Kapitel 15
»Julia?«
Meine neue Mitbewohnerin lag quer in ihrem Bett und hob den Kopf, um von einem ihrer zahlreichen Medizinbücher aufzusehen. »Ja?«
»Kann ich reinkommen?«
»Scarlett, du kannst immer reinkommen, wenn die Tür offen ist.«
Ich lächelte, trat ein und nahm auf ihrem Bett Platz. »Ich bin neugierig. Warum lässt du immer die Tür offen?«
Julia legte ihr Buch zur Seite. Anschließend setzte sie sich im Schneidersitz vor mir hin. »Du machst nie laute Geräusche, wenn du weißt, dass ich lerne. Warum sollte ich also die Tür zumachen?«
»Ich will dich nicht stören«, sagte ich. »Du bist immer so vertieft in deine Bücher.«
Julia reagierte mit einem der für sie typischen verlegenen Blicke, die ich so mochte. Sie war ein Lernjunkie. Sie liebte es, aber darauf angesprochen, reagierte sie immer peinlich berührt, als würde man ihr vorwerfen, fanatische Gartenzwergsammlerin zu sein oder so.
Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Manchmal war sie total süß.
»Wenn du möchtest, kann ich die Tür zukünftig schließen«, sagte Julia. »Du willst sicher zwischendurch auch mal lauter sein und nicht ständig wegen mir wie auf Eierschalen laufen.«
Ich schüttelte den Kopf. »So ein Quatsch. Keine Ahnung warum, aber irgendwie beruhigt es mich immer, dich lernen zu sehen.«
Meine Worte wurden mit einem strahlenden Lächeln belohnt. »Wirklich?«
Ich wippte enthusiastisch mit dem Kopf.
»Wenn … ähm, wenn du willst, können wir ja auch mal zusammen lernen.«
Meine Augenbrauen schossen nach oben. »Zusammen lernen? Wie meinst du das? Julia, hast du es noch nicht gemerkt? Wir lernen unterschiedliche Sachen.« Ich beugte mich vor und klopfte Julia spielerisch aufs Knie. »Außerdem sagt Nathalie immer, ich hätte Hummeln im Hintern. Ich weiß nicht, ob du dich dabei gut konzentrieren könntest.«
Julia senkte den Blick. »Ich dachte, wenn es dich wirklich beruhigt, mich lernen zu sehen, wäre es doch keine schlechte Idee, wenn wir … sagen wir mal, nebeneinander lernen.«
Der Vorschlag war zumindest eine Überlegung wert. Derzeit schob ich das Lernen immer auf, anstatt mich regelmäßig hinzusetzen, und wurde fast panisch, wenn es sich nicht mehr hinauszögern ließ. »Und wie stellst du dir das vor?«
Julia machte eine ausladende Bewegung über ihr großes Futonbett. »Wir liegen hier und jede lernt für sich.«
Ich rieb mir das Kinn. »Und warum solltest du das tun?«
Julia zuckte mit den Schultern. »Es würde mich echt nicht stören. Warum also nicht?«
Ich betrachtete sie eine Weile. Sie hatte recht: Warum eigentlich nicht? »Na ja, wir können es ja mal versuchen.«
* * *
Ich warf meinen Bleistift hin. »Ich werde es nie verstehen.«
Wie schon so oft in den letzten Wochen, seitdem wir angefangen hatten, gemeinsam auf ihrem Bett zu lernen, stützte Julia den Kopf auf ihre Hand. »Wo genau liegt das Problem?«
Ich schob meine Notizen zur Seite und lehnte mich ruckartig zurück. »Verdammtes internationales Privatrecht.« Ich zeigte mit dem Finger auf eines der vielen Übungsblätter und meine kommentierte Gesetzessammlung.
Julia nahm das Aufgabenblatt in die Hand und legte mir mein Buch auf den Schoß. »Lass uns das Problem mal Schritt für Schritt analysieren. Bis wohin ist alles klar und wo beginnt es, schwierig zu werden?«
Die folgende halbe Stunde sprachen wir über das Problem.
Es konnte Julia unmöglich interessieren, aber sie tat zumindest so.
Nach einer Weile hatte ich, wie meistens nach einer Diskussion mit Julia, doch eine Lösung gefunden und Julia erhob sich. »Was meinst du? Soll ich uns Kakao machen?«
Ich strahlte sie an. »Du bist die Beste.«
* * *
Nathalie ließ ihren Rucksack auf den Boden plumpsen und schloss die Eingangstür. »Hey, Süße. Ich dachte, ich hol dich heute mal ab. Damit du zur Abwechslung mal pünktlich zu einer Vorlesung kommst.« Sie musterte mich. »Aber wie die Sache aussieht, kommen wir jetzt beide zu spät.«
Ich stand in ein Badetuch gewickelt im Gang und rubbelte mit einem Handtuch durch meine noch nassen Haare. »Hi. Das schaffen wir schon. Keine Sorge.« Ich schlenderte in mein Zimmer und Nathalie folgte mir.
Als ich mich umdrehte, bemerkte ich, wie Nathalie mit den Augen rollte.
»Dein Wort in Gottes Gehörgang.«
Ich stupste ihren Arm. »Genug jetzt. Heute hab ich eine gute Ausrede dafür, spät dran zu sein.«
Nathalie ließ sich aufs Bett fallen. »Na, da bin ich ja mal gespannt.«
Ich drehte mich zu Nathalie und bemerkte ihr Starren. »Was ist los?«
»Wow. Man sieht mittlerweile echt, dass du trainierst.«
Meine Wangen glühten. »Danke«, sagte ich leise und schaute zu Boden.
Nathalie setzte sich auf. »So, jetzt erzähl. Was ist deine Ausrede?«
Ich räusperte mich. Durch ihre Bemerkung wurde mir erst bewusst, dass sie mich gerade nackt sah. Am besten ignorierte ich das einfach. Es war schließlich nichts dabei. »Julia hat sich erkältet und hat ihren Wecker nicht gehört.« Ich zog meine Unterwäsche an.
»Und?«
»Und als ich aufstand und das Frühstück noch nicht fertig war, hab ich nach ihr gesehen.« Nachdem der BH gut saß, streifte ich mir die bereitgelegte Bluse über.
Nathalie runzelte die Stirn. »Sie macht jeden Morgen Frühstück für euch?«
Was sollte ich dazu sagen? Julia war nun mal die Beste. »Ja.« Ich schüttelte den Kopf und knöpfte die Bluse zu. »Aber das ist doch jetzt egal. Jedenfalls war sie total blass und auch heiser, als ich sie weckte.«
»Aha.«
»Ich hab Julia gesagt, sie soll liegen bleiben. Dann hab ich Frühstück gemacht und es ihr ans Bett gebracht. Statt Kaffee gab‘s für sie Tee.«
Nathalie nickte. »Und das dauerte so lange?«
Ich griff nach meiner Jeans und zog sie an. »Na ja, ich hab ihr auch Hühnerbrühe gemacht und in eine Thermoskanne gefüllt.«
Nathalie hob eine Augenbraue. »Du hast Hühnerbrühe gemacht?«
Ich betrachtete meine Füße. »Instant«, murmelte ich und schnappte mir meinen Gürtel.
Nathalie grinste und schüttelte den Kopf. »Meine Güte, ihr seid echt wie ein altes Ehepaar.«
Ich stemmte die Hände in die Hüften. »Jetzt übertreib mal nicht. Das hättest du für mich doch auch gemacht, als wir noch zusammen gewohnt haben, oder?«
Nathalie wich meinem Blick aus. »Äh, ja … klar.«
Ich verglich zum ersten Mal mein Zusammenleben mit Nathalie und Julia. Julia ließ nie Handtücher liegen oder, wie Nathalie, die Zahnpastatube offen. Ich übernahm das Bügeln, wenn nötig, und Julia kümmerte sich ums Wäschewaschen. Ohne vorher wirklich was geplant zu haben, wohnten Julia und ich vollkommen harmonisch zusammen. Nathalie war da sehr viel schwieriger gewesen. Oft fragte ich mich, ob Julia genauso fühlte wie ich oder ob ich »ihre Nathalie« war.
Nathalies Räuspern riss mich aus den Gedanken. »Darf Julia krank überhaupt im Krankenhaus arbeiten? Steckt sie da nicht die Patienten an?«
Ich winkte ab. »Hab versucht, Julia zu überzeugen, zumindest heute im Bett zu bleiben. Aber sie ist jetzt für ein paar Wochen in der Tagesklinik, die ans Krankenhaus angeschlossen ist. Da gibt‘s nur Psychiatriepatienten. Also ist es kein Problem, meint sie.«
»Verstehe.« Nathalie holte tief Luft. »Also läuft es gut zwischen dir und Julia?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wir kommen miteinander aus.«
Nathalie schaute sich im Raum um und fummelte an einer Ecke meiner Tagesdecke rum. »Wenn man euch in letzter Zeit so sieht, könnte man wirklich denken, dass … dass da mehr ist.«
Ich stoppte in meiner Bewegung, mir die Haare zu kämmen, und setze mich neben sie. »Was?« Hatte ich mich verhört? Ich starrte sie an. »Wie kommst du denn auf so eine absurde Idee?« Mein Magen krampfte sich zusammen.
Nathalies Blick war auf ihre mit der Decke spielenden Hände fixiert. »Ich und Daniel haben neulich mal drüber geredet.«
»Worüber? Und hör auf, mit der Decke zu spielen. Das macht mich ganz nervös.«
Nathalie legte die Hände in den Schoß und biss sich auf die Unterlippe. Irgendwann sah sie mich an. »Scarlett, du und Julia, ihr … das musst du doch sehen.«
Was zur Hölle war hier los? »Wovon redest du?«
Nathalie begann erneut, mit der Decke zu spielen, stoppte aber nach wenigen Momenten wieder. »Du bist meine beste Freundin, weißt du?«
Ich lächelte und versuchte, mich zu entspannen. »Und du meine. Also, raus damit.«
Nathalie seufzte. »In den vergangenen Wochen sind du und Julia fast unzertrennlich geworden.«
»Wir wohnen zusammen.« Meine Stimme wurde lauter. »Was erwartest du?«
»Ja, schon. Aber ihr geht ja auch immer zusammen weg und redet über die andere, wenn ihr mal nicht gemeinsam unterwegs seid.«
Ich legte den Kopf zur Seite. Langsam wurde klar, was hier los war. »Du bist eifersüchtig.«
»Was? Nein.« Nathalie schüttelte den Kopf. »Nein, das ist es nicht.«
Ich stand auf. Was auch immer sie sagte, die Sache war klar. »Ihr seid beide meine besten Freundinnen. Wenn du mehr Zeit mit mir verbringen möchtest, dann sag mir das doch.« Ich griff nach meinem Rucksack. »Jetzt lass uns gehen. Wir sind schon spät genug dran.«
* * *
»Ich versteh es nicht«, sagte Julia wie immer, wenn wir zusammen auf der Couch saßen und Titanic schauten. »Wieso hat die junge Rose grüne und die alte blaue Augen?«
Ich kicherte. Wie konnte sich eine intelligente Frau wie Julia ständig an demselben Filmfehler aufhängen?
Julia guckte mich todernst an. »Das ist nicht witzig.«
Ich grinste. »Doch, ist es.«
Sie begann zu lächeln und wuschelte mir durchs Haar.
»Hey«, protestierte ich und boxte Julia scherzhaft die Schulter. Anschließend lehnte ich mich bei ihr an. Bei Julia fühlte ich mich immer so ruhig und beschützt. Ich hätte nicht gedacht, eine solche, rein freundschaftliche Nähe mit einer Lesbe haben zu können. Obwohl … ich mochte es gar nicht, auf diese Weise an Julia zu denken. Sie war nicht Julia, die Lesbe. Sie war einfach Julia.
* * *
»Wer kommt denn da?«, rief Daniel, als Julia und ich gegen acht Uhr im »Versteck« auftauchten. »Wenn das mal nicht unser Traumpaar ist.«
»Willst du nicht mal einen anderen Spruch bringen?«, brummte ich und schaute zu Julia, die mit den Augen rollte.
In letzter Zeit machten Daniel und Nathalie ständig solche Scherze. Anfangs hatte es mich geschockt. Ausgerechnet mich in diese Ecke zu stellen. Mittlerweile nervte es mich nur noch. Sie behaupteten, so tolerant zu sein, aber dass eine heterosexuelle Frau mit einer Lesbe bloß eine platonische Freundschaft hatte, war für sie offenbar undenkbar.
»Hi, Mädels, was kann ich meinem Lieblingspärchen heute bringen?«, fragte Lucy, unsere Stammbedienung.
»Du nicht auch noch«, stöhnte Julia.
Lucy schaute irritiert auf ihren Notizblock.
Daniel und Nathalie lachten und ich warf ihnen einen bösen Blick zu.
»Hab ich was verpasst?«, fragte Lucy und guckte zwischen allen Beteiligten hin und her.
»Julia und ich sind kein Paar«, sagte ich. »Ich bin heterosexuell und stehe auf Männer. Irgendwelche Fragen?«
Lucy öffnete den Mund, sagte jedoch nichts. Sie sah zu Nathalie und Daniel, anschließend wieder zu mir und Julia. »Okay«, sagte sie, aber es klang fast wie eine Frage. Lucy räusperte sich. »Was wollt ihr trinken?«
»Guinness«, murmelte ich und starrte auf den Tisch vor mir. Ich war wirklich sauer. Was war bloß los mit allen? Fanden die das etwa witzig?
»Ich auch«, sagte Julia.
»Okay. Kommt sofort.« Lucy drehte sich um und ging einen Schritt, blieb aber dann stehen und wendete sich uns wieder zu. »Tut mir echt leid, Scarlett.« Sie schaute auch zu Julia.
Die ignorierte Lucy jedoch und begann, eine Bierdeckelpyramide zu bauen.
Ich nickte. Kaum war Lucy verschwunden, sagte ich: »Ihr müsst echt alle an euren Vorurteilen arbeiten.«
Nathalie und Daniel sahen einander mit gerunzelter Stirn an.
* * *
»Was grinst du denn so?«, fragte Julia.
Ich sah auf. »Tue ich das?«
Julia ließ sich neben mich auf die Couch fallen. »Machte zumindest den Anschein.« Ihr Blick landete auf dem fast leeren Becher Ben and Jerry‘s Eiscreme in meiner Hand. »Ist das der Letzte?«
Ich schaute auf den Becher und murmelte: »Kann schon sein.«
Julia griff nach dem Löffel und schaufelte sich etwas Eis in den Mund. Dann gab sie mir den Löffel wieder. »Du denkst wohl, nur weil du jetzt auch dreimal pro Woche im Fitnessstudio trainierst, kannst du es dir leisten, jede Woche einen Liter von diesem Zeug zu verdrücken.« Nach einer kurzen Pause tippte sie mit dem Zeigefinger meine Nase an. »Und du hast recht damit.« Sie stand auf und ging zur Tür.
»Du bist also nicht böse, dass ich dir wieder nichts übrig gelassen habe?« Ich konnte nicht glauben, wie leicht sie mir immer vergab, wenn ich unser letztes Eis platt machte.
Julia war schon halb aus der Tür und winkte ab. »Nicht, wenn du gleich mit ins Studio kommst.«
Ich sprang von der Couch auf. »Lass uns gehen.«
* * *
»Julia, Julia!« Ich schmiss die Eingangstür hinter mir zu und hastete von Raum zu Raum auf der Suche nach meiner Mitbewohnerin. Ich bog in die Küche ein und prallte gegen Julia. »Uff.«
Julia hielt mich an den Schultern fest. »Was ist los?«
Ich schloss sie in die Arme. Als ich sie wieder losließ, begann ich, auf und ab zu springen. »Die Ergebnisse der Zwischenprüfungen sind da.«
»Und?«
»Hab sie mir am PC in der Uni ausgedruckt.« Ich trat zurück und kramte das Blatt aus meinem Rucksack. Dann drückte ich Julia das Papier in die Hand.
Sie betrachtete die Ergebnisse einen Moment. Ihre Augen weiteten sich binnen Sekunden. »Wow.«
Ich sprang wieder auf und ab. »Die besten Noten, die ich jemals hatte. Nicht mal in der Schule war ich so gut. Yippie!«
Julia lächelte. »Ich bin so stolz auf dich.«
Ich sprang in ihre Arme und hielt sie ganz fest. »Ohne dich hätte ich das nie geschafft.« Und es war die Wahrheit. Julia war wirklich die beste Freundin, die man sich vorstellen konnte.
»Du hast das ganz allein geschafft.« Nach einem Augenblick fragte sie: »Was sagt denn Nathalie dazu?«
Ich löste mich von ihr. »Nathalie?« In meiner Eile, Julia die Ergebnisse zu zeigen, hatte ich Nathalie ganz vergessen. Ohne etwas zu sagen, eilte ich aus der Küche ins Wohnzimmer und schnappte mir das Telefon. Ich wählte Nathalies Nummer und schon nach dem zweiten Klingeln wurde abgenommen.
»Schmidt.«
»Nathalie, du wirst es nicht glauben …«
* * *
Wir standen vor dem Haus meiner Mutter und ich betrachtete Julia, die ihr Gewicht von einem Bein auf das andere verlagerte. Ich grinste bei dem Anblick. »Zappel nicht so rum. Meine Mutter wird dich schon nicht auffressen.« Ich strich eine Falte an Julias Bluse glatt und fuhr ihr durch das leicht zerzauste Haar.
»Keine Ahnung warum, aber ich bin nervös«, sagte Julia.
Ich schenkte ihr mein wärmstes Lächeln und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
Die Tür ging auf, obwohl ich noch gar nicht angeklopft hatte, und meine Mutter schaute uns an, als ob sie ein Insekt verschluckt hätte.
Was hatte sie bloß? Lächelnd öffnete ich die Arme und trat auf sie zu. »Hallo, Mama. Wie geht‘s dir?«
»Gut, mein Schatz.« Sie erwiderte die Umarmung. »Und dir?«
Ich löste mich von ihr. »Toll. Wirklich toll.«
Popeye kam kläffend angerannt und sprang mich schwanzwedelnd an.
Ich beugte mich kurz runter und kraulte ihn.
Popeye verlor an mir jedoch schnell das Interesse und wandte sich Julia zu.
Die ging in die Knie, hielt ihm die Hand hin und kraulte ihn hinter den Ohren, nachdem er ausgiebig geschnüffelt hatte. Kurz auflachend wich Julia Popeyes Zunge aus, die in Richtung ihres Gesichtes schlabberte.
Julias Lachen klang wie Musik in meinen Ohren. Ob sie so auch mit Dido gewesen war?
Mama unterdessen lächelte flüchtig, wandte den Blick von mir ab und musterte meine Freundin.
Julia sprang daraufhin auf, lächelte ebenfalls und streckte die Hand aus.
Ich trat einen Schritt zur Seite und meine Mutter ergriff zögerlich Julias Hand.
»Guten Tag, Frau Winter. Ich bin Julia Liebknecht. Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen. Scarlett spricht immer in den höchsten Tönen von Ihnen.«
Ich glotzte Julia an. Wann hatte ich das denn gemacht?
»Schön, dass wir uns endlich kennenlernen«, sagte meine Mutter. »Kommen Sie bitte rein.«
»Sie können mich ruhig duzen, Frau Winter. Ich habe da kein Problem mit.«
Mamas Augenbrauen schnellten nach oben, doch sie sagte nichts.
Wir gingen alle ins Wohnzimmer.
Popeye tapste hechelnd zwischen uns hin und her.
Ich und Julia nahmen nebeneinander auf der Couch Platz und meine Mutter auf dem Fernsehsessel links von uns.
Popeye sprang auf meinen Schoß und machte es sich gemütlich.
Julia streckte sofort ihren Arm aus und begann, Popeye zu streicheln.
Daraufhin schloss Popeye die Augen.
Es folgte Stille.
Meine Mutter musterte Julia und mich eingehend. Irgendwann räusperte sie sich. »Jetzt werde ich auf meine alten Tage noch unhöflich. Möchtet ihr etwas trinken?«
»Wasser«, sagte ich.
»Ich auch, bitte.« Julia sprach leise.
Meine Mutter stand auf.
»Warte, Mama. Ich helf dir.« Ich schob Popeye von mir runter und sprang auf.
»Danke, Schatz.«
* * *
»Ich nehm auch ein Glas«, sagte Mama, während sie eine Flasche Wasser aus dem Kühlschrank holte.
Ich stellte drei Gläser auf die Arbeitsplatte. Es gefiel mir gar nicht, dass meine Mutter nichts über Julia sagte. Sie redete im Allgemeinen nicht viel, aber ich hatte gehofft, wenigstens ein oder zwei Kommentare von ihr zu hören. Sie brauchte offenbar etwas Ermutigung. »Sprich Julia doch mal wegen deiner Arthrose an. Sie ist doch angehende Ärztin.« Ja, das war perfekt, um auf sie zu sprechen zu kommen, ohne direkt zu fragen: »Uuund?«
»Ich hab meinen Arzt, mit dem ich darüber sprechen kann. Außerdem ist Julia wahrscheinlich froh, mal nicht von Leuten mit ihren Wehwehchen belästigt zu werden.«
»Julia ist nicht so. Sie hilft gerne.« Ich goss die Gläser voll. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie meine Mutter mich anstarrte. »Was ist?«
»Ihr beide scheint sehr … vertraut miteinander.«
Ich stellte die Flasche beiseite und wirbelte zu meiner Mutter herum. »Mama, bitte fang du nicht auch noch damit an.«
»Auch noch? Womit?«
»Julia und ich sind beste Freundinnen. Wir mögen uns. Mehr ist da nicht.«
»Ich habe doch überhaupt nichts Anderes behauptet. Wie kommst du darauf, ich könnte denken, ihr wärt …?«
Sah ich mittlerweile schon Gespenster? Ich ließ die Schultern fallen. »Entschuldige. Es ist nur …« Ich holte tief Luft. »In letzter Zeit gab es einige dumme Kommentare in unserem Umfeld. Schätze, das ist normal, wenn eine heterose… eine normale Frau mit einer Lesbe befreundet ist. Das lässt mich nicht ganz kalt.«
Meine Mutter betrachtete mich. Ihre Gesichtszüge waren angespannt. »Vielleicht solltet ihr etwas auf Abstand gehen.«
Ich stoppte in meiner Bewegung, die Wasserflasche wieder in den Kühlschrank zu stellen. Meinte sie das ernst? »Da ist nichts zwischen mir und Julia. Nicht so was. Wie kannst du das bloß glauben?«
»Tu ich doch gar nicht.« Mama hob die Hände. »Sie scheint ein nettes Mädchen zu sein, aber wenn schon andere die Situation missverstehen, wie wird es dann erst Julia gehen?«
Ich hatte den Blick gesenkt und sah jetzt langsam wieder auf. »Du glaubst, Julia könnte denken, ich wäre …?«
Meine Mutter zuckte mit den Schultern. »Wer weiß schon, was in ihrem Kopf vorgeht?« Sie tätschelte mir den Arm. »Du wirst schon das Richtige tun.«
Ich kannte Julia jetzt seit einigen Monaten. Manchmal dachte ich, sie trotz der kurzen Zeit besser zu kennen, als sonst irgendjemanden. Nein, wenn Julia da etwas missverstanden hätte, wäre es mir aufgefallen. Ich lächelte. Natürlich. Wie hatte ich auch nur für eine Sekunde etwas Anderes denken können? Ich bedeckte Mamas Hand mit meiner. »Julia weiß, dass wir nichts außer einer total guten Freundschaft haben.« Ich streichelte ihre kalte Hand. »Du brauchst dir wirklich keine Sorgen machen.«
Wir waren einige Schritte in Richtung Wohnzimmer gegangen. Jetzt blieb ich stehen und sah sie an. »Du findest sie wirklich nett?«
Meine Mutter nickte.
Ich wollte sichergehen, das richtig verstanden zu haben. »Also ist es für dich in Ordnung, dass … dass meine Mitbewohnerin eine Lesbe ist?«
»Ich muss es nicht verstehen oder gutheißen«, sagte Mama. »Wer bin ich, hier die Richterin zu spielen?«
Spontan schloss ich sie in die Arme. Bis zu diesem Moment war mir gar nicht bewusst gewesen, wie wichtig es mir war, was meine Mutter über Julia und mein Zusammenleben mit ihr dachte. Ich atmete erleichtert aus. Sie mochte Julia.
* * *
Als wir das Wohnzimmer betraten, schaute mich Julia auf eine Weise an, die mich an ein ängstliches Reh erinnerte.
Popeye lag auf ihrem Schoß und wurde ausgiebig gekrault.
Ich lächelte Julia an und reichte ihr das Glas Wasser, bevor ich wieder neben ihr Platz nahm.
Popeye schaute kurz auf und ließ dann seinen Kopf wieder sinken.
Ich musste schmunzeln. Vermutlich wäre ich auch auf Julias Schoß geblieben. Äh, also als Hund.
»Julia, erzähl mal was von dir«, sagte meine Mutter, nachdem sie sich wieder in ihrem Sessel niedergelassen hatte.
Julia beugte sich vorsichtig über Popeye und stellte das Glas auf dem Couchtisch ab. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Ich habe zwei Brüder. Einen zwei Jahre älteren und einen Zwillingsbruder.«
»Scarlett erzählte mir, du kommst mit deinem Zwillingsbruder nicht besonders gut aus. Obwohl ihr euch ja wohl ziemlich ähnlich seid. Ihr studiert sogar das Gleiche, richtig?«
Meine Mutter, wie immer sensibel wie ein Presslufthammer. Ich hatte ihr doch gesagt, dass das Thema gemieden werden sollte. Verdammt.
Julia verzog für einen Sekundenbruchteil das Gesicht, bevor sie freundlich lächelte. »Noch bin ich Studentin, aber ich hoffe, im Februar fertig zu werden.«
»Scarlett hat mir erzählt, du wirst Ärztin.«
Gott sei Dank sprang Mama darauf an.
»Äh, ja. Derzeit mache ich ein Praktikum im Krankenhaus. Im Anschluss reiche ich meine Doktorarbeit ein.«
»Aha. Und weißt du schon, in welchen Bereich du gehen willst?«
Erstaunlicherweise hatte ich mich das nie gefragt. Aber die Antwort interessierte mich jetzt auch.
Julia trommelte mit dem Zeigefinger auf der Couchlehne rum. »Ich bin nicht ganz sicher. Eventuell Gynäkologie. Aber um ehrlich zu sein, versuche ich derzeit, in so viele Bereiche wie möglich reinzuschnuppern, um das Richtige für mich zu finden.«
Meine Mutter schien sich jetzt fragetechnisch auf Julia eingeschossen zu haben und ignorierte mich total. »Wie kommst du denn auf Gynäkologie?«
Julia nahm einen Schluck und lehnte sich zurück. »Gynäkologie ist am facettenreichsten. Von Endokrinologie bis Chirurgie ist alles dabei. Es ist so viel mehr als Kinder auf die Welt zu bringen. Aber, wie gesagt, ich weiß nicht mit Sicherheit, was ich machen werde. Internistische Medizin reizt mich auch. Was ich derzeit ausschließen kann, sind Orthopädie und Psychiatrie. Das sind zwar auch sehr interessante Bereiche, aber ich kann mir nicht vorstellen, auf Dauer damit glücklich zu werden.«
Mama nickte. »Und … wie ist es, mit meiner Tochter eine Wohnung zu teilen? Isst sie nach wie vor so ungesund und räumt nie auf?«
Warum jetzt der plötzliche Themenwechsel? Und stopp mal, was hatte sie gerade gesagt? »Das sind bösartige Unterstellungen«, grummelte ich.
Alle Beteiligten grinsten.
»Also von Unordnung bekomme ich nichts mit, und ungesund ernähren tut sie sich eigentlich auch nicht.«
Julia und ich warfen einander verschwörerische Blicke zu.
Meine Mutter beobachtete uns. »Soll das heißen, sie isst endlich gesund? Julia, sag nicht, du kochst für sie.«
»Na ja …« Julia schaute zu Boden. »Manchmal.«
Was für eine Untertreibung.
Nach einer Pause fügte Julia hinzu: »Aber oft kochen wir auch zusammen.«
Mama runzelte die Stirn. »Du lässt Scarlett in die Küche? Kind, du bist ein ziemlich risikoliebender Mensch, was?«
Julia kicherte.
Gleichzeitig wurden meine Augen zu Schlitzen.
Julias Mundwinkel zuckten als müsste sie sich ein Grinsen verkneifen, bevor sie meine Mutter mit aufrichtigem Gesichtsausdruck ansah. »Frau Winter, ob Sie es glauben oder nicht, Scarlett hat nach geringfügigen Anfangsschwierigkeiten eine Menge gelernt und kommt jetzt gut in der Küche zurecht.«
Ich blinzelte. Geringfügige Anfangsschwierigkeiten? Und was war zum Beispiel mit dem Waffeleisendebakel?
Das Telefon klingelte und ich schaute vom Waffeleisen auf, dessen Licht ich seit etwa zwei Minuten genauestens beobachtete. Diesmal würde mir nichts anbrennen.
»Scarlett, Telefon«, rief Julia aus dem Bad. War sie mit ihrer Dusche etwa schon fertig?
»Gehe schon«, antwortete ich so laut ich konnte und machte einen Schritt auf den Küchentisch zu, auf dem das Telefon lag. Ich rutschte auf einer Pfütze verschütteten Teigs aus und fiel. Instinktiv griff ich nach dem nächstbesten Halt. Noch im Flug riss ich die Augen auf, als ich realisierte, was ich da zu fassen bekommen hatte: das Kabel des Waffeleisens. Alles lief wie in Zeitlupe ab: Das Waffeleisen flog durch die Luft, die fast fertige Waffel wirbelte aus dem Eisen heraus und …
»Scarlett, das Telefo… ahhh!« Julia, im Türrahmen stehend, bekam die heiße Waffel ins Gesicht und schrie laut auf.
Gleichzeitig hörte ich einen lauten Knall, begleitet von einem Klirren, und mein Hinterkopf schlug auf dem Fliesenboden auf.
Mit knallrotem Gesicht starrte Julia erst auf mich und dann zur Quelle des lauten Geräusches.
Ich folgte ihrem Blick. Das Waffeleisen war in der Mikrowelle gelandet und hatte die Tür demoliert.
Das Telefonklingeln unterbrach die plötzliche Stille.
»Scarlett?« Julia legte ihre Hand kurz auf mein Knie, grinste und zwinkerte mir zu.
Ich schüttelte den Kopf. Die heiße Waffel hatte Julia Gott sei Dank nicht ernsthaft verbrannt. Trotzdem … wie konnte Julia behaupten, ich wäre irgendetwas Anderes als eine Katastrophe in der Küche?
»Schatz, warum schüttelst du den Kopf?«, fragte meine Mutter.
»Ach, nichts«, sagte ich. »Mir ist bloß gerade was eingefallen. Worüber haben wir noch mal geredet?«
»Deine Kochkünste, mein Schatz.«
»Sie kann einfache Rezepte ohne Probleme alleine kochen«, sagte Julia.
Mama beäugte mich. Schließlich nickte sie.
»Und ich gehe sogar seit ein paar Wochen ins Fitnessstudio.« Der Stolz in meiner Stimme war deutlich zu hören.
Der Mund meiner Mutter klappte auf. »Wirklich?«
Julia und ich wippten mit den Köpfen.
»Du scheinst wirklich einen guten Einfluss auf Scarlett zu haben.«
Julia strahlte von einem Ohr zum anderen. »Danke. Ich versuche mein Bestes.« Nach einer Pause fügte sie hinzu: »Aber ich muss sagen, Ihre Tochter hat einen ebenso guten Einfluss auf mich.«
Hä? Ich konnte mir nicht vorstellen, in welcher Weise ich Julia guttun könnte. Sie war unabhängig, zielstrebig und wenn überhaupt, war ich diejenige, die von unserer Freundschaft profitierte. Ich hatte, seit ich Julia kannte, so viel gelernt. Sie war immer so geduldig mit mir. Nicht bloß in der Küche. Und sie war immer für mich da.
»Ich hatte nie zuvor eine so gute Freundin wie Scarlett. Sie erträgt meine Launen …«
Welche Launen?
»Wir lachen oft, und wenn ich traurig bin, versucht sie, mich aufzuheitern. Außerdem verrate ich Ihnen sicher nichts Neues, wenn ich Ihnen sage, was für eine gute Ratgeberin Scarlett ist.«
Meine Mutter betrachtete mich mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck. Es schien mir wie eine Mischung aus Erstaunen und … Stolz?
Ich legte die Hand auf Julias und lehnte den Kopf kurz an ihre Schulter. Sie sagte immer die liebsten Sachen. Auch wenn sie in diesem Fall maßlos übertrieb. Mein Blick wanderte irgendwann zu Mama. Ihre Körperhaltung war ganz steif. Was war denn los?
Als ich bemerkte, dass ich immer noch Julias Hand hielt, ließ ich sie hastig los. So was konnte schnell missverstanden werden.
Julia und ich blieben über zwei Stunden bei meiner Mutter. Wir wollten uns gerade auf den Weg machen, da klingelte mein Handy.
»Winter.«
»Hi, Süße.«
»Hallo, Nathalie. Was gibt‘s?«
»Ich hab‘s gerade erfahren und wollte dir sofort Bescheid sagen.«
»Aha.«
»Daniel und ich fahren nächste Woche für zehn Tage zum Strandhaus. Seine Eltern haben gerade das Okay gegeben. Wenn Julia und du wollen, können wir zu viert fahren.«
»Das klingt toll. Warte, ich frag mal eben.« Ich wandte mich an Julia. »Daniel und Nathalie fahren für zehn Tage zum Strandhaus. Wenn wir wollen, können wir mit.«
Auf Julias Gesicht formte sich ein Lächeln. »Ich hab zwei Wochen Urlaub, die ich kurzfristig nehmen kann. Wann soll es losgehen?«
Ich schmunzelte. »Nächste Woche.«
»Sag Nathalie, ich bin dabei.«
Julia und ich strahlten einander an. Wir waren seit März nicht mehr im Strandhaus gewesen, und mittlerweile war es Ende August. Es würde also ein richtiger Badeurlaub werden.
Ich sprach jetzt wieder ins Handy: »Wir sind dabei. Grüß Daniel.«
»Mach ich. Bis heute Abend. Ich ruf dich an.«
»Okay, bis später«, sagte ich.
»Tschü.«
Ich legte auf und grinste von einem Ohr zum anderen.
»Aber musst du nicht im Café arbeiten?«, fragte meine Mutter.
Ich schüttelte den Kopf. »Ich arbeite schon eine ganze Weile nicht mehr regelmäßig da. Ich war doch damals bloß Vertretung. Jetzt werde ich nur angerufen, wenn Not am Mann ist.« Ich zuckte mit den Schultern. »Jetzt muss das BAföG halt reichen.«
Mama lächelte. »Erinner mich dran, dass ich dir gleich noch ein bisschen Taschengeld für den Urlaub gebe, mein Schatz.«
Julia und ich grinsten und verabschiedeten uns bald gut gelaunt von meiner Mutter und Popeye.
* * *
»Siehst du, es war gar nicht so schlimm«, sagte ich, kaum im Auto sitzend.
Julia schenkte mir ein warmes Lächeln. »Deine Mutter ist echt nett. Das hätte ich nicht gedacht, nachdem …«
Ich sah sie fragend an. »Nachdem was?«
»Na ja, du warst am Anfang ziemlich gegen Homosexuelle, wenn du dich erinnerst. Ich dachte …« Julia schüttelte den Kopf. »Oder weiß sie nicht, dass ich lesbisch bin?«
»Doch, natürlich.« Ich schaute aus dem Fenster. »Sie versteht es ebenso wenig wie ich.« Ich drehte den Kopf wieder zu Julia. »Aber meine Mutter ist nicht intolerant. Sie heißt es nicht gut, aber sie akzeptiert dich so, wie du bist.« Unsere Blicke trafen sich. »Genau wie ich.« Ich streichelte Julias Arm. »Das war echt lieb von dir. Also, was du zu meiner Mutter über mich gesagt hast.«
Julia schaute flüchtig zu mir. »Ich meinte jedes Wort.«
Wir lächelten und Julia startete den Wagen.
»Hätte mir jemand vor einem halben Jahr erzählt, wie alles kommen würde, ich hätte es nicht geglaubt«, sagte ich. »Julia, ich bin so froh, dich in meinem Leben zu haben. Am Anfang dachte ich, nie darüber hinwegkommen zu können, dass du … dass wir so unterschiedlich sind, aber du bist jetzt neben Nathalie meine beste Freundin.« Nach einer Pause fügte ich hinzu: »Und darüber bin ich sehr froh.«
Julia lächelte mich kurz an und fuhr dann los. »Ja, ich auch.«
»So, jetzt aber genug Gefühlsduselei«, sagte ich. »Meinst du, das Wasser wird warm genug zum Schwimmen sein, wenn wir auf Sylt ankommen?«
»Weiß nicht. Kommt drauf an, wie hartgesotten du bist. Wärmer als jetzt wird es nicht. So viel ist sicher. Ich friere ja immer in der kalten Nordsee. Egal zu welcher Jahreszeit. Bin mehr der Mittelmeertyp.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Wer ist das nicht?«
»Aber wenn das Wetter nicht allzu schlecht ist, können wir uns am Strand sonnen. Ich liebe es, im Bikini in der Sonne zu brutzeln. Nicht zu lang natürlich, aber ein bisschen schadet ja nicht.«
Das klang wirklich gut. Ich konnte es kaum erwarten.
Wir schwiegen eine Weile. Aber es war keine unangenehme Stille. Vielmehr hatte ich das Gefühl, wir genossen es beide, von Zeit zu Zeit zu schweigen. Mit Nathalie war das anders. Da fiel mir ein … »Du, sag mal, Daniel und Nathalie, es scheint wirklich gut zwischen ihnen zu laufen.«
»Sehe ich genauso. Ich glaube, für Daniel ist die Sache ziemlich ernst. Hat Nathalie dir was gesagt?«
»Sie ist ziemlich verliebt in deinen großen Bruder. Er ist der erste Mann, mit dem sie je zusammengezogen ist. Außerdem ist Daniel ihr absolutes Lieblingsthema. Ich denke, sie fühlen dasselbe füreinander.«
»Romantik ist noch nicht tot«, sagte Julia.
»Sie sind wirklich ein süßes Paar.«
Julias Gesichtsausdruck wurde ernst. »Hast du übrigens die Neuigkeiten von Oliver gehört?«
Meine Augenbrauen schossen nach oben. »Nein, was denn?«
Julia zögerte einen Augenblick. »Er hat ‘ne neue Freundin.«
Ich guckte aus dem Fenster. Schon komisch, aber ich war kein bisschen eifersüchtig. Er hätte mit der ganzen Frauenfußballnationalmannschaft schlafen können und ich hätte nur daran gedacht, wie er Julia behandelte. Sie hatte was Besseres verdient.
»Die beiden haben sich wohl in der Uni kennengelernt«, sagte Julia. »Am Seziertisch hat‘s gefunkt.«
Ich kicherte. »Scheint, du hast recht.« Übertrieben klimperte ich mit den Wimpern, als ob ich von der großen Liebe träumen würde. »Romantik ist noch nicht tot.«
Julia schaute mich mit traurigen Augen an. »Glaubst du, jetzt wo er ‘ne Neue hat, vergisst er endlich den ganzen Mist?«
Ich seufzte. Nichts wünschte ich mir mehr. »Keine Ahnung. Ich hoffe es.«