KAPITEL ZEHN
Der Schuss ging daneben. Er schlug in die Wand ein, einen halben Meter von Hans Ohr entfernt. Im selben Moment begann hinter der Gruppe in ohrenbetäubender Lautstärke Musik zu plärren. Traditionelle aridianische Volksmusik, die in der ganzen Galaxis dafür bekannt war, dass sie menschliche Ohren nach nur zwei Takten zum Bluten bringen konnte. Die Wachen richteten ihre Aufmerksamkeit sofort auf den grauenhaften Lärm. Das war die Gelegenheit für Han und Chewbacca. Der Wookiee schlug seinen Wächter mit einem einzigen Hieb seiner gewaltigen Tatze nieder und packte sich im gleichen Zug den Blaster. Han stürzte mit seinem Wachmann zu Boden, und die beiden rollten mitfliegenden Fäusten durch den Mondstaub.
Hinter einem nahe stehenden Gebäude schwebte ein Lastgleiter hervor und hielt direkt auf sie zu. Am Steuer saß ein goldener Protokolldroide, während hinter ihm ein kleiner blau-weißer Astromechdroide stand, aus dessen Lautsprechern die furchtbare Musik dröhnte.
Der Gleiter machte weder irgendwelche Anstalten anzuhalten, noch verklang die Musik. Wachen wie Gefangene rannten in alle Richtungen auseinander.
„Gute Aktion für zwei Blechbüchsen", murmelte Han und stürzte sich auf die beiden Wachen, die Leia festhielten. Er legte jedem von ihnen einen Arm um den Hals und drückte ihnen die Luft ab. Leia schnappte sich ihre Blaster und warf Han einen davon zu. Der ließ die Wachen los, fing die Waffe aus der Luft und rüstete sich zum Kampf.
Soresh hatte sich wie eine rylotheanische Schutta aus dem Staub gemacht, und Luke war nirgendwo zu sehen. Es blieb jedoch niemandem viel Zeit, den anderen zu suchen. Der Bereich wimmelte vor Wachen, und die Luft war erfüllt von Rauch. Überall zuckten Laserblitze auf. Der Lastgleiter schwebte im Kreis. C-3PO, der einen Blaster gefunden hatte, schoss ziellos um sich, traf allerdings kaum etwas. Han schoss weiterhin auf die Feinde, während er in Deckung rannte. „Hinter dir, Chewie!", rief er. Der Wookiee wirbelte herum und brachte mit seinen Fäusten drei Wachen auf einmal zu Fall. Han hatte hinter einem niedrigen Schuppen Deckung gefunden und schoss immer dann, wenn sich eine gute Gelegenheit ergab. Er sah Leia und Chewbacca in vielleicht fünfzig Metern Entfernung hinter einem ähnlichen Bauwerk Deckung suchen.
Han überprüfte seine verbleibende Munition und machte sich bereit loszulaufen. Hinter dem kleinen Gebäudekomplex gab es nichts als eine weite Fläche voller riesiger
Felsklötze, ohne Anzeichen von Zivilisation. Sie mussten weniger als einen Kilometer hinter sich bringen, um in Sicherheit zu gelangen. Zumindest würden sie dann sicherer sein als hier.
„Wer wagt, gewinnt", murmelte Han. Dann erstarrte er mitten in der Bewegung.
An seinem Hinterkopf spürte er den verräterischen Abdruck einer Blastermündung. „Keine Bewegung", sagte eine emotionslose Stimme. „Auf die Knie!"
„Na was denn jetzt?", fragte Han wütend, ließ sich aber auf die Knie sinken. Dann bereitete er sich auf das Unvermeidliche vor. „Du musst ja ein ganz schöner Held sein, wenn du jemanden in den Rücken schießt", murmelte er.
Erwartungsgemäß reagierte der Mann nicht. Offenbar verbesserte die Gehirnwäsche die Konversationsfähigkeiten nicht.
„Worauf wartest du noch?", stieß Han hervor. Wenn dies das Ende sein sollte, gab es keinen Grund, es noch länger hinauszuzögern. Er machte sich bereit zuzuschlagen, trotz der geringen Chance. Auf keinen Fall würde er wieder in einer dieser Zellen enden und auf die Hinrichtung warten. Bevor er das zuließ, würde er bis zum letzten Atemzug kämpfen.
Aber bevor Han etwas unternehmen konnte, hörte er das explosive Geräusch eines Blasterschusses - spürte aber keinen Schmerz.
Und er kniete noch. Der Blaster an seinem Kopf war nicht mehr zu spüren. Als Han sich umdrehte, sah er einen der Wachmänner tot im Staub liegen. Luke stand mit dem Blaster in der Hand neben dem Toten. Eine schmale Rauchfahne stieg aus der Mündung seiner Waffe.
„Alles klar?", fragte Luke, als er Han die Hand hinstreckte und ihn auf die Beine zog.
„Luke?", fragte Han. Er war sich nicht sicher, ob er auf der Hut oder erleichtert sein sollte. „Du weißt, wer ich bin?"
„Natürlich weiß ich, wer du bist", nickte Luke und zog Han weiter hinter die Gebäude, außer Sichtweite. Leia und Chewbacca hielten ein permanentes Sperrfeuer aufrecht, während sie sich Stück für Stück zurückzogen. Die Wachen kauerten alle hinter Gebäuden oder Felsen.
Han war erleichtert zu sehen, dass Luke wieder er selbst war - fast so erleichtert wie über den Umstand, noch zu leben.
„Und vorhin ...?"
„Das war nur gespielt", antwortete Luke. „Ich musste Soresh das Gefühl geben, er hätte gewonnen. Anders finden wir nie heraus, was er vorhat."
„Ich glaube, wir haben es gerade herausgefunden", erwiderte Han. „Er hat vor, uns umzubringen. Wie wäre es also, wenn wir hier verschwinden, bevor er es wieder versucht."
Der Falke stand nicht weit entfernt, und Han hatte keinen Zweifel daran, dass sie die Wachen ausschalten und von diesem Felsklotz verschwinden konnten. Und zwar allesamt.
Doch Luke schüttelte den Kopf.
„Es geht nicht nur um uns", sagte Luke. „Ich habe ein paar Dinge gehört ... Soresh hat einen größeren Schlag gegen die Rebellenflotte vor, dessen bin ich mir sicher."
Han hatte bereits einen ähnlichen Verdacht geschöpft. „Ein Grund mehr, hierzu verschwinden, Junge. Abhauen, rechtzeitig zum Abendessen zu Hause sein, und alles ist gut."
„Ich muss hierbleiben", erwiderte Luke ruhig, aber eindringlich. „ Ich habe ... Ich habe einfach das Gefühl, dass ich hier sein muss. Dass meine Gegenwart hier die einzige Chance ist, alle zu retten."
„Ist das wieder dein Jedi-Hokuspokus?", brummte Han mürrisch.
„Es ist mein Bauchgefühl", sagte Luke.
Dagegen hatte Han nichts einzuwenden. Er drückte Luke einen Comlink in die Hand. „Du kannst uns rufen, wenn du uns brauchst", sagte ermissmutig. Er versuchte zu verbergen, wie besorgt er in Wirklichkeit war. Der Junge lud sich eine gewaltige Last auf, und Han war sich nicht sicher, ob er ihr gewachsen war - ob überhaupt irgendjemand ihr gewachsen war. „Wir werden auf dich warten."
„Danke", sagte Luke. „Jetzt brauche ich noch etwas von dir."
„Was immer du willst."
Luke zögerte. „Vertraust du mir?"
Für Han verhieß diese Frage nichts Gutes. „So weit, wie ich jedem vertraue", sagte er. Viel sagte das nicht aus, doch Han war nicht bereit, weiter zu gehen. „Was brauchst du?"
Luke deutete ein Lächeln an. „ Du musst auf mich schießen."
Luke lag mit einer klaffenden Blasterwunde in der linken Schulter am Boden. Er spürte den Schmerz kaum. Stattdessen empfand er Freude und Erleichterung, dass seine Freunde noch lebten. Und nicht nur das - sie waren frei. Mit diesem Wissen konnte er alles, was nun vor ihm lag, leichter ertragen. Nun, da er wusste, dass sie in Sicherheit waren, konnte er Soreshs Spiel mitspielen und so lange wie nötig vorgeben, ein leerer und gehorsamer Sklave zu sein. Es gab also doch noch Hoffnung - für seine Freunde, für die Rebellenflotte und für ihn selbst.
Er hörte Schritte näher kommen und schloss die Augen. Einen Augenblick später tippte ihn jemand mit dem Stiefel in die Seite. „Hm?", sagte er leise und gab vor, aus der Ohnmacht zu erwachen. Soresh, flankiert von zwei Wachen, stand bei ihm, kochend vor Wut.
„Er ist entkommen", sagte Luke und stöhnte.
„Offensichtlich nicht, ohne dir ein kleines Abschiedsgeschenk dazulassen", sagte Soresh mit einer Geste auf die Wunde. „Schöne Freunde hast du."
„Freund?", fragte Luke. Er achtete darauf, zwar erstaunt, aber nicht neugierig zu klingen.
„Vergiss es", winkte Soresh ab und räusperte sich. „Ich gebe zu, dass diese Sache nicht so lief, wie ich sie geplant hatte, aber wenigstens hast du deine Treue bewiesen. Ich bin stolz auf dich."
„Danke", sagte Luke.
„Dennoch hast du deinen Auftrag nicht erfüllt", sagte Soresh streng. „Und dafür musst du bestraft werden."
Luke zwang sich zur Ruhe. Leia und Han sind in Sicherheit, dachte er. Das ist das Einzige, was zählt
Soresh machte eine abrupte Kopfbewegung in Richtung der Wachen. Die beiden Männer griffen nach Luke und hoben ihn ruppig vom Boden. „ Bringt ihn nach drinnen und lehrt ihn, mich nie wieder zu enttäuschen!"