Beim ersten Tageslicht war Guy bereits bei den Angelsachsen. Seine Anwesenheit allein genügte, um Zucht und Ordnung zu garantieren.
»Hugh und Roger«, befahl er, »holt Wasser und Rasiermesser, und rasiert sie alle. D'Arcy und Gilbert werden sich darum kümmern, dass allen die Haare geschnitten werden. Ich will, dass sie alle ganz kurze Haare haben. Wenn es mit den Scheren nicht klappt, dann werdet ihr sie kahl scheren. Die anderen Männer sorgen dafür, dass sich die Leute ordentlich in einer Reihe aufstellen.«
Rolf stimmte ihm zu. »Das ist eine verdammt gute Idee. Ihre Haare und Bärte müssen voller Ungeziefer sein. Sie zu rasieren ist einfacher als sie zu entlausen.« Er lachte. »Wir werden hier draußen Feuer anzünden. Hugh, hol Töpfe von den Frauen, damit wir Wasser heiß machen können.«
»Aedward, sag ihnen, dass alle Männer rasiert sein müssen, ehe sie heute Morgen zur Arbeit gehen«, befahl Guy. »Wo sind die Leute aus dem Dorf? Ich weiß, dass es auf diesem Lehngut viel mehr Menschen gibt.«
»Mein Lord, sie verstecken sich in ihren Hütten. Sie fürchten sich«, berichtete Aedward.
»Dann werden wir sie holen müssen«, entschied Guy Er betrat die erste Hütte und jagte die Bewohner nach draußen, dann leerte er noch fünf weitere Hütten.
»Holt die Männer aus jeweils sechs Hütten zusammen. Das sollte genügen, um weiterzumachen.«
Die Bauern murmelten laut, sie griffen nach den magischen Amuletten, die sie um ihren Hals trugen und hielten sie fest. Aus Neugier zog Rolf einem Mann einen kleinen ledernen Beutel vom Hals und untersuchte den Inhalt.
»Bah! Was auch immer da drinnen ist, es stinkt zum Himmel!«, rief Rolf und hielt den Beutel auf Armeslänge von sich.
»Lass mich sehen«, befahl Guy Er leerte den Inhalt des Beutels und suchte neugierig darin herum.
»Das sieht aus wie eine tote Fledermaus!«, meinte er ungläubig. »Hol mir einen weiteren Beutel«, befahl er Rolf.
Der Leibeigene versuchte verzweifelt, Rolf daran zu hindern, ihm sein Amulett vom Hals zu ziehen, doch Rolf gelang es trotzdem. Sie untersuchten den Inhalt.
»Das sieht aus wie die Knochen von Hühnern oder Tauben«, meinte Rolf.
»Es sieht aus wie Hexerei!«, rief Guy heftig. Er wandte sich an Aedward. »Wo ist die Quelle dieser Scheußlichkeiten?«, wollte er wissen.
Aedward tat so, als wisse er es nicht, aber Edgarson, der gleich neben ihm stand, um sich das Schauspiel nicht entgehen zu lassen, wie die Männer geschoren wurden, meldete sich voller Eifer. »Morag, die Hexe!«, rief er und deutete auf ihre Hütte. Mit dem lebhaften Verstand, den Kinder besitzen, hatte er bereits einige normannische Wörter aufgeschnappt. Gemischt mit Guys wenigem Wissen über die angelsächsische Sprache, unterhielten sie sich entsprechend. Guy fuhr Edgarson durchs Haar, als Zeichen der Anerkennung, dann ging er mit grimmigem Gesicht zurück in die Halle, so schnell, dass Aedward und Rolf nicht mit ihm Schritt halten konnten.
»Alison!«, rief er, so laut er konnte.
Sie kam schnell angelaufen, voller Schreck darüber, was ihn dazu gebracht haben mochte, so zu schreien.
»Mein Lord, was ist geschehen?«
»Madame, ist Euch bewusst, dass diese Leute sich unter Eurer Nase der Hexerei hingeben?«, verlangte er zu wissen.
»Hexerei?«, protestierte sie.
»Die Leute im Dorf werden von dem Gewicht all der magischen Amulette und Talismane so niedergedrückt, dass sie kaum noch laufen können«, warf er ihr vor.
»Oh, Ihr meint die Sachen, die sie von Morag bekommen, mein Lord«, meinte sie erleichtert. »Die sind doch harmlos.«
»Besuchen diese Leute eigentlich die Kirche, wie gute, gottesfürchtige Christen?«, fragte er ungläubig.
»Nun ja, niemand hält sie davon ab, die Kirche zu besuchen. Wir alle gehen natürlich hin, aber die Bauern besuchen die Kirche nicht regelmäßig.«
»Von jetzt an werden sie das tun. Alle! Selbst, wenn wir die Kirche vergrößern müssen«, donnerte er.
Sie senkte den Kopf. »Ganz, wie Ihr wollt, mein Lord.«
»Lady Alison, ich bin schockiert. Ich kann Euer Benehmen kaum dulden!«, rief er aus.
Sie lächelte reumütig. »Die Engländer sind nicht so frömmlerisch wie wir Franzosen.«
»Frömmlerisch?«, brüllte er. »Rolf, such diese Morag und hänge sie!«, befahl er.
Alison wurde ganz blass. »Nein, mein Lord, ich flehe Euch an. Was können denn ihre Liebestränke und Horoskope schon für einen Schaden anrichten?«
»Horoskope? Liebestränke?« Er lachte. »Das kann doch nicht Euer Ernst sein!«
Schnell erkannte sie ihren Vorteil, als er lachte. »Als sie erfahren haben, dass die Normannen kommen, sind sie alle zu Morag gelaufen und wollten von ihr Amulette haben, die sie beschützen. Ihr seht ja, dass es geholfen hat - das Schicksal hat uns einen Mann geschickt, der Erbarmen mit uns hat!«
»Ihr glaubt wohl, wenn Ihr mir schmeichelt, werde ich die alte Hexe nicht aufhängen«, warf er ihr vor.
»Glaube ich etwa das Falsche, mein Lord?«, fragte sie voller Wagemut.
Er hielt inne, dann kam er ihr auf halbem Weg entgegen. »Ich werde sie mir selbst ansehen, ehe ich eine Entscheidung treffe.«
Guy betrat Morags Hütte ohne weitere Umstände. Aedward blieb am Eingang stehen, ihm war bewusst, dass er zwischen zwei Parteien stand. Während Greediguts von seinem Platz in der Nähe des Daches krächzte, begegnete Morag dem eindringlichen Blick des Normannen, ohne mit der Wimper zu zucken.
»Aedward wird für uns übersetzen«, erklärte Guy »Wort für Wort«, warnte er ihn. »Ich möchte keine verwässerte Version meiner Worte hören.«
Er zog die Augen zusammen. »Wenn Ihr Seherin seid, dann müsst Ihr wissen, dass ich gekommen bin, um Euch zu hängen«, wandte er sich an Morag.
»Nein«, erwiderte sie langsam. »Ihr seid gekommen, um mich einzuschüchtern.«
Angesichts ihrer Kühnheit zog er die Augenbrauen hoch. »Bei den Knochen Christi!«, fluchte er. »Und schüchtere ich Euch ein?«, wollte er dann wissen.
»Ihr seid im April geboren, unter dem Sternzeichen des Widders. Ihr würdet jeden einschüchtern«, behauptete sie und sah ihm in die Augen.
»Ich wurde im April geboren. Woher habt Ihr das gewusst?«, verlangte er zu wissen.
»Das steht Euch ins Gesicht geschrieben, jeder kann es deutlich sehen. Von Natur aus seid Ihr aggressiv, willensstark und entschlossen. Ihr genießt die Macht, und es gefällt Euch, wenn die anderen zu Euch aufsehen. Ihr seid ruhelos und so mutig, dass es schon wagemutig ist. Ihr seid jähzornig und werdet Euer eigenes Schicksal entweder bewältigen oder Euch selbst zerstören. Ihr seid intolerant, ungeduldig, übertrieben selbstbewusst und arrogant.«
Guy griente wie ein Wolf. »Das sind nur einige meiner besseren Eigenschaften, wie steht es mit meinen Fehlern?«
»Ein Widder hat keine Fehler«, erklärte Morag trocken.
Aedward zögerte mit der Übersetzung. Doch Guy warf ihm einen so befehlenden Blick zu, dass er übersetzte: »Ein Widder hat keine Fehler.«
Guy lachte laut auf.
»Bei den Knochen Gottes, sie muss eine mächtige Magie besitzen, um mich absichtlich zu reizen. Madame«, warnte er sie, »Ihr bekommt eine Bewährungsfrist. Eure Aktivitäten werden in Zukunft ganz genau beobachtet. Ihr werdet zwei Mal in der Woche die Kirche besuchen, und wenn Ihr etwas austeilt, was stärker ist als ein Liebestrank, dann werde ich Euch einsperren.«
Als er gegangen war, sank Morag zu Boden, so erleichtert war sie. In ihrer Weisheit wusste sie, dass er hier gedeihen würde, dass er noch hier sein würde, lange nachdem sie selbst bereits gestorben und begraben war. Sein Wille war noch stärker als der ihre, sie hatte keine andere Wahl, als ihm zu gehorchen.
Draußen erklärte Guy Rolf: »Ich werde hinüberreiten und mir Oxstead ansehen. Gott allein weiß, was ich dort finden werde. Ich werde meine Brüder mitnehmen, aber ich möchte, dass du hier bleibst und dafür sorgst, dass die Dinge ordentlich laufen.«
Aedward ging dorthin zurück, wo die Bauern geschoren wurden, er war froh, dass er die Begegnung mit Morag hinter sich hatte. Er hörte, wie der Normanne, den sie D'Arcy nannten, lachte. »Mein Gott, dieser hier ist vor Angst ohnmächtig geworden. Diese Angelsachsen besitzen keinen Mumm.«
Aedward sah nach unten und entdeckte Edwina, die mit geschorenem Kopf auf dem Boden lag. Er stieß den Ritter mit dem Ellbogen beiseite und kniete dann neben ihr.
»Das ist ein Mädchen«, erklärte er wütend. »Eure Befehle schließen die Frauen nicht ein!«
»Sie sehen doch alle gleich aus mit ihrem langen blonden Haar. Sie hat ja noch nicht einmal Titten, woher sollte ich denn wissen, dass es ein Mädchen ist?«
Aedward half Edwina aufzustehen. Sie hatte schreckliche Angst und klammerte sich verzweifelt an ihn. Tränen rannen über ihr Gesicht, und ihr kurzes, abgeschnittenes Haar stand von ihrem Kopf ab. Er legt ihr tröstend einen Arm um die Schultern und fühlte, wie ihr ganzer Körper zitterte. Sanft führte er sie zurück in ihre Hütte.
»Ganz ruhig, Edwina, alles wird wieder gut. Sie haben dir ja nicht wirklich wehgetan.« Als sie endlich in der Hütte waren, ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf. Sie schluchzte und bewegte ihren Körper hin und her, bis Aedward nicht mehr wusste, wie er sie trösten sollte.
»Hör mir zu, Edwina, ich habe eine Idee. Wenn wir dein Haar waschen, dann wird es ganz sicher sehr hübsch aussehen.«
»Mein Haar waschen?«, fragte sie, und wieder trat Angst in ihren Blick. Sie wich vor ihm zurück, ehe er sie noch einmal erniedrigen konnte.
»Ja, ja. Die Ladys im Haus waschen ihr Haar jede zweite Woche. Komm mit mir ins Badehaus. Wir holen etwas Seife, und ich helfe dir, dein Haar zu waschen.«
»Ich werde es tun, wenn Ihr das wünscht, mein Lord«, bot sie ihm an und versuchte, ihre Tränen aufzuhalten.
Im Badehaus füllte Aedward eine tiefe Wanne mit heißem Wasser.
»Es wäre viel einfacher, wenn du in die Wanne steigst, Edwina.«
»Aber dann würden ja meine Kleider nass«, protestierte sie.
»Nein, nein, du musst deine Kleider zuerst ausziehen«, erklärte er ihr geduldig.
»Ich kann nicht schwimmen. Ich fürchte mich vor Wasser«, erklärte sie erschrocken.
»Es ist nicht tief genug, dass du darin ertrinken könntest. Komm, sei tapfer«, ermutigte er sie. »Ich drehe mich um. Beeil dich, solange niemand in der Nähe ist!«
Als sie in das Wasser glitt, keuchte sie tief auf. Das veranlasste Aedward dazu, sich umzudrehen, und er sah gerade noch, dass Edwina wirklich Brüste hatte. Sie waren jung, zart und recht verlockend. Aedward nahm ein Leinenhandtuch aus dem Regal im Badehaus und ein Stück Seife, das mit Eisenkraut parfümiert war.
»Nachdem du dein Haar eingeseift hast, musst du die Seife wieder auswaschen, dann trocknest du dich mit diesem Handtuch ab. Zieh dich schnell wieder an, ehe du dich erkältest. Ich werde mit dir zurück in die Hütte gehen und dort ein Feuer anzünden, damit wir dein Haar trocknen können.«
Aedward bückte sich, um das Anmachholz anzuzünden. Er hielt den Feuerstein mit seinem kranken Arm fest und schlug dann mit seinem kleinen Dolch Funken. Er fachte das Feuer an, bis es hell brannte.
»Komm, setz dich näher ans Feuer. Wenn dein Haar trocken ist, wird es wunderschön aussehen, Edwina. Jetzt, wo es sauber ist, kann man erkennen, dass es wunderschön flachsfarben ist, und es kräuselt sich weich um dein Gesicht. Eigentlich sieht es jetzt viel hübscher aus als vorher.«
Edwina setzte sich schüchtern neben ihn und genoss seine Bewunderung schweigend.
»Erzähl mir von dir«, drängte Aedward.
»Da gibt es nichts zu erzählen«, erklärte sie schlicht.
»Natürlich gibt es das! Was für eine Arbeit machst du?«
»Ich kümmere mich um die Bienen und sammele den Honig.«
»Bienen müssen faszinierend sein, erzähl mir von ihnen«, bat er.
Sie lächelte. »Wusstet Ihr, dass die Bienen, die die ganze Arbeit machen und den Honig sammeln, weibliche Bienen sind?«
Er lachte. »Nein, das habe ich nicht gewusst. Erzähle mir mehr davon.«
»Wenn eine Biene eine Menge Blumen findet, fliegt sie zurück zum Bienenstock und vollführt einen kleinen gesummten Tanz. Sie berührt die anderen mit ihrem Körper und sagt ihnen so, wo die Blumen sind. Wenn die Blumen weit weg sind, dann summt die Biene ihren Tanz, dann geht sie eine gerade Strecke, summt noch einmal, dreht sich nach rechts, summt noch einmal, geht noch eine Strecke und dreht sich noch einmal, und wenn die anderen Bienen dann den Bienenstock verlassen, wissen sie ganz genau, wo sie die Blumen finden.«
Er lachte erfreut.
»Glaubt Ihr mir nicht?«, fragte sie.
»Nun, ich denke nicht, dass du dir so etwas ausdenken würdest, also muss ich dir glauben. Sag mir, wie überleben die Bienen im Winter?«, wollte er wissen.
Sie antwortete mit einer Weisheit, die weit über ihre Jahre hinausging. »Sie überleben nur, weil sie gelernt haben, zusammenzuarbeiten. Sie ballen sich alle zusammen, zu einer großen Traube, und sie bewegen sich ganz langsam. Wenn es denjenigen an der Außenseite kalt wird, dann gehen sie nach innen und die warmen Bienen aus der Mitte der Traube gehen nach außen.«
»Edwina, genauso wird es auch hier sein. Wir werden alle überleben, und ja, wir werden sogar aufblühen, wenn die Angelsachsen und die Normannen lernen, miteinander zu leben und zusammenzuarbeiten.« Er zog einen kleinen Elfenbeinkamm aus seiner Tunika, dann fuhr er damit sanft durch ihre blonden Locken.
»Ich möchte ihn dir schenken. Wahrscheinlich kann ich ihn nach dem heutigen Tag sowieso nicht mehr brauchen, wenn sie mir mein langes Haar abschneiden und meinen Bart abrasieren.«
Sie nahm den Kamm verwundert in ihre Hand. Noch nie in ihrem Leben hatte ihr jemand etwas geschenkt. Das gefiel ihr.
Sie streckte einen Finger aus, um seinen lockigen Schnurrbart zu berühren, und als sie das tat, legte Aedward einen Arm um sie, zog sie an sich und küsste sie. Sie war verzaubert von seiner Berührung. Ihr Duft erfüllte seine Sinne, als seine Hand ihre zarten Brüste suchte, die ihn zuvor erregt hatten. Er wusste, sie würde ihm erlauben, sie zu besitzen, aber etwas in ihrer Verletzlichkeit ließ ihn sich zurückhalten. Sie hatte so wenig Möglichkeiten im Leben, er konnte es nicht ertragen, ihr seinen Willen aufzuzwingen. Sanft zog er sich von ihr zurück. »Ich wage es nicht, noch länger zu bleiben«, gestand er ihr.
An diesem Abend schüttelte May den Kopf, als sie versuchte, sich an das veränderte Aussehen ihres Mannes und ihrer Tochter zu gewöhnen. Edgarson kam in die Hütte gelaufen, er war schrecklich wütend. Er hatte sich gewünscht, dass man auch ihm das Haar abschnitt, aber die Normannen hatten dem Jungen gar keine Beachtung geschenkt.
»Ich will so aussehen wie er!«, forderte er.
»Wie wer?«, fragte May
»Wie er! Der neue Lord«, schrie Edgarson.
»Als ich gestern in Oxstead war, habe ich festgestellt, dass die Menschen unter dem leiden, was Ihr das St. Anthonys Fieber nennt, die Dysenterie der Eingeweide. Wir möchten nicht, dass es sich ausbreitet, deshalb habe ich mit Eurer Mutter gesprochen, und sie hat eine Medizin, die Alkanet heißt, glaube ich. Würdet Ihr heute Morgen mit mir nach Oxstead reiten, Lillyth?«
»Oh, ich würde sehr gern ausreiten. Ich kann dann einige Sachen für Lady Hilda mitbringen.« Sie lief nach oben, um ihre Hausschuhe gegen ein paar weiche Lederstiefel zu tauschen.
Im Stall hatte Guy bereits Zephyr für sie gesattelt. Alle drei Montgomerys ritten nach Oxstead, während Rolf zurückblieb, um sich um Godstone zu kümmern. Lillyth bewunderte Guys herrliches Pferd.
»Er heißt Tempest. Ist es nicht eigenartig, dass unsere beiden Pferde die Namen des Windes tragen?« Er lachte. »Wenn deine Stute so weit ist, könnten wir sie miteinander kreuzen.«
Lillyth errötete. »Er ist viel zu groß - er würde sie verletzen«, behauptete sie steif.
Guy sah sie belustigt an. »Unsinn!«
Die Sonne schien, doch die Luft war kalt, und Lillyth trug einen warmen, wollenen Umhang.
Ich würde ihr gern einen Umhang schenken, der mit Pelz besetzt ist, ehe der Winter beginnt, dachte Guy, in Gedanken ging er die Tiere durch, die er jagen konnte, um ihr diesen Luxus zu bieten.
Lillyth genoss den Ritt sehr. Ihre Wangen waren vom Wind gerötet, und ihr Haar wehte im Wind. Das Herbstlaub lag auf dem Boden, und die Hufe der Pferde raschelten darin. Sie lachte über die Eichhörnchen, die Nüsse und Ahornsamen sammelten und sich auf den Winter vorbereiteten. Ganz plötzlich wieherte ihr Pferd laut und stieg voller Angst hoch. Ein wilder Eber brach aus dem Unterholz, beinahe augenblicklich hatte Guy ihn mit einer kurzen Lanze aufgespießt, die er bei sich trug. Lillyth beruhigte ihr Pferd, und Guy fragte betroffen: »Ist alles in Ordnung mit Euch, cherie?«
»Natürlich«, lachte Lillyth. »Ich brauche doch keine Angst zu haben mit einem so tapferen Begleiter.«
»Bindet das Wildschwein zusammen, wir werden es auf dem Rückweg mitnehmen, Andre«, rief Guy Bewundernd hatte er registriert, dass Lillyth sehr tapfer war und nicht leicht zu verängstigen. »Vielleicht würdet Ihr gern auf die Jagd gehen. Würdet Ihr mit mir reiten, wenn wir das nächste Mal jagen?«
»Ich glaube nicht, mein Lord. Es macht mich traurig, wenn ich Tiere sterben sehe, es sei denn, sie bedrohen mein Leben.«
Als sie in Oxstead angekommen waren, verteilten die Männer die Medizin, Lillyth packte einige Kleider für Lady Hilda und für Aedward zusammen; sie hoffte, dabei nicht erwischt zu werden. Sie rief eine der Dienerinnen und erklärte der Frau schnell, dass Aedward von den Normannen entdeckt worden war, doch dass sie behauptet hatte, er sei ihr Bruder, um ihn zu beschützen. Die Frau versprach ihr, es allen anderen zu sagen, und Lillyth lief nach oben in die Schlafzimmer.
Sie sah sich um und überlegte, wie eigenartig doch das Schicksal war, eigentlich hätte sie jetzt hier zusammen mit Wulfric leben sollen. Bei dem Gedanken erschauerte sie plötzlich. Es war ganz still hier, eine eigenartige, verlassene Stimmung lag über allem. Sie ging in das Zimmer von Lady Hilda und öffnete die Truhe, um den Inhalt zu sortieren. Als sie ein Geräusch aus dem Nebenzimmer hörte, zuckte sie zusammen und lauschte angestrengt, ob sie noch mehr Geräusche hören konnte. Als sie sich umsah und all den Staub bemerkte, hatte sie das unheimliche Gefühl, dass sie nicht allein war. Aber da sie weiter nichts hörte, suchte sie schnell die Sachen zusammen, die ihr am nützlichsten schienen und legte sie in einen kleinen Koffer. Leise ging sie in Aedwards Zimmer, das gleich neben dem Zimmer lag, in dem Wulfric geschlafen hatte. Von dort holte sie drei Tuniken aus Samt, die am Saum mit goldenem Faden bestickt waren. Sie war nervös, als würden heimliche Blicke sie verfolgen. Als sie sich von den Knien erhob, hörte sie im Zimmer nebenan Schritte. Angst schnürte ihr den Hals zu, und ihr Herz schlug heftig. Sie fühlte die Anwesenheit von etwas Bösem, und sie konnte an nichts anderes mehr denken, als an Wulfric. Sie begann zu zittern und öffnete den Mund, um zu schreien, als ein Schatten an der Tür erschien.
»Ihr seht aus, als hättet Ihr einen Geist gesehen!«, lachte Guy
»Oh, mein Lord, Gott sei Dank seid Ihr es.« Sie lief auf ihn zu, als suche sie seinen Schutz, und die Erleichterung in ihrem Gesicht war so deutlich, dass er einen Arm um sie legte und sie sanft festhielt.
»Ihr zittert ja, cherie, was ist los?«, fragte er leise. »Eigenartig, dass Ihr einem wilden Eber in die Augen sehen könnt, Euch aber vor einem Schatten fürchtet.«
Sie schüttelte den Kopf, und es gelang ihr, ein wenig zittrig zu lächeln.
Er drängte sie nicht zu einer Erklärung, doch seine Stirn war gerunzelt, als er sie ansah. Er würde mehr über ihr Geheimnis herausfinden, schwor er sich.
»Diesen kleinen Koffer müssen wir mitnehmen. Könntet Ihr jemanden rufen, der ihn herunterträgt, mein Lord?«
»Natürlich, Lady, aber wir werden noch eine Weile hier bleiben. Möchtet Ihr Euch hier nicht ein wenig ausruhen, bis wir zurückreiten?«
»Nein«, erklärte sie schnell. »Ich werde mit nach draußen kommen und mich umsehen. Macht Euch um mich keine Sorgen, ich werde mich schon beschäftigen, bis Ihr so weit seid, dass wir zurückreiten können.« Sie ging zu Lady Hildas Kräutergarten, wo sie ein wenig Rosmarin und Thymian für die Küche in Godstone pflückte.
Auf dem Ritt zurück am späten Nachmittag, begann es zu regnen, die Tropfen rauschten in wahren Sturzbächen herunter. Guy gab Lillyth seinen Mantel, damit sie ihn über ihren Umhang ziehen konnte, doch gegen den Regen nützte auch er nicht. Sie brachten die Pferde in den Stall und liefen dann über den Hof in die Halle. »Bei Gott, sie haben mir gesagt, dass England ein dunkles, nasses Loch ist, aber bis heute habe ich das nicht geglaubt.«
»Ihr könnt immer noch nach Hause gehen, wenn es Euch hier nicht gefällt, Normanne«, rief Lillyth über ihre Schulter, dann lief sie nach oben und lachte über die Wasserpfützen, die sie bei jedem Schritt hinterließ.
Als sie in ihrem Zimmer waren, begann Guy, die durchnässte Kleidung auszuziehen, und Lillyth verschwand schnell durch die Tür in ihrem eigenen Zimmer. Guy wechselte seine nassen Hosen gegen trockene, dann ging er mit nacktem Oberkörper zu Lillyth. Sie hockte auf dem Bett, nur ihren Umhang hatte sie ausgezogen.
»Zieht diese nassen Sachen aus, sonst werdet Ihr Euch noch den Tod holen«, befahl er.
»Ich habe keine Privatsphäre. Ich werde mich nicht ausziehen, wenn Ihr dieses Zimmer nicht verlasst«, fuhr sie auf.
»Gütiger Himmel, widersetzt Ihr Euch mir schon wieder? Zieht Euch sofort aus, denn sonst werde ich das bei Gott selbst tun«, drohte er ihr.
Sie warf ihr tropfnasses Haar über die Schulter und warf ihm einen herausfordernden Blick zu. Mit einem Schritt war er bei ihr, zerrte sie vom Bett und zog ihr dann die nasse Tunika über den Kopf. Lillyth wehrte sich vergebens, als er sie hin und her schob. Ihr nasses Wams klebte ihr am Körper und enthüllte ihn seinen Blicken. Er streckte die Hände aus, und es gelang ihm auch, ihr das Wams bis über die Schenkel zu ziehen, doch sie wehrte sich und bat: »Bitte, bitte, mein Lord, ich werde mich ausziehen, wenn Ihr mir ein Handtuch für mein Haar holt. Bitte?« Ihr Blick flehte ihn an.
Zögernd machte er sich auf die Suche nach einem Handtuch und kam dann damit zu ihr zurück. Er brachte auch Wein mit. Sie hatte sich inzwischen ausgezogen und war in eine Robe aus Samt geschlüpft. Wie einen Turban schlang sie das Handtuch um den Kopf, und Guy hielt ihr einen Becher mit Wein hin.
»Trinkt das, der Wein wird die Kälte vertreiben. Ich habe das Feuer angezündet. Kommt und wärmt Euch auf, cherie.«
»Ich trinke keinen Wein, mein Lord, der berauscht«, erklärte sie züchtig.
»Das ist Chablis - ein voller weißer Wein, den werdet Ihr jetzt trinken, Lillyth, oder ich werde ihn Euch gewaltsam einflößen«, befahl er.
Sie nahm den Wein und nippte vorsichtig daran, dabei sah sie angelegentlich auf seinen nackten Oberkörper. »Ist es Euch nicht kalt, mein Lord?«
»Wenn Ihr mich nur einmal mit Eurem Blick wärmen würdet, dann wäre mir nie wieder kalt«, erklärte er leise.
Obwohl sie protestierte, füllte er ihr Glas noch einmal, dann hob er es an ihre Lippen und bestand darauf, dass sie trank. Danach hob er das Glas an seinen eigenen Mund und presste seine Lippen auf die Stelle, von der sie getrunken hatte. Der Wein wärmte sie schnell, sie spürte, wie er durch ihre Adern rann und ihre Knie weich machte. Sie fühlte seine Blicke auf sich und tat so, als sähe sie in das Feuer. Es war sicher und warm hier und sehr intim, mit ihm zusammen vor dem Feuer Wein zu trinken, während der Wind und der Regen auf das Dach peitschte.
»Wir haben vor dem Essen noch eine Stunde Zeit. Holt Euer großes Buch, und bringt mir bei, diese heidnische angelsächsische Sprache zu lesen«, bat er.
Lillyth war froh über die Ablenkung, sie holte das große Buch ans Feuer und setzte sich neben ihn. Sie öffnete das Buch und zeigte ihm die wundervoll illustrierten Seiten. »Das ist die Legende von Beowulf«, begann sie.
Er unterbrach sie. »Kommt hier auf den Teppich vor dem Feuer, damit ich es besser sehen kann.«
Zögernd setzte sie sich auf das Fell neben ihn und begann zu lesen. Er sah auf die Worte und protestierte, weil sie für ihn keinen Sinn ergaben. Schon bald wurde sein Interesse von dem Buch abgelenkt. Er betrachtete eingehend ihr Profil, während sie las, und obwohl sie so tat, als würde sie es nicht bemerken, so war sie sich doch seiner Anwesenheit überdeutlich bewusst. Seine Nähe wirkte eigenartig auf sie, oder war das vielleicht der Wein?
Schließlich schloss er das Buch auf ihrem Schoß und zog sie an seine Brust. Seine Lippen pressten sich in einem verlangenden Kuss auf ihre. Sie hob die Hände, um ihn wegzustoßen und fühlte seine nackte Haut. Die Muskeln unter ihren Händen bewegten sich. Wie wundervoll er ist, dachte sie.
Heftig entzog sie sich ihm, sie fürchtete sich vor ihrer eigenen Reaktion auf seine Männlichkeit. Er verfolgte sie nicht weiter, sondern betrachtete sie eingehend, während er seinen Wein trank. Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, deshalb sagte sie das Erste, was ihr einfiel.
»Ihr werdet die angelsächsische Sprache nie lernen, wenn Ihr zulasst, dass Eure Aufmerksamkeit von anderen Dingen gefesselt wird«, ermahnte sie ihn, und zu ihrem Erschrecken hörte sie sich selbst kichern. Das muss der Wein sein, dachte sie schnell.
»Ich kann Angelsächsisch in einer Stunde lernen, wenn ich das will«, prahlte er. Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte laut. »Lächerlich, ganz unmöglich für einen Dummkopf von Normannen, eine zivilisierte Sprache in einem Jahr zu lernen, geschweige denn in einer Stunde«, machte sie sich über ihn lustig.
»Eine Wette! Heute Abend werde ich Euren Beowulf eine Stunde lang studieren. Wenn ich Euch dann perfekt vorlese, werdet Ihr eine Strafe bezahlen müssen.«
»Einverstanden!«, rief Lillyth kühn, und plötzlich wusste sie, was er mit der »Strafe« meinte.
Er zeigte die Zähne, als er lächelte. »Wer gegen mich wettet, der verliert.«
Schnell stand sie auf und fragte sich, was sie da getan hatte.
Er besaß eine Macht über sie, die ihr Angst machte. Sie zog sich auf ihre Seite des Zimmers zurück, um sich zum Abendessen umzuziehen und hoffte verzweifelt, dass er ihr nicht folgte, als er tatsächlich in seinem Zimmer blieb, fragte sie sich, warum er ihr nicht gefolgt war.
Beim Abendessen hatte Nicholas wieder Rose als seine Tischpartnerin gewählt, während Andre neben Edyth saß. Lady Adela hatte an den letzten beiden Abenden Hugh Montrose von der anderen Seite der großen Halle angezogen. Heute Abend war er kühn genug, sich neben sie zu setzen.
»Ich habe den Befehl, mit einer der Ladys zusammen zu essen, damit ich die angelsächsische Sprache lerne. Ich habe Euch ausgewählt«, erklärte er entschlossen und betrachtete offen ihre hübsche Gestalt und das helle, braune Haar.
Sie senkte den Blick ihrer kornblumenblauen Augen. »Mein Lord, ich möchte keine Gesellschaft.«
»Warum habt Ihr dann Euer Haar nicht bedeckt?«, wollte er wissen.
Sie warf ihm einen schnellen Blick zu, sie überlegte, ob er noch fordernder wäre als Luke, ihr Ehemann. Sie musste langsam vorgehen, musste seine Gedanken mit unpersönlichen Dingen beschäftigen. Ihre Gedanken rasten, und sie suchte nach einem Thema, das passend war. »Ich werde versuchen, Euch die angelsächsische Sprache beizubringen, mein Lord. Es ist in der Tat ein Glücksfall, dass ich ein wenig Französisch spreche.«
Auf Angelsächsisch sagte sie ihm, dass ihr Name Adela war.
»Ihr braucht einen Beschützer, Adela«, erklärte er offen.
Sie errötete. »Ich habe gerade erst meinen Ehemann verloren, Sir.«
»Nennt mich Hugh. Eine junge Witwe braucht einen Beschützer«, wiederholte er.
»Ich würde lieber nicht darüber sprechen, Sir, ich meine, Hugh«, erklärte sie höflich.
»Wir werden darüber sprechen, Adela. Lord Montgomery hat über vierzig Männer. Jeder von ihnen könnte Euch zu jeder Zeit nehmen, wenn er den Wunsch dazu verspürt. Die einzige Möglichkeit zu verhindern, dass Ihr ständig belästigt werdet, ist einen Beschützer zu wählen. Lady Lillyth hat das im Gegensatz zu Euch sofort begriffen.« Er deutete auf Guy am Kopf des Tisches. »Wenn wir beide uns zusammentun, werden die anderen Männer es nicht wagen, Euch zu belästigen.« Ihr Mund war ganz trocken, und sie presste die Lippen so fest aufeinander, dass sie weiß waren. Hugh hob seinen Becher mit Wein, doch ehe er ihn ihr reichte, zog er seinen Dolch hervor und tauchte ihn bis zum Griff in die blutrote Flüssigkeit. Es war ein sexuelles Symbol, das sie nur zu gut verstand. Sie zögerte lange, dann nahm sie endlich den Becher mit Wein und trank davon.
Lady Emma war mit der festen Absicht zum Essen gekommen, herauszufinden, welcher der Ritter der größte und stärkste war. Sie fühlte sich ohne einen Mann verloren. Sie fühlte sich von ihrem Mann betrogen, als hätte er sie absichtlich verlassen, je eher sie ihn ersetzte, desto sicherer wäre sie. Sie betrachtete die versammelten Ritter, die noch verfügbar waren, denn Guy, seine Brüder und Rolf waren schon nicht mehr zu haben. So wie es aussah, war auch Hugh de Montrose bereits vergeben.
Drei Männer saßen zusammen. Sie hatten eine Vorliebe für das englische Bier entwickelt und auch für das gute, einfache Essen, das in dem fremden Land immer so großzügig serviert wurde. Emma hatte einen Plan. Sie würde mit allen drei flirten. Sie würden sich um sie streiten, vielleicht sogar kämpfen, dann würde der Stärkste von ihnen als Sieger hervorgehen. Ein solcher Ritter würde ihr das Gefühl geben, sicher und beschützt zu sein. Schon bald hatte sie die Blicke von Fitzroy auf sich gezogen, dem Jüngsten der drei Ritter. Sie lächelte ihn an. Er betrachtete sie mit großen Augen, dann wandte er sich an seine Begleiter. »Du liebe Güte, ich habe gerade von der anderen Seite der Halle eine offensichtliche Einladung bekommen.«
Gervais, ein muskulöser, kräftig gebauter Mann mit einem grüblerischen Wesen, sah zu Emma. Sofort lächelte sie ihn an und senkte dann den Blick. »Du irrst dich, mein junger Hahn, ich bin es, den sie meint.«
Esme, der einzige große blonde Normanne in der Gruppe fragte: »Meint ihr die mit den hübschen großen Titten? Ich habe schon von Anfang an meinen Blick auf sie geworfen.«
»Nun, wir entscheiden uns besser schnell, oder ein anderer Hundesohn wird sie mit in sein Bett nehmen, während wir uns noch um sie streiten«, lachte Fitzroy
»Ich beanspruchte sie zuerst«, erklärte Esme lässig, als sei schon alles entschieden.
Gervais zog eine Augenbraue hoch, er sah seine Begleiter mit bösem Blick an und erklärte: »Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, das zu entscheiden.« Während er in sein Wams griff und ein paar Würfel daraus hervorholte, wurde sein Gesichtsausdruck freundlicher, und er lächelte strahlend.
Fitzroy stellte seinen Zinnbecher mit Bier beiseite, um Platz zu machen. »Wir haben keine Chance gegen dich, mon frere«, erklärte er resigniert. »Wenn Esme spielt, steht immer der Teufel hinter ihm. Er verliert niemals.«
Jeder Mann würfelte, und wie vorausgesagt, erwies sich Esmes Wurf als der Glückliche.
Er stand vom Tisch auf, streckte seine langen Beine und ging dann hinüber zu Emma. Natürlich hatte sie beobachtet, was geschehen war, und ihre Wangen hatten sich vor Scham gerötet. Er sah sie mit hoch gezogener Augenbraue an. »Liebste Lady, dem Sieger gehört die Beute«, meinte er.
Sie wollte sich verächtlich von ihm abwenden, doch seine Schönheit bezauberte sie.
Guy knackte mit dem Griff seines Dolches Walnüsse. Die meisten der Ritter holten ihre Würfel hervor, und Rufe tönten durch den Raum. »Ich gewinne drei Würfe von dreien«, war ein Beispiel dafür.
Rolf warf Guy einen Blick zu. »Willst du dein Glück mit mir versuchen?«
Guy hob beide Hände. »Nein, ich muss heute Abend noch lernen. Während du deinen Abend vertust, werde ich lernen, die angelsächsische Sprache zu lesen.«
Er verbeugte sich vor Lillyth. »Kommt, kleine Lehrerin.«
Sie errötete heftig, und mit zögernden Schritten folgte sie Guy nach oben.
Ohne ein Wort nahm er das Buch und begann eifrig zu lesen. Sie versuchte, seine Aufmerksamkeit abzulenken, indem sie im Feuer stocherte und dann vor seinen Augen ihr Haar bürstete, doch er sah nicht auf. Sie ging nervös hin und her, dann nahm sie all ihren Mut zusammen. »Mein Lord, was wird denn meine Strafe sein?«, fragte sie schließlich.
Er sah ihr in die Augen. »Mein Bett ist schon so viele Nächte kalt, Lillyth. Heute Abend werdet Ihr es mir wärmen, cherie.« Dann widmete er seine Aufmerksamkeit wieder dem Buch. Schweigen senkte sich über den Raum.
Lillyth zog sich in ihren Teil des Zimmers zurück und beschäftigte sich mit dem Hemd, das sie für ihn nähte. Langsam und nachdenklich waren ihre Stiche. Die Arbeit wirkte so beruhigend auf sie, dass ihr Selbstvertrauen zurückkehrte und sie wusste, dass er alles schaffen würde, womit er prahlte.
Sie ging zu ihm, noch ehe die Stunde vorüber war. »Ihr hattet jetzt die Zeit, die wir vereinbart haben«, meinte sie. »Lasst mich hören, was Ihr gelernt habt.«
Er griente sie schelmisch an, dann begann er, die erste Seite in perfekter angelsächsischer Sprache vorzulesen. Als er sich dem Ende der Seite näherte, blickte er triumphierend auf und sah, dass ihr Gesicht voller Bestürzung war, voller Abscheu für das, was vor ihr lag. In ihrem Blick lag eine solche Furcht, dass er innehielt, sich räusperte und sagte: »Das letzte Stück hier kann ich nicht verstehen. Wollt Ihr es nicht für mich übersetzen, Lady?«
Tränen hingen an ihren Wimpern. »Danke«, antwortete sie leise.
»Lust ist für einen Mann wie ein Pferd, das schwierig zu reiten und zu kontrollieren ist, Lillyth. Gute Nacht.«
Nach einer Weile begann sie sich zu entspannen und schlief endlich ein, doch Guy war ungewöhnlich ruhelos. Er warf sich in dem großen Bett unruhig hin und her, sehnte sich danach, dass Lillyth neben ihm lag. Schließlich schlüpfte er leise aus dem Bett und ging zu ihr hinüber. Er betrachtete sie, wie sie schlafend in ihrem Bett lag, dann kniete er neben dem Bett nieder und nahm eine Strähne ihres Haares in die Hand. Das seidige Haar erregte ihn noch mehr, und er sehnte sich danach, ihre Haut zu streicheln. Noch nie zuvor hatte er so sehr nach einer Frau verlangt. Sein Verlangen überwältigte ihn beinahe. Er sehnte sich danach, zu ihr ins Bett zu schlüpfen und jede sanfte Rundung ihres Körpers zu streicheln. Er wollte seine Lippen auf die ihren pressen und tief in sie eindringen. Er wollte seiner Leidenschaft, die er schon viel zu lange unter Kontrolle gehalten hatte, freien Lauf lassen, wollte ihre Reaktion auf ihn sehen. Er kämpfte gegen sein wildes Verlangen an und ließ sie friedlich weiterschlafen, doch das war der größte Schmerz, den er je ertragen hatte. Der Sieger war vollkommen besiegt.