Theresa
Der Rauch stieg nach oben und durch das vergitterte Fenster in Deckennähe nach draußen. Die Flammen züngelten am Bein von Belindas Schreibtisch entlang und wurden von einem Berg Druckerpapier am Leben gehalten. Ben lag auf der Matratze, die Theresa vom Metallrahmen gezogen und auf den Boden gelegt hatte. Sie saß Hassler gegenüber und hielt ihre Hände ans Feuer.
Auf der anderen Seite der Gitterstäbe lag Pams Körper erschlafft auf dem Boden, und der Blutfleck rings um ihren Kopf wurde immer größer.
„Als ich gesehen habe, dass der Zaun deaktiviert wurde, bin ich sofort in die Stadt geeilt“, berichtete Hassler. „Ich war bei unserem Haus, aber du warst nicht da. Ich habe überall gesucht. Ich dachte schon, ihr beide wärt tot. Als ich mir aus dem Büro des Sheriffs Munition holen wollte, hörte ich deine Stimme, als du Pam angefleht hast, euch zu verschonen. Das war nicht gerade die Heimkehr, die ich mir erhofft hatte.“
„Ich hatte gar nicht mehr mit dir gerechnet“, sagte Theresa. „Man hat mir gesagt, dass du nicht mehr zurückkommen würdest.“
„Was ist hier passiert?“
„Die Stadt kennt jetzt die Wahrheit.“
„Die ganze Wahrheit?“
„Ja. Wir haben sehr viele Leute verloren. Offenbar hat der Mann, der das alles hier gebaut hat, beschlossen, sein Spielzeug kaputtzumachen und nach Hause zu gehen.“
„Wer hat allen die Wahrheit gesagt?“
„Es war ein Fest für Kate und Harold Ballinger anberaumt worden, doch anstatt sie zu exekutieren, hat der Sheriff die Gelegenheit genutzt und alles ans Licht gebracht.“
„Pope?“
„Pope ist tot, Adam.“ Theresa zögerte. „Es ist eine Menge passiert, seitdem du weg warst. Ethan ist jetzt der Sheriff.“
„Ethan ist hier?“
„Er wurde vor etwa einem Monat in die Stadt integriert. Dabei hat er alles auf den Kopf gestellt. Seitdem ist nichts mehr so, wie es früher gewesen ist.“
Hassler starrte in die Flammen. „Ich wusste nicht, dass er hier ist“, murmelte er.
„Woher solltest du es auch wissen?“
„Nein, ich … Weiß Ethan Bescheid?“
„Über uns?“
„Ja.“
„Nein, ich habe es ihm nicht erzählt. Irgendwann hatte ich es vor, aber Ben und ich haben darüber gesprochen und beschlossen, dass es keine Eile hat. Wir sind ja ohnehin davon ausgegangen, dass wir dich nie wiedersehen würden.“
Hassler liefen die Tränen über die Wangen und zogen saubere Spuren über sein völlig verdrecktes Gesicht.
Ben beobachtete ihn von der Matratze aus.
„Das alles ist ja der reinste Albtraum“, sagte Hassler.
„Was?“
„Dass ich nach Hause komme und das hier vorfinde. An jedem Tag, den ich auf der anderen Seite des Zauns war, Gefahren, Hunger und Durst überstehen musste, warst es allein der Gedanke an dich, der dafür gesorgt hat, dass ich nie aufgegeben habe. Der Gedanke daran, wie unser Leben sein würde, wenn ich wieder zurückkomme.“
„Adam …“
„Dieses Jahr, in dem wir zusammengelebt haben …“
„Bitte.“
„Es war das glücklichste Jahr meines Lebens. Ich liebe dich. Ich habe nie aufgehört, dich zu lieben.“ Hassler krabbelte um das Feuer herum und legte den Arm um sie. Er schaute zu Ben hinüber. „Ich war doch ein Vater für dich, oder nicht?“ Dann sah er Theresa an. „Und ich war dein Mann. Dein Beschützer.“
„Ohne dich hätte ich Wayward Pines nicht überlebt, Adam, aber ich dachte, du würdest nicht mehr zurückkehren. Und dann ist auf einmal mein Mann hier, er ist einfach aus dem Nichts aufgetaucht.“
Irgendwo draußen jaulte ein Abby.
Hassler zog seinen Rucksack zu sich heran, öffnete ihn und wühlte darin herum, bis er sein ledergebundenes Tagebuch gefunden hatte. Er riss die Plastikhülle ab und schlug das vergilbte Buch auf der ersten Seite auf. Im Licht des Feuers deutete er auf die Inschrift: Wenn du zurückkommst, und du wirst zurückkommen, werde ich dich ficken, als wärst du gerade aus dem Krieg heimgekehrt, Soldat.
Ihr Herz drohte zu zerbrechen, als sie diese Worte las.
Sie warfen sie völlig aus der Bahn.
Sie hatte sie geschrieben, kurz bevor Hassler aufgebrochen war.
„Ich habe sie jeden Tag gelesen“, sagte er. „Du hast ja keine Ahnung, wie viele harte Zeiten ich dank dieser Worte überlebt habe.“
Sie konnte jetzt nichts mehr sehen, da sie ihren Tränen freien Lauf ließ und sich ihre Gefühle wie eine Blutung in ihr ausbreiteten, zu schnell, um noch gestoppt zu werden.
„Ich bitte dich nicht darum, die Zukunft vorherzusagen“, sagte er. „Ich rede nur über das Hier und Jetzt. Über diesen Moment. Liebst du mich noch, Theresa?“
Sie sah in seinen schmutzverkrusteten Bart, das vernarbte Gesicht, die tiefliegenden Augen.
Oh ja, und wie sie es tat.
„Ich habe nie aufgehört“, flüsterte sie.
Die Erleichterung in seinen Augen war wie ein Hinrichtungsaufschub.
„Aber ich muss eines wissen“, erklärte sie. „Als wir zusammengelebt haben, hast du es da gewusst?“
„Was?“
„Was in dieser Stadt los ist. Was sie ist. Hast du all die Geheimnisse gekannt, die uns vorenthalten wurden?“
Er sah ihr in die Augen. „Bis zu dem Tag, an dem David Pilcher zu mir gekommen ist und mir gesagt hat, dass ich für eine Nomadenmission auf die andere Seite des Zauns ausgewählt worden sei, wusste ich genauso wenig wie du.“
„Warum hat er dich da rausgeschickt?“
„Um zu erkunden und nach Anzeichen für menschliches Leben außerhalb unseres Dorfes zu suchen.“
„Hast du Hinweise darauf gefunden?“
„Mein letzter Eintrag da draußen …“ Hassler blätterte ans Ende seines Tagesbuchs. „‚Ich alleine habe den Schlüssel zu dem, was uns alle retten kann. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes der einzige Mann auf der Welt, der die Welt retten kann.‘“
„Und, was ist es?“, wollte Theresa wissen. „Was ist der Schlüssel?“
„Dass wir unseren Frieden machen.“
„Womit?“
„Mit der Tatsache, dass dies wirklich das Ende ist. Die Welt gehört jetzt den Abbys.“
Trotz ihres Schocks und ihrer Trauer drangen seine Worte zu ihr durch.
Auf einmal fühlte sich Theresa unendlich einsam.
„Es wird keine Entdeckung geben, die uns rettet“, sagte Hassler. „Die uns wieder an die Spitze der Nahrungskette stellt. Dieses Tal ist der einzige Ort, an dem wir überleben können. Wir werden aussterben. Das ist Fakt. Daher sollten wir das zumindest mit Anstand tun und jeden Tag und jeden Augenblick genießen.“