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Zwei Wochen später …
Kunst in den Adirondacks war ein überwältigender Tag für Ginger gewesen. Glücklicherweise hatte sie die meisten ihrer Gemälde im Keller des Blue Mountain Lake Freizeitzentrums aufbewahrt, sodass sie – zusammen mit den Exponaten, die im Diner hingen – genügend Bilder für die Ausstellung hatte, obwohl einige ihrer jüngsten Werke im Feuer verloren gegangen waren.
Connor hatte ihr geholfen, das Schild mit der Aufschrift »Gemälde von Ginger Sinclair« über ihrem winzigen weißen Zelt-pavillon aufzuhängen, und jedes Mal, wenn ihr Blick darauf fiel, machte sich ein idiotisches Grinsen auf ihrem Gesicht breit. Wenn die Besucher vor ihren Gemälden stehen geblieben waren und ihr gesagt hatten, wie gut sie ihnen gefielen … um ehrlich zu sein hatte es dann gar keine Rolle mehr gespielt, ob sie eines davon gekauft hatten oder nicht. Einfach nur ein Teil dieser Gemeinschaft von Künstlern sein zu dürfen war für Ginger bereits die größte Erfüllung. Dass sie dann auch noch beinahe all ihre Bilder verkauft hatte und von verschiedenen Hausbesitzern rund um den Blue Mountain Lake wegen Auftragsarbeiten angefragt worden war, hatte dem Ganzen die Krone aufgesetzt.
Ginger war überglücklich darüber, dass ihr Traum, Malerin zu werden, endlich in Erfüllung gegangen war. Doch das Schönste daran war gewesen, ihre Freude mit Connor teilen zu können. Jeden Tag war er losgezogen, um ihr einen Wildblumenstrauß zu pflücken. Inzwischen fand sich in jedem Zimmer ihres gemieteten Hauses eine Vase mit Wiesenblumen, und die Bettlaken waren mit Blütenblättern bedeckt.
Und gerade war sie auf der Insel im See auch noch Zeugin der wunderschönsten Hochzeit überhaupt geworden. Ginger war es eine Ehre, den bewegenden Gelübden von Sam und Dianna zu lauschen.
Als die beiden von dem Feuer erfahren hatten, hatten sie ihre Pläne geändert und waren früher an den See geflogen. Da Poplar Cove nur noch aus einem Haufen verkohlter Stämme bestand, musste die Hochzeit verlegt werden. Andrew hatte die Idee mit der Insel gehabt, und schon bald waren sich alle einig gewesen, dass dies wirklich der geeignetste Ort war.
Die vielen Gäste, die ganze Dekoration und das Essen herzubringen war nicht einfach gewesen, und alle hatten gebetet, dass das schöne Wetter bis nach der Zeremonie anhalten würde – aber irgendwie war das ganze Durcheinander auch Teil des Vergnügens gewesen. Und Ginger war völlig aus dem Häuschen, wenn sie daran dachte, dass sie in naher Zukunft mit Dianna und Sam verwandt sein würde.
Höchstwahrscheinlich schon sehr bald, dachte sie, während sie eine Hand auf ihren Bauch legte. Es gab keinen Grund, warum sie und Connor warten sollten, schließlich war ein Baby unterwegs.
Ginger spürte Hitze in sich aufsteigen, ein vertrautes Gefühl, und als sie aufblickte, sah sie Connor, der als Trauzeuge neben seinem Bruder stand und sie anlächelte.
Er formte ein »Ich liebe dich« mit den Lippen, und sie wurde von einer Woge des Glücks durchströmt, während er Braut und Bräutigam den improvisierten Gang entlangfolgte.
Sie warf ihm eine Kusshand zu, dann stand sie auf, um Isabel dabei zu helfen, das Mittagessen zu servieren.
Andrew hatte nie glücklicher ausgesehen als jetzt, fand Isabel, während er flankiert von seinen beiden Söhnen für den Fotografen posierte, der die Bilder für das Hochzeitsalbum schoss.
In diesen Anblick versunken, hatte sie vollkommen vergessen, dass sie gerade eine Vorspeisenplatte mit gegrillten Garnelen in den Händen hielt, und wurde deshalb von der sanften Stimme überrascht, die fragte: »Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen?«
Elise, Andrews Exfrau, nahm ihr das Tablett aus den plötzlich erlahmten Händen. »Vielen Dank, dass Sie sich solche Mühe mit der Hochzeit machen. Das Essen ist wirklich ganz ausgezeichnet.«
»Gern geschehen«, antwortete Isabel und war unendlich erleichtert darüber, dass das Eis somit endlich gebrochen war.
Sie erlaubte sich, die Frau, mit der Andrew dreißig Jahre lang verheiratet gewesen war, genauer zu betrachten: Elise sah immer noch gut aus – schmal, mit dunkler Bob-Frisur und einem feinen Gespür für Mode. Isabel lächelte sie an und sagte: »Sie haben da zwei tolle Söhne großgezogen. Darauf können Sie wirklich stolz sein.«
»Das bin ich.« Einige Momente standen sich die beiden Frauen schweigend gegenüber und beobachteten die drei Männer. »Ich wollte schon seit Langem einmal mit Ihnen sprechen«, gab Elise mit leiser Stimme zu. »Ich wollte Ihnen sagen, dass es mir wirklich leidtut, was vor über dreißig Jahren geschehen ist.«
Ihre Blicke trafen sich. »Mir tut es auch leid.«
»Aber ich würde nichts daran ändern wollen. Meine Söhne würde ich um nichts in der Welt hergeben.«
Für Isabel fügte sich damit das letzte Puzzleteil ins Bild. Alles geschah aus einem bestimmten Grund.
»Da haben Sie absolut recht«, antwortete sie mit einem Lächeln. »Und wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann könnte ich wirklich etwas Hilfe mit dem Essen gebrauchen.«
Elise erwiderte das Lächeln, und auch wenn aus ihnen niemals Freundinnen werden würden, so war Isabel doch froh zu wissen, dass sie nie wieder Feindinnen sein würden.
Als Andrew sah, wie seine Exfrau auf Isabel zuging, hätte ihn beinahe der Schlag getroffen. Auch wenn er weiterhin für den Fotografen lächelte, setzte sein Herzschlag erst in dem Moment wieder ein, als die beiden Frauen einander anlächelten.
Was um Himmels willen konnten sie wohl miteinander besprochen haben?, war sein erster Gedanke, dicht gefolgt von: Sei einfach froh, dass anscheinend Gras über die Sache gewachsen ist.
Er war wirklich ein verdammter Glückspilz, jedenfalls dachte er das, seit Isabel ihn das erste Mal wieder geküsst hatte. Und während der letzten Wochen hatte er auch endlich die Gelegenheit bekommen, mit seinen beiden Söhnen in genau dem Boot zu segeln, das Connor für ihn fertig gebaut hatte. Es war sogar noch schöner gewesen, als er es sich vor all den Jahren ausgemalt hatte. Er hoffte, dass er den Blue Mountain Lake in den kommenden Jahren noch viele Male mit ihnen – und ihren Kindern – befahren würde.
Nachdem Connor von dem Fotografen für ein gemeinsames Bild mit Ginger beiseitegezogen worden war, sagte Sam: »Mit den Vorbereitungen für die Hochzeit hast du dich wirklich selbst übertroffen, Dad.«
Andrew war sich im Klaren darüber, dass seine Bemühungen, diese Hochzeit auf der Insel möglich zu machen, kaum all seine Fehler in der Vergangenheit aufwiegen konnten. Aber sie sprachen nicht länger über das, was früher war. Sie schauten nach vorne, in eine bessere Zukunft.
»Es war mir eine große Freude.« Dianna, seine neue Schwiegertochter, winkte ihnen zu. Sie sprach gerade mit dem Pfarrer, der die Trauung vollzogen hatte. »Ich freue mich so sehr für dich und Connor«, sagte Andrew zu seinem Sohn.
»Also«, sagte Sam gedehnt, »mal abgesehen davon, dass du hierbleiben und die Hütte wieder aufbauen willst, was hast du sonst noch so für Pläne?«
Andrew hatte die Nase voll davon, seinen Kindern etwas vorzumachen. »Ich werde Isabel heiraten.«
Sam überraschte ihn, indem er laut auflachte. »Verdammt, wir hätten daraus eine Tripelhochzeit machen sollen.«
Wie schon den ganzen Tag spürte Andrew auch jetzt wieder Tränen in sich aufsteigen. »Ich glaube, ich habe es dir heute noch nicht gesagt, aber ich liebe dich, mein Sohn.«
Und zum ersten Mal seit seiner Kindheit antwortete Sam ohne Umschweife: »Ich liebe dich auch.«
Connor schlang von hinten die Arme um Ginger. »Ich glaube nicht, dass ich meinen Vater und meinen Bruder schon einmal gemeinsam habe lachen sehen.«
Sie lehnte sich an seine Brust und sagte: »Ich weiß, er war kein guter Vater, aber ich wette, er wird ein wunderbarer Großvater für unser Kind werden.«
Connor zog sie noch fester an sich und legte ihr die Hände auf den Bauch. »Unsere Kinder.«
Über den Uferstreifen hinweg fing Connor den Blick seiner Großmutter auf, und an ihrem glücklichen Gesichtsausdruck erkannte er, dass sie das vertraute Gespräch ihres Sohnes mit ihrem Enkel mit angesehen hatte. Wie immer war Connor überrascht, wie rüstig seine Großeltern noch waren, und als seine Oma Ginger stürmisch umarmte, musste er lächeln.
»Wir freuen uns wahnsinnig darüber, bald noch eine Schwiegerenkelin zu haben.«
Als er ihnen von der Verlobung erzählt hatte, hatte seine Großmutter nur gesagt: »Ich wusste, dass das passieren würde. War es nicht schlau von uns, Poplar Cove zu vermieten?«
Er und Ginger hatten beschlossen, ihre Schwangerschaft bis zum zweiten Trimester für sich zu behalten, aber er konnte seiner Verlobten ansehen, wie gerne sie das Geheimnis gelüftet hätte. Doch irgendwie schien seine Großmutter bereits etwas von dem Baby zu ahnen. Ihr war auch schon früher nie etwas entgangen, und daran hatte sich offensichtlich seit seiner Kindheit nichts geändert.
In diesem Moment räusperte sich sein Großvater und zog etwas aus seiner Manteltasche hervor. »Wir haben das Brachland neben Poplar Cove auf deinen Bruder überschreiben lassen. Und diese Besitzurkunde«, er hielt ihm ein Stück Papier hin, »ist für dich. Nachdem dein Vater uns erzählt hatte, dass die Hütte dank deiner Renovierungsarbeiten wieder wie neu ausgesehen hat, waren deine Großmutter und ich der Meinung, dass du sie damit bereits zu deinem Eigentum gemacht hast. Das hier soll es nur noch offiziell besiegeln.«
Am Tag nach dem Brand hatte Connor sich zu der Gruppe von Freiwilligen gesellt, die die Überreste des Hauses weggeräumt hatten. Jeder aus der Truppe war irgendwann einzeln zu ihm gekommen, um ihm zu sagen, wie sehr sie sich gewünscht hätten, dass sie sein Ferienhaus hätten retten können, und wie leid es ihnen tat, dass es niedergebrannt war.
Es hatte Connor viel bedeutet, auch noch diese letzten Stunden der Hütte mitzuerleben. Und er freute sich bereits darauf, sie in den kommenden Monaten wiederaufzubauen. Nebenbei wollte er auch noch einige Arbeiten für andere Hausbesitzer rund um den See erledigen. Schon jetzt hatte er mehr Anfragen erhalten, als er überhaupt annehmen konnte. Gemeinsam mit Ginger hatte er sich am anderen Ende der Bucht ein Haus gemietet, in dem sie wohnen würden, bis Poplar Cove wieder bezugsfertig war.
In diesem Moment kam der Fotograf, um seine Großeltern zu holen, und Ginger sagte: »Das freut mich so für dich, Connor. Ich weiß, wie sehr du Poplar Cove geliebt hast. Und jetzt gehört es dir.«
Er drehte sie in seinen Armen herum, sodass sie einander in die Augen blicken konnten. »Nicht mir. Uns. Wir werden gleich am Montagmorgen zum Gericht gehen und deinen Namen in die Urkunde eintragen lassen. Und dann werden wir uns hier gemeinsam ein neues Leben aufbauen.«
Erst an diesem Morgen, während er einige letzte Besorgungen für die Hochzeit erledigt hatte, war ihm in einem Schaufenster auf der Main Street ein Ring in Form einer Blume aufgefallen, bei dem jedes einzelne Blatt in einer anderen, kräftigen Farbe erstrahlte. Jetzt griff er in seine Hosentasche und zog ihn hervor.
»Eine Wildblume«, hauchte Ginger erstaunt.
»Als ich diesen Ring gesehen habe, wusste ich, dass er wie geschaffen für dich ist.« Er steckte ihn ihr an den Ringfinger und verschränkte seine vernarbten Hände mit ihren. »Mein ganzes Leben lang habe ich das Feuer gebraucht, um mich lebendig zu fühlen. Aber jetzt weiß ich: Du bist alles, was ich brauche, mein Schatz. Dieser Ring ist das Versprechen, dass ich dich für immer lieben – und ehren – werde.«
Bevor sie ihn küsste, um das Abkommen zu besiegeln, sprach sie noch einmal die Worte, die sie vor einigen Wochen voller Verzweiflung zu ihm gesagt hatte – nur dass sie diesmal zu etwas wahrhaft Schönem erblühten.
»Nimm mich, Connor. Ich bin dein.«