27
»Ich habe den Brand verursacht«, sagte Josh.
Wenn es überhaupt etwas gab, das Connor für einen Moment von seiner Sorge um Gingers Zustand ablenken konnte, dann diese Aussage.
»Was ist passiert?«
Der Junge kniff die Augen zusammen, und ein paar Tränen liefen ihm über die Wangen. »Ich bin zu dem Holzstoß zwischen unseren Häusern gegangen. Um zu rauchen.«
Entsetzt kniff Isabel den Mund zusammen und wurde ganz blass. Andrew war hinter sie getreten und hatte ihr eine Hand auf den Rücken gelegt. Connor hatte den Eindruck, dass diese Unterstützung von seinem Vater das Einzige war, was Isabel in diesem Moment noch auf den Beinen hielt.
»Aber mir ist sofort schlecht geworden, also habe ich die Zigarette mit dem Schuh ausgetreten. Dabei haben dann die Blätter am Boden angefangen zu brennen, deswegen bin ich drauf rumgetrampelt, bis die Glut aus war.« Josh atmete zittrig ein und aus. »Aber anscheinend habe ich nicht alles erwischt.«
Unzählige Male hatte Connor sich die Beichten unfreiwilliger Brandstifter angehört und dabei geholfen, sie zu beruhigen. Aber dieses Mal war es anders. Und zwar nicht deswegen, weil es seine eigene Hütte war, die gerade niederbrannte.
»Ginger hätte da oben sterben können.«
Der Junge begann, haltlos zu schluchzen, er musste sich sogar die Nase an seinem Pullover abwischen. »Es tut mir so leid. Es war nur ein Versehen, das schwöre ich. Ich wollte doch niemandem etwas tun. Und schon gar nicht Ginger. Sie ist toll. Ich würde doch niemals wollen, dass ihr etwas zustößt.«
Dann sind wir schon zwei, dachte Connor wütend, während Andrew sich zwischen ihn und Josh schob.
»Ich werde mit ihm zum Feuerwehrhauptmann gehen, um ihm die ganze Angelegenheit zu erklären. Und dafür zu sorgen, dass der Junge nicht irgendetwas sagt, was ihm nachher als vorsätzliche Brandstiftung ausgelegt werden kann.« Er legte Josh einen Arm um die Schultern, die vor lauter Angst und Reue zitterten. »Isabel, du solltest auch dabei sein.«
Sie nickte, drehte sich mit einem »Es tut mir so schrecklich leid« noch kurz zu Connor um, bevor sie Andrew und ihrem Sohn hinausfolgte.
Die Empfangsdame räusperte sich hinter ihrem Tresen. »Entschuldigen Sie bitte, sind Sie Connor MacKenzie? Miss Sinclair würde Sie gerne sehen.«
Nachdenklich ging Connor durch den Wartesaal in den abgesperrten Patientenbereich. Sein ganzes Leben lang war er anderen eine Stütze gewesen. Immer derjenige, auf den sich alle verlassen konnten. Selbst nach seinem eigenen Krankenhausaufenthalt hatte er keine Schwäche gezeigt.
Fast kam es ihm so vor, als wären die Ereignisse der letzten zwei Wochen ein Test, um herauszufinden, aus welchem Holz er wirklich geschnitzt war.
Der Anruf der Forstbehörde.
Der völlige Kontrollverlust, jedes Mal, wenn er Ginger berührte.
Zu erfahren, dass er Vater werden würde.
Ginger, die ihm nach seiner Liebeserklärung eine Abfuhr erteilte.
Wie Poplar Cove abbrannte und sich zusammen mit dem Haus auch einhundert Jahre Familiengeschichte in Rauch auflösten.
Und jetzt Ginger hier in einem Krankenhausbett.
Die Vorhänge waren zugezogen. Connor schob einen davon beiseite und wollte gerade zu ihr ans Bett treten, als ihm bei ihrem Anblick einen Moment lang das Herz stehen blieb: Sie hing am Tropf, war auf dicke Kissen gestützt und mit einem dünnen weißen Überwurf zugedeckt.
»Hallo«, sagte sie mit einem kaum merklichen Lächeln.
Erst da setzte sein Herzschlag wieder ein. Sie hörte sich gut an, und auch ihre Gesichtsfarbe wirkte gesund. Aber es war ihm trotzdem unmöglich, sie wie die anderen Brandopfer zu sehen, bei denen er normalerweise nur die wichtigsten medizinischen Daten abhakte und dann zufrieden war, dass es ihnen so weit gut ging.
Er ermahnte sich dazu, behutsam zu sein, aber als er sie erst einmal umarmte, konnte er einfach nicht mehr aufhören, sie zu küssen, und musste sie noch fester an sich ziehen.
Seine Kehle war ausgedörrt. »Wie geht es dem Baby?«, fragte er, und dabei überschlug sich seine Stimme. Automatisch glitten seine Hände zu ihrem noch flachen Bauch. »Ist es –«
Sie griff nach seinen Händen und hielt sie fest. »Ihm geht es wunderbar.«
Der Atem, den er die ganze Zeit über angehalten hatte, entfuhr mit einem Zischen.
»Gott sei Dank«, sagte er und fügte dann hinzu: »Dich da oben auf dem Dach zu sehen – noch nie habe ich solche Angst gehabt. Und als ich gemerkt habe, dass mir der Weg zu dir versperrt war …«
Das war der schrecklichste Moment seines Lebens gewesen.
»Ich wollte dich da nur noch heil runterbekommen. Alles andere war egal.«
»Ich musste doch wenigstens versuchen, die Hütte zu retten«, erklärte Ginger. »Auch wenn ich wusste, dass du wütend sein würdest, weil ich nicht beim ersten Anzeichen von Feuer abgehauen bin.«
»Versprich mir, dass du nie wieder etwas so Mutiges – und Dummes – tun wirst.«
Zwar zuckte sie zusammen, als er »Dummes« sagte, ließ sich aber dennoch nicht beirren. »Das kann ich dir nicht versprechen, Connor. Es könnte doch wieder um etwas gehen, das mir genauso wichtig ist. Werden sie das Haus retten können?«
»Wahrscheinlich nicht.«
Eine Träne rollte ihr über die Wange. »Es ist einfach nicht gerecht, dass die erste Gelegenheit für einen Löscheinsatz seit zwei Jahren sich dir nur deshalb geboten hat, weil dein eigenes Haus in Flammen steht. Es tut mir so leid, Connor.«
»Das ist alles unwichtig. Die Hütte. Sogar meine Arbeit als Feuerwehrmann. Unser Holzhaus hat seinen Zweck erfüllt – es hat uns zusammengebracht.«
Er konnte die Worte nicht länger zurückhalten.
»Ich liebe dich, Ginger. Bitte heirate mich. Nicht weil du schwanger bist, sondern weil wir zusammengehören.«
Sie löste ihre Hände zwar nicht aus seinen, aber er spürte, wie sich ihre Finger verkrampften.
»Ich möchte einfach nicht, dass wir ein zum Scheitern verurteiltes Muster wiederholen, Connor, indem wir genau dasselbe tun wie deine Eltern und nur deshalb heiraten, weil ich ein Kind erwarte.«
»Mein Vater war in eine andere Frau verliebt, als er meine Mutter geschwängert hat. Ich bin in dich verliebt, Ginger. Er war neunzehn. Ich bin dreißig. Er war noch nicht bereit für die Ehe, jedenfalls nicht für die Ehe mit meiner Mutter. Aber ich bin bereit, Ginger. Ich bin für dich bereit. Für ein Leben mit dir. Mit unserem Kind.«
Er sah, wie sie versuchte, all das zu verarbeiten, aber gleichzeitig wusste er auch, dass er ihr mehr würde bieten müssen als das. Nachdem er sie so verletzt hatte, verdiente sie einfach alles von ihm, was er zu geben hatte.
»In der Nacht, als du mir gesagt hast, dass du mich liebst, da hat mich diese Erfahrung so überwältigt wie niemals etwas zuvor. Nicht einmal das Gefühl, als das Feuer meine Hände verbrannt hat, ist so stark gewesen. Es hat mir Angst eingejagt, Ginger. Mehr als alles, dem ich mich je stellen musste. Es schien mir einfacher zu sein, meine Gefühle zu unterdrücken.«
Er führte ihre Hände an sein Herz und hielt sie dort fest.
»Aber ich habe erkannt, dass ich lieber zu viel fühlen möchte als gar nichts.«
Das mit dem Wiederholen eines zum Scheitern verurteilten Musters hatte sie ohne wirkliche Überzeugung gesagt. Mehr, um sich zu vergewissern, dass sie alles Wesentliche geklärt hatten. Damit nichts Unausgesprochenes mehr zwischen ihnen stand.
Denn im Grunde ihres Herzens glaubte sie Connor, dass er sie liebte. Er war kein Mann, der lügen würde, wenn es um Liebe ging, nur um zu bekommen, was er wollte und sie dazu zu bewegen, ihn zu heiraten. Connor würde niemals versuchen, sie in ein emotionales Gefängnis zu sperren, wie so viele andere es getan hatten.
Connor war ihre erste Liebe.
Ihre große Liebe.
»Ich habe auch noch nie so für jemanden empfunden«, gab sie zu. »Meine Gefühle für dich flößen mir ebenfalls Angst ein. Du bist jetzt ein Teil von mir. So unabänderlich, dass ich nie wieder ohne diesen Teil existieren könnte. Und als das Feuer auf dem Dach immer näher kam, konnte ich nur daran denken, dass ich jetzt nicht mehr dazu kommen würde, Ja zu sagen.«
Nichts hatte sie je so berührt wie die reine Freude, die sich daraufhin auf Connors Gesicht ausbreitete.
»Ja? So wie ein ›Ja, ich will dich heiraten‹?«
»Eine andere Antwort hätte es doch nie gegeben, Connor. Wie hätte ich mich anders entscheiden können. Ich habe dich eigentlich schon vom ersten Moment an geliebt, als du auf der Veranda aufgetaucht bist. Jedes Mal, wenn du die Kontrolle verloren hast, war ich bei dir, und ich war genauso verloren. Aber an diesem Morgen am Seeufer war ich schrecklich verletzt. Ich wollte, dass du dir etwas mehr Mühe gibst.«
»Glaub mir, niemand wird sich jemals so sehr darum bemühen, dich glücklich zu machen, wie ich.«
»Nein, Connor, du musst doch gar nichts anderes tun, als einfach nur so zu sein, wie du bist. Der Mann, den ich bereits liebe. Denn was auch immer von jetzt an zwischen uns beiden vorfallen wird, ich werde deine Liebe nie wieder anzweifeln. Ich werde mir immer sicher sein können, dass wir alles füreinander geben würden.«
Dann küsste er sie, behutsam und zärtlich.
»Wir Feuerwehrmänner nennen es die Lebewohl-Liste.«
»Die Lebewohl-Liste?«
»Wenn es keinen Ausweg mehr gibt, das Feuer unaufhaltsam näher kommt und das Ende absehbar ist – wen würde man dann als Letztes anrufen wollen?«
»Man würde diejenigen anrufen, die man am meisten liebt, um es ihnen noch ein letztes Mal zu sagen.«
»Vor zwei Jahren standen Sam und meine Mutter ganz oben auf dieser Liste.«
»Und jetzt?«
»Jetzt stehst du ganz oben, Ginger. Und da wirst du auch für immer bleiben.«