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Es war von trügerischer Größe und Massigkeit, dieses fremde Raumschiff, und irgendwie sah es aus, als ob es an jeden beliebigen Punkt des Universums gehörte, nur nicht hierher.
Reynolds ging vorsichtig den schmalen Korridor im Innern des Schiffes hinunter. Vor seinem geistigen Auge sah er noch einmal das Herannahen der Luftschleuse, und noch einmal rollte der Vorgang des Verschlucktwerdens ab. Die Decken hier waren hoch, das Licht war schlecht, und die Wände bestanden aus einem matten, polierten Metall.
Dies und anderes huschte durch seine Gedanken, während er weiterging. Reynolds war ein Mann, dem die feine Verwobenheit sorgsamen Nachdenkens Genuß bereitete, aber darüber hinaus beschäftigte das intensive Denken an diese Dinge seinen Geist und lenkte ihn von dem Gestank ab. Es war ein seltsamer, dicker Geruch, und irgend etwas daran brachte sein sorgfältig gewahrtes Gleichgewicht ins Wanken. Er klebte wie Pazifiknebel. Vollreifer Mist, hatte Reynolds gedacht, als er durch die Luftschleuse hereinkam. Er hatte sich umgewandt und Kelly, die dicht in ihren Anzug gehüllt war, wütend angestarrt und ihr von dem Geruch erzählt. „Jeder stinkt“, hatte sie gesagt, gleichmütig, vielleicht im Scherz, vielleicht auch nicht, und dann hatte sie ihn in der leichten Zentrifugalgravitation weggestoßen. Weg in ein Gewirr von engen Gängen, die ihn schließlich dorthin führen würden, wo er den ersten bestätigten intelligenten fremden Wesen geradewegs in die Augen blicken würde. Das heißt, falls sie Augen besaßen.
Es amüsierte ihn, daß er dieses Privileg haben sollte. Die Ehre hätte jemand anderem eher gebührt, einem Jüngeren, dessen winziger Auftritt in der zukünftigen Geschichte der menschlichen Rasse noch nicht stattgefunden hatte. Mit seinen achtundfünfzig Jahren hatte Reynolds längst schon ein ausgefülltes, abwechslungsreiches Leben hinter sich. Zu ausgefüllt, dachte er manchmal, für einen einzelnen Mann. Was also war mit diesem Tag? Was war heute? Eigentlich ließ es ihn ziemlich kalt; es brachte lediglich die Fülle seines Lebens über alle Vernunft hinaus in das Reich endgültiger Absurdität.
Wieder gabelte sich der Korridor. Er fragte sich, wo er sich wohl in der unebenmäßigen, verdrehten Hülle des Schiffes genau befinden mochte. Er hatte versucht, alles, was er sah, im Gedächtnis zu behalten, aber da war nichts, absolut nichts als Metall mit feinen Nähten, ab und zu eine Stelle, an der er sich bücken oder kriechen mußte, und immer derselbe schreckliche Geruch. Jetzt wußte er, was ihn gestört hatte, als er das Schiff zum ersten Mal vom Mond aus im Teleskop sah. Es erinnerte ihn in Form und Größe an ein Gebäude, in dem er vor nicht allzu vielen Jahren während der kurzen Dauer seiner letzten Ruheperiode 2008 und 2009 in Sào Paulo in Brasilien gelebt hatte: ein hoher, ultramoderner Apartmentkomplex von entschieden radikalem Design. Auf der Erde gebe es nichts Vergleichbares, hatten die Werbeplakate verkündet, und er hatte ihnen zugestimmt. Er hatte es auf den ersten Blick verabscheut. Jetzt allerdings gab es etwas Vergleichbares – aber nicht auf der Erde.
Das Gebäude hatte gewiß nicht ausgesehen wie ein Raumschiff, aber das tat dieses Ding hier auch nicht. Ein Teil des einen Endes war in komplizierter Weise konstruiert, ein Zylinder mit interessanten Modifikationen. Eine lange, glatte Röhre schloß sich daran an, und an ihrem anderen Ende saß etwas wirklich absurdes: ein Kegel, der sich auswärts und vom Schiff abgewandt öffnete und völlig leer war. Absurd – bis man erkannte, was das war.
Die Antriebsquelle des Raumschiffes waren buchstäblich Wasserstoffbomben. Die Mittelröhre enthielt offenbar eine große Anzahl von Fusionsvorrichtungen. Eine nach der anderen wurden die Bomben ausgeklinkt, trieben zur Mündung des Kegels und wurden gezündet. Der Kegel war ein riesiger Stoßfänger, und der Explosionsdruck der Bombe trieb das Schiff vorwärts. Ein Rube-Goldberg-Sternenantrieb …
Direkt vor ihm teilte sich der Korridor säuberlich, wie eine Röstgabel mit zwei Zinken. Das weckte eine Erinnerung: Röstgabel, ja, in den Tagen, da er noch Fleisch aß. Er hielt sich links und folgte dem richtigen der beiden Zinken. Er hatte recht klare Anweisungen erhalten.
Er fühlte immer noch ein deutliches Unbehagen. Vielleicht lag es an seiner Kleidung, daß ihm alles so völlig verkehrt vorkam. Es war nicht richtig, durch ein außerirdisches Labyrinth zu laufen – in Hemdsärmeln und einer ganz normalen Hose. Ein Fußgänger.
Aber die Luft war atembar, wie sie es versprochen hatten. Ob sie dieses spezielle Stickstoff-Sauerstoff-Gemisch wohl auch atmeten? Und ob sie den Gestank mochten?
Wieder teilte sich der Korridor vor ihm. An dieser Stelle war der Geruch grauenvoll stark. Er zog, würgend beinahe, den Kopf ein und sprang durch eine runde Öffnung.
Es war ein großer Raum. Wie im Korridor befand sich auch hier die Decke gut sieben Meter über dem Boden, aber die Wände trugen leichte Pastelltöne von Rot, Orange und Gelb. Die Farben vermischten sich auf sämtlichen Wänden in willkürlichen, planlosen Mustern. Es sah sehr hübsch aus, fand Reynolds, ganz und gar nicht fremdartig. Außerdem standen an der gegenüberliegenden Wand noch zwei Aliens.
Als Reynolds die beiden Wesen sah, blieb er stehen und richtete sich hoch auf. Er hob den Blick und reckte sich, um ihre Augenhöhe zu erreichen. Dabei empfand er dann auch eine Reaktion, Schock als erstes, und dann das kitzelnde Empfinden von Überraschung. Dann Freude und Erleichterung. Der Anblick der beiden Wesen gefiel ihm. Um die Augen herum sahen sie ohne Zweifel viel freundlicher aus als er erwartet hatte.
Reynolds trat einen Schritt vor, blieb vor den Aliens stehen und ließ den Blick von einem zum andern streifen. Welcher war wohl der Anführer? Oder waren sie beide Anführer? Oder keiner von beiden? Er beschloß zu warten. Aber keiner der Aliens sagte einen Ton, keiner rührte sich. So wartete Reynolds weiter.
Was hatte er zu finden erwartet? Menschen? Etwas Menschenähnliches, das heißt, mit zwei Armen, zwei Beinen, einem Kopf an der richtigen Stelle mit einer Nase, zwei Augen und einem Paar weichen Ohren? Kelly hatte damit gerechnet, daß er so etwas finden würde – sie würde jetzt enttäuscht sein –, aber Reynolds hatte nicht eine Sekunde lang daran geglaubt. Kelly dachte, daß alles, was Englisch sprach, ein Mensch sein müsse, aber Reynolds hatte mehr Phantasie. Er wußte es besser; er hatte nicht erwartet, einen Menschen zu finden, nicht einmal einen mit vier Armen und drei Beinen und vierzehn Fingern oder fünf Ohren. Was er erwartet hatte, war etwas wirklich Fremdes. Einen Klumpen, wenn es zum Schlimmsten käme, aber in jedem Falle eher etwas wie eine Schlange oder einen Hai oder einen Wolf als etwas Menschenähnliches. In dem Moment, da Kelly ihm gesagt hatte, daß die Aliens ihn sehen wollten – „Ihren Mann, der am besten kennt Ihren Stern“ –, hatte er es gewußt.
Jetzt sagte er: „Ich bin der Mann, den Sie sehen wollten. Der, der die Sterne kennt.“
Während des Sprechens ließ er seinen Blick gleichmäßig zwischen den beiden hin und her wandern; noch immer hatte er keine Ahnung, wer von beiden der Anführer war. Einer – der kleinere – zuckte mit einem Nasenloch, als Reynolds sagte: „die Sterne“, der andere blieb regungslos.
Es gab ein Tier auf der Erde, das tatsächlich so aussah wie diese Geschöpfe, und das war der Grund, weshalb Reynolds so glücklich und erleichtert war. Die Aliens waren fremdartig genug, ja. Und ganz gewiß waren es keine Menschen. Aber sie sahen auch nicht aus wie Klumpen oder Wölfe oder Haie oder Schlangen. Es waren Giraffen. Liebe, nette, freundliche, angenehme, lächelnde, stumme Giraffen. Es gab natürlich ein paar Unterschiede. Die Hautfarbe der Aliens war eine Regenbogencollage von pastellfarbigem Purpur, Grün, Rot und Gelb, und das planlose Muster glich den buntgefärbten Wänden. Ihre Körper standen höher über dem Boden und ihre Hälse waren kräftiger als bei normalen Giraffen. Sie hatten weder Schwänze noch Hufe. Statt dessen endete jedes ihrer vier Beine in fünf stumpfen kurzen Fingern und einem breiten, dicken, abgewinkelten Daumen.
„Mein Name ist Bradley Reynolds“, sagte er. „Ich kenne die Sterne.“ Gegen seinen Willen machte ihr fortgesetztes Schweigen ihn nervös. „Stimmt etwas nicht?“ fragte er.
Der kleinere der beiden Aliens senkte seinen Hals zu ihm herab. Mir schriller, hoher Stimme wie ein Kind sagte er: „Nein.“ Wie ein aufgeregtes, nervöses Kind. „Das ist nein“, sagte er.
„Das hier?“ Reynolds hob die Hand; er hatte fast vergessen, was er darin hielt. Kelly hatte ihm befohlen, den Recorder mitzunehmen, aber jetzt konnte er wahrheitsgemäß sagen: „Ich habe es noch nicht aktiviert.“
„Zerbrechen Sie es, bitte“, sagte der Alien.
Reynolds versuchte nicht zu protestieren oder zu diskutieren. Er ließ das Gerät zu Boden fallen und sprang mit beiden Füßen darauf. Das leichte Aluminiumgehäuse riß auf wie die Schale eines zerquetschten Apfels. Noch einmal sprang Reynolds. Dann blieb er stehen und stieß die Glas- und Metallsplitter mit dem Fuß in eine freie Ecke des Raumes. „In Ordnung?“ fragte er.
Jetzt bewegte sich der zweite Alien zum ersten Mal. Seine Nüstern zuckten zierlich, und dann bewegten sich auch die Beine, hoben und senkten sich.
„Willkommen“, sagte er abrupt und hielt in seinen Bewegungen inne. „Mein Name ist Jonathon.“
„Ihr Name?“ fragte Reynolds.
„Und das ist Richard.“
„Oh“, sagte Reynolds und widersprach nicht. Er verstand jetzt. Diese Wesen hatten die Sprache des Menschen gelernt, und damit natürlich auch seine Namen.
„Wir wünschen Ihren Stern kennenzulernen“, sagte Jonathon respektvoll. Seine Stimme klang haargenau wie die des anderen. Ob die Tatsache, daß er erst nach der Zerstörung des Recorders gesprochen hatte, ein Hinweis darauf sein mochte, daß er der Anführer der beiden war? Reynolds mußte beinahe lachen, als er den Worten seiner Gedanken lauschte. Eigentlich, so erinnerte er sich, mußte es es heißen, nicht er.
„Ich bin bereit, Ihnen zu erzählen, was immer Sie zu wissen wünschen“, sagte er.
„Sie sind ein … Priester … ein Diener der Sonne?“
„Ein Astronom“, korrigierte Reynolds.
„Wir möchten gern alles wissen, was Sie wissen. Und dann möchten wir gern Ihren Stern besuchen und mit ihm reden.“
„Selbstverständlich. Ich werde tun, was ich kann, um Ihnen dabei zu helfen.“ Kelly hatte ihn schon darauf vorbereitet, daß die Aliens sich für die Sonne interessieren würden, deshalb überraschte ihn das alles überhaupt nicht. Aber niemand wußte, was sie im einzelnen wissen wollten oder warum sie es wissen wollten, und Kelly hoffte, er würde es vielleicht herausfinden. Im Augenblick fielen ihm nur zwei Möglichkeiten ein, das Gespräch weiterzuführen, und beides waren Fragen. Er versuchte es mit der ersten: „Was wünschen Sie denn zu wissen? Unterscheidet sich unser Stern erheblich von anderen seines Typs? Falls dies so ist, sind wir uns dessen nicht bewußt.“
„Kein Stern gleicht dem anderen“, sagte der Alien. Das war wieder Jonathon. Seine Stimme wurde erregt. „Was ist? Wünschen Sie hier nicht zu sprechen? Ist unser Schiff nicht der rechte Ort für Sie?“
„Nein, das ist kein Problem“, sagte Reynolds, nicht ganz sicher, ob es vernünftig wäre, seine Verwirrung weiter zu verbergen. „Ich werde Ihnen erzählen, was ich weiß. Später kann ich Ihnen auch Bücher bringen.“
„Nein!“ Der Alien schrie nicht, aber an der Art, wie seine Beine zitterten und seine Nüstern bebten, erkannte Reynolds, daß er etwas Unanständiges gesagt hatte.
„Ich werde es Ihnen mit meinen eigenen Worten berichten“, verbesserte er sich.
Jonathon stand still und starr da. „Gut.“
Jetzt war es Zeit, daß Reynolds seine zweite Frage stellte. Er ließ sie in die lange Stille fallen, die auf Jonathons letztes Wort gefolgt war. „Warum wollen Sie unseren Stern kennenlernen?“
„Aus diesem Grunde sind wir hierhergekommen. Auf unseren Reisen haben wir viele Sterne besucht. Aber es ist der Ihre, den wir am längsten gesucht haben. Er ist so kraftvoll. Und gütig. Eine seltene Kombination, wie Sie sicher wissen.“
„Sehr selten“, antwortete Reynolds; dies ergab keinen Sinn. Aber warum sollte es auch? Zumindest hatte er ein bißchen darüber erfahren, welcher Art die Mission der Aliens war, und das war mehr als jeder andere hatte herausbringen können in den Monaten, in denen sich die Aliens langsam dem Mond näherten und dabei ihre Wasserstoffbomben zündeten, um ihre Geschwindigkeit zu verlangsamen.
Reynolds war überrascht, einen plötzlichen Ausbruch von Zutraulichkeit zu verspüren. Er hatte sich seit Jahren nicht mehr so sicher gefühlt, und ebenso wie vorhin gab es keinen logischen Grund für diese Sicherheit. „Wären Sie bereit, mir auch ein paar Fragen zu beantworten? Über Ihren eigenen Stern?“
„Gewiß, Bradley Reynolds.“
„Können Sie mir sagen, wie Sie Ihren Stern nennen? Und was seine Koordinaten sind?“
„Nein“, antwortete Jonathon und senkte den Kopf. „Das kann ich nicht.“ Sein rechtes Auge zwinkerte wie rasend. „Unsere Galaxis ist nicht diese. Es ist eine Galaxis, die für Ihre Instrumente zu weit entfernt ist.“
„Ich verstehe“, sagte Reynolds, denn er konnte den Alien nicht gut einen Lügner nennen, auch wenn er einer war. Daß Jonathon zögerte, die Lage seiner Heimatwelt preiszugeben, kam zudem nicht ganz unerwartet; Reynolds hätte sich unter ähnlichen Umständen genauso verhalten.
Jetzt sprach Richard. „Darf ich meine Ehrerbietung erweisen?“
Jonathon wandte sich zu Richard und gab eine Reihe von schrillen, zirpenden Lauten von sich. Richard antwortete ihm in derselben Sprache.
Wieder zu Reynolds gewandt, fragte er dann noch einmal: „Darf ich meine Ehrerbietung erweisen?“
„Ja.“ Reynolds wußte nicht, was er sonst hätte sagen sollen.
Richard handelte sofort. Seine Beine schossen abrupt unter seinem Körper hervor, in einem Winkel, den eine Giraffe niemals hätte bewerkstelligen können. Richard sank mit ausgebreiteten Beinen auf den Bauch, sein Hals ging in die Waagerechte, und sein Maul scharrte sanft über den Boden.
„Danke“, sagte Reynolds und verneigte sich leicht in der Hüfte. „Aber es gibt auch vieles, was wir von Ihnen lernen können.“ Er sprach, um seine Verlegenheit zu verbergen, und richtete seine Worte an Jonathon, während er hoffte, sie würden dazu dienen, auch Richard wieder auf die Beine zu bringen. Als dies nicht gelang, begann er mit der Rede, die zu halten man ihn beauftragt hatte. Er wußte, was er sagen sollte, und sprach so hastig er konnte. „Wir sind ein wenig entwickeltes Volk. Verglichen mit Ihnen sind wir Kinder im Universum. Unsere Reisen haben uns nur bis zu unseren Schwesterplaneten geführt, während Sie schon Sterne gesehen haben, deren Licht viele Jahre braucht, um Ihre Heimat zu erreichen. Wir wissen, daß Sie uns vieles lehren können, und wir treten vor Sie hin wie Studenten vor einen großen Philosophen. Wir sind dankbar für die Gelegenheit, unser mageres Wissen mit Ihnen teilen zu dürfen, und erbitten uns dafür nichts als das Privileg, auch Ihnen lauschen zu dürfen.“
„Sie wünschen alles über unseren Stern zu erfahren?“ fragte Jonathon.
„Über viele Dinge“, entgegnete Reynolds. „Über Ihr Raumschiff zum Beispiel. Es überschreitet unsere mageren Kenntnisse bei weitem.“
Jonathons rechtes Auge begann wieder wie wild zu zwinkern. Während er redete, wurde das Zwinkern immer schneller. „Das wünschen Sie zu wissen?“
„Ja, wenn Sie bereit sind, Ihre Kenntnisse mit uns zu teilen. Wir würden auch gern die Sterne besuchen.“
Das Auge bewegte sich jetzt so schnell wie nie zuvor. Jonathon sagte: „Unglücklicherweise gibt es nichts, was wir Ihnen über dieses Schiff sagen könnten. Leider wissen wir selber nichts darüber.“
„Nichts?“
„Das Schiff war ein Geschenk.“
„Sie meinen, Sie haben es nicht selbst gebaut? Nein. Aber Sie müssen Mechaniker haben, Leute, die in der Lage sind, das Schiff im Notfall zu reparieren.“
„Aber so etwas ist noch niemals vorgekommen. Ich glaube nicht, daß das Schiff versagen kann.“
„Würden Sie mir das erklären?“
„Unsere Rasse, unsere Welt, wurde einmal von Geschöpfen einer anderen Rasse besucht. Sie schenkten uns dieses Schiff. Sie waren von einem fernen Stern zu uns gekommen, um uns dieses Geschenk zu machen. Dafür haben wir das Schiff nur benutzt, um die Weisheit unseres Volkes zu vergrößern.“
„Was können Sie mir über diese andere Rasse sagen?“ fragte Reynolds.
„Leider auch sehr wenig. Sie kamen von einem uralten Stern nahe dem wahren Mittelpunkt des Universums.“
„Und waren sie wie Sie? Physisch?“
„Nein. Mehr wie Sie. Wie Menschen. Aber bitte – gestatten Sie uns, über das zu reden, was wesentlich ist? Unsere Zeit ist knapp.“
Reynolds nickte, und im selben Moment hörte Jonathon auf zu zwinkern. Reynolds folgerte daraus, daß er des Lügens müde geworden war, und das überraschte ihn überhaupt nicht. Jonathon war ein miserabler Lügner. Nicht nur, daß die Lügen an sich völlig unglaubhaft waren – er zwinkerte auch noch bei jeder einzelnen wie ein Irrer mit Asche im Auge.
„Wenn ich Ihnen von unserem Stern erzähle“, schlug Jonathon vor, „sind Sie dann bereit, uns dafür von Ihrem zu erzählen?“ Der Alien senkte den Kopf ein wenig, und sein langer Hals schwankte hin und her. Es war ganz offensichtlich, daß Jonathon Reynolds Antwort große Bedeutung beimaß.
Also sagte Reynolds: „Mit Vergnügen“, obgleich er sich eigentlich keine Information über die Sonne vorstellen konnte, die bei diesen Wesen besondere Überraschung auslösen würde. Gleichviel, man hatte ihn hierhergesandt, um soviel wie möglich über die Aliens herauszufinden, ohne dabei etwas Wichtiges über die Menschheit preiszugeben. Dieser Informationsaustausch über Sterne schien ihm ein sicherer Weg zu sein.
„Dann werde ich beginnen“, sagte Jonathon, „und bitte verzeihen Sie die ungenaue Ausdrucksweise. Meine Kenntnisse Ihrer Sprache sind begrenzt. Ich nehme an, Sie haben für diesen Bereich ein spezielles Vokabular.“
„Ein technisches Vokabular, allerdings.“
Der Alien sagte: „Unser Stern ist ein Bruder des Ihren. Oder besser eine Schwester? In Zeiten intensivster Verbundenheit ist seine – oder ihre? – Weisheit makellos. Zu Zeiten ist er auch zornig – anders als Ihr Stern –, aber diese Zeiten sind selten, und sie dauern auch nicht länger als ein paar flüchtige Augenblicke. Zweimal hat er die Vernichtung unserer Zivilisation in Augenblicken höchsten persönlichen Zornes angekündigt, aber niemals hat er es für erforderlich gehalten, diese Vorhersage auch zu erfüllen. Ich würde sagen, er ist eher freundlich denn rasend, eher sanftmütig denn brutal. Ich glaube, er liebt unser Volk tief und fest. Unter den Sternen des Universums ist seine Stellung nicht bedeutend, aber er ist unser Heimatstern, und wir müssen ihn verehren. Und das tun wir natürlich auch.“
„Sprechen Sie weiter“, sagte Reynolds.
Jonathon fuhr fort, und Reynolds lauschte ihm. Der Alien sprach von seiner persönlichen Beziehung zu dem Stern und davon, wie der Stern ihm in Zeiten individueller Finsternis geholfen hatte. Einmal war er ihm bei der Partnersuche behilflich gewesen, und die daraus resultierende Verbindung war nicht nur vollkommen, sie war geradezu göttlich gewesen. Die ganze Zeit hindurch redete Jonathon über seinen Stern wie ein ehrfürchtig-frommer Jude über den Gott des Alten Testaments gesprochen hätte. Zum ersten Mal bedauerte Reynolds jetzt, daß er den Recorder hatte zerstören müssen. Wenn er versuchte, Kelly von diesem Gespräch zu berichten, würde sie ihm kein Wort glauben. Während er sprach, zwinkerte der Alien nicht ein einziges Mal, nicht einmal kurz – und Reynolds sah genau hin.
Schließlich war er fertig. Er schloß: „Aber dies ist nur ein Anfang. Wir können einander so viel geben, Bradley Reynolds. Wenn ich nur erst mit Ihrem technischen Vokabular vertraut bin. Kommunikation zwischen getrennten Wesenheiten – die großen Barrieren der Sprache …“
„Ich verstehe“, sagte Reynolds.
„Das wußten wir. Aber nun sind Sie an der Reihe. Erzählen Sie mir von Ihrem Stern.“
„Wir nennen ihn ‚Sonne’“, sagte Reynolds. Dabei kam er sich mehr als nur ein bißchen albern vor – aber was sollte er sonst sagen? Wie konnte er Jonathon sagen, was er wissen wollte, wenn er es selbst nicht wußte? Alles, was er über die Sonne wußte, waren Tatsachen. Er wußte, wie heiß sie war, wie alt sie war, er kannte ihre Masse, ihre Größe und Abmessungen. Er kannte Sonnenflecken, Solarwinde und Solaratmosphäre. Aber das war alles. War die Sonne ein wohlwollender Stern? War sie ständig zornig? Verehrte die Menschheit sie mit der angemessenen Liebe und Hingabe? „Das ist sein volkstümlicher Name. In der alten Sprache, welche die Wissenschaft verwendet, nennt man ihn ‚Sol’. Er liegt etwa acht …“
„Oh“, sagte Jonathon, „alles das wissen wir bereits. Aber sein Verhalten. Seine Launen, die normalen und die abnormalen. Sie spielen mit uns, Bradley Reynolds. Sie scherzen. Wir verstehen, daß es Sie amüsiert, aber bitte – wir sind einfache Seelen, und wir haben eine weite Reise hinter uns. Diese anderen Dinge müssen wir wissen, bevor wir es wagen, uns dem Stern persönlich zu nahem. Können Sie uns sagen, in welcher Weise er ihr persönliches Leben am häufigsten beeinflußt hat? Das würde uns schon sehr viel weiter helfen.“