9

 

Den ganzen nächsten Tag über kam Ginger kaum zum Durchatmen erst musste sie ihre Schicht im Diner hinter sich bringen, direkt danach gab sie einigen ihrer Lieblingsschüler Privatunterricht bei ihnen zu Hause, bevor sie anschließend zur Dienstagabendstrickrunde im Lake-Yarns-Laden auf der Main Street hetzte.

Ihre Freundinnen waren bereits alle da: Rebecca und Sue aus dem Gasthof im Ort. Kelsey, die sich dafür immer ein paar Stunden von ihrer kleinen Tochter losriss. Dann noch ein paar andere Mütter, die sie aus dem Kunstgremium der Schule kannte und von denen sich eine gerade über ihre vierte Schwangerschaft beklagte.

»Als ich es herausfand, bin ich tatsächlich in Tränen ausgebrochen«, gab sie zu. »Eben dachte ich noch, ich hätte die Windelphase endlich hinter mir gelassen und habe mich schon darauf gefreut, dass sie bald alle tagsüber in der Schule sind, und zack! hatten sich all meine Träume in Luft aufgelöst.«

Da Ginger einen dicken Kloß im Hals hatte, der es ihr unmöglich machte, etwas zu sagen, war sie froh, dass die anderen Frauen alle durcheinanderredeten sie gratulierten der Schwangeren und fanden gleichzeitig tröstende Worte für sie.

Himmel, es sollte sie wirklich nicht so hart treffen, mit anzusehen, wie jemand anders all das bekam, was sie sich wünschte. Nicht nur ein Kind, sondern gleich vier.

Aber wie sie es auch drehte und wendete, es tat einfach unheimlich weh.

Nachdem sich alle etwas Wein eingeschenkt hatten und ein paar Brownies herumgereicht worden waren, holten sie ihre Handarbeitssachen hervor, und Rebecca wandte sich an Ginger, die sich mit ihr und Kelsey eine kleine Couch teilte.

»Hast du eine neue Frisur, Ginger? Du siehst irgendwie verändert aus.«

Lustig, dass sie das sagte, denn heute Morgen vor dem Spiegel hatte Ginger selbst zweimal hinschauen müssen. Nervös hantierte sie mit ihren Stricknadeln, bis ihr eine davon herunterfiel.

»Nein. Alles ist wie immer.«

Nur stimmte das nicht. Überhaupt nicht.

Mit einem wissenden Funkeln in den Augen blickte Kelsey von dem Schal auf, an dem sie gerade arbeitete. »Tatsächlich? Alles so wie immer? Obwohl Connor jetzt bei dir wohnt?«

Ginger konnte nicht verhindern, dass sich ihre Wangen röteten. »Woher weißt du denn das mit Connor?«

»Er ist vorbeigekommen, um sich einen von Tims Wagen zu leihen.«

»Und ich habe ihn im Gasthof getroffen«, fügte Rebecca hinzu.

Ginger verspürte den geradezu absurden Drang, ihre Freundinnen mit ihren Stricknadeln zu piken.

»Stu wollte ihm eigentlich einen Schlafplatz auf seiner Couch anbieten, bis diese verrückte Braut ausgezogen ist, aber «

»Offenbar hat er ein besseres Angebot bekommen«, beendete Kelsey den Satz für sie.

»Das mit Stu hat er mir gar nicht erzählt«, sagte Ginger. »Mir gegenüber hat er es so dargestellt, als müsse er bis nach Piseco fahren.«

Rebeccas Grinsen wurde noch breiter. »Kann man einem Kerl ja wohl kaum übel nehmen, dass er sich die Wahrheit ein bisschen zurechtbiegt.«

»Jedenfalls nicht, wenn er so gut aussieht«, scherzte Kelsey.

Dieses Mal konnte Ginger der Versuchung nicht widerstehen, den beiden kurz in den Arm zu stechen.

»Aua!«, riefen ihre Freundinnen im Chor.

»Du bist leicht reizbar«, stellte Rebecca fest. »Da ist also definitiv was im Busch.«

Weil sie es seit dreiunddreißig Jahren gewohnt war, ihre wahren Gefühle tief in sich verborgen zu halten, hätte Ginger ihre Freundinnen beinahe mit einem Nein wirklich, da ist nichts, überhaupt nichts beschwichtigt.

Aber sie hatte ein neues Leben begonnen, und Kelsey und Rebecca waren nicht wie ihre früheren Freunde, die immer alles unter den Teppich gekehrt hatten. Dies waren die Frauen, mit denen sie sich bei ein paar Margaritas zu viel auf einem Partyschiff angefreundet hatte. Gemeinsam hatten sie Tränen über die Fehler ihrer Vergangenheit vergossen, und daher wusste sie auch, dass Rebecca ebenfalls so einiges durchgemacht hatte.

Ihre Freundinnen würden nicht über sie urteilen. Und vielleicht würde ein Gespräch über diese ganze Sache ihr ja auch wieder den Kopf zurechtrücken.

Trotzdem musste nicht unbedingt jeder im Strickladen von ihrem Privatleben erfahren, deshalb senkte Ginger die Stimme und hielt ihren Kopf über den zur Hälfte fertig gestrickten Pullover gebeugt.

»Du hast recht. Es hat sich etwas verändert.«

Obwohl sie bereits den ganzen Tag darüber nachdachte, fiel es ihr immer noch schwer, ihre Gefühle in Worte zu fassen. »Mein ganzes Leben lang bin ich immer auf Nummer sicher gegangen, habe die Regeln befolgt, die andere aufgestellt haben. Das einzig Spontane, was ich je getan habe, war, Jeremy zu heiraten. Aber das war eher ein Ausrutscher, etwas, von dem ich im Nachhinein denke, dass ich es eigentlich nur getan habe, um meine Eltern zu ärgern. Ich wollte beweisen, dass ich meine eigenen Entscheidungen treffen kann. Dann folgte wieder zehn Jahre lang Sicherheit. Und Langeweile.«

»Tja, auf Nummer sicher zu gehen ist nicht immer das Richtige, stimmt’s?«, murmelte Rebecca, während ihre Finger fleißig mit der Arbeit beschäftigt waren.

»Nein«, antwortete Ginger. »Das hat mich nirgendwohin gebracht. All das hinzuschmeißen und hierherzukommen war die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe.«

Als ihr Blick auf die Nadeln und das Garn in ihren Händen fiel, stellte sie fest, dass sie noch keine einzige Masche aufgenommen hatte.

»Willst du damit sagen, was ich vermute?«, fragte Kelsey und bemühte sich gar nicht erst, die Aufregung in ihrer Stimme zu verbergen.

Natürlich sahen ihre Freundinnen in Connor nur den attraktiven Feuerwehrmann. Dabei war alles viel komplizierter.

Ginger wollte versuchen, sich selbst und auch ihren Freundinnen gegenüber ehrlich zu sein, also sagte sie: »Es besteht so gut wie keine Chance, dass sich mit Connor eine langfristige Beziehung entwickeln könnte. Bald wird er wieder zurück nach Kalifornien gehen, außerdem ist das Letzte, was ihn im Moment interessiert, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Das hat er mir klipp und klar gesagt. Aber «

Inzwischen hatten ihre Freundinnen alle aufgehört zu stricken und lauschten gespannt. Keine von ihnen lächelte mehr.

»Ich habe es satt, immer das Richtige zu tun.« Mit dem Kopf deutete sie auf die Frau am anderen Ende des Zimmers, die zum vierten Mal schwanger war. »Sie hat alles, was ich jemals wollte. Ich war überzeugt, wenn ich mich immer an die Spielregeln halte, würde ich das auch bekommen.« Ginger konnte ihre Enttäuschung nicht länger unterdrücken. »Ich bin dreiunddreißig Jahre alt. Ich habe es satt, auf den richtigen Moment zu warten, auf den richtigen Zeitpunkt und den richtigen Mann. Ich kann nur sagen, dass ich mich noch niemals so stark zu jemandem hingezogen gefühlt habe.«

Ginger atmete einmal tief durch. Dann noch einmal.

»Und selbst wenn es sich als großer Fehler erweisen sollte, hätte ich dann zumindest einmal in meinem Leben wirklich etwas gewagt. Denn, verflucht noch mal, es gibt nichts, was ich mir sehnlicher wünsche!«

Und dieses Mal tat sie das nicht, um irgendjemandem etwas zu beweisen oder ihren Eltern einen Denkzettel zu verpassen. Sondern weil sie sich körperlich und seelisch zu Connor hingezogen fühlte. Und weil sie es viel zu lange immer nur allen anderen recht gemacht hatte.

Bei dieser Sache ging es jedoch allein um sie.

Rebecca griff nach Gingers rechter Hand. »Dann sage ich, wag den Sprung!«

Kelsey nahm ihre Linke. »Und wir sind für dich da, um dich aufzufangen, wenn es schiefgehen sollte.«

Am nächsten Morgen jagte Connor die Säge durch das weiche Holz des Stammes, in den er am Tag seiner Ankunft das faustgroße Loch geschlagen hatte, und begann dann mit der mühseligen Arbeit, die verrotteten Stellen herauszuschneiden. Nach der Fummelei am elektrischen Leitungssystem, mit der er am Abend vorher größtenteils fertig geworden war, hatte er sich auf die körperliche Anstrengung des Sägens gefreut. Auch bei den Einsätzen als Hotshot hatte er es immer genossen, sich im Wald durch abgestorbene Baumstümpfe und dichtes Unterholz zu arbeiten.

Wenn er kein Feuer bekämpfen konnte, dann wollte er wenigstens irgendeine andere schweißtreibende Aufgabe erledigen.

Nach den wenigen Tagen des Herumwerkelns an der Hütte war er ungeheuer beeindruckt von der vielen Arbeit, die seine Urgroßeltern in dieses Haus gesteckt hatten. Wenn schon das Ausbessern eine solche Plackerei war, wie beschwerlich musste dann der Bau der Hütte gewesen sein? Besonders weil sie damals nicht auf die Hilfe irgendwelcher Schreiner oder Architekten hatten zählen können. Aber sicher war ihre Arbeit auch um einiges befriedigender gewesen.

Connor träumte davon, eines Tages am Lake Tahoe sein eigenes Holzhaus zu errichten. Hier an Poplar Cove zu arbeiten war eine praktische Übung dafür der beste Weg, sich die nötigen Fertigkeiten anzueignen.

Während der Arbeit an der Hütte hatte er außerdem jede Menge Zeit zum Nachdenken. Jedenfalls genug Zeit, um sich einen Plan zurechtzulegen, wie er sich Ginger gegenüber weiter verhalten sollte.

Tagsüber würde er sich ablenken, indem er sich ganz auf seine Arbeit konzentrierte. Keine gemeinsamen Mahlzeiten mehr. Keine intimen Gespräche. Und um dem tagsüber aufgestauten Verlangen nachts nicht nachgeben zu müssen, würde er abends so lange das Haus verlassen, bis er sicher sein konnte, dass Ginger ins Bett gegangen war.

Gestern war er zur nächstgelegenen Kneipe am Ende der Main Street gefahren. Auf dem Weg dorthin hatte er überall scharenweise Kinder und Eltern gesehen, die in Vorbereitung auf den Unabhängigkeitstag ihre Festwagen schmückten. Auch er war einmal eines von diesen Kindern gewesen. Das ganze Jahr über hatte er sich auf den Umzug und das Feuerwerk gefreut.

Aber seit er als Hotshot arbeitete, sah er jede Form von Feuerwerk als Gefahr. Auch schon vor seinem Unfall waren die ersten zwei Juliwochen immer besonders hart gewesen. Überall brannte es, manche Feuer waren Unfälle, andere vorsätzlich gelegt. Deswegen hatte er seit Jahren keine Freude mehr daran gehabt, einem Umzug zuzuschauen. Im letzten Sommer war es jedoch noch schlimmer als sonst gewesen, weil er gewusst hatte, er würde nicht dabei sein, um die Brände zu löschen. Auf das große Ereignis am Abend freute Connor sich also nicht besonders. Er hatte sogar darüber nachgedacht, ob er nicht zur Sicherheit den Anlegeplatz und das Dach von Poplar Cove mit Wasser befeuchten sollte.

Als er hörte, wie sich die Fliegengittertür öffnete, versteifte er sich unwillkürlich, denn er wusste, jetzt war es so weit, dass er seinen Plan in die Tat umsetzen und auf seiner Seite des Zimmers bleiben musste. Nach einem Blick auf die Uhr stellte Connor fest, dass es gerade erst elf Uhr war. Ginger hatte heute wohl nur die Frühschicht gehabt.

Wieso dachte er bloß ständig über ihren Tagesablauf nach?

Sie stellte ihre Handtasche auf dem nächstgelegenen Stuhl ab und lächelte ihn an. »Hallo.«

Sobald er sie nur ansah, ließ die Anspannung in seiner Brust auch schon nach. Er konnte sich einfach nicht an ihr sattsehen, und allein mit ihr im selben Zimmer zu sein war so schön, dass er alles andere um sich herum vergaß.

Im Näherkommen warf sie einen Blick auf das neu entstandene Loch in der Wand. »Wow, sieht ja wirklich so aus, als ob du die ganzen Stämme austauschen willst.«

Eine Haarsträhne hatte sich in ihrem Mundwinkel verfangen, und Connor hatte sie schneller befreit, als er darüber nachdenken konnte. Dabei streifte sein Fingerknöchel leicht über ihre Wange.

Er zwang sich, einen Schritt zurückzutreten. »Ich hatte mir vorgenommen, dich nicht mehr anzurühren.«

»Nein«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Ist schon gut. Wir müssen doch darüber reden, was sich zwischen uns entwickelt.«

»Da kann sich überhaupt nichts zwischen uns entwickeln.«

»Warum denn nicht?«, fragte sie, obwohl sie gleichzeitig nickte.

Noch ehe ihm ein guter Grund einfiel, war sie bereits auf ihn zugegangen und sagte: »Nein, das musst du nicht beantworten. Ich weiß selbst, warum wir das nicht tun sollten. Aber glaubst du wirklich, wir können es verhindern?«

Er konnte den Blick nicht von ihrem Mund losreißen, diesen wunderbar zarten rosafarbenen Lippen. Alle Willenskraft der Welt würde nicht ausreichen, um sich von ihr fernzuhalten, aber in dem Moment, als er schon nachgeben wollte, weil er sich sowieso nichts sehnlicher wünschte, als sie zu küssen, kam ihm wieder in den Sinn, was sie am Abend zuvor alles zu ihm gesagt hatte.

»Ich habe dreiunddreißig Jahre verschwendet. Ich bin hierhergekommen, um endlich mein Leben in den Griff zu kriegen.«

Sich mit ihm einzulassen wäre genau das Gegenteil davon.

»Wir müssen es verhindern.«

Beinahe wäre Connor der verletzte Ausdruck in ihren Augen entgangen, so schnell war er wieder verschwunden. Auf gar keinen Fall wollte er ihr das Gefühl vermitteln, nicht begehrenswert zu sein so wie dieser Schwachkopf, mit dem sie verheiratet gewesen war.

»Komm bloß nicht auf die Idee, dass es an dir liegt, Ginger. Ich habe dich vom ersten Moment an begehrt, und das weißt du genau.«

Sie schluckte schwer und leckte sich über die Lippen. »Ja, das weiß ich. Aber ich verstehe einfach nicht, warum du dich auf Teufel komm raus anständig verhalten willst. Die meisten Kerle würden einfach zugreifen, wenn ihnen so ein Angebot gemacht wird, und nicht lange über die Konsequenzen nachdenken.«

»Ich mag dich«, sagte er zögerlich, weil er wusste, er musste nicht nur sie, sondern auch sich selbst überzeugen. »Wenn wir uns in irgendeiner Bar begegnet wären, und ich davon ausgegangen wäre, dass wir uns nie wiedersehen wenn ich nicht den ganzen nächsten Monat hier mit dir gemeinsam in der Hütte leben würde und über deine gescheiterte Ehe Bescheid wüsste, dann würde das sicherlich alles ganz anders aussehen. Aber wir wissen doch beide, dass ich bald wieder nach Tahoe zurückkehren werde. Und auch, dass das mit uns nicht funktionieren würde.«

Bereits während er die Worte aussprach, verlor er sich wieder in ihren Augen, bis ihm die Fingerspitzen vor Verlangen brannten.

Es wäre so leicht, sich ganz in Ginger zu verlieren.

Immer wieder brachte sie ihn dazu, Dinge zu erzählen, die er bislang keiner Menschenseele anvertraut hatte. Außerdem zwang sie ihn, Dinge, die er bisher für selbstverständlich gehalten hatte, plötzlich aus einem ganz neuen Blickwinkel zu betrachten. Und als er den Spieß umgedreht und sie dazu bekommen hatte, sich ihm zu offenbaren, hatte es genau das Gegenteil von dem bewirkt, was er sich erhofft hatte. Anstatt die Faszination, die sie auf ihn ausübte, zu schmälern, weil er sie jetzt besser verstand, war sie ihm nur ein noch größeres Rätsel geworden.

Zweifelsohne hatte sie jede Menge Geld. Aber das schien ihr im Leben keine Hilfe gewesen zu sein. Und ihr Exmann wurde dadurch auch nicht zu einem weniger großen Arschloch.

Connor hatte sich sein ganzes Leben über stets unter Kontrolle gehabt. Warum sollte es ausgerechnet bei Ginger anders sein? Er musste einfach nur wieder das Zepter in die Hand nehmen.

»Ich gebe dir mein Wort, dass ich dich nicht mehr anrühren werde.«

Er war nie ein Lügner gewesen. Bis zu diesem Moment hätte er auch nicht gedacht, dass aus ihm jemals einer werden könnte. Nach ihrer gemeinsamen Nacht ging es ihm jedoch nicht länger nur darum, sich nicht von der Arbeit und dem Ziel, wieder zurück in die Hotshot-Crew zu kommen, ablenken zu lassen. Er mochte sie einfach viel zu sehr, um sie auszunutzen oder dem Drang nachzugeben, sie ins Bett zu zerren, obwohl er bereits mit einem Fuß wieder aus der Tür war. Er hatte sie viel zu sehr ins Herz geschlossen, um sich in die lange Liste von Idioten in ihrem Leben einzureihen.

Er beobachtete, wie sie einen zittrigen Atemzug nahm, den Kopf senkte und mit dem Blick auf den Boden gerichtet sagte: »So viel dazu, die Gelegenheit beim Schopf zu packen.«

Als sie wieder zu ihm aufblickte, hatten ihre Augen das für sie so typische Strahlen verloren. »Also, was steht denn als Nächstes auf deiner Liste, sobald du die Stämme ausgetauscht hast?«

Er fand es schier unerträglich mit anzusehen, wie alle Lebensfreude aus ihr wich, aber er wusste, es war besser so. Sie mussten sich auf neutralem Terrain begegnen.

»Ich werde die Ritzen zwischen den Stämmen neu versiegeln müssen, also befreie ich sie vom Ruß und all den Ablagerungen, die sich mit der Zeit angesammelt haben, damit ich sie anschließend lackieren kann. Eigentlich hatte ich auch gehofft, noch genügend Zeit für die Möbel übrig zu haben. Es wäre bestimmt eine schöne Überraschung für meine Oma, wenn einige von ihnen ausgebessert wären. Aber ich bin mir im Moment nicht sicher, ob ich das noch schaffe.«

Sie gab ein verzücktes Geräusch von sich, das sich wie ein unauslöschlicher Funke in seine Brust brannte.

»Wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir schon seit Langem, Hand an die alten Möbel legen zu dürfen. Sie sind alle so geschmackvoll und schön, und ich bin mir sicher, wenn ich sie abschmirgeln und ein wenig neue Farbe drauftun würde, dann wären sie wieder wie neu.« Ihre Worte überschlugen sich fast vor Begeisterung. »Und ich habe in der Stadt unglaublich tolle Stoffmuster gesehen, die so ein bisschen retro angehaucht sind. Die würden sich einfach wunderbar als Kissenbezug machen. Sie zu nähen wäre gar nicht schwer. Es würde mich wahrscheinlich noch nicht einmal besonders viel Zeit kosten.«

Obwohl die Einrichtung es dringend gebrauchen konnte, sagte ihm eine innere Stimme, dass die ganze Sache keine gute Idee war. Wenn Ginger so deutliche Spuren im Haus seiner Familie hinterließ, dann wurde sie dadurch praktisch ein Teil der Familie. Und das würde es ihm noch viel schwerer machen, sie zurückzulassen, wenn er wieder nach Tahoe ging.

»Danke für dein Angebot, aber ich hätte ein schlechtes Gewissen dabei, dich darum zu bitten. Du zahlst doch sogar Miete hier.«

»Bitte, Connor«, sagte sie sanft. Bei der Vorstellung, die Möbel seines Urgroßvaters aufzupolieren, war das Strahlen in ihre Augen zurückgekehrt. »Ich würde so gerne mithelfen.«

»Und was ist mit deiner Malerei?«

»Na ja, ein paar von meinen Bildern sind noch in der Konzeptionsphase. Vielleicht wäre es also ganz gut, mich mal ein paar Stunden mit etwas anderem zu beschäftigen. Wie wäre es, wenn ich mit der Kommode in meinem Schlafzimmer anfange ich könnte das Holz abziehen und neu streichen.«

Das war die beste Idee des Tages: Er würde sie in die Werkstatt hinten im Wald verfrachten. Weit weg von ihm und der Hütte.

»Gut, ich gehe gleich hoch und trage sie für dich in die Werkstatt, damit du daran arbeiten kannst.«

»Die Werkstatt? Ach, du meinst sicherlich die rote Laube hinten im Wäldchen?« Als er nickte, fuhr sie fort: »Ich bin schon oft daran vorbeigelaufen, aber auch wenn ich gerne mal einen Blick hineingeworfen hätte, hatte ich immer das Gefühl, damit eine Grenze zu überschreiten.«

Connor genoss das schwere Gewicht der klobigen Kommode mit ihren vier Schubladen. Während seines Gewaltmarschs durch den Wald war er sogar für den unfassbaren Schmerz in seinen Händen dankbar. Alles, was ihn von seinen Gefühlen für Ginger ablenkte, war ihm willkommen.

Die Werkstatt war gut vierhundert Meter von der Hütte entfernt. Der große, dunkle Schuppen war vom Geruch von Sägespänen und altem Öl erfüllt. Als Connor die Kommode vor der großen Eingangstür abstellte, brannten seine Handflächen wie verrückt. Nachdem er eine Seite der Tür geöffnet hatte, tastete er nach dem Lichtschalter, und die Lampen, die von den freiliegenden Deckenbalken herabhingen, gingen alle gleichzeitig an.

»Wow, das ist ja unglaublich!«, entfuhr es Ginger, während sie langsam den großen Raum durchquerte. »Jedes Mal, wenn ich hier vorbeigegangen bin, war ich mir sicher, dass das ein wunderbarer Ort sein muss.«

»Sam und ich haben meinen Opa immer angefleht, uns mit hierher zu nehmen, als wir noch klein waren«, verriet er ihr und gab sich Mühe, beim erneuten Hochwuchten der Kommode vor Schmerz nicht zusammenzuzucken. »Das ist die Drehbank, auf der mein Großvater alle Stuhl- und Tischbeine gedrechselt hat. Als ich fünf Jahre alt war, hat er mir gezeigt, wie man sie bedient.«

Sie riss erstaunt die Augen auf. »Mit fünf Jahren? Hatte er keine Angst, dass du dich verletzen könntest?«

»Er war der Überzeugung, dass wir nur aus unseren Fehlern lernen. Und zu wissen, dass wir uns damit die Hand aufschneiden könnten, hat eine ziemlich große Hemmschwelle aufgebaut, mit seinem Werkzeug herumzuspielen. Außerdem«, fügte er hinzu und fuhr mit der Hand über die staubige Drehbank, »wollte ich immer gerne so sein wie er.«

»Was hat er eigentlich den Rest des Jahres gemacht?«

»Er war Rektor an einer Highschool. Meine Großmutter hat Französisch und Deutsch unterrichtet. Deswegen waren sie auch überglücklich, als ich in den letzten Jahren endlich doch noch in ihre Fußstapfen getreten bin.«

Sie legte den Kopf zur Seite. »Du unterrichtest?«

»Seit dem Unfall, ja. Ich leite Sicherheitsseminare und mache Berufsanfänger mit den Grundlagen der Brandbekämpfung vertraut. Meine Narben jagen ihnen eine solche Angst ein, dass sie auch wirklich aufpassen. Ist wohl das gleiche Abschreckungsprinzip, das mein Großvater angewandt hat.«

Sie blieb vor einem halb fertigen Segelboot stehen, das mit der Unterseite nach oben mitten im Raum aufgestellt war. »Was ist denn das?«

»Ein Boot, das mein Großvater nie zu Ende gebaut hat. Es stand immer schon da. Sam und ich haben ihm mehrmals angeboten, es fertigzustellen, aber er hat immer abgelehnt und gesagt, das würde er selber erledigen wollen. Dazu ist er wohl nie gekommen.«

Er ging zu einer großen Werkzeugkiste auf Rädern, die an der Wand stand. Während er mehrere Schubladen aufzog, protestierte das alte Metall laut quietschend gegen die grobe Behandlung.

»Hier hast du fürs Erste ein bisschen Sandpapier. Sag einfach Bescheid, wenn du mehr brauchst. Ich kann dir auch gerne Farbe im Baumarkt besorgen.«

Dann machte er sich rasch aus dem Staub, bevor ihm wieder irgendeine Ausrede einfiel, um sich noch länger in ihrer Nähe herumzudrücken.

Im Laufe seiner Karriere war er schon einige Male als Held bezeichnet worden, aber zum ersten Mal musste Connor sich fragen, ob er es Ginger gegenüber wirklich schaffen würde, sich ehrenhaft zu verhalten.

Hotshots - Firefighters 3: Verhängnisvolle Wahrheit
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