sie sah aus wie ein ver­rück­tes Rad auf ei­ner Stan­ge. Über­all Spei­chen, Stre­ben und Nie­ten. Die In­schrift auf ei­nem der Flü­gel war zwar durch die Ero­si­on von Wind und Sand ver­wischt und ver­wit­tert, aber sie war noch les­bar. Sie ent­hielt so­gar ein Da­tum.

Reynolds las: 1966.

Die In­schrift war rus­sisch.

Hier lag der Quell des mar­sia­ni­schen Le­bens. Der Gar­ten Eden leuch­te­te im Staub.

Reynolds hock­te schwan­kend am Bo­den und starr­te in den fer­nen Him­mel, in dem ein ein­zi­ger, zer­fa­ser­ter Wol­ken­strei­fen hing. Mein Gott, warum ha­ben sie es uns nicht ge­sagt? Es war ein Pro­dukt der Ge­heim­nis­krä­me­rei je­ner fer­nen Zeit – des kal­ten Krie­ges. Und jetzt: Kon­ta­mi­na­ti­on. Ei­ne rus­si­sche Son­de, stin­kend von ir­di­schen Bak­te­ri­en, war hier zer­schellt.

Reynolds senk­te den Blick und späh­te über die ein­sa­me Land­schaft hin­weg. Le­ben auf dem Mars – ja. Aber wes­sen? Un­se­res, hier her­auf­ge­bracht von die­ser Son­de? Oder ih­res?

Er wuß­te, daß man die­se Fra­ge nie­mals wür­de be­ant­wor­ten kön­nen.

Sei­ne Trau­er ver­wan­del­te sich un­ver­mit­telt in Bit­ter­keit und Wut. Er sprang auf die Fü­ße und trat auf die Son­de ein. Sei­ne Stie­fel stie­ßen schep­pernd da­ge­gen. Die ky­ril­li­sche In­schrift ver­schwand zwi­schen den Beu­len. Die Far­be split­ter­te her­un­ter, und das dün­ne Me­tall zer­riß.

Müh­sam ent­spann­te er sich und ließ sich schwer­fäl­lig in den Staub sin­ken. Er muß­te die auf­stei­gen­den Trä­nen nie­der­kämp­fen. So viel, so gott­ver­dammt viel, und dann die­ser wahn­sin­ni­ge, ko­mi­sche, lä­cher­li­che Schluß.

Smith wür­de je­den Au­gen­blick über ihm hin­weg­zie­hen. Er wür­de es ihm sa­gen müs­sen.

Reynolds durch­fors­te­te die Fak­ten. War das gan­ze mar­sia­ni­sche Le­ben ei­ne Kon­ta­mi­na­ti­on? Oder nur zum Teil? Wenn nur zum Teil, wie war dann der Gar­ten-Eden-Ef­fekt zu er­klä­ren?

Wenn, wenn …

An­ge­nom­men, die Son­de hat­te der ge­ne­ti­schen Spei­sen­kar­te des Mars ein neu­es Ele­ment hin­zu­ge­fügt. Neue bio­lo­gi­sche In­for­ma­tio­nen, neue Über­le­bens­me­cha­nis­men. Et­was Grund­le­gen­des, wie die ge­schlecht­li­che Fort­pflan­zung selbst, auf Zel­le­be­ne. Wie da­mals, als man Ka­nin­chen nach Aus­tra­li­en ge­bracht hat­te, nur sym­bio­tisch: Die Kreu­zun­gen über­leb­ten bes­ser als die Ein­ge­bo­re­nen und bes­ser als die Kon­ta­mi­nan­ten. Ei­ne neue Ras­se von Mar­sia­nern, die sich vom Gar­ten Eden aus ver­brei­te­te. Die In­jek­ti­on ei­nes neu­en Tricks in das ge­ne­ti­sche Erb­gut wür­de oder könn­te einen sol­chen Aus­ufe­rungs­ef­fekt be­wir­ken.

Zwei Hy­po­the­sen:

(a) Al­le Mar­sia­ner wa­ren Kon­ta­mi­nan­ten.

(b) Dies war le­dig­lich ei­ne neue Züch­tung. Wel­che von bei­den stimm­te?

Es gab kei­ne Mög­lich­keit, das her­aus­zu­fin­den. Kei­ne.

Bis zur nächs­ten Ex­pe­di­ti­on, die den Gar­ten und das dort blü­hen­de Le­ben sorg­fäl­tig stu­die­ren konn­te.

Aber dies war nicht bloß ei­ne wis­sen­schaft­li­che Fra­ge.

So­bald sie von die­sem ab­sur­den so­wje­ti­schen Blech­ding hör­ten, wür­den sie zu dem­sel­ben Schluß kom­men wie er: Hy­po­the­se (a). Nur wür­de auf der Er­de nie­mand auf die Son­de ein­tre­ten und schla­gen kön­nen. Des­halb wür­den sie das zer­schla­gen, was ih­nen am nächs­ten er­schi­en. Und das Raum­fahrt­pro­gramm lag so ver­füh­re­risch na­he …

Zwei Hy­po­the­sen, bei­de glei­cher­ma­ßen wahr­schein­lich im Lich­te der ge­nann­ten Tat­sa­chen … und wel­che soll­te man wäh­len?

Die­je­ni­ge, die zu wei­te­rer For­schung, zu ei­ner zwei­ten be­mann­ten Ex­pe­di­ti­on führt? (b)?

Oder die­je­ni­ge, die die Dis­kus­si­on be­en­det? Die der ge­sam­ten For­schung die Keh­le durch­schnei­det? (a)?

Reynolds saß im Staub und dach­te nach. Stil­le hüll­te ihn ein.

Dann trat er zu sei­nem ab­ge­wetz­ten Fahr­zeug, hol­te das Ra­dio und stell­te es in den Sand.

„Fres­no“, sag­te er, „hier ist Mor­gan Ba­sis.“

„Ro­ger. Ich kann Sie hö­ren.“

„Nichts Be­son­de­res zu be­rich­ten. Hüb­sche Land­schaft, ros­ti­ger Sand. Al­les vol­ler Mi­kro­ben. Wahr­schein­lich ist es ein­fach ein gu­ter Platz zum Le­ben. Sa­gen Sie de­nen auf der Er­de … sa­gen Sie ih­nen, Hel­las ist Flo­ri­da.“