32
Adam Kieowsky ließ sich bei der Gegenüberstellung Zeit. Hinterher war er sich nicht sicher. Wie viele waren sofort sicher? Sten Ard erinnerte sich an die zunächst Unsicheren; wenn sie schließlich jemanden identifizierten, war es häufig die richtige, die schuldige Person gewesen.
Der Zeuge betrachtete die Frauen lange. »Kann man sie auch im Profil sehen?« »Gleich.«
Kieowsky bekam sie im Profil zu sehen. Die Polizistinnen hatten eine besondere Art, schuldig zu wirken. Kajsa Lagergren sah aus, als hätte sie mit Genuss die Katze ertränkt. Der Schorf in ihrem Gesicht gab ihr einen down-and-out-look, der den Polen nicht hereinlegen konnte, was der Veranstaltung aber etwas Kolorit gab.
»Die Frauen sind heutzutage groß.«
Das sagte der Zeuge mehr zu sich selber. Ard schaute auf den kleinen Mann hinunter: Jeans und rotweiß kariertes Hemd, derbe Schuhe, weiße Haare und ein scharfer Blick. Dreiundsechzig Jahre alt, sein Leben in zwei Teile geteilt: vor und nach den zehn Jahren. Er ging mit vorsichtigen Schritten, als ob im Untergeschoss immer noch Gefahr lauerte, Stiefel, die heraufkommen könnten, nachdem die Schritte da unten wie durch einen Schaltknopf am Radio abgestellt worden waren. Ein ganzes Leben danach zu leben. Hätte er das ausgehalten?
»Nein, es geht nicht.«
»Sie haben Zeit.«
»Ich werde mir trotzdem nicht sicher sein.«
»Sie haben sie ja vornübergebeugt gehen sehen.«
»Das hat nichts geholfen. Stellen Sie sich vor, ich identifiziere eine Unschuldige.«
»Das macht nichts. Wer unschuldig ist, ist unschuldig.«
»Das hat nicht immer geholfen.«
Adam Kieowsky drehte sich zu Ard um.
»Eine ist da . aber es ist was mit der Haltung . das Haar vielleicht, das nicht stimmt. Trotzdem.«
»Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen. Sollen wir die Frauen bitten, noch eine Runde zu gehen?«
»Nein, das genügt. Könnte ich etwas zu trinken haben?«
Auf dem Tisch vor ihnen stand ein Tablett mit Mineralwasser. Ard goss ein Glas ein und reichte es dem Mann.
»Diese Frau kommt mir bekannt vor . Nummer vier. Aber ich könnte sie ja auch oben in der Kolonie oder sonst wo gesehen haben. Ich kann unmöglich sagen, dass sie es war.«
Lea Laurelius sah auf, als ob sie durch den Spiegel schauen könnte. Als ob sie gehört hätte, was der Mann gesagt hatte.
Die Andra Länggatan ist die Straße der Sünde in Göteborg. Fünf Pornoclubs, Antiquitätenläden, libanesische, chinesische, indische und thailändische Restaurants, eine Kneipe mit Gerichten aus dem früheren Jugoslawien, spezialisierte Buch- und Schallplattenläden, Behandlungsräume für Rauschgiftsüchtige, Cafes für alternative Jugendliche. Ein Hotel, das viele hat kommen und gehen sehen.
Kajsa Lagergren wartete vor dem Club »Crazy« mit einem Duft nach Koriander in der Nase, sie stand direkt unter dem offenen Küchenfenster von »Mogul« und sah eine junge Inderin aus dem »Red Fort Takeaway« gegenüber kommen und die Straße überqueren. Sie stellte sich neben Kajsa unter das Fenster. Ein Mann mit Kochmütze reichte eine breite, längliche Schüssel herunter, die mit Folie zugedeckt war. An einer Ecke hatte sich die Folie gelöst, und Kajsa Lagergren roch das süßliche, starke Aroma der rot glänzenden Hühnchenteile, die unter der Folie zu sehen waren. Dem Tandoorihühnchen folgte eine Schüssel mit warmem Brot, don'tforget the nan, sie sah die Frau mit der Hühnchenschüssel auf dem Kopf und dem Brot unterm Arm zu dem Laden zurückgehen. So sollte man Gegenstände tragen.
Ein kräftiger Mann in einer braunen Khakihose und weißem Baumwollhemd kam aus dem Club »Crazy«, streckte seine Hand vor und sagte: »Janne Lord.« Er hatte einen Bürstenschnitt, die Augen waren hellblau mit markanten Augenbrauen darüber, die Haut gespannt und gerunzelt wie die eines Kettenrauchers. Er trug eine Kette um den Hals, Kajsa Lagergren ging davon aus, dass sie aus Gold war.
»Von der Polizei?«
Er lächelte, und sie nahm einen schwachen Alkoholgeruch im Atem des Mannes wahr. Es konnte auch ein Glas leichtes Bier gewesen sein, das er eine Minute, bevor er in den Schatten der Straße trat, getrunken hatte. Seine Frage hatte er in absolut normalem Tonfall gestellt, so als wäre sie ein Postbote.
Dies war ein Mann, der sich nicht so leicht ins Bockshorn jagen ließ. Nicht von Polizisten, nicht von Politikern oder von Feministinnen, die sich regelmäßig auf der Andra Länggatan zu Protestaktionen versammelten.
Kajsa Lagergren hatte sich nie daran beteiligt, aber sie verachtete die Tätigkeit des Mannes, und sie fühlte sich gekränkt: Teilweise war es auch ihr Körper, der wie ein Stück Fleisch auf Bildern und in den Filmen ausgebreitet wurde.
»Kajsa Lagergren, Kriminalassistentin.« »Assistentin? Wessen?«
Der Mann zeigte eine Reihe schöner weißer und teurer Zähne, sorgfältig montierte Kronen.
»Ich möchte nur ein paar Fragen stellen. Haben Sie ein Büro?«
»Nicht nur eins, sondern zwei.«
Er hielt ihr die Tür auf und sie betraten einen großen, offenen Raum mit einem Kassentresen rechter Hand. Sie sah lange Reihen von Zeitungsständern, Zeitschriften und Videokassetten entlang der Wände, im hinteren Teil des Raumes eine Tür mit der Aufschrift KINO, links mehr Türen, einige mit der Aufschrift PRIVAT. Die Beleuchtung war schwach. Einige Männer spazierten schweigend zwischen den Regalen hin und her, einer schlug eine Zeitschrift auf und blätterte langsam. Leise Musik aus einem Lautsprecher an der Decke, Musik, die sie nicht kannte. Sie registrierte, dass keiner der Männer auch nur einmal den Blick hob. War es eine Schande, sich hier aufzuhalten?
Als sie durch den Raum gingen, wurde eine der privaten Türen geöffnet und ein Mann kam heraus. Er stieß leicht mit ihr zusammen, murmelte ein »Entschuldigung« und verließ rasch den Club »Crazy«. Sie konnte einen Blick in ein kleines Zimmer mit einem Videobildschirm werfen, auf dem sich nackte Haut bewegte, unterdrücktes und lautes Stöhnen, oh, oh, oh, oh, oh, einen Münzautomaten und eine Rolle Toilettenpapier an einem Stahldraht an der Wand. Ein Papierkorb unter der Rolle.
Ihr wurde plötzlich intensiv schlecht, wie nach einer schnellen, durchrüttelnden Autofahrt, wenn man das Gesicht über Berichte beugte, die man lesen musste.
»Die Wichsbox ist populärer denn je«, sagte Janne Lord. Seine Stimme klang immer noch ganz normal. Für ihn sind das ja Geschäfte, Wörter oder Taten bedeuten nichts.
Er führte sie in einen kleinen, fensterlosen Raum mit einem kleinen Tisch und einer Sofagruppe aus Leder. Die Wände waren nackt. An der Seite des einen Sessels stand eine Stehlampe, die einen kräftigen, kreisförmigen Lichtschein verbreitete. Auf dem Tisch lag ein Stapel pornographischer Zeitschriften, eine davon aufgeschlagen.
Janne Lord sprach lange und nur Gutes von Georg Laurelius, wusste jedoch nichts von seinen »Abenteuern« der letzten Zeit.
»Wir haben dieses Restaurant ein halbes Jahr lang zusammen betrieben, aber dann sind wir getrennte Wege gegangen.«
»Es muss doch unter seinen alten Geschäftspartnern einiges darüber geredet worden sein, was ihm passiert ist.«
»Nicht viel. Wenn ich ehrlich sein soll, dann glaub ich nicht, dass jemand um ihn trauert.«
»Das sind harte Worte.«
»Wir leben in einer harten Welt. Und Laurelius wollte ein harter Mann sein.«
»Wollte es sein ...«
»Manchmal wurde er nicht ganz ernst genommen, und das hat er gemerkt. Dann hat er versucht, noch härter zu sein.«
»Wie äußerte sich das?« »No comments.«
»Diskutieren wir hier ernste Angelegenheiten?«
»Sie wissen natürlich, dass ich einige Personen kenne, die ihrerseits andere kennen, die wiederum jemanden kennen, der sich vielleicht in einem schwachen Moment eine Stecknadel von einem Freund leiht und dann für einige Tage vergisst, die Nadel zurückzugeben. Solche Personen. Wenn ich Ihnen erzählen würde, dass Georg solche Personen kannte, fragen Sie vielleicht, warum ich Ihnen das erzählt habe.«
Sie warf einen hastigen Blick auf das Bild der aufgeschlagenen Zeitschrift. Warum sah sie so atemlos aus?
»Er kannte also Leute, die nachlässig mit Stecknadeln umgingen?«
»Solche Leute kennen wir doch alle.«
»Hat er auf dem Gebiet Geschäfte gemacht?«
»Lassen Sie uns sagen, dass er immer taffer sein wollte. Das ist nicht gut. Es ist auch nicht gut, wenn in dem kleinen, friedlichen Göteborg Leute ermordet werden. Das führt dazu, dass die Polizei hierher und zu anderen Orten kommt und Fragen stellt.«
»Darum wollen Sie jetzt helfen.«
»Deswegen will ich meine Ruhe haben. Ich weiß nichts, aber ich kann sagen, was ich glaube. Ich glaube nicht, dass einer von Georgs . äh . Geschäftsfreunden so blöd war, ihn umzubringen. Wer hat etwas davon?«
Als sie sich erhob, hielt er lächelnd drei Zeitschriften hoch.
»Nehmen Sie ein paar mit. On the house.« Sie sah auf den Mann und seine schönen weißen Zähne hinunter.
»Nein, danke. Wenn ich Interesse daran hätte, in die Harnwege anderer Leuten zu starren, wäre ich Gynäkologin geworden.«
Das braune Kuvert stand, gestützt von einer Sandale, hochkant. Er bückte sich und hob es auf, trug es in die Küche und legte es auf den Tisch. Dann gab er Kaffeepulver und Milch in eine Tasse und goss nach einer Weile heißes Wasser darüber. Er hatte den Umschlag geöffnet, die zwei Seiten gelesen und stieß einen Pfiff aus. Während er den Kaffee in kleinen Schlucken trank, dachte er eine Weile nach. Dann stand er auf, ging ins Schlafzimmer und nahm das Telefon.
»Polizeipräsidium, guten Abend.«
»Ich möchte gern Polizeidirektor Sven Holte sprechen.«
»Wen darf ich melden?«
»Wide, Jonathan Wide.«
Es war dreißig Sekunden still.
»Bei Polizeidirektor Holte meldet sich niemand.«
»Danke.«
Wide ging zum Nachttisch, behalt du ihn, ich kauf mir sowieso ein neues Bett, öffnete die Schublade und holte ein abgegriffenes schwarzes Adressbuch hervor. Dann ging er zurück zum Telefon.
Nach sieben Klingelsignalen wollte er auflegen, als entfernt und schwach »Holte« im Hörer ertönte.
»Hier ist Jonathan Wide.«
»Was?«
»Jonathan Wide, ehemaliger Inspektor in deiner Armee.«
»Ich erinnere mich an dich, Wide.«
Der Mann sprach wie durch einen Trichter. Was war in den vergangenen Jahren mit ihm passiert?
»Ich muss dich sprechen.«
Am anderen Ende war es still.
»Hallo, Holte .«
»Ich bin noch da. Warum willst du mich sprechen?«
Warum wollte er einen Mann sprechen, der der Grund dafür war, dass er die Polizei verlassen hatte? Eine gute Frage. Holte wusste die Antwort selber.
»Du kennst die Antwort.«
»Bist du voll, Wide?«
»Möglicherweise voller Wissen. Möchtest du, dass ich dir jetzt ein paar Sachen erzähle, übers Netz?«
»Verdammt, ich weiß nicht, wovon du redest.«
Wieder war es still.
»... aber von mir aus, komm her, du kennst ja die Adresse.«
Er wusste, dass er ihn hatte.
Wide parkte vorm »Nerfertiti« und ging über die Brücke des Hafenkanals. Die Hitze war schlimmer denn je. Das Atmen fiel schwer, die Luft klebte wie nasse Watte. Das letzte Sightseeingboot passierte unter der Brücke. Das Mädchen am Bug erzählte von der Stadt. Er bewunderte ihren Enthusiasmus und die Neugier der Passagiere. Ihm fiel ein, dass er nie eine Sightseeingtour mit seinen Kindern unternommen hatte.
Plötzlich und intensiv hatte er Sehnsucht nach ihnen . Er wollte nicht Vater in einer Serie von Begegnungen und Abschieden sein.
Niemand öffnete auf sein Klingeln. Er drückte wieder auf den Knopf, aber die Laute verhallten in der Leere dort drinnen. Schließlich griff Wide nach der Türklinke. Die Tür war nicht abgeschlossen. Er betrat eine leere, geräumige Diele. Das Bild der üblicherweise aufgereihten Kleidung auf Bügeln und in Regalablagen fehlte. Da hing eine dünne graue Jacke, zwei Paar Schuhe darunter, als ob der Bewohner vierbeinig wäre. Die Diele war dunkel, und er konnte nirgends eine elektrische Lichtquelle entdecken. »Komm herein, Wide.«
Die Stimme ertönte wie durch einen Lautsprecher, Wide schloss die Tür hinter sich, ging zum anderen Ende der Diele und weiter nach links in ein Zimmer, das in weichem Licht lag, gestreift und schwach dort, wo es durch Jalousienlamellen drang. Holtes Figur zeichnete sich gegen das Fenster ab. Sein Gesicht konnte Wide nicht sehen.
»Setz dich.«
Wides Augen gewöhnten sich an das Halbdunkel, er sah den Stuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches und setzte sich Holte gegenüber. Auf dem Schreibtisch lagen keine Papiere. So war es früher auch gewesen, der Polizeidirektor hatte seinen Schreibtisch sauber gehalten. Wide hatte das immer irgendwie bewundert.
Er sah die Polizeiwaffe, die vor dem Mann lag.
»Hier sind nur wir - die Walther und ich.«
»Du hast nicht Schritt gehalten mit der Modernisierung der Polizei.«
»Ich trenne mich nie von der Walther.«
»Das verstehe ich. Die passt zu dir. Weißt du, dass der Name aus dem Deutschen kommt und Macht und hier bedeutet?«
»Bist du gekommen, um mit mir Deutsch zu sprechen, Wide?«
»Nein, ich bin gekommen, um Dänisch zu sprechen.«
Wide hatte sich jetzt an das Licht gewöhnt, sodass er ein kleines Zucken im Gesicht des kräftigen Mannes sah, als ob die Nerven um das rechte Auge nicht mehr den Signalen des Gehirns gehorchten, als hätten sie eine eigene Leitungszentrale gebildet.
»Jetzt verstehe ich, warum du mich immer gehasst hast.«
Die Zuckungen in Holtes Gesicht hatten aufgehört.
»Das musst du mir erklären.«
»Ich hab ein wenig Quellenforschung betrieben. Früher schien mir das nicht aktuell zu sein. Aber die Ereignisse in der letzten Zeit haben mich dazu gebracht. Fredrikshavn -im Krieg. Irgendwie waren wir beide beteiligt.«
Sven Holte hatte sich vorgebeugt.
»Dein verdammter Großvater.«
»Das Kriegsarchiv von Ärhus hat alle Namen. Ich war dort.«
Wide sah auf die Waffe. Wollte Holte ihn erschrecken? Wollte er etwas anderes demonstrieren?
»Dann weißt du, was passiert ist. Und weiter?«
»Du hast es nie vergessen können, Holte ...«
»Wie kann man so was vergessen? Meinen eigenen Vater?«
»Warum jetzt?«
»Warum was?«
»Du hast mich bedroht und das deute ich jetzt immer mehr anders. Wir sprechen hier von kriminellen Taten. Niemand anders als du kann dahinter stecken, ich glaube nicht, dass es irgendjemand anders weiß.«
»Du bist betrunken, Wide.«
»Im Augenblick nicht.«
»Deine Familie hat mein Leben zerstört, bevor ich überhaupt angefangen habe zu leben. Verlang nicht, dass ich dich deswegen lieben soll.«
Wide antwortete nicht. Er sah eine Bewegung im Fenster gegenüber, einen Reflex ... als ob die untergehende Sonne eine Uhr an der gegenüberliegenden Wand getroffen hätte und sie eine halbe Sekunde lang aufblitzen ließ. Für einen Moment packte ihn Angst.
»Hast du das Gefühl gehabt, unter Aufsicht zu stehen, Holte?«
»Wovon redest du denn jetzt?«
»Hast du dich beschattet gefühlt?«
»Nein, zum Teufel .« Während Holte das sagte, sah Wide, wie das Fenster in Höhe von Holtes Fenster auf der anderen Straßenseite einen Spalt geöffnet wurde. Dann sah er einen hastigen Reflex im selben Fenster und hörte das scharfe Geräusch von zerbrechendem Glas, einmal und dann noch einmal. Schon beim ersten Laut begriff er, was es war, und duckte sich schnell unter den Schreibtisch. Holte blieb sitzen. Wide glitt zur Seite und kroch nach links, um aus dem Fensterbereich zu gelangen. Dann richtete er sich halb auf.
Die Zuckungen in Holtes Gesicht waren jetzt heftig. Ein dunkler Fleck breitete sich über die Brust seines hellen Hemdes, er neigte sich vor, blieb aber am Schreibtisch sitzen. Es sah aus, als wollte er den Revolver erreichen, aber Wide war nicht sicher. Allerdings war er sicher, dass Holte schwer verletzt war.
Rasch kroch Wide zu dem Stuhl und zog den schweren Mann in Deckung. Holte atmete kurz und ruckartig und immer schwächer, wie jemand, der bald keine Reserve mehr im Blasebalg hatte. Wide sah sich um und entdeckte ein kleines blaues Kissen auf einem der dunklen Sessel. Dorthin schlängelte er sich, riss das Kissen an sich und dachte, dass es diesem im Übrigen so rau-männlich möblierten Zimmer einen fast neckischen . einen seltsam fremden Zug verlieh.
Er riss sich sein Hemd herunter, drückte das Kissen gegen Holtes Brust, in die Brust hinein, und band es fest mit dem Hemd ab, fühlte den Puls. Er schlug schwach.
Er wählte die wohl bekannte Telefonnummer und blieb liegen und drückte das Kissen gegen Holtes Brust und hörte nach einer Weile, wie sich die Sirenen näherten und mit einem letzten Heulen genau unter dem zerbrochenen Fenster verstummten.
Er schloss die Augen und sah noch, wie sich ein roter Schleier über die Schwärze legte.
»Wide! Bist du zum Schlafen hergekommen?«
Er öffnete die Augen und sah Holte auf seinem Stuhl sitzen, die Schultern hochgezogen, das kräftige Gesicht intakt und die Brust weiß und still - der Text auf dem Trikothemd über der linken Brustwarze: Spende Blut, der letzte harte Vokal lief in einem Blutstropfen aus. Das passte gut. Sven Holte war ein Mann der harten Vokale.
Aber der Anblick . und der Traum . War mit seinem Kopf etwas passiert, nach dem Schlag, den er bekommen hatte? War er tatsächlich für einen Moment eingeschlafen?
»Ich bin ein wenig müde nach dem, was vor ein paar Wochen bei mir zu Hause passiert ist.«
»Das kann ich mir vorstellen. Deine Art, zu feiern, ist ja allgemein bekannt.«
»Du weißt, wovon ich rede, Holte.«
»Und ob ich das weiß. Geh jetzt, Wide. Du bist verwirrt.«
»Ich hab dir vorhin eine Frage gestellt. Hast du dich verfolgt gefühlt?«
»Erst jetzt.«
»Vor mehreren Jahren gab es Gerüchte .«
Holte sagte nichts, aber Wide sah die Nerven an seinem Auge schwach zucken, als ob Sven Holte ein Insekt wegzwinkern wollte.
»Du könntest verletzlich werden .«
»So ein Scheißgerede wurde sofort erstickt.«
»Vielleicht ist das nicht ganz gelungen.«
»Verschwinde, Wide!«
Jonathan Wide erhob sich und ging. An der Tür drehte er sich um und sah, wie Holte sich abwandte und aus dem Fenster schaute, der Revolver auf dem Schreibtisch vor ihm schimmerte matt.