Ethan

 

Als er Kate in den Armen hielt, stach ihm ein Mann ins Auge, der die Tenth Street herunterkam. Er trug einen langen, schwarzen Staubmantel, der ihm bis zu den Knöcheln reichte, hatte sein Gesicht unter einem schwarzen Cowboyhut verborgen und einen langen, ungepflegten Bart.

„Wer ist das?“, wollte Ethan wissen.

Kate drehte den Kopf. „Ich habe ihn noch nie zuvor gesehen.“

Ethan lief über den Schulhof, sprang über den Zaun und baute sich mitten auf der Straße auf.

Der Mann in Schwarz hatte eine Winchester auf der Schulter liegen, und seine Stiefel schlurften über den Asphalt. Er blieb einige Meter von Ethan entfernt stehen – ein ausgezehrter, übel riechender Kerl. Er hätte wie ein obdachloser Exzentriker ausgesehen, wären da nicht seine Augen gewesen. In ihnen lag nicht etwa Wahnsinn, sondern eine klare, strahlende Intensität.

„Gottverdammt, Ethan“, sagte der Mann.

„Verzeihung, kennen wir uns?“

Ethan konnte das Lächeln des Mannes unter seinem Bart gerade so eben erkennen.

„Ob wir uns kennen?“ Der Mann lachte, und seine Stimme klang heiser, als hätte man seinen Kehlkopf in Sandpapier eingewickelt. „Ich werde Ihnen einen Tipp geben: Als wir das letzte Mal miteinander gesprochen haben, habe ich Sie hierher geschickt.“

Da wusste Ethan auf einmal, wen er vor sich hatte.

Seine Synapsen verbanden die einzelnen Punkte zu einem Bild.

Er legte den Kopf schief. „Adam?“

„Ich habe gehört, Sie wären für diesen Schlamassel verantwortlich.“

„Sind Sie die ganze Zeit in der Stadt gewesen?“

„Nein, nein. Ich bin gerade erst zurückgekommen.“

„Wo waren Sie denn?“

„Da draußen. Jenseits des Zauns.“

„Sie sind ein Nomade?“

„Ich war dreieinhalb Jahre weg. Gestern bei Morgengrauen bin ich wieder durch den Zaun gekommen.“

„Adam …“

„Ich weiß, dass Sie Fragen haben, aber falls Sie Ihre Familie suchen, die habe ich letzte Nacht gefunden.“

„Wo?“

„Theresa hatte sich und Ben in die Arrestzelle im Büro des Sheriffs eingeschlossen.“

„Sind sie noch da?“

„Ja, und …“

Ethan rannte die Tenth Street entlang und wurde die ganzen sechs Blocks über nicht langsamer, bis er keuchend in sein Büro stürmte.

„Theresa!“, brüllte er.

„Ethan?“

Er rannte durch den Flur zu der Zelle am Nordende des Gebäudes, und als er seine Frau und seinen Sohn lebendig hinter den Gitterstäben sah, stiegen ihm die Tränen in die Augen.

Theresa fummelte mit den Schlüsseln herum und öffnete die Tür.

Ethan drückte die Tür ganz auf, nahm Theresa in die Arme und küsste ihr Gesicht und ihre Hände, und ihm war, als würde er sie das allererste Mal berühren.

„Ich dachte schon, ich hätte dich verloren“, sagte er.

„Das wäre auch beinahe passiert.“

Ben stürzte sich in seine Arme.

„Ist alles okay, Kumpel?“

„Ja, Dad, aber wir wären beinahe gestorben.“

In einigen Blocks Entfernung waren wieder Schüsse zu hören.

„Du hast die Kavallerie mitgebracht“, stellte Theresa fest.

„Allerdings.“

„Konntest du viele Menschen retten?“

„Eine Gruppe, die sich im Keller der Schule verschanzt hatte und denen es soweit gut geht. Ein Team durchkämmt gerade die Stadt und tötet alles, was nicht menschlich ist, um zu retten, wer noch zu retten ist. Warum seid ihr nicht in der Höhle geblieben?“

„Die Abbys sind zurückgekommen“, berichtete Ben. „Viele Leute sind da geblieben, aber Mom und ich haben einen anderen Weg gefunden, wie man von der Klippe runterkommt.“

„Ich bezweifle, dass einer von denen, die geblieben sind, überlebt haben“, sagte Theresa.

Ethan sah durch die Gitterstäbe, dass Pam auf der anderen Seite tot am Boden lag.

„Sie hat uns letzte Nacht hier gefunden“, informierte Theresa ihn. „Wir hatten uns in der Zelle eingesperrt und konnten uns nicht verteidigen. Sie wollte uns umbringen.“

„Warum?“

„Um dir wehzutun.“ Theresa schien die Erinnerung daran sehr mitzunehmen. „Adam Hassler hat uns gerettet“, fügte sie hinzu.

„Wusstest du, dass er hier ist?“, fragte Ethan.

„Nein.“

Die Maschinenkanone legte wieder los.

Ethan zog sein Funkgerät aus der Tasche. „Burke hier. Over.“

„Ja, sprechen Sie. Over“, erwiderte Alans Stimme.

„Könnten Sie einen Wagen zum Büro des Sheriffs schicken? Ich habe meine Familie gefunden und möchte sie an einen sicheren Ort bringen.“