10

Simon Fitzroy und Gilbert de Cläre kamen mitten in der Nacht in das gemeinsame Schlafquartier gestürmt. Sie weckten Nicholas und Andre de Montgomery zur Unterstützung, ehe sie mit den schlechten Nachrichten vor ihren Lord traten. Sie waren bei ihm schon wegen der Sache mit dem Angelsachsen Alfred in Ungnade gefallen, deshalb zitterten sie vor Furcht bei dem Gedanken auf Guy de Montgomerys Reaktion auf den Bericht, den sie ihm geben mussten. Andre, der glaubte, dass Guy und Lillyth das Bett miteinander teilten, bot an, in ihr Zimmer zu gehen und seinem Bruder die Neuigkeiten zu berichten. Dafür waren die beiden Ritter ihm sehr dankbar.

Andre betrat leise das Zimmer seines Bruders, doch noch ehe er die Tür hinter sich schließen konnte, war Guy schon auf den Beinen und hielt sein Breitschwert in der Hand. Andre zog erstaunt die Augenbrauen hoch, weil Lillyth nicht bei ihm war, doch er erwähnte es nicht.

»Was ist los?«, fuhr Guy ihn an.

»Fitzroy und Gilbert sind unten. Wir sind überfallen worden, und sie haben Angst davor, was du tun wirst, wenn du erfährst, dass sie die Bastarde nicht geschnappt haben.«

»Gütiger Himmel, ich bin der Herr über eine kunterbunte Truppe!«, brachte er hervor und griff nach seiner Hose. »Haben sie gesagt, was passiert ist?«

»Ja, sie haben gesehen, dass eines der Bauernhäuser gebrannt hat, alle, die auf Wache waren, ritten hinüber und halfen dabei, das Feuer zu löschen. In der Zwischenzeit wurden zwei Pferde gestohlen und Nahrungsmittel aus dem Lagerhaus entwendet. Sie haben nicht gesehen, wer es war.« Er zuckte mit den Schultern.

Guy fuhr sich mit den Fingern durch sein Haar und dachte nach. »Es muss jemand gewesen sein, der diesen Ort hier gut kennt. Wurde jemand verletzt?«

»Nein, die Bauern sind sicher aus dem Haus gekommen, aber es wurde vollkommen zerstört, es war nicht mehr zu retten«, berichtete Andre.

Guy blickte durch den Durchgang, um zu sehen, ob Lillyth durch die Stimmen aufgeweckt worden war, doch zu seinem Erstaunen stellte er fest, dass sie gar nicht dort war. Er fluchte leise vor sich hin, dann kam ihm ein Gedanke.

»Aedward! Sucht ihn! Falls er nicht in seinem Bett ist, dann ist es möglich, dass er eine Bande von Männern um sich versammelt hat und sie aus unserem Lager versorgt. Wer kennt diesen Ort hier besser als Aedward?«

Aedward war nicht im Gemeinschaftsschlafraum hinter der Waffenkammer, wo die meisten der Ritter schliefen. Er war auch nicht in dem Schlafraum der Diener, wo die Männer viele Nächte mit den Dienstmägden verbrachten. Guy schickte Andre aus, um die Ställe zu durchsuchen, er selbst ging nach oben, um in den vielen Schlafzimmern nach ihm zu suchen. Er öffnete die Tür des letzten Schlafzimmers auf der rechten Seite und entdeckte Lillyth, die in einem Morgenmantel aus dunklem Samt neben dem Bett stand und Aedward, der sich den Schlaf aus den Augen rieb und noch immer im Bett lag.

Guy war erleichtert, dass er Aedward im Bett gefunden hatte, er konnte also das Misstrauen vergessen, das ihn beschlichen hatte. Er wollte Lillyth fragen, warum sie mitten in der Nacht bei ihrem Bruder war, doch er hatte es eilig, Fitzroy und de Cläre noch weiter auszufragen. Das tat er, während er mit ihnen allein war, um ihnen die Erniedrigung vor den anderen zu ersparen. Seine harten Worte verrieten den beiden, dass er in ihnen nicht mehr sah als Botenjungen, die nur so taten, als seien sie Ritter.

Beim Frühstück eröffnete Guy den anderen einen neuen Plan für die Patrouille. Einige Ritter sollten ständig in den Ställen und den Lagerräumen schlafen, in denen Nahrungsmittel und Futter aufbewahrt wurden. Es würde eine ständige Wache an der Tür der Halle geben, damit diejenigen, die so leicht in das Haus geschlüpft waren, so etwas nicht noch einmal tun und sie alle in ihren Betten umbringen konnten. Die Familie der Bauern, deren Hütte niedergebrannt war, sollte so lange im Haus unterkommen, bis ihre Hütte wieder aufgebaut worden war. Ihre Kinder liefen lachend zwischen den Hunden durch die große Halle. Eine Wolfshündin, die Guy überall hin folgte, lag auch jetzt zu seinen Füßen, und ihm kam ein weiterer Gedanke.

»Diese verdammten Hunde sollten auch besser ausgebildet werden. Wir wollen Wachhunde haben, die ein Gebell anstimmen, das die Toten aufweckt! Bei Nacht müssen sie in den Ställen und den Lagerhäusern angebunden werden. Stellt fest, wie viele Vorräte gestohlen worden sind, das sollte uns eine Ahnung davon geben, wie viele Mäuler die Einbrecher zu füttern haben. Der junge Gilbert kennt sich gut mit Hunden aus«, erklärte er Rolf. »Stell ihn dazu ab, diese Horde auszubilden und zu trainieren, damit sie mehr tun als nur zu fressen und zu scheißen!«, erklärte er grob. »Alle, bis auf diese hier«, fügte er hinzu und deutete auf die Hündin zu seinen Füßen.

Er schlug mit der Faust in seine Handfläche. »Bei den Gebeinen Christi, ich will wissen, wer es gewagt hat, mein Heim zu überfallen und meine Pferde zu stehlen«, fluchte er. Er ging nach draußen und schlug die Tür der Halle so heftig hinter sich zu, dass die Tauben vom Wachturm aufflogen. An diesem Tag wurden viele Pläne zur Ergreifung der Räuber geschmiedet, von denen einige auch wieder verworfen wurden. Am Abend brachte Guy die Felle der Wölfe, die er erlegt hatte, zur Hütte von Alfred. Sein Besuch bei dem Mann hatte zwei Gründe. Er wollte, dass dieser die Felle für ihn gerbte, und er wollte auch herausfinden, ob Alfred etwas gesehen hatte oder ob er wenigstens eine Ahnung davon hatte, wer diese Leute gewesen waren.

Guy sah dem Mann direkt in die Augen. »Seid Ihr vollkommen sicher, dass Ihr niemanden gesehen habt? Ich bin fest davon überzeugt, dass es ein Angelsachse gewesen sein muss, und ich weiß, dass ich von Euch verlange, Eure eigenen Leute zu verraten.«

Alfred spuckte auf den Boden. »Die angelsächsischen Bauern fürchten sich vor der Dunkelheit. Ich bin mir beinahe sicher, dass niemand hier aus Godstone etwas mit der Sache zu tun hat. Was angelsächsische Herren angeht, sieht die Sache anders aus. Ihr seid wesentlich besser als unser letzter Herr oder als dieser Wulfric, den unsere Lady Lillyth geheiratet hat. Wir alle haben uns schrecklich vor ihm gefürchtet, mein Lord.«

»Ich muss zugeben, dass mein erster Verdacht auf Lillyths Bruder gefallen ist«, gestand Guy

»Auf Lady Lillyths Bruder?«, fragte Alfred.

»Aedward«, meinte Guy abwesend.

»Aedward ist nicht der Bruder meiner Lady, mein Lord. Er ist der Bruder von Wulfric.« Alfred lachte leise. »Was für ein Bruder! Er war wohl eher ihr Liebster, bis Wulfric kam und sie unter Aedwards Nase weggeheiratet hat!«

Guy erstarrte, und seine grünen Augen blickten eisig.

Alfred wusste sofort, dass er zu viel gesagt hatte.

Ein unangenehmes Bild schlich sich in Guys Gedanken, wie er Lillyth und Aedward in Aedwards Schlafzimmer überrascht hatte. Guy ging so schnell zurück zur Halle, dass in der Dunkelheit kleine Tiere aus seinem Weg huschten. Sein Schritt war laut und entschlossen, als er die Halle betrat, alle Köpfe wandten sich ihm zu.

Er deutete mit dem Finger auf Aedward, der mit Nicholas würfelte. »Packt ihn!«, befahl er. »Kettet ihn im Stall an, bis ich Zeit habe, mich mit ihm zu befassen.« Seine Stimme besaß eine so kalte Autorität, dass niemand es wagte, sich ihm zu widersetzen oder ihn zu befragen, so lange er in einer solchen Stimmung war.

Guy ging mit so entschlossenen Schritten die Treppe hinauf, dass die Fackeln im Flur flackerten. Sobald er sein Zimmer betreten hatte, legte er den Riegel vor und sah Lillyth an. Sie trug ein gelbes Kleid und hatte nie zuvor schöner ausgesehen, mit ihrem Haar, das ihr bis zu den Oberschenkeln ging. Sie lächelte ihn an, doch konnte sie in seinem Gesicht als Antwort darauf kein Lächeln entdecken. Seine Blicke hielten sie gefangen, als er seinen schweren Umhang, die lederne Tunika ablegte und schließlich nur in Hose und Hemd vor ihr stand. Er goss Wein in ein Horn und nippte nachdenklich daran, das Horn rollte er zwischen den Handflächen hin und her. Sie begann, sich unsicher zu fühlen und wollte sich gerade auf ihre Seite des Zimmers zurückziehen, als er laut und deutlich befahl: »Kommt her!«

Sie wandte sich um, verwirrt und erschrocken über den Ton seiner Stimme.

»Was habt Ihr mitten in der Nacht in Aedwards Zimmer gemacht?«, fragte er ruhig.

Eigentlich sagte sie die Wahrheit, doch die Kälte in seinem Blick verwirrte sie so sehr, dass sie zu stottern begann. »Seine Mutter - das heißt, unsere Mutter, war in der Nacht krank, deshalb bin ich gegangen, um ihn zu holen«, behauptete sie.

»Aedward ist nicht Euer Bruder«, erklärte Guy so ruhig, dass sie nicht wusste, ob sie ihn richtig verstanden hatte. Angst trat in ihren Blick.

»Ha! Ihr habt Angst um Euren Geliebten, und bei den Gebeinen Christi, Ihr habt guten Grund dafür!«

Sie machte einen Schritt auf ihn zu, um ihn anzuflehen. »Ich habe doch gar nicht so sehr gelogen, mein Lord. Er ist nach dem Gesetz wirklich mein Bruder, weil ich seinen Bruder Wulfric geheiratet habe, und ich denke wirklich an ihn wie an einen Bruder.«

Guy zog die Lippen zurück und zeigte die Zähne. »Ihr macht Euch über mich lustig, Lady! Alle hier wissen, dass er Euer Schatz ist. Ich bin der Letzte, der es erfährt - was für ein Dummkopf muss ich für all die anderen sein.«

»Aedward war niemals wirklich mein Schatz, und außerdem ist das schon lange her«, bat sie matt.

»Ihr verweigert Euch mir in jeder Nacht, aber Ihr verschenkt Eure Gunst an anderer Stelle mit einer solchen Häufigkeit, dass sich mir der Kopf dreht. Wie viele Männer habt Ihr schon besessen, Lillyth? Ich gebe zu, Ihr habt mich in die Irre geführt mit Eurer Art, die zu sagen scheint: >Nicht berühren< Ihr spielt dieses Spiel sehr gut, Lillyth, mich anzulocken und mich dann wieder abzuweisen, meine Männlichkeit herauszufordern.«

Er ging auf sie zu, sie wandte sich um und lief vor ihm davon, doch er streckte nur die Hand aus und hielt sie fest. Sie wusste, dass ihre Zeit vorüber war, dass sie sich ihm nicht länger entziehen konnte, doch in einem letzten vergeblichen Versuch wehrte sie sich und schlug instinktiv nach ihm. Er hob sie hoch und warf sie auf sein Bett. Mit einer Hand drückte er sie in die Felle, mit der anderen zog er ihr die Tunika aus. Sie wurde wild, zerkratzte sein Gesicht, doch er schien es nicht einmal zu bemerken. Er nahm einfach ihre beiden Handgelenke in eine Hand und zog ihr das Unterkleid aus, bis sie nackt vor ihm lag.

Ihre nackten Schenkel und ihre Brüste erregten ihn mehr, als er es je für möglich gehalten hatte, während sie sich auf dem Bett hin und her warf und sich ihr langes, goldenes Haar um sie beide wand. Eine blendend heiße Eifersucht hatte ihn gepackt, als er sie sich in Gedanken zusammen mit Aedward vorstellte. Aedward war ein so gut aussehender blonder Jüngling in Lillyths Alter. Verglichen mit Guy selbst, der schon dreißig Jahre alt war, ein junger Gott. Was die ganze Sache noch schwerer zu ertragen machte, war die Tatsache, dass er wusste, wie eifersüchtig er war. Innerlich lachte er bitterlich über sich selbst, weil er sich zu einem solchen Dummkopf gemacht hatte. Er hatte sich in Lillyth verliebt und war entschlossen gewesen zu warten, bis sie sich ihm hingab, doch jetzt beherrschte ihn das wilde Verlangen, sie zu besitzen.

Lillyth wusste, dass sie ihn liebte. Es hatte keinen Zweck, das vor sich selbst noch länger zu leugnen, doch sie hasste ihn für das, was er von ihr dachte, und sie wollte auf keinen Fall mit Gewalt genommen werden. Sie verfluchte sich selbst dafür, dass sie ihm nicht schon früher nachgegeben hatte, als er in einer sanfteren Stimmung war.

Er schlüpfte so leicht aus seiner Kleidung, dass sie nur einmal zu blinzeln brauchte, schon war er nackt und hatte sich fast über sie geschoben. Seine Schenkel waren eisenhart, als er über ihr kniete. Er senkte seinen Mund zu ihrem und küsste sie wild. Dann presste sich sein Mund auf ihren Hals und tiefer, auf ihre Brüste, während sie nach Atem rang. Als ihr klar wurde, wie groß die Leidenschaft war, die sie in ihm weckte, war sie davon ganz benommen. Mit dem Knie zwang er ihre

Schenkel auseinander und versuchte, in sie einzudringen, doch etwas hinderte ihn, und sie schrie vor Schmerz auf.

»Ihr seid noch immer Jungfrau!«, stellte er verwundert fest, als er begriff. Sofort zog er sich von ihr zurück und sah auf sie hinunter.

»Macht Euch das denn etwas aus, Normanne?«, schrie sie.

»Ich bin kein Vergewaltiger von Jungfrauen, Lady.« Sanft wischte er ihr mit dem Laken das Blut vom Schenkel und zog sie dann in seine Arme. Sie rollte sich zusammen, und ihr ganzer Körper bebte vor Schluchzen. Sein Herz flog gen Himmel, als er überlegte, dass noch nie jemand sie besessen hatte. Er beugte sich zu ihr und fragte leise: »Wie lange wart Ihr verheiratet, Liebste?«

»Nur einen einzigen Tag, ehe er in den Tod ritt«, antwortete sie ihm.

»Das wäre lang genug gewesen, wenn Ihr meine Braut gewesen wärt«, flüsterte er, zog die Felldecke heran und deckte sie zu, damit ihr nicht kalt wurde.

Sie gab ihm keine weitere Erklärung, er stand von dem Bett auf und zog sich an. Sanft strich er ihr über das Haar. »Verzeiht mir, Lillyth«, flüsterte er, ehe er nach unten ging, um die Nacht mit seinen Männern zu verbringen und ihr die Ruhe zu geben, nach der sie sich sehnte. Er bedauerte zutiefst die schlechte Laune, in der er zu ihr gegangen war. Er hatte einen wilden Zorn auf denjenigen gefühlt, der es gewagt hatte, ihn zu berauben. Seine Nerven hatten blank gelegen, weil er geglaubt hatte, dass Lillyth ihn angelogen hatte. Was er an einer Frau am meisten verabscheute, war Betrug. Er hatte noch nie eine Frau kennen gelernt, die nicht falsch war. Ganz plötzlich fühlte er sich unendlich erhaben, als er an seinen Schatz dachte, den noch kein anderer Mann berührt hatte. Und den auch kein anderer Mann berühren würde, schwor er sich. Als er die Treppe hinunterkam, blickten alle furchtsam auf, und er erinnerte sich an die Art, wie er zuvor ins Haus gestürmt war. Er dachte wieder an Aedward und ging zum Stall, doch dann änderte er seine Meinung. Sollte der junge Teufel doch bis zum nächsten Morgen schwitzen.

 

Edgarson kam in die Hütte gelaufen, er platzte vor Neuigkeiten. Seine Mutter packte ihn am Arm. »Wo bist du um diese Zeit noch gewesen? Du solltest längst im Bett liegen.«

»Der neue Lord hat Aedward im Stall angekettet«, verriet Edgarson Edwina.

Sie wurde ganz wild. »Warum?«, keuchte sie auf. »Was ist geschehen?«

»Das wollten sie mir nicht sagen. Er wird ihn vielleicht morgen früh umbringen«, plapperte er weiter.

»Ah, nein, bitte, Gott. Ich muss zu ihm«, rief Edwina, warf die Decke zurück, stand aus ihrem Bett auf und schlüpfte in ihre Tunika.

»Du kannst um diese Zeit nicht mehr nach draußen gehen. Du bringst dich nur in Schwierigkeiten, Edwina«, bat ihre Mutter.

Edwina griff nach Mays Hand. »Ich muss zu ihm gehen, Mutter. Ich liebe ihn.«

»Das weiß ich, Kind«, versicherte ihre Mutter ihr traurig, sie schüttelte den Kopf, doch sie ließ Edwina gehen.

Edwina dachte nicht länger an die Dunkelheit, obwohl sie noch nie zu dieser Stunde allein draußen gewesen war. Sie lief zu den Ställen und fand Aedward, der in einer der Boxen angekettet war. Er saß niedergeschlagen auf einem Haufen Stroh. Sie kniete vor ihm nieder, und er blickte erstaunt auf.

»Edwina! Was tust du hier? Du hättest nicht kommen dürfen«, ermahnte er sie.

»Ich musste Bescheid wissen. Was ist geschehen, Aedward?«, bat sie um Aufklärung.

Er schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht, aber ich glaube, es hat etwas mit dem Überfall von gestern Abend zu tun. Er muss denken, dass ich irgendwie damit in Verbindung stehe, weil ich ein Angelsachse bin.«

»Er muss wissen, dass du niemals die Hütten der Leute in Brand setzen würdest«, protestierte Edwina.

»Männer können wirklich zu so etwas gebracht werden, wenn sie Nahrungsmittel stehlen müssen, Edwina. Wenn ich auf der Flucht wäre, dann würde ich vielleicht auch so etwas tun.«

»Niemals«, versicherte sie ihm. »Du bist ein Ehrenmann.«

»Ich hoffe nur, dass es nichts mit Lillyth zu tun hat«, dachte er laut nach.

»Mit Lillyth?«, flüsterte sie und fürchtete sich plötzlich wirklich.

»Sie ist in der letzten Nacht in mein Zimmer gekommen, um mir zu sagen, dass meine Mutter sehr krank ist. Er hat uns zusammen gefunden.«

»Liebst du Lillyth?«, fragte sie voller Angst.

»Wer würde Lillyth nicht lieben?«, fragte er zurück.

»Gott, ich fürchte mich mehr vor dem, was Lillyth von ihm ertragen muss, als vor dem Leid, das er mir antun könnte.«

»Du solltest dein Mitleid nicht an sie verschwenden, er wird für ihre Fehler blind sein, wie alle anderen Männer auch.«

»Edwina, das war nicht sehr freundlich«, schalt er sie.

»Ich kann mir nicht helfen. Ich mache mir solche Sorgen um dich. Was wird er mit dir tun? Mein Bruder hat behauptet, sie werden dich morgen früh umbringen!«

»Edwina, ich habe nichts getan. Wenn mir Gerechtigkeit widerfährt, dann werde ich nicht umgebracht werden. Ich möchte, dass du jetzt gehst. Du sollst nicht meinetwegen auch noch in Schwierigkeiten kommen. Es ist besser, mit einem Gefangenen nicht zu fraternisieren.«

»Fraternisieren?«, fragte sie.

»Das ist ein französisches Wort. Es bedeutet, dass du mich wie einen Bruder behandelst.«

»Ich denke nicht an dich wie an einen Bruder, Aedward.« Sie errötete.

»Geh jetzt«, drängte er. »Es ist nicht sicher, in der Dunkelheit noch draußen zu sein. Wenn einer der Ritter dich sieht, dann könntest du belästigt werden.«

Edwina verließ den Stall, doch anstatt zur Hütte ihrer Familie zu gehen, ging sie zu Morag.

»Morag, du musst mir helfen, bitte! Lord Aedward ist im Stall angekettet worden, und ich habe Angst um sein Leben«, flehte sie.

»Der Normanne wird ihn nicht umbringen«, erklärte Morag überzeugt.

»Woher weißt du das?«, schluchzte Edwina.

»Geteilte Macht ist halbe Macht«, erklärte Morag rätselhaft.

»Haben seine Schwierigkeiten mit Lillyth zu tun?«, fragte Edwina.

»Wenn es um Aedward geht, dann solltest du dich vor Lillyth fürchten und nicht vor Montgomery«, warnte Morag sie.

»Er liebt sie!«, rief Edwina.

»Aye, und du liebst Aedward«, behauptete Morag.

Edwina starrte sie verwundert an, dann senkte sie den Blick. »Ich liebe ihn wirklich«, gestand sie. »Und ich möchte, dass er mich liebt. Wirst du mir helfen?«

»Du bist doch das kleine Mädchen, das sich um die Bienen kümmert, nicht wahr?«, wollte Morag wissen.

Edwina nickte.

»Bring mir Bienenwachs, und ich werde dich und Aedward aus dem Wachs formen. Es wird noch besser sein, wenn du mir ein paar seiner Haare bringen kannst für die Puppe. Dann werden wir die beiden Puppen zusammenbinden, mit Schnur oder einem Band. Es ist egal, welches Material du dazu nimmst, aber es muss rot sein. Schon bald wird er dich genauso sehr lieben wie du ihn.«

»Was soll ich dir als Bezahlung bringen, Morag? Ich fürchte, ich habe dir nicht viel zu geben.«

»Ich brauche Wachs. Bringe mir genug Wachs, um viele Bilder zu formen, und vergiss nicht, den Bienen deine Wünsche zuzuflüstern, denn sie bringen die Botschaften zu den Göttern. Und schweige«, ermahnte sie Edwina. »Denn sonst wird Montgomery mich umbringen, weil ich Zauberei angewendet habe.«

 

Guy de Montgomery fand Aedward am nächsten Morgen angekettet im Stall, so wie er es befohlen hatte und löste sofort seine Fesseln.

»Ich habe die Lüge entdeckt, mit der du lebst, Aedward«, erklärte er ernst.

»Mein Lord, ich habe die Lüge gehasst, die Lillyth Euch erzählt hat, aber sie hat es nur getan, um mich zu beschützen. Ich bin Wulfrics Bruder. Lady Hilda ist meine Mutter, und Oxstead ist mein Zuhause, nicht Godstone.«

»Du hast mir Treue geschworen«, behauptete Guy.

»Das habe ich getan, mein Lord, und ich habe meinen Schwur gehalten.«

»Schwörst du, dass du nichts von dem Überfall in der letzten Nacht weißt?«, fragte Guy

»Ich schwöre es, und ich werde alles tun, um zu helfen, die Schuldigen daran zu finden. Ich habe mich gefragt, was von Oxstead noch übrig ist, da es völlig ungeschützt ist.«

»Wir werden hinüberreiten, sobald wir gegessen haben. Ich werde dir noch eine Chance geben, deine Treue zu beweisen, Aedward, aber es wird die letzte Chance sein.«

Alle in der großen Halle staunten, als die beiden Männer sie zusammen betraten und einander offensichtlich freundlich gesonnen waren.

 

Morgan war ganz schwindlig vor Wagemut. Der Uberfall war so einfach gewesen. Natürlich nur deshalb, weil der Rote Wolf sich in Godstone genauso gut auskannte wie er selbst. Morgan war ganz einfach in den Stall gegangen, wo er immer gearbeitet hatte und hatte zwei Pferde hinausgeführt. Weil jeder sein Gesicht kannte, hatte ihm niemand eine Frage gestellt. Er war schockiert, als er herausgefunden hatte, dass eine der Bauernhütten in Brand gesteckt worden war, doch als er erfahren hatte, dass niemand verletzt worden war, hatte er begriffen, dass dies wahrscheinlich die einzige Möglichkeit gewesen war, wie seine Begleiter die Aufmerksamkeit von dem Lagerhaus hatten ablenken können, während sie sich mit Lebensmitteln versorgten. Später, als sie im Lager zurück waren, hatte der Rote Wolf ihn für seine Arbeit großzügig gelobt. »Nicht nur ein Pferd, sondern sogar zwei! Ich bin stolz, dich zu meinen Männern zählen zu können. Hier ist der Dolch, den ich dir versprochen habe.«

Der Rote Wolf hatte ein langes Messer aus seinem Gürtel gezogen und es Morgan hingehalten. Sein Stolz schwoll, als er sich vorbeugte, um seine Belohnung entgegenzunehmen, die der Anführer ihm versprochen hatte. Der Rote Wolf hatte ihn am Arm gepackt und hatte den Dolch so tief in Morgans Bauch gestoßen, wie es nur möglich war. Morgans Augen hatten sich vor Entsetzen weit geöffnet, als er erkannte, dass er erledigt war, dass er diesem Schwein nicht nur Pferde geliefert hatte, sondern auch noch Faith. »Begrabt ihn«, hatte der Rote Wolf zwei seiner Gefolgsleuten zugerufen und hatte dann das Blut von seinem Dolch an Morgans Tunika abgewischt.

 

Faith erwartete Morgans Rückkehr von dem Überfall mit steigender Furcht. Sie befühlte den Talisman, der um ihren Hals hing und saß dann mit verschränkten Fingern da und wartete. Sie wünschte sich, dass sie den wohl bekannten blonden Schopf, der ihr so lieb war, in der Tür ihrer selbst gebauten Hütte sehen würde, und als sie dann endlich Schritte hörte, sprang sie mit einem frohen Schrei auf. Doch der Schrei blieb ihr im Hals stecken, weil der Kopf, der sich durch den Türrahmen schob kein blondes, sondern rotes Haar hatte!

»Ich habe schlechte Neuigkeiten für dich, Kleines«, sagte der Mann leise.

»Morgan?«, flüsterte sie.

Er nickte. »Er wurde bei dem Überfall gefangen und getötet.«

Sie saß bewegungslos vor ihm, der Schlag, den ihr das Schicksal erteilt hatte, machte sie benommen. Der Tag, an dem sie und Morgan entschieden hatten, zusammen wegzulaufen, war ein Tag mit einem bösen Vorzeichen gewesen. Morgan war den Normannen entkommen, doch was für einen Preis hatte er dafür gezahlt!

»Fürchte dich nicht, ich werde mich um dich kümmern«, behauptete der Rote Wolf.

Faith wusste, wenn sie diesem Anführer gegenüber ihren Abscheu zeigte, wäre ihr Leben elend, von diesem Augenblick an bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie in ihr Grab ging, deshalb blieb sie bewegungslos sitzen, als er ihr seine Pläne erläuterte. Etwas in ihr war in dieser Nacht zusammen mit Morgan gestorben. Sie bemerkte gar nicht, dass der Mann begonnen hatte, sich auszuziehen. Sie fühlte kaum seine dicken, gierigen Finger, die ihr die Kleidung vom Leib rissen, bis sie nackt war. Sie protestierte nicht, als der raue Bart über die zarte Haut ihrer Brüste kratzte. Jedoch schrie sie vor Schmerz auf, als er sie in die Brustspitze biss. »Luder! Du sollst auf mich reagieren!«, brummte er. Sie stöhnte auf, griff nach ihm und tat so, als sei sie erregt.