VIII
Vermutlich hat so mancher von meinen Zeitgenossen bereits mit einem Menschen, der ihm lieb und teuer war, die schrecklichen Leiden der Schwindsucht durchgestanden. So will ich auch nicht von den langen Tagen und Nächten berichten, nur, dass mein Freund litt und dabei doch einen Stoizismus erkennen ließ, der dem Sohn eines sonquem, aber auch einem bekehrten Christen gänzlich würdig war. Auf welchen Teil von ihm er nun zurückgriff, um all seine Geduld und seinen Mut aufzubringen, weiß ich nicht.
Thomas Danforth war rührend um ihn besorgt. Caleb mangelte es nicht am allerbesten Essen, doch das kam zu spät, denn was das Stadtleben und die Entbehrungen des College gesundheitlich bei ihm angerichtet hatten, war nicht mehr wiedergutzumachen. Der Doktor aus Charlestown suchte ihn fast täglich auf, und Samuel ließ ihn so oft zur Ader, wie er es für nötig und gut hielt. Zuerst schienen diese Behandlung und die Möglichkeit, jeden Tag in den Heuwiesen von Danforth spazieren zu gehen, durchaus eine Verbesserung seines Zustands mit sich zu bringen. Doch als das Wetter unwirtlicher wurde, ging es mit ihm erneut bergab. Es kam der Tag, an dem er sich nicht aus seinem Bett erheben konnte.
Während dieser Zeit lebten wir in Cambridge im Hause der Cutters, und Samuel unterstützte teils den neuen Schulmeister beim Unterricht und war dazwischen mit Krankenbesuchen bei seinen chirurgischen Patienten beschäftigt. Ich fuhr nach Charlestown, so oft ich konnte, um bei Caleb zu sitzen, ihm vorzulesen und ihm in jeder erdenklichen Weise Mut zuzusprechen. Wir alle hofften, dass sein Zustand sich im kommenden Frühjahr bessern würde, doch auch als irgendwann ein milderes Lüftchen zu wehen begann, schien das nicht verhindern zu können, dass es mit ihm bergab ging. Als sein Zustand ernst wurde, bat mich Danforth, zu ihm zu ziehen und Caleb zu pflegen. Samuel war so schnell einverstanden, dass ich in der Tat zu fürchten begann, was er nicht offen aussprach: dass nämlich seine Erfahrung als Medicus ihn lehrte, Calebs Ende könne nicht mehr fern sein. Ephriam Cutters junge Frau war einverstanden, sich um Ammi Ruhama zu kümmern. Und so blieb ich in Charlestown und verbrachte jede wache Minute an Calebs Bett. Dort hörte ich, wenn er im Fieber sprach, während sein Zustand sich verschlechterte und er immer öfter bewusstlos war. Manchmal murmelte er Passagen aus der Bibel, dann wieder purzelten ihm lateinische Aphorismen und Epigramme über die Lippen. Des Nachts jedoch plapperte er auf Wampanaontoaonk. Dabei schien er sich jedes Mal an Tequamuck zu wenden. Oft nahm dieses Reden die Gestalt eines Gesprächs an oder auch eines Streitgesprächs, und dann regte er sich auf, warf sich im Bett herum, obwohl er doch bei Tage oft so schwach war, dass es ihm mit seinem hinfälligen Körper nicht mehr gelang, auch nur eine Hand zu heben.
Nachdem es einige Nächte so gegangen war, dachte ich mir etwas aus – einen Plan, der ebenso töricht sein mochte wie er einer Art verrückter Verzweiflung entsprungen schien –, nahm meinen ganzen Mut zusammen und ließ mir, mit Samuels Segen, eine Passage auf die Insel reservieren.
Makepeace und Dorcas freuten sich, mich zu sehen, auch wenn ich ihnen den wahren Grund für meinen Besuch nicht nannte. Den vertraute ich nur Iacoomis allein an. Er war zornig darüber, wie ich befürchtet hatte, und versuchte, mich mit allen Mitteln von meinem Vorhaben abzubringen. Am Ende verweigerte er mir, zu meinem Kummer, jegliche Hilfe. Ich kann nicht behaupten, dass mich das besonders überraschte.
So blieb mir nur noch ein Ort, an den ich mich wenden konnte. Es bedurfte großer Überzeugungskraft meinerseits, Makepeace’ Zustimmung zu erlangen, doch am Ende ließ er mich ganz allein zu den Merrys reiten. Die Tatsache, dass Anne, die sich immer noch in tiefer Trauer um Joel befand, dorthin zurückgekehrt war, da sie beschlossen hatte, sein Gedenken zu ehren und den Pfad einzuschlagen, den er für sich selbst geplant hatte, lieferte mir einen willkommenen Vorwand. Sie hatte vor, eine Schule für die Kinder der Takemmy zu gründen und damit den Boden für die Verbreitung des Evangeliums Christi zu bereiten.
Ich will es gerne zugeben: So schwer mir das Herz war, als ich mich auf den Weg machte, hob sich doch meine Stimmung deutlich, als ich aus Great Harbor ritt. Speckle war es wie immer zufrieden, mich zu tragen, und trabte mit flinken Hufen voran, solange der Untergrund es zuließ. Als ich die Anhöhe erklommen hatte, die zur Farm der Merrys führte, zügelte ich die Stute und hielt die Luft an. Als ich das letzte Mal auf der Insel gewesen war, hatte sich keine Gelegenheit geboten, die Merrys zu besuchen, da sie uns nur allzu gern aus frohem Anlass in Great Harbor besucht hatten. Nun jedoch sah ich, dass die emsige Familie nicht einen einzigen Tag in den sechs Jahren, seit ich ihren Besitz das letzte Mal gesehen hatte, ungenutzt hatte verstreichen lassen. Sie hatten ein Paar Kälber gekauft und sie so ausgebildet, dass sie zusammen mit den jungen Ochsen endlich die abgestorbenen Bäume weggebracht hatten. Der Garten, der kundig gestutzt und sorgfältig bewässert war, blühte und gedieh. Aus der Richtung der Mühle kam ein eifriges Klappern. Die Mühle selbst war vergrößert worden, und ihre großen Steine mahlten fleißig, während das Wasser glitzernd durch die Rinne floss.
Es gab drei schöne Häuser statt früher nur einem, da sowohl Jacob als auch Noah für ihre wachsende Nachkommenschaft hatten anbauen müssen. Es war Noahs Kleinste, Sarah, die mich als Erste erblickte und zu ihrer Mutter lief, um es ihr zu sagen. Tobia begrüßte mich freundlich und schickte Sarah aufs Feld, um Noah zu holen. Ich schaute ihr hinterher, wie sie mit hüpfenden blonden Löckchen losrannte – ganz ihr Vater.
Kurze Zeit später kam Noah lächelnd, aber auch überrascht über mein plötzliches Erscheinen ins Haus. »Letzten Markttag war ich mit deinem Bruder zusammen, aber er hat nichts davon gesagt, dass er einen Besuch von dir erwartet.«
»Ich bin auch überraschend hier«, sagte ich. Tobia stellte uns Bier und Haferkekse hin, weshalb ich genötigt war, mich eine Weile mit ihm hinzusetzen und zu plaudern. Dann kam Anne herein, die an ihrer Schule unterrichtet hatte. Sie sah gut aus, wenngleich nicht mehr so blühend und fröhlich wie vor ihrem großen Verlust im Jahr zuvor. Wir sprachen darüber, wie sie mit den Kindern zurechtkam, und sie wurde gleich viel lebhafter, als sie erzählte, wie sich das eine und andere Kind beim Lernen anstellte.
Ich spürte, dass Noah mich immer wieder musterte, doch als er merkte, dass ich vor den anderen nicht preisgeben würde, was es mit meinem urplötzlichen Besuch bei ihnen auf sich hatte, fand er einen Vorwand, indem er behauptete, er müsse eine Nachricht zur Mühle bringen, und ob ich denn Lust hätte, mit ihm hinüberzugehen und mir anzuschauen, was sich dort alles verändert hatte. Bei dieser letzten Bemerkung sah ich ein feines Lächeln um seine Lippen spielen, denn er wusste sehr wohl, dass ich mich nicht allzu sehr für Schrot und Korn interessierte.
Kaum hatten wir uns ein wenig vom Haus entfernt, ergriff ich das Wort. »Einmal, vor Jahren, hast du bewiesen, dass du mir ein Freund bist. Damals bist du für jemanden, der mir viel bedeutete und in Schwierigkeiten steckte, ein großes Risiko eingegangen. Noah, ich habe nicht das Recht, darum zu bitten, doch ich bin hier in der Hoffnung, dass du mir noch einmal als guter Freund zu Hilfe kommst, auch diesmal für jemanden, der sich in einer schlimmen Situation befindet.« Ich erzählte ihm von Calebs schwerer Erkrankung und eröffnete ihm meine seltsame Bitte. »Vielleicht ist es ja wirklich alles umsonst«, schloss ich, »doch unsere beste Medizin und die inbrünstigsten Gebete haben ihm nicht helfen können. Wenn es noch etwas gibt, was getan werden kann, dann liegt es vielleicht in den Händen von jenem Mann.«
Noah schaute mich ernst an. »Ich weiß nicht, warum du das denkst, nachdem Caleb schon vor so vielen Jahren den Übergang in unsere englische Welt gewagt hat.«
»Ich habe meine Gründe«, sagte ich leise.
»Es ist nicht ohne Risiko, weißt du. Er ist rachsüchtig, das sagen diejenigen, die ihn kennen, und er ist voller Hass. Mittlerweile bleibt er viel für sich, weil die getauften Indianer ihn nicht mehr bei sich dulden. Er ist der letzte seiner Art; der einzige pawaaw, der noch nicht Satan und seinen Höllengefährten abgeschworen hat.«
»Das weiß ich. Aber ich muss es probieren.«
Und so nahmen wir ein mishoon zur Siedlung der Takemmy, um den dortigen sonquem um Rat zu bitten. Er war ein weiser Mann, der sich bemühte, jederzeit darüber unterrichtet zu sein, wo Tequamuck sich aufhielt. Denn in seinen Augen war es besser, dem Medizinmann aus dem Weg zu gehen. Es wurde gemunkelt, er würde jedem, der ihm Wild wegschnappte, das er eigentlich für sich selbst beanspruchte, seine dämonischen Helfer auf den Hals hetzen.
Als der sonquem erfuhr, dass Noah und ich Tequamuck um eine Unterredung bitten wollten, bekreuzigte er sich und flehte Gott um seinen Schutz gegen diesen bösen Mann an. (Er war erst vor zwei Jahren Christ geworden, nachdem er lange mit der Entscheidung gerungen hatte.) Noch am selben Nachmittag machten wir uns auf den Weg an den Ort, den er uns genannt hatte und der zum Glück nicht einmal drei Meilen entfernt lag.
Ich weiß nicht wie, aber er musste unser Kommen gespürt haben. Denn er wartete auf uns, stehend, die Arme verschränkt, hinter einem flackernden Feuer, dessen beißender Rauch deutlich nach verbranntem Beifuß roch. Er war wie für eine Zeremonie gekleidet, trug seinen Umhang aus Truthahnfedern, und sein Gesicht war mit roten und ockergelben Streifen bemalt.
Wir zügelten Speckle ein Stück weit entfernt und stiegen ab. Ich muss zugeben, dass mir die Beine schlotterten und meine Knie nachgaben, kaum dass sie den Boden berührten. Noah reichte mir seinen Arm, den ich nur allzu gerne nahm, obwohl ich dabei spürte, dass auch mein alter Freund zitterte wie Espenlaub. Wir zwangen uns weiterzugehen.
Vielleicht hatte Tequamuck ja das Feuer mit einem Zauberspruch belegt, denn als wir uns ihm näherten, flammte es einen Moment lang so hoch auf, dass ich bei dem plötzlichen Hitzeschwall zusammenzuckte. Die Gestalt des Medizinmannes schien in der glühenden Luft zwischen uns zu flackern und zu flimmern.
»Was ist der Grund, dass das Kind des toten englischen pawaaw Tequamuck zu sehen begehrt?«
Dass er Englisch sprach, brachte mich einen Moment lang völlig aus der Fassung. Ich konnte mir nicht erklären, wie er es geschafft hatte, sich diese Sprache anzueignen, da er sich doch immer von uns ferngehalten hatte.
»Ich komme … ich komme, um Euch um Eure Hilfe zu bitten.« Meine Stimme bebte.
»Meine Hilfe?« Er gab ein freudloses Lachen von sich. »Meine Hilfe? Was soll das? Und was ist mit der ach so großen Macht deines einen Gottes und seines gemarterten Sohnes? Haben sie dich endlich im Stich gelassen?«
Ich schwenkte auf Wampanaontoaonk um. Es war Jahre her, dass ich es gesprochen hatte, doch die anmutigen langen Wörter kamen mir noch immer leicht über die Lippen. »Bitte, hört mich an. Euer Neffe ist krank. Er liegt im Sterben. Und er bittet Euch um Euren Beistand. Ich habe ihn gehört, Nacht um Nacht. Ich komme, um Euch zu bitten, meinem todkranken Freund zu helfen.«
»Mein Neffe ist krank? Und du denkst, das ist mir neu? Mein Neffe ist krank – ja, todkrank sogar – seit dem Tag, an dem er begann, mit dir, Sturmauge, zu gehen.«
Ich spürte, wie alle Luft aus mir wich und mir die Knie endgültig weich wurden, sodass Noah mich stützen musste, damit ich nicht fiel. Tequamuck lächelte. Er war vermutlich an eine solche Wirkung auf andere Menschen gewöhnt. Ich versuchte, mein Denken mit Gebeten zu füllen – mit all den gewohnten Versen und Psalmen, die mir zur zweiten Natur geworden waren. Doch die Angst, die mir dieser Mann einflößte, war wie ein schwarzer Vorhang, und mir wollte kein einziges Wort einfallen. Tequamucks Stimme schlug den singenden Tonfall an, den er bei seinen Zeremonien verwendete.
»Ich habe Cheeshahteaumauks Schreie gehört. Ich bin seinem Geist begegnet. Es ist ein schwacher Geist, hin- und hergerissen zwischen zwei Welten. Und das ist dein Werk, Sturmauge. Du nennst ihn Freund. Du nennst ihn Bruder. Dein Freund und Bruder ist auf Wanderschaft, und er hat sich verirrt. Er sucht. Und weißt du warum?«
Ich schluckte und schloss die Augen. Vielleicht wusste ich es ja. Oder vielleicht war Tequamuck dabei, mich zu verhexen, indem er mir Dinge einflüsterte. Mein Mund war so trocken wie Asche, und ich brachte kaum die Atemluft auf, um zu sprechen.
»Er sucht nach dem Sohn von Iacoomis. Er kann ihn nicht finden, und das bekümmert ihn. Er fürchtet, ihn nie zu finden. Jener Sohn hat nie den Weg in die Geisterwelt beschritten. Er hat niemanden, der ihn führt. Cheeshahteaumauks Herz weiß das. Er weiß, wenn er nach seinem Freund sucht, läuft er Gefahr, die Geisterwelt seiner Vorfahren zu verlassen, und alle, die dort mit ihm sind. Und dann wird er in das Haus der toten Engländer gehen müssen.«
Ich ließ Noahs stützende Hand los und sank auf die Knie hinab. Ein tiefes Schluchzen entrang sich meiner Kehle. Tequamuck schaute angewidert auf mich herab. Ich wusste, dass ein solches Verhalten mich in seinen Augen erniedrigte. Er drehte sich um und begann auf sein wetu zuzugehen. Für ihn war die Unterredung offenbar beendet. Doch das konnte ich nicht zulassen. Ich musste wissen, wie ich Caleb helfen konnte. Ich nahm meine gesamte mir verbleibende Willenskraft zusammen, wischte mir die Tränen vom Gesicht und zwang mich aufzustehen.
»Wartet, bitte!«, rief ich. »Bitte sagt mir, was ich tun muss. Wie kann ich ihm helfen?«
Tequamuck drehte sich nicht um. Er war am Eingang des wetus angekommen und hob den gewebten Vorhang, der als Tür diente. Ich trat einige Schritte vor. Noah streckte eine Hand aus, um mir Einhalt zu gebieten, doch ich schüttelte sie ab. Ich schaute ihm in die Augen. »Wenn du mein Freund bist – wirst du mich das tun lassen.« Da zog er, in einer Geste der Hilflosigkeit, seine Hand ganz fort. Ich lief zum wetu und packte den Medizinmann am Arm. Ich spürte, wie ihn ein Schauder durchlief. Er erstarrte und drehte sich um.
Seine Augen über den ockerfarbenen Streifen waren schwarz wie Kohle. Es waren schlaue, forschende Augen. Ich fühlte mich wie aufgespießt von diesem Blick.
»Was willst du von mir? Du hast mir doch schon alles genommen. Lass mich in Frieden um meinen Neffen trauern.«
»Bitte.« Meine Stimme war ganz dünn und brüchig. »Bitte zeig mir, wie ich ihm helfen kann.«
Er richtete sich zu seiner ganzen stattlichen Größe auf und schaute lange auf mich herab. Obwohl mir unter seinem forschenden Blick heiß und kalt wurde, zwang ich mich dazu, nicht wegzuschauen. Es kam mir vor, als sei mein Verstand entblößt, und er schien ihn mit seinem finsteren Blick auszuleuchten wie mit einer Lampe. Dann endlich gab er einen tiefen Seufzer von sich.
»Du willst ihm wirklich helfen.« Ich nickte. »Dann folge mir. Ich zeige dir, wie.« Er hob die Matte an und bedeutete mir, ihm zu folgen. Noah rief mir eine Warnung zu, doch ich drehte mich noch einmal zu ihm um und schüttelte nur den Kopf. »Wart auf mich«, sagte ich. Dann folgte ich dem Medizinmann in die dunkle Hütte.
Über das, was im wetu vor sich ging, kann ich nichts schreiben, weil ich einen feierlichen Eid ablegen musste, den ich niemals gebrochen habe. Manche würden sagen, es sei ein Pakt mit dem Teufel gewesen, an den ich folglich nicht gebunden sei. Doch nach jenem Tag war ich mir nicht mehr sicher, ob Tequamuck wirklich mit dem Satan im Bunde stand. Sicher, Vater und jeder andere Pfarrer hatten mich mein Lebtag lang davor gewarnt, dass Satan listenreich und überaus geübt darin sei, sein wahres Vorhaben zu verbergen. Doch damals, an jenem Tag, war ich zu dem Schluss gekommen, dass wir die verschlungenen Wege Gottes niemals erkennen werden. Vielleicht war es ja so, wie auch Caleb glaubte, dass Satan noch immer Gottes Engel ist und auf eine Weise sein Werk vollbringt, die uns verborgen bleibt. Blasphemie? Ketzerei? Vielleicht. Und vielleicht werde ich dafür verdammt. Schon bald werde ich es wissen.
Nur so viel über das, was dort vorging, will ich hier preisgeben. Dort beim schummrigen Licht in seinem wetu sprach Tequamuck zu mir über das, was er vorhergesehen hatte – wie man sein Volk ausrotten, wie es aus Jägern zu Gejagten würde. Er hatte die Toten gesehen, die wie Holzscheite aufgestapelt waren, und lange Reihen von Menschen, die, alle zu Fuß, von ihren vertrauten Plätzen vertrieben wurden. All die Jahre später ist so vieles von dem, was er gesagt hat, Wirklichkeit geworden, und woher auch immer er seine seherischen Fähigkeiten hatte, weiß ich nun, dass er ein wahrer Prophet war.
Er sagte mir auch, er habe akzeptiert, dass die Macht unseres Gottes größer sei als jede Macht, die er selbst je besessen hatte. Ich fragte ihn, warum er sich dann nicht seinen Leuten angeschlossen und den christlichen Glauben angenommen hatte.
»Wie soll ich euren Gott annehmen, ganz gleich, wie viel Macht er hat, wenn ich doch weiß, was uns nach seinem Willen widerfahren wird? Wer würde einem solch grausamen Gott folgen? Und wie soll ich die Geister verleugnen, mit deren Hilfe ich das Meer aufwühlte und Fels gespalten habe, die mir all die Jahre die Gabe geschenkt haben, die Kranken zu heilen und das Blut meiner Feinde zu entflammen? Den helllichten Tag zu verdunkeln und die Nacht lichterloh brennen zu lassen? All das haben mir meine Geister ermöglicht. Dein Gott mag stärker sein als sie; das habe ich begriffen. Ebenso wie ich begriffen habe, dass er siegen wird. Doch noch nicht gleich. Nicht für mich. Solange ich lebe, werde ich diejenigen, die zu mir gehören, nicht verlassen, und die Rituale vollziehen, die ihnen gebühren.«
Als ich den wetu verließ, ging gerade die Sonne unter. Der Himmel war herrlich – tiefviolett und purpurrot mit lauter goldenen Lichtstreifen, vor denen sich die Wolken bauschten wie dicke Kissen. Der fremdartige Rauch von Tequamucks Feuer umhüllte mich wie ein Schleier und übte seine Wirkung auf meine Sinne aus, sodass ich die Dinge um mich herum mit gespenstischer Klarheit sah, jeden Strich und jede Farbe deutlich voneinander getrennt.
»Bethia, du bist ja weiß wie Pergament.« Noahs Augen wanderten ängstlich über mein Gesicht. Wieder reichte er mir seinen Arm. »Hat er dir etwas angetan? Wenn, dann werde ich sogleich …«
»Noah«, unterbrach ich ihn. »Er hat mir nur die Hilfe gewährt, um die ich ihn gebeten habe.« Das war nicht ganz richtig, obwohl mir das damals noch nicht vollkommen klar war. Erst später, als ich vor Caleb stand und ihm in die Augen blickte, begriff ich, welche Art von Hilfe mir Tequamuck hatte zuteilwerden lassen, und dass sie sowohl weniger als auch mehr als das war, worum ich ihn gebeten hatte.
»Lass uns diesen Ort hier verlassen«, sagte ich zu Noah. »Mir ist kalt bis auf die Knochen.« Es war gar kein besonders kalter Abend, doch das Blut in meinen Adern war zu Eis erstarrt, und ich sehnte mich danach, wieder an einem vertrauten Ort zu sein, einem Ort, wo es keine Gespenster und Geister gab, die mich umlauerten.