Epilog
»Brauchst du Hilfe, Schatz?«, rief Julia aus dem Wohnzimmer.
Ich hatte uns gerade heißen Kakao gemacht und eilte mit beiden Tassen zur Couch vorm Kamin. »Nein. Bin schon hier.« Im Strandhaus von Julias Eltern fühlte ich mich mittlerweile fast genauso zu Hause wie in unserer Viereinhalb-Zimmer-Wohnung in der Stadtmitte. »Schon hier«, wiederholte ich.
Julia schenkte mir ein warmes Lächeln.
Ich stellte unsere Getränke auf dem Couchtisch ab, setzte mich neben Julia und kuschelte mich an sie.
»Es war eine tolle Idee von dir, das große Fotoalbum mitzunehmen«, murmelte Julia und vergrub ihr Gesicht in meinem Nacken. Ihre Lippen berührten meine Haut kaum und dennoch bekam ich eine Gänsehaut.
Ich liebte es, wenn Julia das tat. Zustimmend nickte ich und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf den Mund. »Hättest du die Idee zu diesem Album nicht gehabt, hätte ich nie auf die Idee kommen können, es mitzunehmen.«
Julia grinste. »Deine Logik ist wie immer unschlagbar.«
Langsam schlug ich die erste Seite auf.
Julia deutete auf ein Foto. »Hehe, da siehst du mich an wie ein Koch eine Kakerlake in der Küche.«
Ich kicherte. Es war ein Foto von Daniels Geburtstagsfeier mit Julia, Oliver und mir. »Nathalie hatte mir wenige Minuten vorher erzählt, dass du lesbisch bist. Und dann sollte ich neben dir stehen und lächeln.«
»Arme Scarlett. Du hattest schon ein schweres Leben damals.«
Ich stupste sie in die Seite.
»Hey.« Julia lachte. »Nicht so brutal.«
Seite um Seite betrachteten wir die Bilder im Album.
Ich tippte auf ein Foto von Nathalie, Daniel und Julia total verschwitzt mit Kartons bepackt. »Hihi, da sind wir zusammengezogen.«
»Du meinst wohl, da hast du dich schließlich dazu überreden lassen, mich als Mitbewohnerin zu ertragen.«
Wir lachten und blätterten weiter.
Irgendwann stöhnte ich laut auf. »Gott, dieses Karnevalskostüm war wirklich pervers.«
Julia betrachtete das Bild von uns beiden in Krankenschwester- und Arztkostüm. »Also ich fand‘s klasse. Außerdem hast du an dem Abend ständig gesagt, ich wäre deine Freundin, um Kerle loszuwerden.«
»Bei der Auswahl warst du das kleinere Übel.«
Julia zwickte mich in die Seite. »Jetzt werd mal nicht frech, oder du kannst unsere Whirlpoolpläne für heute Nacht vergessen.«
Ich lehnte mich etwas zurück, führte meine Finger zum Mund und schloss einen imaginären Reißverschluss. Danach blätterte ich zur nächsten Seite und schmiegte mich wieder an Julia.
Zeitgleich lachten wir.
»Schatz, ich werde dich ewig dafür lieben, dass du eine Kamera an diesem Tag dabeihattest«, sagte ich schmunzelnd.
Julia kicherte. »Stets zu Diensten, My Lady.«
Ich streichelte Julias Wange mit meinem Handrücken. »Wenn mir jemand vor vier Jahren erzählt hätte, dass ich und Mama mal zusammen auf den CSD gehen würden, hätte ich die Person für verrückt erklärt.«
Julia tätschelte meinen Arm. »Ihr habt euch beide verändert.«
Ich bedeckte ihre Hand mit meiner und lächelte. »Ja. Und sie und ich sind jetzt glücklicher als jemals zuvor.«
Julias Augen leuchteten und für einen langen Moment schauten wir einander einfach nur an. Nach einer Weile sagte sie: »Bei all dem Stress die letzten Tage hab ich ganz vergessen zu fragen: Hat Liselotte die Augen-OP eigentlich gut überstanden?«
»Absolut«, sagte ich. »Ihre Augen sind nach der Laserbehandlung wieder top. Übrigens hat Lotte Mama jetzt auch endlich dazu gekriegt, für Popeye weibliche Gesellschaft ins Haus zu holen. Letzte Woche waren sie im Tierheim und haben eine Pudeldame adoptiert.« Ich wackelte mit den Augenbrauen. »Und du errätst nie, wie die beiden sie genannt haben.« Nach einer kurzen Pause sagte ich grinsend: »Olivia. Wie die Freundin von Popeye im Cartoon.«
Julia lachte. »Wie passend.«
Nach einem stillen Moment sagte ich: »Ich hab übrigens gestern mit Sabine telefoniert, da meinte sie zu mir, dass sie und Oliver übernächste Woche schon Zweijähriges feiern.«
»Und es scheint wirklich was Ernstes zu sein«, sagte Julia.
»Während du und Sabine nach dem Essen vergangenes Wochenende in der Küche die Reste eingepackt habt, hat Oliver Andeutungen gemacht, dass er mit ihr zusammenziehen will.«
Ich lehnte mich etwas zurück und schaute Julia an. »Jetzt wo du es sagst … Sabine erwähnte, sie und Oliver wären neulich bei IKEA gewesen, um sich mal etwas umzusehen. Aber in dem Moment hab ich mir echt nichts dabei gedacht.«
Julia küsste meine Nasenspitze. »Das ist meine Scarlett. Mal wieder ahnungslos bis zur letzten Minute.«
Ich grummelte und schmiegte mich dann wieder an Julia.
Sie blätterte weiter im Fotoalbum.
Zum Vorschein kamen ein paar Bilder, die abwechselnd Nathalie und Daniel mit einem zahnlos grinsenden Säugling zeigten.
»Die Zeit rennt«, sagte ich. »Überleg mal, Alice wird bald schon zwei.« Ich lachte kurz. »Weißt du eigentlich schon das Neueste?« Ohne auf eine Antwort zu warten, sprach ich weiter: »Nathalie redet davon, noch ein zweites Kind zu bekommen.«
Julia nahm einen Schluck Kakao und kicherte. »Sie hat gut reden. Immerhin ist es Daniel, der die Teilzeitstelle angenommen hat, um sich um Alice zu kümmern, während Nathalie in der Kanzlei Karriere macht.«
»Schon«, sagte ich. »Aber sie muss die Kinder ja schließlich kriegen. Oder nicht?«
Julia lachte. »Solange du die Kinder kriegst, kümmere ich mich gerne um die Betreuung.«
Ich kuschelte mich enger an sie und genoss, wie Julias Arme mich wie eine warme Decke umhüllten. »Da komme ich vielleicht wirklich mal drauf zurück.« Zufrieden seufzend schloss ich für einen Moment die Augen. Danach blätterte ich einige Seiten zurück. »Das ist das schönste Foto von allen.«
Wir lächelten.
»Scarlett, du warst die schönste Braut, die die Welt je gesehen hat.«
Ich sah meine Frau an und verlor mich für einen Moment in ihren wunderschönen blauen Augen. »Nein, Schatz. Du warst die schönste.« Ich sah Julia verträumt an. »Ich weiß noch, wie du mich angesehen hast, als du dein Gelübde aufgesagt hast. In diesem Augenblick war ich die glücklichste Frau der Welt.«
»Ich liebe dich, Scarlett.« Meine Frau gab mir einen sanften Kuss.
»Ich liebe dich auch, Julia.«