IV
In einer Sache hatte ich recht: Ammi Ruhama liebt diese Insel. Er war zehn Jahre alt, als wir wieder hierherzogen, weil wir vor den schrecklichen Ereignissen auf dem Festland Zuflucht nehmen mussten. In jenem grauenhaften Jahr 1675 kletterten wir oft auf die Klippen und schauten zum Festland hinüber, blickten auf der Suche nach Anzeichen für Krieg den fernen Horizont entlang. Um allzu oft tatsächlich Rauchfahnen zu entdecken, die von einer kürzlich angegriffenen und in Brand gesetzten Siedlung aufstiegen.
Zuerst hatte es den Anschein, als könnten Metacoms rebellische Indianer den Sieg davontragen. Die ersten Städte an der Grenze fielen, eine nach der anderen. Die Kämpfe erreichten sogar Plimouth, wo Metacoms Vater Massasoit einst ein Freund der englischen Siedler gewesen war. Die Nachrichten, die zu uns übers Wasser kamen, waren grauenhaft: aufgespießte Häupter von Geköpften, Vieh mit herausquellendem Gedärm, ganze Familien, die bei lebendigem Leibe verbrannten. In jenem Jahr konnten die Bauern ihre Ernte nicht einbringen, wenn sie nicht von schwer bewaffneten Truppen dabei geschützt wurden. Aus Grenzdörfern wie Northfield und Deerfield flohen die Menschen in die vergleichbare Sicherheit größerer Ortschaften, doch insgesamt wurden zwölf Siedlungen, einschließlich Providence, dem Erdboden gleichgemacht und niedergebrannt. Es schien, als wüssten die Engländer einfach nicht, was sie jenem Feind entgegensetzen sollten, der offenbar keinerlei Angst vor dem Tod hatte und das Gelände so gut kannte, dass er sich jederzeit im Sumpf oder den Wäldern unsichtbar machen konnte, um Verfolger abzuschütteln.
Wir versuchten, Ammi Ruhamas Ohren vor den schlimmsten Nachrichten zu schützen, doch Samuel und ich hielten uns jede Nacht in den Armen und beteten, dass der Krieg nicht bis zu uns kommen möge. Unser Flehen wurde erhört; die Eingeborenen dieser Insel traten nie zu Metacom, oder König Philip, wie die Engländer ihn nannten, über. Stattdessen legte Großvater sein ganzes Vertrauen in sie und bewaffnete sie sogar, damit sie sich verteidigen konnten, sollte tatsächlich einer von Metacoms Gefolgsleuten über die Meerenge übersetzen und versuchen, sie in den Krieg hineinzuziehen.
Ein halbes Jahr lang waren die Zustände für die Engländer auf dem Festland schlimm. Und wenn sich die Indianer unter Metacom zusammengeschlossen und ihre alten Fehden zwischen den Stämmen begraben hätten, so bin ich sicher, dass sie gesiegt und die weitere Kolonialisierung dieses Landes für mehr als eine Generation verhindert hätten. Tatsächlich waren die Verluste groß. Über sechshundert Engländer wurden getötet, und bei den Indianern war die Zahl sogar noch höher. Auch war vorerst die leise Hoffnung begraben, dass unsere Völker irgendwann auf freundschaftlichem Fuß zusammenleben könnten.
Bis sich endlich das Blatt im Krieg wendete – Metacom hingerichtet, seine Gefolgsleute getötet oder in die Sklaverei verkauft wurden –, fürchtete sich Ammi Ruhama schrecklich vor dem Festland und flehte uns an, wir sollten auf der Insel bleiben. Er hatte in ihrer fetten, fruchtbaren Erde Wurzeln geschlagen und hat seither nie mehr den Wunsch geäußert, irgendwo anders zu leben. Wie sich herausstellte, erwies sich seine Furcht vor der Welt auf der anderen Seite des Meeres als wohlbegründet, denn das Ende des Krieges brachte der Kolonie kein Ende des Unheils. Jedes Boot, das bei uns anlegte, brachte neue Hiobsbotschaften. Gottes Hand lag schwer auf seinem Volk, und weder die zahlreichen Fastentage noch lange Gebete vermochten seinen Zorn zu besänftigen. In den Jahren 1675 und dann wieder 1679 brannten in Boston Privathäuser und Lagerhallen, und dazwischen wüteten die Blattern so heftig, dass an die dreißig Engländer pro Tag das Zeitliche segneten.
Der Winter 1680 war bitterkalt, was im darauffolgenden Sommer zu schrecklicher Dürre führte. Auch wir bekamen sie zu spüren, doch nicht mit der gleichen Wucht wie das Festland. Es hieß, die milden Ozeanströmungen hielten extreme Witterung fern und bewahrten uns vor dem Schlimmsten.
Obwohl die Nachrichten vom Festland so finster blieben, überraschte es mich, dass Samuel ohne Wenn und Aber damit einverstanden war, weiter auf der Insel zu verweilen; ich hatte gedacht, er würde sich viel zu sehr nach der Gesellschaft gelehrter Männer verzehren. Doch hier gab es weit und breit keinen anderen Chirurgen, und er konnte von gutem Nutzen sein. Und so bauten wir irgendwann dieses Haus. Wir haben mit großer Zufriedenheit in diesen Mauern gewohnt und das stete Wachsen des Hauses miterlebt: durch einen Anbau für Ammi Ruhamas Familie und zwei kleinere Häuschen, in denen zwei seiner Söhne leben. Manchmal sitzen hier vier Generationen an einem Tisch. Dann blicke ich mich um und wundere mich darüber, dass ein solch ruheloses Mädchen wie ich zur alten Matriarchin geworden und für eine solche Nachkommenschaft gesorgt hat.
Als Ammi Ruhama noch sehr klein war, habe ich versucht, ihm die Augen für die Welt jenseits dieser Gestade zu öffnen. Ich habe ihm von Padua erzählt, wo er gezeugt wurde – von den kleinen Plätzen und den schwindelerregend hohen Türmen, von den rührenden oder leidenschaftlichen Geschichten, die man dort an der Oper erzählt bekommt. Gebannt saß er dann vor mir, den Kopf auf meinem Knie und lauschte mir, bis ich geendet hatte. Schließlich blickte er zu mir empor – mit diesem Gesicht, das schon in Kindertagen den dunklen Ernst seines Vaters trug, aber auch von einer Anmut zeugte, die so gar nicht an Samuel mit seiner gebrochenen Nase erinnerte.
»Ach, diese ferne Welt«, sagte er dann. »Dort ist alles schon fertig gebaut und errichtet. Mir gefällt es hier, wo wir dabei sind, erst alles aufzubauen.« Obwohl sein Vater und ich ihm eine gute Erziehung angedeihen ließen, machte er sich nie so viel aus Büchern wie wir und hatte auch nicht vor, die Insel zu verlassen und aufs College zu gehen. Er wurde ein Mann, der gerne zupackte und seine Hände ebenso zu gebrauchen wusste wie seinen Verstand. Darin war ihm mein Freund Noah Merry wie ein zweiter Vater, denn er hatte mit ihm all die Fähigkeiten gemein, die zu einem solchen Mann gehören. Noah und Tobia waren mit vier Töchtern und keinem einzigen Sohn gesegnet worden. Als Ammi Ruhama ihre Tochter Elizabeth zur Frau nahm, war es so, als würden unsere beiden Familien endlich vereint.
Ammi Ruhamas Familie wurde immer zahlreicher, denn die Fruchtbarkeit, die Samuel und mir nie beschert war, wurde ihm offenbar in die Wiege gelegt. (Ich kann immerhin auf sechs lebende Enkel sowie bisher drei Urenkel stolz sein.) Er ist Bootsbauer geworden und hat sich in diesem Metier einen guten Ruf erarbeitet. Er war auf die Idee gekommen, die uralten Pläne von Schiffen zu studieren und dann an die besonderen Verhältnisse anzupassen, die durch die Bedingungen auf den hiesigen Gewässern und die zur Verfügung stehenden Materialien geprägt sind. Schon bald wurde die Bauart, die er damit ins Leben rief, in der ganzen Kolonie berühmt und beliebt. Man sieht seine Boote oft an der Küste entlangschippern, selbst aus großer Entfernung sind sie durch ihre Takelage unverkennbar. Wann immer ich ein solches Schiff sehe, denke ich mir: »Das hat mein Sohn gebaut«, und ich wünsche all denen, die unter seinen Segeln fahren, günstige Winde.
Günstige und widrige Winde. Barken und Schaluppen. Schoner und Gigs. Gewässer, wild und weit, flach und still. Wie diese Dinge doch die Kapitel meines Lebens bestimmt haben. Aber ich denke, bei einem Insulaner wie mir muss das einfach so sein.