Ökolandbau in den falschen Händen?
Wie konventionelle Konzerne die Bio-Idee verändern
Von Wölfen in Schafspelzen
So gut wie jede Bio-Marke des Massenmarktes hat ihren eigenen Internetauftritt. Als Besucher wird man geradezu mit Verkaufsargumenten überhäuft, wenn man den Klick auf diese Homepages wagt. Die Bio-Produkte werden dabei auch durch Abgrenzung von konventionellen Produkten beworben. So stößt man beim Schmökern auf zahlreiche Argumente gegen die herkömmliche, nicht-biologische Landwirtschaft, ihren Umgang mit den Böden unseres Planeten und ihren viel zu hohen Einsatz von Düngemitteln und Pestiziden. Es wird angeprangert, für konventionelle Hersteller zählten nur Ertrag und Leistung als Richtlinien für das eigene Wirtschaften und der Gedanke der Nachhaltigkeit werde vernachlässigt. Die vorgebrachten Argumente sind richtig. Doch eine Frage drängt sich auf, ja bettelt geradezu darum, gestellt zu werden: Leiden die großen Handelskonzerne – unsere Supermarktketten – womöglich unter einer Art unternehmerischer Persönlichkeitsspaltung? Immerhin wird der Großteil der herkömmlichen, eben der konventionellen Lebensmittel in Österreich von niemandem anderen vermarktet als von ihnen selbst! Indem sie in der Werbung für Bio kräftig und mit guten Argumenten gegen die konventionelle Lebensmittelindustrie ins Horn blasen, erklären sie sich selbst den Krieg und hoffen dabei, dass es niemand merkt. Vergessen wir nicht: Natur*pur ist Teil des konventionellen Handelskonzerns Spar, Zurück zum Ursprung und Natur Aktiv sind die Bio-Marken des konventionellen Discounters Hofer. Auch die übrigen – wie etwa Echt B!o, natürlich für uns, Bio Bio oder Bio Trend – gehören alle zum konventionellen Lebensmittelhandel.
Wer dem Team von Ja!Natürlich einen Besuch abstatten möchte, muss sich zuerst in die Zentrale des konventionellen Rewe-Konzerns begeben. Die Geschäftsführerin von Ja!Natürlich hatte früher eine Spitzenposition bei Masterfoods inne, einer Tochterfirma des US-amerikanischen Lebensmittekonzerns Mars. Heute ist sie nicht nur für Ja!Natürlich verantwortlich, sondern gleichzeitig auch für die Billigmarke Clever und für Quality First. Beide sind konventionelle Eigenmarken des Rewe-Konzerns. Es bleibt ungeklärt, wie weit es bei Inhabern solcher Doppelfunktionen mit der ökologischen Überzeugung gediehen sein kann.
Die heutige Bio-Marke von Hofer, Zurück zum Ursprung, war in früheren Jahren gar keine Bio-Marke, sondern eine Handelsmarke für konventionelle Milcherzeugnisse. Werner Lampert, schon damals das dazugehörige Aushängeschild, gründete Zurück zum Ursprung im Jahr 2006 nach seinem Abgang aus dem Hause Ja!Natürlich. Von nun an lobte er die Vorteile seiner neuen, konventionellen Produktlinie. Und das klang so: »Wenn ich mir die Tierhaltung in der Milchwirtschaft ansehe, denke ich, dass die konventionelle teilweise höhere Standards hat. Eine so hohe Qualität der Tierhaltung habe ich bei Bio selten gesehen.«56 Somit war der einstige »Bio-Papst« von Ja!Natürlich zu einem konventionellen Handelsmann geworden und kehrte erst später wieder zu seinem »Bio-Pioniertum« zurück. Diese plötzliche Rückbesinnung auf Biologisch erfolgte, nachdem Konsumentenschutzvereine öffentlich bemängelt hatten, Zurück zum Ursprung werde als Bio-Marke wahrgenommen, ohne es zu sein. Seit sie sich das Bio-Mäntelchen rechtmäßig umgehängt hat, prangert die Bio-Marke etwa auf der konzerneigenen Homepage wieder die umweltschädigenden Auswirkungen der konventionellen Landwirtschaft an. Wären unsere Handelskonzerne Menschen, müsste man sie möglicherweise wegen multipler Persönlichkeitsstörung in psychotherapeutische Behandlung schicken.
In der ökologischen Wirtschaftsforschung geht man davon aus, dass die Glaubwürdigkeit des Bio-Marketings einer Handelsfirma nur unter Berücksichtigung der ökologischen Gesamtkompetenz des Unternehmens beurteilt werden kann. Je mehr sich das Konzept eines Unternehmens insgesamt an konventionellen Maßstäben orientiert, desto stärker erscheint sein Engagement für ökologische Produktionsweisen als ausgedünnt. Man spricht von einer Erosion der ökologischen Glaubwürdigkeit.
Tagebucheintrag
Nürnberg, 18. Februar 2011
Clemens G. Arvay
Der Tag neigt sich seinem Ende zu. Ich bin verausgabt, übermüdet. Der Trubel hier ist enorm, die Präsenz von Firmen aus aller Welt ebenfalls. Die Ausstellerinnen und Aussteller haben sich in Schale geworfen. Sie tragen meist schwarze (manchmal auch graue) Anzüge, sind in schicke Business-Röcke gezwängt, so richtig teuer herausgeputzt. An ihren Kleidern haften bekannte und weniger bekannte Konzern- und Markenlogos. Die Damen sehen ein wenig aus wie Stewardessen, die Herren wie Bankangestellte. Ich bin in einer Business-Welt par excellence gelandet. Der Ort des Geschehens: Nürnberg. Der Anlass: die alljährliche internationale Bio-Messe »Bio-Fach«.
Jetzt sitze ich hier, bei einer Flasche Kirschlimonade – »mit leckeren Früchten vom Bodensee« und »klimaneutral hergestellt«, wie der Aufkleber verrät, ohne näher zu erläutern, wie die angebliche Klimaneutralität berechnet worden ist. Auch geht aus dem Etikett nicht hervor, ob alle Früchte vom Bodensee stammen oder nur ein Teil oder wie weit der Herstellerkonzern diese Region überhaupt gefasst hat. Ein Blick auf die Inhaltsstoffangabe offenbart aber, wie bedeutungslos es ist, woher die Früchtchen wirklich stammen: Bescheidene fünf Prozent Bio-Kirschsaft, aus Fruchtsaftkonzentrat, sind in dem Getränk verarbeitet. Den Geschmack erhält der Sprudel durch »natürliche Aromen« und Zugabe von Zucker. Die künstlich beigesetzte Kohlensäure stößt mir unangenehm auf. Aber das Getränk verkauft sich wie am Schnürchen. Gut für den Hersteller, denn 0,33 Liter des industriellen Gebräus kosten hier mehr als drei Euro.
Ich lasse den Tag Revue passieren: Ankunft im riesigen Messekomplex. Nobler Empfang mit Klaviermusik in der sterilen Eingangshalle (Tageseintritt: EUR 30,-). Wahllos betrete ich eine der Hallen und stehe sofort vor einem Stand mit Industriepackfolie. Ich werde hellhörig. Ist das etwa biologisch abbaubares oder gar kompostierbares Material? Nein, zu früh gehofft: Es ist herkömmliches Polyethylen (PE). Es handelt sich um eine Frischhaltefolie für Großproduzenten und Großhändler von Obst und Gemüse. »Äh, und was hat das jetzt mit Bio oder Öko zu tun?« Diese Frage stelle ich dem Vertreter. Nun ja, erwidert dieser, die Folie eigne sich eben auch zur Verpackung von biologischen Produkten: »Grundsätzlich kann man jedes Gemüse oder Obst darin einpacken.« Dass Bio-Ware in dieser Plastikfolie ebenso wie konventionelle Ware gelagert, verschifft oder in Flugzeugen transportiert werden kann, reicht offenbar für den großen Auftritt auf der internationalen Bio-Fachmesse. Außerdem sei Polyethylen-Folie ausgesprochen »maschinengängig« und führe auch in großen und schnellen Industrieanlagen kaum zu Problemen, bekomme ich noch erläutert.
Ein paar Meter weiter gelange ich in den Bereich für »Innovationen und Neuheiten«. Als ich durch die Sicherheitsschleuse trete, habe ich das Gefühl, an einem sakralen Ort gelandet zu sein. Der Aufmarsch an Sicherheitskräften rund um den Innovationsbereich ist bemerkenswert. Doch Achtung: Fotografen sind hier nicht erwünscht. Dies bekomme ich augenblicklich zu spüren, als ich meine Kamera auspacken will. Zwei Security-Mitarbeiter stürmen in meine Richtung und schieben sich – noch ehe ich realisiere, was vor sich geht – zwischen mich und das Ausstellungsregal. Einer hebt seine Hände abwehrend über meine Kamera: »Fotografieren ist hier strengstens verboten«, erklärt er mir in bestimmendem Tonfall. »Bitte, weshalb das denn?«, frage ich höflich. Man wolle Produktpiraterie verhindern, ist die Antwort. »Aber die Produkte sind ja ohnehin öffentlich ausgestellt und ab sofort am Markt erhältlich«, werfe ich ein. Doch die Ordnungswächter bleiben hart. Immerhin könne ich ein Produktpirat sein, wiederholen sie ihr Argument. Hand aufs Herz, das bin ich nicht. Trotzdem packe ich meine Kamera wieder ein und im nächsten Moment stürmen die Sicherheitskräfte auch schon wieder davon: Eine Dame in Gang drei hat soeben die Kameralinse ihres Mobiltelefons geöffnet. Möglicherweise ist sie eine Piratenbraut.
Während ich durch den schier endlosen Innovationsbereich schlendere, wundere ich mich über die Angst vor Konkurrenz und das Geheimhaltungstheater, das hier veranstaltet wird. Noch mehr aber wundere ich mich über die Innovationen selbst, die uns die Bio-Industrie als bahnbrechende Erfindungen verhökern will. Hier die Highlights der Bio-Sensationsneuheiten aus 2011: Es gibt jetzt endlich fix und fertig abgeschmeckten Instant-Couscous im Industriebecher. Zubereitung: Einfach Wasser beifügen und fünf Minuten warten. Fertig! Ausgesprochen erwähnenswert auch die Innovation »Super Sprouts«: Bio-Gemüse und Bio-Obst aus Australien in Pulverform, unter Einsatz modernster Industrietechnologien extrafein pulverisiert. Jetzt können Sie Ihr australisches Obst und Gemüse ganz praktisch in jedem beliebigen Getränk auflösen und in Flüssigform zu sich nehmen. Auf der Unternehmenshomepage gibt es außerdem besondere Tipps für die Verwendung: Endlich Bio-Heidelbeerkuchen ohne Heidelbeeren, Bio-Apfelschnitte ohne Äpfel – »Super Sprouts« macht’s möglich! Vor Bio-Konservendosen wimmelt es regelrecht. Bio-Chips in verschiedenen Geschmacksrichtungen sind ebenfalls brandneu und mit Bio-Palmöl zubereitet, für dessen Produktion in Südostasien und Südamerika große Regenwaldflächen gerodet und ansässige Menschengruppen genauso wie gefährdete Populationen von Menschenaffen vertrieben werden. Bio-Dosengetränke sind 2011 überhaupt der große Renner. Sie stehen als »Innovationen« an allen Ecken und Enden. Es fragt sich nur, worin bei Aluminiumdosen die große »Innovation« steckt. Bio-Diätfuttermittel für Hunde darf unter den Neuheiten natürlich auch nicht fehlen, ebenso wenig wie plastikverschweißter Schnittkäse, der jetzt noch länger haltbar ist. Die Bio-Suppen können wir ab sofort fixfertig in Gläsern und Plastiktassen kaufen. Sie halten jetzt extra lang und brauchen nur noch aufgewärmt zu werden. Bereits abgeschmeckte Fertigsalate, Fertigeintöpfe und Fertiggazpachos in Plastikbechern reihen sich ebenso in den Reigen der Produktneuheiten ein und kommen noch dazu in Demeter-Qualität daher. Reis- und Sojadrinks gibt es jetzt endlich auch in herkömmlichen Plastikflaschen und Bio-Gummibärchen werden von nun an noch häufiger und in noch mehr Geschmacksrichtungen zu finden sein – die meisten mit Gelatine. Der Instant-Schweinsbraten geht den Bio-Konsumenten schon lange ab. Jetzt ist auch diese Lücke endlich geschlossen.
Ich verlasse den Bereich der Innovationen, als mir der Trubel dort zu viel wird. Ich spaziere durch die Hallen und bekomme alle paar Meter stapelweise Werbeprospekte vor die Nase gehalten. Eine Herstellerfirma herkömmlicher Fastfood-Verpackungen präsentiert ihre Plastikprodukte für den biologischen Take-Away-Markt, denn immerhin kann man ja auch einen Bio-Veggieburger hineinlegen. Ein EDV-Konzern bietet der Bio-Industrie seine Dienste an: Mit seiner Software können jetzt noch größere Fabriken noch zentraler gesteuert werden und die Daten von noch mehr Außenstandorten lassen sich jetzt noch schneller in die Konzernzentralen übertragen. Ich denke an die österreichischen Geflügelkonzerne und ihre Zentralcomputer: Ob sie wohl Interesse an diesem EDV-System haben werden? Die Technologien der Sojasaucenproduktion, so lerne ich, haben sich inzwischen gemausert und es lässt sich jetzt in viel kürzerer Zeit viel mehr von der delikaten dunklen Würzsauce abfüllen als früher. Dasselbe gilt für Bio-Ahornsirup. Die Industriemolkerei Pinzgau Milch, eine der Hauptherstellerinnen für Bio-Milchprodukte von Ja!Natürlich, bietet der internationalen Bio-Branche ebenfalls ihre Dienste an. Im Hintergrund sind Milchpackungen verschiedenster Bio-Marken ausgestellt, für die der größtenteils konventionelle Konzern produziert. An einem anderen Stand präsentiert sich die Firma Kärntnermilch der Bio-Businesswelt, die ihre Fließbandanlagen unter anderem im Auftrag von Natur*pur betreibt.
Ein Teehersteller bemüht sich redlich, das Gesundheitsargument für seinen Vorteil zu nutzen und preist seine Kräuterteemischung als die Innovation des Jahrhunderts an: Der Tee zeige an, ob man übersäuert ist oder nicht, verkünden die Vertreter. Schmeckt er bitter, dann sei alles im grünen Bereich. Nimmt man den Tee als süß wahr, so habe man zu viel Säure in sich und solle den Körperhaushalt zugunsten der Basen ausgleichen. Und das tue man am besten, indem man noch mehr von dem Tee trinkt, weil dieser nicht nur diagnostisch einsetzbar sei, sondern nach längerer Anwendungszeit den Säure-Basen-Haushalt nachhaltig ausgleiche. Man könne natürlich auch für eine basenreiche Ernährung sorgen, jedoch werde man auf keine Maßnahme stoßen, die so effektiv wie die Einnahme des Tees sei.
In Gang 21 hält mich der in dezentes Schwarz gekleidete Junior-Manager eines niederländischen Obst- und Gemüsegroßhändlers auf, der auch an Bio-Marken österreichischer Supermärkte liefert und zu den Größten in Europa gehört. Auf seinem tragbaren Notebook mit Touchscreen, einem sogenannten Tablet-Computer, zeigt er mir Pressefotos von seinen »Bäuerinnen und Bauern«, die er überall auf dem Globus unter Vertrag hat. Diese Fotos könne man im Internet abrufen: »Dann weiß der Kunde«, wurde mir eröffnet, »dass dieser Bauer unser Gemüse mit seinen eigenen Händen angebaut hat.« Dieses Märchen vom biologischen Retrobauerntum kommt mir bekannt vor. Ich weise den Manager auf den Bildhintergrund hin: eine riesige industrielle Treibhausanlage. Zwischen den Tomatenreihen lassen sich Metallschienen ausmachen, die für Erntewagen gedacht sind, auf denen die Helferinnen und Helfer durch die Gemüseproduktionsfabrik rollen. Der Mann auf dem Foto ist kein Bauer, sondern ein Bio-Industrieller. Nicht ein einziges seiner Produkte wandert je durch seine Hände. Dann deute ich auf die Tomaten- und Paprikaberge, die über den gesamten Messestand verteilt sind. Sie wirken wie aus Plastik. Es handelt sich um Hochleistungshybride, echte Designersorten. Obwohl wir beide stets freundlich und respektvoll zueinander bleiben, fühlt sich der Gemüsegoliath in die Enge getrieben: »Ich sage nicht, dass wir nicht industrialisiert sind«, ändert er seinen Kurs. Warum er dann den Eindruck von Handarbeit und Bauerntum vermitteln wolle, frage ich. Er weicht erneut aus, erklärt mir, wie groß der Druck der Supermarktketten sei, an die er seine Massenware liefert: »Wir müssen zu immer niedrigeren Preisen immer größere Mengen an Bio-Produkten bereitstellen, die wenig logistischen Aufwand erfordern sollen.« Dann erklärt er mir, die Supermärkte hätten den Bio-Markt längst assimiliert und ihren Gewohnheiten unterworfen. Ich habe das Gefühl, er stiehlt sich aus der Verantwortung, schiebt sie vom Großhandel gänzlich an den Einzelhandel ab.
Privat kaufe er ohnedies lieber auf Bauernmärkten ein, lässt mich der Man in Black wissen. Er trenne da klipp und klar zwischen seinem Job und seiner persönlichen Einstellung. Vielleicht ist genau das das Problem auf dem Bio-Massenmarkt, denn eigentlich war es so gedacht, dass der Ökolandbau mit Überzeugungen zu tun haben solle.
BioTM als Wachstumsstrategie
»Der Markt für Lebensmittel ist hierzulande vollkommen gesättigt, weshalb sich die Branche immer neue Trends einfallen lässt,
die sie den Kunden schmackhaft machen möchte.«
»Für den konventionellen Lebensmittelhandel ist Bio ein Marketinginstrument. Es geht um unser Image und um die Sicherung von Marktanteilen gegenüber der Konkurrenz.« Dies sind die Worte des Geschäftsführers einer Import- und Großhandelsfirma für Obst und Südfrüchte, die einen österreichischen Supermarktkonzern mit konventioneller ebenso wie mit Bio-Ware beliefert. »Im konventionellen Lebensmittelhandel wird auch bei Bio rein auf Programm produziert, nicht auf Bedarf«, fügte der Insider hinzu. Es gehe in erster Linie um die maximale Auslastung eines Marktsektors. Denn die Devise sei, so wurde mir erklärt, jede Nische auszureizen, um die Unternehmensexpansion aufrechtzuerhalten. Damit wären wir auch schon beim wichtigsten Stichwort für dieses Kapitel: Wachstum! Der Markt, ganz egal von welcher Branche wir sprechen, verträgt keine Stagnation. Investoren und Aktionären gefällt es ebenso wenig wie den Konzernmanagern selbst, wenn das Geschäft stagniert. Unser gesamtes Wirtschaftssystem baut auf Expansion und der Sicherung von Marktanteilen gegenüber der Konkurrenz auf. »Der Bio-Massenmarkt ist ein künstlich geschaffener Markt«, bekam ich in Gesprächen mit Marketingmanagern immer wieder zu hören. Man stelle sich die zwickmühlenartige Situation der Konzernangestellten vor: Nun ist der Lebensmittelmarkt bereits mehr als gesättigt und dennoch sollen sie für jährliches Wachstum ihres Dienstgeberkonzerns sorgen. Es gibt nichts mehr, das wir brauchen und das in Supermärkten nicht schon in verschiedensten Farben und Formen erhältlich wäre. Viel eher trifft der umgekehrte Fall zu. Wenn wir uns nämlich den Überfluss ansehen, der in die Handelsregale gestopft wird, so könnte man sich die Frage stellen: Braucht die Menschheit diese Flut an Produkten, die beworben, angepriesen und vermarktet werden, wirklich? Angesichts dieser Dichte an Produktarten erscheint der Auftrag an die Lebensmittelkonzerne, für weiteres Wachstum zu sorgen, geradezu absurd. Dennoch tut man alles, um die Expansion weiterhin voranzutreiben. Wir brauchen vermutlich bei Weitem nicht so viele Marken für Tiefkühlpizza, wie uns in den Kühlregalen angeboten werden. Und nach dem hundertsten Label für Fischstäbchen ist irgendwann die Grenze der Sinnhaftigkeit überschritten.
Da aber trotz der Übersättigung des Lebensmittelmarktes eine Stagnation um jeden Preis verhindert werden muss, kommt den Konzernen die Bio-Nische gerade recht. Sie brauchen Bio-Konsumenten auf ähnliche Weise, wie Bram Stokers Graf Dracula schöne junge Frauen braucht: Der Fürst der Finsternis, der übrigens auf die historische Figur Vlad Tepes den Dritten zurückgeht, gibt nur vor, seinen Opfern wohlgesonnen zu sein, und lockt sie mit seinem Charme in die blassen Mondnächte hinaus, wo er über sie herfällt. Denn in Wirklichkeit hat er es auf ihr Blut abgesehen, von dem er immer mehr und mehr bekommen muss, um weiter existieren zu können. So wie Dracula das frische Blut, brauchen die Lebensmittelkonzerne immer mehr des Geldes ihrer Kundinnen und Kunden, um den Wachstumskurs aufrechtzuerhalten. Und ganz ähnlich, wie er, der Graf, seine Opfer heimtückisch zu sich ruft, lockt uns auch der Lebensmittelhandel mithilfe der Werbung und liebreizender Versprechen in die Filialen seiner Supermärkte. Man gibt vor – ebenfalls nach Art des blutrünstigen Dunkelfürsten –, uns wohlgesonnen zu sein. Dass Kinder inzwischen schon in nahezu jeder Supermarktfiliale Sammelalben geschenkt bekommen, die sich erst durch regen Einkauf mit Aufklebern füllen lassen, ist nur eine von vielen »draculösen« Strategien im Dienste des Geldrausches der Wachstumsmärkte. Bio-Produkte ganz nach unseren Bedürfnissen herzustellen, das ist ein weiteres reizvolles, aber beinhart kalkuliertes Versprechen. Die Konzerne inszenieren sich hierfür sogar als ökologische Revolutionäre. In Bram Stokers »Dracula« ist es nur eine kleine, eingeweihte Gruppe rund um den Arzt und Kenner der Vampire, Doktor van Helsing, die um die wahre Natur des Grafen weiß und versucht, den ununterbrochenen Blutstrom versiegen zu lassen. Doch welcher Heldentrupp wird sich formieren, um dem Wachstumsrausch der Lebensmittelkonzerne wacker entgegenzutreten? Die Bio-Nische wurde seitens der Wachstumsstrategen nicht nur besetzt, sondern darüber hinaus medial zum Boom aufgeblasen, der sich nun anzapfen lässt.
Der so entstandene BioTM-Markt ist jedoch keine unversiegbare Quelle des Geldstroms. Langsam nähert er sich seinen Grenzen: »Wir stellen fest, dass der Bio-Markt nahezu ausgeschöpft ist. Wir rechnen nicht damit, dass wir unsere jährlichen Umsätze im Bio-Bereich noch maßgeblich steigern können«, schätzte der Prokurist eines großen Geflügelkonzerns in Österreich das Entwicklungspotenzial ein. »Deswegen setzen wir auch weiterhin zum allergrößten Teil auf konventionelle Hühnerprodukte.« Und diese werden auch in Zukunft das Angebot dominieren, denn der konventionelle Lebensmittelhandel ist an der Bio-Idee nur so lange interessiert, solange sie die Umsätze ordentlich ankurbelt. Unsere Supermarktkonzerne sind die Akteure, die regelrechten Verursacher der konventionellen Lebensmittelindustrie, nicht aber Verfechter des Ökolandbaus.
Die Journalistin Kathrin Hartmann bezeichnet die Öko-Welle des Massenmarktes in ihrem Buch »Ende der Märchenstunde« als »lediglich eine Auffrischung des Konsumgedankens«. Konzerne, die aufgrund ihrer genetischen Struktur und Funktionsweise konventionell ausgerichtet sind und nur mithilfe ihrer – eben konventionellen – Wirtschaftsweise existieren, können in Zukunft, im Ganzen betrachtet, nichts anderes als konventionell bleiben. Rewe – um nur ein Beispiel zu nennen – gab bekannt, die hauseigene Billigmarke Clever sei derzeit die mit Abstand öffentlichkeitsstärkste Eigenmarke des gesamten Lebensmittelhandels in Österreich.58 Und das wird der Konzern wohl nicht so schnell ändern wollen. Die Unternehmenslinie ist konventionell. Daran werden auch ein paar BioTM-Wachstums-produkte im Regal langfristig nichts verändern. Oder, um es in den Worten von Kathrin Hartmann zu sagen: »Also macht jede einzelne herkömmliche Supermarktfiliale die Welt einfach schlechter, ob mit oder ohne Sonnenkollektoren auf dem Dach oder Bio-Produkten im Regal. Wer nur das Gute betont, verschweigt das Schlechte. Das ist im Zweifel verheerender, als das bisschen Gute zu verschweigen.«59
Bio Light am Massenmarkt: Das Gesetz macht’s möglich
Agrarwissenschaftler warnen schon seit vielen Jahren vor der schleichenden, aber fortschreitenden Annäherung des Ökolandbaus an die konventionelle Landwirtschaft. »Das amtliche Bio-Zeichen verlangt nur einen Mindeststandard, ermöglicht aber dadurch die inflationäre Verbreitung des Zeichens«,60 schreibt Thilo Bode in seinem Buch »Die Essensfälscher«. Und damit bringt er das Problem auf den Punkt: Die gesetzlichen Vorgaben für »kontrolliert biologische Landwirtschaft« lassen dem Handel sowie den Produzenten relativ großzügige Spielräume. Es wäre ein fataler Irrtum, zu glauben, die Realität von Bio-Produkten sei immer dieselbe, bloß weil sie alle dasselbe EU-Biozeichen tragen. »Es gibt Bauern, die noch viel ökologischer wirtschaften als wir. Aber deren Produkte können Sie nicht im Supermarkt kaufen«, teilte mir der Großproduzent für eine österreichische Bio-Marke offen und ehrlich mit. Thilo Bode in »Die Essensfälscher«: »Mit dem, an sich erfreulichen, Bedeutungs- und Umsatzzuwachs des Marktes für Bio-Lebensmittel wächst leider auch die Tendenz, den ursprünglichen Qualitätsanspruch von Bio zu verwässern und zu verraten.«61 Der konventionelle Lebensmittelhandel mit seinen Bio-Marken wird von ökologischen Wirtschaftswissenschaftlern in die Kategorie der »Greening Goliaths« eingeordnet. Diesen wird der ökologische Nischenmarkt gegenübergestellt: Bauern in der biologischen Direktvermarktung, Reformhäuser und Bio-Läden sowie Bauernmärkte und Bauernläden. Die Unternehmen der ökologischen Nische werden, in Anlehnung an die biblische Geschichte von David und Goliath, manchmal auch als »Organic Davids« bezeichnet.
konventioneller Massenmarkt |
BioTM- Massenmarkt |
ökologischer Nischenmarkt |
zentralisierte Organisation und Produktion |
zentralisierte Organisation und Produktion |
Dezentralität |
Industrialisierung |
Industrialisierung |
Hofindividualität |
Agrargigantismus |
Agrargigantismus unter Ausschöpfung der gesetzlichen Spielräume |
kleinstrukturierte Landwirtschaft |
Monokulturen und Flurbereinigung |
Monokulturen und relative Flurbereinigung |
Orientierung an »Agrarökosystemen« |
Einsatz schwerer Maschinen |
Einsatz schwerer Maschinen |
angepasste Technologien |
Konkurrenz und Wettbewerb |
Konkurrenz und Wettbewerb |
Kooperation |
kommerzielle Beherrschung der Natur |
Natur wird als Produktionsraum verstanden |
Harmonie mit der Natur als Leitsatz |
Spezialisierung und Einheitsproduktion |
Spezialisierung und Einheitsproduktion |
Produktvielfalt, alte Sorten und Rassen |
Expansion und Wachstum |
Expansion und Wachstum |
ökonomische und ökologische Stabilität |
keine ideologischen Motive |
Bio als Marketinginstrument |
ideologisch motiviert |
nur konventionelle Produkte |
Integration von Bio-Produkten ins konventionelle Sortiment |
ausschließlich oder überwiegend Bio-Produkte im Sortiment |
marktstrategische Standortwahl |
marktstrategische Standortwahl |
vorwiegend angestammte Regionalstandorte |
Vertragslandwirtschaft |
Vertragslandwirtschaft |
bevorzugt direkter Warenbezug von Landwirt/innen |
Druck des Wachsens oder Weichens |
Druck des Wachsens oder Weichens |
Klein- und Mittelbetriebe werden gefördert |
Verpackung und Umverpackung von Ware |
Verpackung und Umverpackung von Ware |
möglichst Verzicht auf Verpackung und Umverpackung |
künstlicher Markt |
künstlicher Markt |
Bedarfsproduktion |
Lobbyismus |
Lobbyismus |
politisches Engagement, kritische Opposition des Massenmarktes |
Tendenzen des konventionellen Lebensmittelmarktes, des Bio-Massenmarktes und des ökologischen Nischenmarktes im Vergleich
Die obenstehende Tabelle eignet sich zur Veranschaulichung einer Entwicklungstendenz, die in den Agrarwissenschaften als die »Konventionalisierung der Bio-Branche« diskutiert wird, also die Annäherung des Bio-Massenmarktes an die konventionelle Lebensmittelproduktion. Das Wecken hoher Erwartungen, die nicht erfüllt werden, erscheint der Konsumentin und dem Konsumenten gegenüber weniger vertretbar, als es eine realistische Selbstdarstellung der Unternehmen mit dem Eingeständnis von Fehlern und Entwicklungspotenzial wäre. In Werbung und Marketing zeigen sich die gravierendsten Abweichungen zwischen Öko-Nische und Bio-Massenmarkt.
BioTM-Massenmarkt |
ökologischer Nischenmarkt |
Emotionsmarketing und Animationsnutzen |
sachliche, eindeutige Informations-bereitstellung |
Imageaufbau und Dramatisierung der eigenen Leistungen |
selbstkritische Grundhaltung, Eingeständnis von Verbesserungspotenzial |
Zielgruppenorientierung |
Ideenorientierung |
hohes Werbebudget |
kein oder geringes Werbebudget |
inszenierte Kommunikation über Massenmedien |
persönliche Kommunikation |
werbestrategische Verschleierungs-tendenzen |
kaum werbestrategisch orientiert |
Marketing und Werbung des Bio-Massenmarkts im Vergleich mit dem ökologischen Nischenmarkt
Erste Worte aus der Öko-Nische
Interview mit Rupert Matzer
Es wird Zeit, einen ersten Blick in eine ganz andere Szene zu werfen, eine Welt abseits der zentralisierten Bio-Industrie und weit weg von millionenschweren TV-Werbespots. Nun war schon mehrmals vom sogenannten »ökologischen Nischenmarkt« die Rede – eine höchst vielfältige Landschaft an Bio- und Bauernläden, Wochenmärkten, Reformhäusern und Hofläden, die keineswegs als einheitlich dargestellt werden dürfen. Um einen ersten Eindruck davon zu erhalten, wie sich Marketing und Werbung in der Öko-Nische vom expandierenden Bio-Massenmarkt unterscheiden, besuchte ich einen »alten Hasen« aus der Ökolandbaubewegung.
Wir trafen einander in seinem Bio-Laden bei einer Tasse Tee und einem Stück Kuchen, frisch gebacken und nicht weit gereist: Die Vollwertmehlspeise war am frühen Morgen von einem ortsansässigen Bäcker- und Konditormeister geliefert worden. Mein Gesprächspartner, Rupert Matzer, nahm mir gegenüber Platz. Sein langes, inzwischen schon weiß gewordenes Haar, trug er zu einem Zopf geflochten. Bereits in den 1970er-Jahren gründete er, gemeinsam mit seiner damaligen Lebensgefährtin und heutigen Ehefrau Ushij, in Graz einen kleinen Bio-Laden. Etwa zeitgleich engagierte sich das junge Paar gegen das in Österreich geplante Kernkraftwerk in Zwentendorf. Am 5. November 1978 blieb ihr kleiner Laden geschlossen: Volksabstimmung zum Atomkraftwerkbau. Die beiden Umweltschützer stimmten dagegen; so wie mehr als die Hälfte der übrigen teilnehmenden Österreicherinnen und Österreicher. Heute ist der Bio-Laden von Familie Matzer unter allen österreichischen Bio-Läden, die sich bis dato erhalten haben, der älteste. Rupert und Ushij hätten allen Grund dazu, sich als »Bioladen-Pioniere« zu bezeichnen. Sie tun es aber nicht. Im Nischenmarkt geht es weniger um persönliche Profilierung und Selbstdarstellung als um die Idee des Ökolandbaus an sich und dessen Weiterentwicklung.
Clemens G. Arvay: Heute Vormittag habe ich mich in einer Grazer Supermarktfiliale umgesehen und stieß auf mehrere Werbeplakate für die hauseigene Bio-Produktlinie des Konzerns. Ich sah Aufnahmen kleiner Bauerngärtchen, Bilder von Hühnern, die gestreichelt werden, und von wilden Naturparks. Die Fotos beeindruckten mich. Rupert, warum sehe ich in Ihrem Laden keine solchen Bilder?
Rupert Matzer (lacht): Ich denke nicht, dass eine solche Kampagne zu meiner Philosophie passen würde. Meine Tomaten wachsen nicht an den Wasserfällen heimischer Naturreservate und es liegt mir fern, dieses Gefühl vermitteln zu wollen. Für kommerzielle Werbung werden sogar Himbeeren mit Draht in die Sträucher gehängt. Ich denke, da lasse ich lieber meine Finger davon.
Clemens G. Arvay: Es wurden aber ganze Bände über zielgruppenorientiertes Marketing im Bio-Lebensmittelhandel verfasst. Ist es nicht zeitgemäß, die Konsumentinnen und Konsumenten so direkt wie möglich anzusprechen?
Rupert Matzer: Ja genau, direkt ansprechen! Das tue ich ohnedies jeden Tag. Hier in meinem Geschäft komme ich laufend ins Gespräch mit meinen Kundinnen und Kunden. Das verstehe ich unter direkter Ansprache.
Clemens G. Arvay: Mit den Erwartungen der »DINKS62«, der »LOHAS63« oder anderer definierter Zielgruppen haben Sie sich also noch nicht auseinandergesetzt?
Rupert Matzer: Das Wort »DINKS« habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehört und ich kann mir überhaupt nichts darunter vorstellen. Über die »LOHAS« habe ich eher zufällig einmal gelesen, aber ich könnte jetzt nicht sagen, wodurch sie sich speziell auszeichnen.
Clemens G. Arvay: Auf welche Art betreiben Sie dann Werbung?
Rupert Matzer: Werbung im eigentlichen Sinne betreibe ich gar keine. Meine Kundinnen und Kunden sind mündige Menschen. Wenn sie in meinen Bio-Laden kommen, dann haben sie bestimmt ihre Gründe dafür. Wenn sie mit meinem Angebot zufrieden sind, werden sie wiederkommen und vielleicht sogar Freunde und Bekannte mitbringen. Wenn sie nicht zufrieden sind, sehe ich auch keine Notwendigkeit, sie wieder hierher zu locken. Es ist ganz einfach: Mein »Marketing« besteht im persönlichen Kundenkontakt. Wenn mich jemand etwas fragt, gebe ich Auskunft.
Clemens G. Arvay: Und wenn Ihnen kritische Fragen gestellt werden?
Rupert Matzer: Na umso besser! Die gesamte Ökolandbaubewegung basiert ja auf einer kritischen Grundhaltung. Auch Selbstkritik ist etwas Notwendiges, um sich weiterzuentwickeln. Es gibt vieles, das wir noch verbessern müssen. Das trifft auf mich als Bio-Kaufmann zu ebenso wie auf die biologische Landwirtschaft an sich.
Clemens G. Arvay: Wenn wir schon von offener Kommunikation sprechen: Was würden Sie im Ökolandbau besonders kritisch sehen?
Rupert Matzer: Es gibt einiges, worin ich mich noch für Verbesserungen einsetzen möchte. Ein trauriges Beispiel ist der Umgang mit Küken in der Eierproduktion, auch im Nischenmarkt. Das Töten der männlichen Küken ist absolut unwürdig. Das ist Krieg! Die Wirtschaft muss Abstriche machen. Wir brauchen nicht lauter Superlegehühner. Ich setze mich dafür ein, dass wieder vermehrt alte Rassen gehalten werden, die sowohl als Masthühner als auch als Legehennen geeignet sind. Diese Zweinutzungsrassen sind kaum mehr zu bekommen. Viele Bio-Bauern sind darauf angewiesen, ihre Tiere aus herkömmlichen Brütereien zu beziehen. Zweinutzungshühner sind zwar weniger ertragreich als moderne Rassen, aber wir müssen dorthin zurück, weil die derzeitige Situation der Küken moralisch einfach nicht vertretbar ist. Das thematisieren wir hier im Geschäft ganz offen. In solchen Fällen ist Verheimlichung wirklich der falsche Weg.
Clemens G. Arvay: Und sonst?
Rupert Matzer: Ansonsten behalte ich die Betriebsgrößen meiner Lieferanten im Auge. Wenn sich ein Hühnerbauer der Tausend-Stück-Marke nähert, dann wird mir das eindeutig zu viel, obwohl das noch immer weit unter den Betriebsgrößen am Bio-Massenmarkt liegt. Auch den Einsatz von zu schweren Maschinen halte ich für nicht angebracht im Ökolandbau. Es ist viel wichtiger, offen zu diesen Grundwerten zu stehen, als in der Öffentlichkeit so zu tun, als wäre Bio automatisch etwas Heiliges, bloß weil ein EU-Biozeichen draufklebt.
Clemens G. Arvay: Glauben Sie, dass die Bio-Idee in die falschen Hände geraten ist?
Rupert Matzer: Das kommt auf den Einzelfall an. Der Bio-Markt gehört jedenfalls in die Hände von Menschen, die voll hinter der Idee stehen und nicht nur aus marktstrategischen Gründen dabei sind. Biologische Landwirtschaft muss ihnen ein ehrliches Anliegen sein und eine selbstkritische Haltung gehört da einfach dazu. Bio muss vom Herzen kommen, nicht vom Geldbeutel. Ich würde einfach sagen: Wenn der Ökolandbau in Hände gerät, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, dann ist er in falschen Händen.