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Die Liste war lang. Sten Ard wusste nicht, ob es die richtige Liste war. Sie hatten sich durch die Namen gearbeitet, die noch übrig waren. Sie glitzerten schwach wie abgenutzte Messingschilder in den Ruinen nach dem Zusammenbruch des Finanzlebens, nicht Wirtschaftsleben, jemand hatte Wirtschaftsleben gesagt und Ard war wütend geworden.

»Das hat nichts mit Wirtschaftsleben zu tun.«

Er hatte nicht den Rauschgifthandel gemeint.

Diese Welt erforderte neue Sinne, um den Dschungel zu durchdringen ... gib mir Gift zu sterben oder Träume zu leben, er musste die Gedankendichtung mit sich herumtragen, um die Inspiration anzuheizen.

Sie waren durch die Stadt gegangen und am Wasser gelandet. Der alte Palast der Seefahrt, der sich mit schwerer Schlagseite über die Straße beugte. Als Junge war Sten Ard manchmal mit dem Fahrrad hierher gefahren, um die Schiffe in den Fischereihafen einlaufen zu sehen. Er war geblieben, bis der Geruch zu streng wurde. Dann war er langsam den ganzen Weg entlang den schmalen Straßen der Lagerhallen nach Lilla Bommen ostwärts gefahren. Er hatte den Geruch von schwarzem Pfeffer und Teer wahrgenommen, Lauge, Maschinenöl, Früchten und Bier. Damals hatte er beschlossen, über die Meere zu segeln, dorthin zu ziehen, wo der Pfeffer wächst, und selten zurückzukehren. Eine Serie langer Abschiede. Jetzt war er vielleicht so weit, dass er sich ein Boot kaufen würde.

Fredrik Björcke hatte Georg Laurelius zweifellos gut gekannt, hatte sich eine Zeit lang in denselben Kreisen bewegt. Immobiliengeschäfte in Grenzbereichen, die sie ohne Brandschäden durchquert hatten, Import von Waren der Containerklasse. Björcke war aufgestiegen. Ard hatte sich umgehört. Die neuesten Textilien, vom Feinsten, die »Indiska« blass aussehen ließen, und dennoch zu Preisen, die sich auch die untersten Einkommensschichten leisten konnten. Laurelius hatte im Vorstand gesessen.

Der Aufzug war wie eine Straßenbahn in die Vertikale gebaut - er konnte hinaussehen. Der Verkehr war ein immer schwächeres Brausen von der Straße. Der Norra Älvstranden wandte sein Sonntagsgesicht der anderen Seite zu, er sah die glänzenden Hausfassaden und dachte an Filmkulissen. Wie lange würden sie noch stehen . niemand zog dorthin, solange Mieten und Kautionen mit Betrug gleichzusetzen waren. Würde er dort wohnen, er würde sich gekidnappt fühlen.

Für einige Tage hatten sie einen Jungen hier draußen postiert. Ein Blick auf die, die kamen und gingen. Es erschien immer ratsamer, und er hatte die pädagogische Aufgabe übernommen, die Polizeiführung zu überzeugen, dass es einen Zusammenhang gab. Zehn Namen und die Leute, die kamen und gingen, unter Kontrolle. Björcke war so ein Name.

Er stand auf einem kleinen diskreten Schild an der Tür: Björcke, Finanzen. Kein großes Aufheben.

Sten Ard hatte die obligatorische Sekretärin erwartet und zog ein wenig den Bauch ein, aber der Mann öffnete ihm selbst die Tür. Groß, fast genauso groß wie Ard, entschieden mehr Haare, lässig gekleidet in blauem Halbpolo und grauem Anzug, der, wie Ard riet, aus Seide sein konnte. Er wirkte kühl.

»Kommissar Ard? Treten Sie ein.«

Mann aus Schonen, von der edlen Sorte, mit kultiviertem rollendem R. Er duftete schwach nach Parfüm, Ard roch es, als er ihm in ein kreisförmiges Büro folgte, das sich großzügig zum Wasser dort unten öffnete.

Björcke bemerkte Sten Ards anerkennenden Blick.

»Wenn der Gedanke frei schweben kann«, sagte er und breitete beide Hände in einer gespielt theatralischen Geste aus.

»Hier hat er Raum«, sagte Ard und fühlte einen schwachen Schmerz hinter den Augen. Das Licht war stark.

»Ich steh gern mitten im Zimmer und sehe die Schiffe einlaufen.«

»Heutzutage laufen nicht mehr so viele Schiffe ein.«

»Solange meine Schiffe kommen, bin ich zufrieden«, sagte Fredrik Björcke lächelnd.

Ard nahm seinen Notizblock hervor. Er schrieb selten etwas Sinnvolles auf, aber das Vorhandensein von Block und Stift veranlasste die Leute dazu, konzentriert zu antworten. Er zweifelte jedoch daran, dass sie damit auch eher die Wahrheit sagten.

»Wie ich schon am Telefon sagte, ermitteln wir in dem Mord an Georg Laurelius«, sagte Ard und sah den großen blonden Mann an.

Ard brachte jetzt nichts in Verbindung mit Kerstin Johansson. Diese Verbindungen durfte die Presse verbreiten, nach draußen und offiziell.

»Ja?«

»Sie waren . äh . Kompagnons?«

»Kompagnons? Dieser Ausdruck lenkt die Gedanken in die Zeit der Grossisten, Herr Kommissar.«

Dann vielleicht Kumpane, Herr Björcke? Nein. Das wäre kein guter Start gewesen.

»Wie würden Sie Ihre Geschäftsbeziehungen denn bezeichnen?«

»Georg Laurelius war vor allem ein Berater, Herr Kommissar.«

»Und was bedeutete das konkret?« »Was ein Berater macht?«

»Ich habe nur eine ungenaue Vorstellung davon. Worin bestanden Laurelius' Berateraufgaben?«

»Er sah sich in erster Linie als troubleshooter, also als Problemloser.«

»Ach, das bedeutet das.«

»Wie bitte?«

»Nichts. Sie haben gesagt, er sah sich als >Problemlö-ser<.«

Der Mann betrachtete die großartige Aussicht und schien einen Augenblick nachzudenken.

Vielleicht hält er nur Ausschau nach einem seiner Schiffe.

»Ich will es mal so ausdrücken: Die meiste Zeit verbrachte Laurelius damit, seine eigenen Probleme zu lösen.«

»Wie meinen Sie das?«

»Er war in Zahlungsschwierigkeiten . wie so viele andere. Er befand sich gerade in einer tief greifenden Umstrukturierung seiner Geschäfte, als er starb.«

»Hatte er viele Feinde?«

»Sie setzen voraus, dass er Feinde hatte, Herr Kommissar?«

Ard sah ein Lächeln in den Augen des anderen. Es erreichte nicht den Mund.

»Ein Geschäftsmann auf Ihrem Niveau ohne Feinde? Das ist kaum vorstellbar.«

»Wer hat gesagt, dass wir auf demselben Niveau waren?«

Ard ging nicht weiter auf die Frage ein, er ließ sie weich auf den hübschen orientalischen Teppich fallen. Von dort, wo er stand, konnte er unmöglich ein Muster erkennen, nur kräftige, klare Farben.

»Dies wird ein langes Gespräch, wenn Sie auf meine Fragen mit einer Gegenfrage antworten.«

»Vielleicht sollten Sie Ihre Fragen umformulieren, Kommissar Ask.«

»Mein Name ist Ard, wie Sie wissen. Hat Laurelius Geschäfte gemacht, die ihm Feinde hätten schaffen können?«

»Wenn Sie das Wort >Feinde< in diesem Zusammenhang definieren, kann ich vielleicht auf die Frage antworten.«

Jetzt wurde Ards Erfahrung als Verbrechenermittler, Fahnder und Verhörleiter auf die Probe gestellt. Er seufzte lautlos und unsichtbar.

»Hat er Geschäfte gemacht, die anderen schwer geschadet haben?«

»Nicht soweit ich weiß.«

»Wie oft haben Sie ihn getroffen?«

»Fast nie.«

»Er saß im Vorstand Ihres Unternehmens.« »Das stimmt nur teilweise.«

Wagte es Fredrik Björcke, in einer Sache zu lügen, die so leicht nachprüfbar war? Er war überzeugt, dass ihre Angaben auf dem neuesten Stand waren.

»Er saß nicht im Vorstand?«

»Er hat dort eine Weile gesessen, aber nur kurz.«

»Warum?«

»Darüber muss ich Sie nicht informieren. Ist das wichtig? Dann müsste ich ein wenig nachdenken, vielleicht ein paar Telefonate führen.«

»Wir ermitteln in einem Mordfall.«

»Die Rolle des Opfers in meinem Vorstand hat nichts mit seinem Dahinscheiden zu tun.«

Lassen Sie uns das entscheiden, Ard war drauf und dran, es auszusprechen, hielt es aber zurück.

Ihm fiel auf, dass Björcke ihn nicht gebeten hatte, sich zu setzen. Er überlegte, warum. Oder hatte er es getan? Er überlegte auch, warum sich der Finanzmann so feindselig verhielt. Die guten Jahre waren doch vorüber.

»Ihnen ist nicht bekannt, ob Laurelius irgendeiner Bedrohung ausgesetzt war?«

»Natürlich nicht.«

»Das kommt nie vor?«

»Nicht soweit ich weiß. Meinen Sie Bedrohung wegen eingestellter Kredite, Konkurs ... Steuerrückstand?«

»Er hat mit Ihnen nie über physische Bedrohung, Bedrohung seiner Person oder Familie gesprochen?«

»Wie ich schon sagte, wir haben uns nie getroffen. Wenn das jemand anders gehört hat Björcke breitete die Arme wie zur Fortsetzung der Antwort aus.

Ard musste einen anderen Weg versuchen. Er ging zum Fenster und sah auf den dünnen Verkehr auf dem Fluss. Die »Stena Nordica« glitt vorbei auf dem Weg hinaus, er sah die Menschen auf dem Sonnendeck wie Silhouetten aus Pappe vor dem milchigen, heißen Himmel. Niemand schien sich zu bewegen. Es war, als ob sie jemand dort für die Parade durch die Stadt aufgestellt hätte.

Er drehte sich um.

»Laurelius ist die Umstrukturierung nicht gelungen.«

»Nach allem, was ich hörte, war er auf einem guten Weg. Aber der Patient ist während der Operation gestorben, leider.«

»Wie ist es Ihnen selber gelungen?«

»Gut, wie es jetzt aussieht. Aber man kann nie ganz sicher sein.«

»Verkaufte Immobilien?«

»Die wenigen, die ich hatte.«

»Und jetzt sind es Textilien? Kleider?«

»Sie haben sich gut vorbereitet, Kommissar Ard.«

»Geht das Geschäft gut in den Zeiten der Technokrise?«

»Die Technokrise ist vorbei. Und meine Lieferanten haben nie eine Technokrise gehabt.«

»Und wer sind Ihre Lieferanten?«

Fredrik Björcke sah aus, als wollte er die Frage zunächst ignorieren. Nach ein paar Sekunden zeigte er auf eine dickbäuchige, pralle Trommel, die an der Wand hing. Ard hatte schon ähnliche gesehen. Afrika?

»Die ist ein Geschenk von einem von ihnen, einem Fabrikanten in Madras. Die Trommel kommt eigentlich aus Bangalore aus dem Landesinnern. Ein klassisches Instrument.«

Ard ging näher heran und betrachtete das Schlaginstrument interessiert. Björcke stellte sich neben ihn.

»Manchmal in der Schummerstunde nehme ich sie herunter und spiele ein bisschen.«

Ard sah ihn an.

»Sind Sie gut in Ragas?«

»Nein, Blues. Ich bin gut in Bangaloreblues.«

Ard schwitzte im Fahrstuhl nach unten, die Sonne brannte wie eine Lötlampe durch das dünne Glas. In Björckes Büro war es kühl gewesen, der Kontrast traf Ard stark und unmittelbar, als er es verließ.

Da war etwas, was Björcke gesagt hatte . Mit einem unausgereiften Gedanken, wie einer verwischten Kontur in seinem Kopf ging Ard zum Parkplatz bei der Första Länggatan. Das Thermometer über Masthugget blinkte 39, Sten Ard blieb stehen und betrachtete die Zahl, gelb auf schwarz, sie sprang um auf 3:44 und dann zurück auf 39.

Nach allem, was ich gehört habe, war er auf einem guten Weg ... Das hatte Björcke gesagt, nachdem er verneint hatte, näheres über Laurelius zu wissen. War es üblich, dass man sich über die Entwicklung der anderen auf dem Laufenden hielt? Welcher Art war der gute Weg, auf dem Laurelius sich angeblich befunden hatte? Sten Ard hatte die Gegensätze in einer Akte nach der anderen studiert. Georg Laurelius hatte sich auf verstrüppten Wegen bewegt, Abkürzungen, die auf Kahlschlägen endeten. Ein Konkurs nach dem anderen, und Ard hatte es merkwürdig gefunden, dass es jemand wagte, diesen Berater zu beauftragen, der mit seinen Geschäften in einem fort scheiterte. Er war auf einem guten Weg . diesen Weg hatte er nicht gesehen. Sollte er umkehren und Björcke noch einmal fragen? Aber er würde nicht mehr erreichen, als dass der Mann schweigen und auf seinen Rechtsanwalt verweisen würde. Sie mussten es auf dem formellen Weg angehen.

Er verbrannte sich fast am Schloss, als er die Autotür öffnete.

Er drehte sich auf dem Sitz um und wollte rückwärts fahren, musste jedoch warten, weil Menschen mit schweren Tüten aus Göteborgs Grönsakshus im Zentrum des Parkplatzes kamen. Ard hatte Durst. Er stellte den Motor ab, stieg wieder aus und ging in dieses Grönsakshus, das von außen aussah wie ein getarnter Hangar. Er kaufte frisch gepressten kalten Mohrrübensaft und trank ihn. Er fühlte sich wie jemand, der seinem Körper etwas Gutes getan hatte. Waren Mohrrüben nicht das Gesündeste, was es gab?

Vor der roten Ampel am Järntorget fiel es ihm plötzlich ein. Sten Ard fuhr einen Meter rückwärts und zwang das Auto hinter sich, dasselbe zu tun. Er hob die Hand, um sich zu entschuldigen, und bog nach rechts in die Linnega-tan ein. Der Verkehr floss träge, als wäre das Benzin unter dem glühenden Blech zu Öl gebacken worden und fände jetzt nur mühselig den Weg durch die Adern zum Herzen, das unregelmäßig unter der Motorhaube klopfte.

Ard fuhr am Schlosswald, der großen Lunge der Stadt, vorbei, die jetzt offen und grün in der gläsernen Luft lag. Er konnte weit entfernt Kinder sehen, die unter Duschen standen. Einige Frauen waren bis zu den Waden im Wasser in den Teich gestiegen. So würden sie stundenlang stehen können.

Er fuhr durch die stille Kungsladugärdsgatan weiter in Richtung Norden, die breite Allee, die die Antwort der westlichen Stadtteile auf die Avenyn war. Die schönen Holzhäuser auf Steinfundamenten säumten die Allee, sie waren das Besondere an diesem Stadtteil. Japanische und amerikanische Touristen fuhren langsam mit Bussen hindurch und schauten mit großen Augen. Manchmal erhob sich einer der Männer und salutierte mit der Flasche.

Sten Ard parkte unterhalb der Krawattenfabrik und ging den Hügel hinauf. Oben auf der Hügelkuppe war das Gras gelb und trocken. Zwischen den Schrebergartenlauben bot der Schatten Kühle und ein wenig Feuchtigkeit. Es wäre möglich, einen ganzen Sommer wie diesen hier zu verbringen, näher konnte man der Natur in der Stadt kaum kommen.

Adam Kieowsky arbeitete bei den Kaninchenställen. Er hatte sie ausgemistet, die Spreu erneuert und frisches Wasser hineingestellt. Um ihn herum lagen Kohlstrünke und das Grüne von Mohrrüben im Kreis. Kieowsky schaute auf, als der kräftige Mann im hellen Anzug durch die lose in den Angeln hängende Pforte trat. Wann würde sie herunterfallen? Er musste etwas dagegen unternehmen.

Da kam kein Fremder. Warum der Anzug?

»Herr Kieowsky ...«

»Guten Tag, Herr Kommissar.«

»Sie erkennen mich wieder?«

Adam Kieowsky streckte den Rücken und zog eine Schmerzgrimasse. Er stellte die Gießkanne auf einen dreibeinigen eisernen Tisch.

»Wo ist der andere?«

»Wo . anders.«

»Ich hab gedacht, Sie unterhalten sich immer nur zu zweit mit den Leuten. Der Böse und der Gute.«

»Nur im Film.«

»Ich seh mir selten Filme an.«

»Vielleicht auch in Büchern.«

»Ja.«

Ard trat ein paar Schritte näher und schaute in einen der Ställe. Ein großes schwarzes Kaninchen sah ihn vorwurfsvoll an und fraß dann weiter.

»Entschuldigen Sie bitte, Herr Kieowsky, dass ich hier einfach so hereinplatze. Aber ich wollte Sie noch etwas fragen nach unserem letzten Gespräch.«

»Ja ...?«

»Ich hoffe, es ist okay, wenn ich noch ein paar Fragen stelle.«

»Das ist schon in Ordnung.«

»Diese Frau, die Sie gesehen haben ... Sie meinten, sie sei etwas älter gewesen ... sind Sie da ganz sicher?«

»Wie ich schon sagte ... es schien eine reife Frau zu sein.«

»Warum glauben Sie das?«

»Eigentlich nur so ein Eindruck, eine Ahnung ... aber ich täusche mich selten. Sie trug einen Schal

Ard suchte wieder Augenkontakt mit dem Kaninchen, es gelang ihm aber nicht.

»Könnte die Person auch ein Mann gewesen sein .?«

»Man kann sich natürlich verkleiden. Aber aus welchem Grund so früh am Morgen?«

»Zeugen. Sie sind ja selber so ein Exemplar.«

»Nein. Ich glaube nicht, dass es ein Mann war. Aber ganz sicher kann ich natürlich nicht sein. Vielleicht war es der Gang

»Der Gang?«

»Hab ich das nicht schon erzählt? Wohl nicht.« »Was war mit dem Gang?«

»Sie ging ein wenig vornübergebeugt, das konnte ich gut erkennen, weil sie vor den anderen herging.«

»Beim letzten Mal waren Sie sich wegen der Größe nicht ganz sicher.«

»Das ist es doch, ich konnte es nicht sehen, weil sie leicht vornübergebeugt ging. Aber ich glaube, sie war recht groß.«