Die 5 Elemente und die chinesischen Syndrome
Als gute Naturbeobachter bemerkten die Taoisten, dass ein wesentliches Prinzip allen natürlichen Vorgängen zugrunde liegt: das Prinzip dynamischer zyklischer Abläufe. Sie beobachteten Veränderungen in der Natur, die immer wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückfinden. Um diese kreisförmigen Veränderungen zu beschreiben, entwickelten sie das System der 5 Elemente, auch das System der 5 Wandlungsphasen genannt.
Die Kreisläufe in der Natur machen bestimmte Phasen durch, wie Frühling, Sommer, Spätsommer, Herbst und Winter. Diese Phasen finden sich auch in allen Naturprozessen; so gibt es die Phase der Geburt, der Kindheit, der Jugend, des Erwachsenen- und des Greisenalters. Alle Phasen lassen sich auch durch die Symbole Yin und Yang beschreiben, so ist die Phase der Geburt Yang und die Phase des Todes Yin. Yin und Yang betonen eher den polaren Charakter, während die 5 Elemente mehr dem zyklischen Verlauf gerecht werden.
Die Bezeichnung »5 Elemente« entstand, weil sich die Chinesen bei ihrer Beschreibung der Elemente bedienten, die sie in ihrer Umwelt vorfanden – und das sind Holz, Feuer, Erde, Metall und Wasser.
Dabei darf der Begriff »Element« nicht suggerieren, dass es sich um feste, abgegrenzte Einheiten handelt, vielmehr sind es Symbole für einen momentanen energetischen Zustand im Gesamtkreislauf natürlicher Vorgänge. Die Erde als nährendes Element, ohne das sich alle anderen Elemente nicht entwickeln können, stellt das Zentrum dar. Das Holz symbolisiert alles Werdende, Kreative, Sichentwickelnde. Das Feuer ist Höhepunkt aller Entwicklung, der zu einem Teil auch schon die Möglichkeit des Niedergangs in sich birgt. Das Metall ist das Element der Härte, Schwere und der Tendenz des Fallenden, des In-sich-Zusammensinkenden, Sichverschließenden und Konzentrierenden. Vollständig wird dieser Zustand im Element Wasser erreicht: Es ist kalt, dunkel (in der Farbe des Ozeans) und tief.
Zuordnungen
Den Elementen haben die Chinesen entsprechende Erscheinungen in der Natur zugeordnet. So gehört zum Element Holz die Jahreszeit Frühling als Jahreszeit des Wachstums. Zum Feuer gehört der Sommer, die Jahreszeit der Vollendung des Wachstums, der Blüte und auch der Hitze. Zur Erde gehört die Jahreszeit des Spätsommers, die Zeit der Reife und der frühen Ernte. Das Metall repräsentiert die Zeit des Herbstes, die Zeit der bereits geernteten Felder. Schließlich das Wasser: Es symbolisiert den Winter, die Zeit der Kälte, der Stille und der Besinnung.
Weiterhin sind den Elementen, außer den Jahreszeiten und den Farben, auch bestimmte Gefühle zugeordnet. So gehört zum Holz der Schaffensdrang, ein Impuls, der, wenn er gebremst wird, zu Zorn und Wut führt. Zum Feuer gehört die Freude, zur Erde die Empfindung des Mitgefühls, der Sympathie und der Sorge um andere Menschen. Das Metall symbolisiert Nachdenklichkeit und Trauer. Das Wasser Furcht und Angst.
Unter den einzelnen Kategorien der 5 Elemente werden jeweils Erscheinungen zusammengefasst, die ähnliche qualitative Eigenschaften besitzen. Viele dieser Zuordnungen kann man nicht logisch überprüfen, sie sind aber dem intuitiven Verständnis und der unmittelbaren Lebenserfahrung umso zugänglicher. Allein unsere Umgangssprache gibt hierfür viele Hinweise.
Wichtig
5 Elemente – 12 Organe
Ihre besondere Bedeutung für die Chinesische Medizin erhalten die 5 Elemente aber erst durch das Einbeziehen der 12 Organe. Zum Holz gehören das Yin-Organ Leber und das Yang-Organ Gallenblase, zum Feuer gehören das Yin-Organ Herz und das Yang-Organ Dünndarm (sowie Perikard und der so genannte dreifache Erwärmer »Sanjiao«), zur Erde das Yin-Organ Milz/Pankreas und das Yang-Organ Magen, zum Metall das Yin-Organ Lunge und das Yang-Organ Dickdarm und zum Wasser das Yin-Organ Niere und das Yang-Organ Blase.
Sprichwörtlich betrachtet
So sagen wir zum Beispiel, dass einem wütenden Menschen »eine Laus über die Leber gelaufen sei«, und stellen damit die Beziehung zwischen der Emotion Wut und dem Organ Leber in der gleichen Weise her wie die Chinesen. Redewendungen wie »das Herz springt vor Freude«, man »tanzt vor Freude um das Feuer«, ein »warmherziger« Mensch oder ein Mensch von »feurigem« Temperament oder »feurigem« Geist beinhalten Assoziationen, die im Element Feuer von den Chinesen beschrieben werden. Weiterhin gibt es das Sprichwort: »Liebe geht durch den Magen.« Entsprechend der Chinesischen Medizin wird hier die Verbindung zwischen Sympathie und Magen im Erdelement betont.
Jede Emotion wirkt sich auf die Organe aus.
Thomas Mann beschreibt in seinem Roman Der Zauberberg die beklemmende Atmosphäre in einem Tuberkulosesanatorium, in dem lungenkranke Menschen traurig dahinvegetieren. Dass die Organe Blase und Niere dem Wasserelement zuzurechnen sind, ist leicht nachvollziehbar. Wenn wir davon sprechen, dass jemand vor Furcht zittert oder sogar friert – Wasser ist kalt – oder »sich gar in die Hosen macht«, so wissen auch wir von der Verbindung von Angst und Niere im Wasserelement.
Beschäftigt man sich näher mit diesen Entsprechungsreihen, so findet man verblüffende Zusammenhänge, beispielsweise den zwischen Niere, Knochen, Ohr und der Farbe Schwarz. Auf den ersten Blick mag dies unverständlich scheinen. Doch wissen wir aus der Medizin, dass Patienten mit einer chronischen Niereninsuffizienz durch die Einlagerung spezieller Salze in die Haut eine dunkle Hautfarbe bekommen und dass ihre Knochen brüchig werden, da nicht mehr genügend Kalk eingelagert wird. Auch vermindert sich häufig die Hörfähigkeit.
Die wechselseitige Beeinflussung
Um die Veränderungen der einzelnen energetischen Phasen in den 5 Elementen darzustellen, entwickelten die Chinesen die verschiedenartigsten Theorien über die Beeinflussung der Elemente untereinander.
Die zwei wichtigsten Theorien wechselseitiger Beeinflussung sind für die Medizin der fördernde oder Sheng-Zyklus und der hemmende oder Ko-Zyklus.
Der fördernde Zyklus beschreibt, wie aus dem Element Holz, durch Feuer zu Asche verwandelt, die Erde entsteht, in der man Erz findet, aus dem wiederum Metall gegossen werden kann. Aus dem Erzgestein mag das Wasser herausfließen, und ohne Feuchtigkeit kann aus der Erde kein neues Leben entstehen, keine Pflanzen, folglich also auch kein Holz.
Die hemmenden Vorgänge in der Natur lassen sich ebenso gut mit den 5 Elementen darstellen: Das Holz wächst aus der Erde hervor und entzieht der Erde Mineralstoffe. Die Erde dämmt das Wasser ein oder saugt es auf. Das Wasser löscht das Feuer und das Feuer schmilzt das Metall. Schließlich zerstört das Metall – wie die Axt den Baum – als härteres Element das Holz.
Im Kreislauf der Organe
Was hier für die 5 Elemente im Allgemeinen gilt, gilt natürlich auch für sämtliche Glieder der Entsprechungsreihe. So fördern sich die Organe unseres Körpers in gleicher Weise wechselseitig. Eine energetische gesunde Leber nährt das Herz, wie die Chinesen sagen. Das Herz sorgt, wenn es im energetischen Gleichgewicht ist, für das Wohlergehen von Milz/Pankreas und Magen. Diese Organe wiederum nähren die Lunge und den Dickdarm, Letztere schließlich Niere und Blase.
Entsteht in diesem Kreislauf ein Stau, zum Beispiel durch eine Blockade des Energieflusses Qi oder durch eine Erkrankung eines Organs, tritt in diesem Organ ein Energiemangel auf. Dies bewirkt im gesamten Kreislauf ein energetisches Ungleichgewicht.
Ist der Energiefluss der Leber zum Herzen blockiert, so mag in der Leber eine Qi-Fülle entstehen, das heißt ein Übermaß an Lebensenergie, was sich eventuell durch Kopfschmerzen äußert, wogegen es dem Herz zum gleichen Zeitpunkt an Qi mangeln kann. Ist ein Organ chronisch erkrankt, zum Beispiel die Niere, dann kann es im folgenden Organ, zum Beispiel in der Leber, zu einer Energieleere kommen.
Syndrome
Noch wichtiger, insbesondere bei der Diagnostik und Therapie von organbezogenen Erkrankungen, sind die chinesischen Syndrome. Hierunter versteht man Muster von Symptomen, Befindensstörungen und Erkrankungen, die häufig gleichzeitig auftreten. Diese Muster weisen auf eine energetische Störung hin, meist der inneren Organe.
So sind für Erkrankungen des Bewegungsapparats Syndrome der Organe Niere, Leber und Milz/Pankreas von Bedeutung. Dies erklärt sich aus der Zuordnung dieser Organe zu für den Bewegungsapparat wichtigen Körperstrukturen: Niere ist dem Knochen zugeordnet, Leber dem Muskel und Sehnengewebe und Milz/Pankreas dem Bindegewebe. Syndrome der Lunge und des Herzens spielen vor allem bei internistischen Erkrankungen wie Herzrhythmusstörungen, Schlafstörungen, chronischer Bronchitis, Allergie und Asthma eine Rolle.
Gut zu wissen
Syndromdiagnostik
Symptome müssen nicht durch bestimmte anatomische Veränderungen der Organe verursacht sein. Somit ermöglichen die Syndrome eine Diagnostik und Therapie bei Erkrankungen auch dann, wenn die anatomische Ursache unklar ist. Syndrome zu erkennen ist besonders bei der Therapie innerer Erkrankungen wichtig. Die Syndromdiagnostik ist schwierig und wird nur von wenigen Ärzten beherrscht. Sie erfordert eine ausführliche chinesische Diagnostik. Hierzu gehört die klinische Diagnostik ebenso wie die Zungen- und Pulsdiagnostik.
Vielfältige Syndrommuster
Beispiel für ein chinesisches Syndrommuster, das sich häufig bei chronischem Kreuzschmerz findet, ist die Kombination von breitflächigem Rückenschmerz, Kniegelenkschmerz mit Schwellung der Gelenke, Verschlechterung der Beschwerden durch Feuchtigkeit, Kälte und Ruhe, Besserung durch leichte Bewegungen und Wärme, allgemeiner Antriebsschwäche, kalten Extremitäten, insbesondere kalten Füßen, Hörstörungen, Tinnitus, Schwindel, verminderter sexueller Lust. Nicht immer müssen alle Einzelsymptome bei diesem als »Nieren-Yang-Schwäche mit Milz/Pankreas-Nässe« bezeichneten Syndrom gleichzeitig vorhanden sein.
Ein anderes Syndrom, die Herz-Yin-Schwäche, kann sich äußern durch Herzstolpern, Schlafstörungen, blasses Gesicht mit etwas geröteten Wangen, einer roten spitzen Zunge, leichtem Wärmegefühl des Kopfes, vielleicht auch der Hände, Schreckhaftigkeit, Vergesslichkeit und eventuell Fadenrisse der Gedanken. Übrigens: Wenn jemand mehrere Nächte nicht geschlafen hat wie bei Schichtdienstarbeiten, kann er Teile dieses Syndroms bei sich selbst beobachten.
Diagnostik und Therapie des energetischen Zustands
Energiefülle oder Energieleere im einzelnen Element lässt sich mithilfe der Entsprechungsreihen meist gut diagnostizieren (siehe Tabelle → Seite 48). So können die charakteristischen Emotionen verändert sein. Ein Mensch kann keine Freude mehr empfinden, wenn ihm Qi-Energie im Feuerelement fehlt. Vielleicht bevorzugt er süße Speisen, um die Verdauungsorgane Magen und Milz/Pankreas zu stärken, deren energetische Schwäche häufig mit übertriebener Sorge einhergeht. Seine Beschwerden treten vornehmlich im Frühling auf oder werden durch Zugluft bedingt, was auf eine Störung im Holzelement hinweist. Nimmt man hierzu noch die Zungen- und die Pulsdiagnose, die ihrerseits Hinweise auf spezifische Störungen in den einzelnen Organen und Elementen geben, so kann eine chinesische Diagnostik sehr genaue Aussagen über den energetischen Zustand der einzelnen Elemente machen. Dann versteht man leicht, dass die unterschiedlichsten Symptome mit der Theorie der 5 Elemente auf einen »energetischen Nenner« gebracht werden können.
Punktauswahl nach den 5 Elementen.
Aufgabe des Akupunkturarztes ist es, bei einem gestörten Gleichgewicht die Energiebalance in den 5 Elementen wieder herzustellen. Hierzu bedient er sich spezieller Akupunkturpunkte, die Beziehung zu den einzelnen Elementen aufnehmen.
Zwölf Meridiane besitzen einen Holz-, Feuer-, Erde-, Metall- und Wasserpunkt. Je nachdem, ob man diesen Punkt in beruhigender (sedierender) oder stärkender (tonisierender) Weise sticht und stimuliert, kann man Energie zu den entsprechenden Elementen hin- oder von diesen ableiten.
Zuordnungen zu den 5 Elementen
Das System der 5 Elemente ist eher philosophisch als wissenschaftlich fundiert. Freilich sollte man nicht vergessen, dass es wie andere chinesische Erfahrungen den Schatz jahrtausendelanger Naturbeobachtung beinhaltet. Als therapierender Arzt gewinnt man die schlüssigen Einsichten in den Zusammenhang einzelner Symptome und erlebt bei der Behandlung der Beschwerden die erstaunlichsten Erfolge.
Eine Akupunkturbehandlung nach den Regeln der 5 Elemente wird jedoch nicht immer und nicht immer als Erstes eingesetzt. Viele Erkrankungen lassen sich ohne Rückbezug auf diese Theorie behandeln.
Prädestiniert für eine Akupunktur nach der Theorie der 5 Elemente sind jedoch innere Beschwerden mit Funktionsstörungen unterschiedlicher Organe, Erkrankungen, die mit psychischen Veränderungen einhergehen oder zu bestimmten Jahreszeiten regelmäßig, dagegen zu anderen Jahreszeiten niemals auftreten, sowie Funktionsstörungen, die den gesamten Menschen in seiner Umwelt erfassen, ohne sich dabei auf die Erkrankung eines einzigen Organs zu reduzieren.