20

 

 

Selbst so früh am Tag wurden die Gerüche des Flusses in üppiger Vielfalt und beißender Schärfe herangetragen. In jedem Teil der Stadt würden Sklaven ihre Eingeweide ausschwitzen; schleppend und zerrend, putzend und schrubbend. Der stets gegenwärtige Staubgeschmack der Luft überzog Zunge und Lippen mit einem schmierigen Film. Alles in allem war es ein gewöhnlicher Tag in Tsungfaril, als wir zu Königin Leones Palast marschierten.

Also drehte sich alles um die Shanks! Nun, ich denke, das hätte ich wissen sollen. Ich hätte früher erkennen sollen, daß die Herren der Sterne den Kreuzzug nicht aufgaben, den wir gestartet hatten, um die Räuber von der anderen Seite der Welt aufzuhalten und zurückzuwerfen.

Was den feinen Caspar Del Vanian, Caspar den Spitzer, betraf – der Name Spitzer erweckte in mir die Vorstellung, daß er eine Restaurantkette leiten sollte –, seine Einmischung in die Verschwörung war willkommen und bedeutete, daß die Herren der Sterne schwere Geschütze auffuhren. Mir war seit langer Zeit bekannt gewesen, daß ich der Bursche war, den sie ins Spiel brachten, wenn die anderen eine Sache vermasselt hatten – wie bei dem Feuer, bei dem ich Mevancy kennengelernt hatte.

Mevancy war jetzt mit einem langen Männergewand bekleidet, einem burnusähnlichen Kleidungsstück, und befand sich am Ende des Gherimcal. Kuong trug das vordere Ende. Er trug einfache Kleider, nichts verriet den Lord. Ich marschierte an der Seite und stützte mit einer Hand den Stuhl. In dem Stuhl saß die Leiche.

So sehr wir uns auch wie eine Gruppe von Automaten bewegten, die scheinbar ohne jeden weiteren Gedanken stur geradeaus schritt, war sich in Wirklichkeit jeder von uns im höchsten Grade dessen bewußt, was wir taten. Unsere eigenen Wünsche, unsere eigenen Ängste mußten beiseite stehen. Wenn Shang-Li-Po nicht als Faktor des Problems gestrichen werden konnte, mußte eine Königin eingesetzt werden, die sich den Shanks unerschrocken entgegenstellte. Soweit mir bekannt war, und ich besaß ausreichende Erfahrungen mit den Fischköpfen, hatte es absolut keinen Sinn, mit ihnen zu verhandeln. Sie redeten nicht mit den Bewohnern von Paz. Sie töteten sie. Manchmal nahmen sie sich ein paar Sklaven, denen sie die täglichen Lasten aufbürdeten. Ich dachte oft, daß die armen Unglücklichen, die versklavt wurden, sich wünschten, vorher gestorben zu sein.

Da ich ein vorsichtiger alter Leemjäger bin, war ich mir durchaus bewußt, daß ich Caspar nicht so ohne weiteres trauen durfte. Wie alle anderen Diener der Herren der Sterne, die ich kennengelernt hatte, lebte er in tödlicher Furcht und Ehrfurcht vor ihnen. Und das meiner Meinung nach zu Recht. Er hatte zugestimmt, bei dem Plan mitzumachen. Ich wußte ohne den Schatten eines Zweifels, daß er seinen vergifteten Spitzer in Leone stechen würde, wenn es aus seiner Sicht notwendig wurde.

Der geschlossene ockerfarbene Vorhang des Tragstuhls verbarg den Insassen. Ich muß zugeben: Während wir zu Fuß nebenhergingen, war ich sehr dankbar, daß Llodi durch Chandras Einfluß ohne weitere Schwierigkeiten ein totes Mädchen gefunden hatte. Ich hielt mich nicht damit auf, darüber nachzudenken, was ich getan hätte, wenn keine Leiche da gewesen wäre und die Verschwörer ein lebendiges Mädchen genommen hätten. Ich wußte, was der Dray Prescot getan hätte, den es noch vor ein paar Jahren gegeben hatte und der wegen seiner Skrupel zur Erde verbannt worden war.

So früh schienen Luz und Walig strahlend herab, und scharf abgegrenzte Zwillingsschatten bildeten sich rubinrot und grün. Es gab keinen Wind. Ich schmeckte den Staub in der Luft und bemerkte kaum den Geruch der wenigen Blumen, denen man erlaubt hatte, auf dem Platz vor dem Palast zu wachsen. Kuong führte uns um den Kyro herum zu einem Hintereingang.

Die Wache war ein Fristle. Der Katzenmann sah tödlich gelangweilt aus, und sein Krummsäbel, die typische Fristle-Waffe, blieb in der Scheide.

Die Erlaubnis, die Chandro unterschrieben und mit seinem Siegel versehen hatte, brachte uns ohne die geringste Schwierigkeit hinein. Schnell passierten wir eine Schar Sklaven, die Wasserkrüge trugen. Wir drangen tiefer in die hinteren Teile des Palastes vor, bis wir soweit gekommen waren, wie es vernünftig erschien. Ich kannte hier die Örtlichkeiten, und ohne viel Aufhebens ergriffen wir die Gelegenheit; als der Korridor verlassen war, durchschritten wir eine Geheimtür in einen Gang voller Spinnweben, der parallel zum Hauptkorridor verlief. Hier wurde der Gherimcal abgesetzt.

Kuong leckte sich die Lippen. »Ich kann dir nur viel Glück wünschen, Drajak. Möge der wohlwollende Tsung-Tan auf dich herniederlächeln.«

Mevancy sagte: »Schwachkopf! Möge Gahamond dir beistehen. Und bei Spurl, sei vorsichtig!«

Was sie nicht sagte, weil Kuong zuhörte, wäre etwa in die Richtung gegangen: ›Und vermassele es nicht, um des süßen Anliegens der Everoinye willen!‹

Nachdem ich mich vergewissert hatte, daß der Korridor leer war, trat ich durch die Geheimtür und machte mich auf den Weg zu den königlichen Gemächern.

Zu diesem Zeitpunkt mußte Caspar nach den Berechnungen des Plans seine Staffelei aufgestellt haben, Farben und Pinsel vorbereiten, und eine Schau abziehen. Er würde zuerst eine flüchtige Skizze machen. Llodi würde bereitstehen.

Die Wachen vor der mit Silber beschlagenen Tür kreuzten ihre Strangdjas vor mir. »Gebt der Königin Nachricht. Sagt ihr, Drajak der Schnelle bittet um Audienz in der Sache, die wir besprochen haben. Sie wird mich sofort sehen wollen.«

Ich kehrte die harte, dominierende Art und Weise heraus, die mir so unangenehm leicht fällt.

Sie sprangen.

Schon sehr bald kam einer zurückgekeucht und rief: »Laßt Drajak den Schnellen durch! Bratch!« Dann fügte er hinzu: »Die Königin war bei seinem Namen entflammt!«

Nun, die arme Seele, ich machte ihr etwas vor. Später würde ich mich umfassend entschuldigen müssen – falls wir dann alle noch lebten. Was den Umstand betraf, daß sich Dray Prescot entschuldigen müßte, nun, in diesem Fall war es kein Wunder, bei Zair!

Mit einem paar Khibils als Eskorte stürmte ich durch kunstvoll gearbeitete Durchgänge und Vorzimmer, bis zu einer elfenbeinernen Tür, die aufgestoßen wurde. Ich wurde in einen kleineren Raum geleitet, in dem ein Deckenfenster milchiges Licht einströmen ließ.

Die Staffelei war aufgestellt. Die Farbkästen waren geöffnet. Caspar sah auf. Llodi stand bewegungslos in einer Ecke. Leone trug ein einfaches weißes Kleidungsstück und saß auf einem schmucklosen Stuhl. An einer Seite stand ein geflochtenes Gestell, auf dem ein Gewand hing, das mit einem herrschaftlichen Edelsteinschatz übersät war. Das war alles nach Plan.

Auf jeder Seite des mit Juwelen besetzten Gewandes stand eine aufmerksame Khibilwache, entschlossen, die Edelsteine zu beschützen. Rechts und links von Leone standen noch zwei, genauso aufmerksam, entschlossen, die Königin zu beschützen. Das hatte der Plan nicht vorgesehen.

Bei dem Schwarzen Chunkrah! schimpfte ich lautlos. Wir konnten unseren Weg nicht aus einem irdenen Topf planen!

Ergo – der Plan mußte geändert werden.

»Drajak!« rief Leone atemlos aus. Ihre Wangen waren gerötet, ihr Busen wogte, ihre Augen strahlten – all die Beschreibungen aus Clishdrin, die auf ein armes Mädchen passen, das mit blinder Leidenschaft erfüllt ist. »Ich bin froh, dich zu sehen ...« Da erst fiel ihr ein, daß sie Publikum hatte. »Laßt mich allein!« befahl sie den Wachen mit dem Wedeln einer schlanken Hand.

Aufgrund der Schärfe des Befehls sprang Llodi vorwärts und donnerte den Deckel des nächststehenden Farbkastens zu, im Begriff zu gehen. Die Wachen rührten sich nicht. Caspar blieb an der Staffelei stehen, seine hellen Augen schauten berechnend zu.

Der Raum war eher klein. Gemessen an den Dimensionen des Palastes bedeutete das, daß er etwa vier oder fünfmal so groß war wie das Eßzimmer eines gewöhnlichen Sterblichen. Aus den Schatten am anderen Ende trat die säulenförmige Gestalt Shang-Li-Pos mit den harten Gesichtszügen. Das Rot seines Gewandes leuchtete im Raum. Die Amtskette blitzte an seinem Hals auf. Hier stand ein Mann, der sich absolut der Macht bewußt war, die er ausübte, und der vorhatte, diese Macht zu behalten und auszuweiten, ohne Rücksicht darauf, was er auf dem Weg unter seinem Fuß zermalmen würde. Die steinernen Lippen bewegten sich kaum.

»Es wäre nicht klug, Königin, die Wachen fortzuschicken!«

Sein Blick ruhte unerschütterlich auf mir. Er wußte genau, wer ich war! Damit meine ich nicht, daß er wußte, daß ich Dray Prescot war. Er sah in mir einen Gegner, den seine Feinde beauftragt hatten.

Leones Gesicht rötete sich noch mehr. Ihr Kopf hob sich. »San Ranal«, sagte sie mit belegter Stimme, und ich mußte mich daran erinnern, daß Shang-Li-Po in Wirklichkeit San Ranal der Kaour war. »Dieser Mann ist ein Freund – und bald ist er vielleicht mehr als das!«

»Das mag schon sein, Königin. Aber viele Wichte wollten hoch hinaus und haben ihr Ende bei den Stranks im Fluß gefunden.«

Das konnte man nicht hübscher sagen, bei Krun!

Sie drehte sich halb zu dem Dikaster um, verwirrt und unsicher, wie sie reagieren sollte. Sie wurde von ihrer gehorsamen Natur behindert. Ich nehme an, daß Kirsty Shang-Li-Po unter den gleichen Umständen gesagt hätte, wo er hingehen konnte.

»Bitte vergib mir, Leone. Ich wußte nicht, daß du so beschäftigt bist. Erlaube mir, mich zurückzuziehen – für jetzt.«

Sie biß sich auf die Lippe. »Und du wirst zurückkehren? Wie du versprochen hast?«

»O ja, Leone, ich werde wiederkommen.«

Caspar raschelte mit seinem Papier. »Können wir weitermachen, Majestrix?« Er stellte meisterhaft den launischen Künstler dar, der nur in seine Arbeit vertieft ist.

Shang-Li-Po sah mit zusammengekniffenen Augen zu, als ich mich von der Königin mit einer höflichen, wenn auch nachlässigen Verbeugung verabschiedete und dann ging. Ich stieß die Luft aus. Diese unglücklichen Zufälle hatten wir in unserer Planung nicht vorhergesehen. Ich fragte mich, was Mevancy wohl dazu sagen würde.

Das Problem war, daß ich absolut kein Verlangen verspürte, die Khibilwachen zu töten. Sie waren bloß Soldaten, die ihren Sold verdienten. Natürlich, wenn große Staatsaffären auf dem Spiel stehen, bedeutet das Leben ein paar einfacher Soldaten herzlich wenig. Das ist widerwärtigerweise der Lauf zweier Welten.

Ich ging den Korridor entlang, und als er leer war, schritt ich durch die Geheimtür. Kuong und Mevancy hatten den Gherimcal bereits auseinandergenommen.

Als ich ihnen erzählt hatte, was geschehen war, sagte Kuong verzweifelt: »Dann war alles umsonst. Wir sind geschlagen!«

»Nein!« fauchte Mevancy. »Bei Spurl! Wir müssen nur ...«

»Ja«, sagte ich. »Und du wirst deine Depots nicht abschießen. Das würde uns eindeutig verraten. Kalter Stahl ist vonnöten. Und wenn es geht, werden wir die stolzen Khibils nicht töten. Laßt uns die schwarzen Kleider anziehen.«

Sie sah mich wütend an, erwiderte aber nichts. Wir zogen die schwarzen Stikitchegewänder an, die man den Meuchelmördern abgenommen hatte, die uns damals angegriffen hatten. Chandro hatte sie beschlagnahmt. Mevancy und Kuong trugen den zerlegten Tragstuhl. Ich trug die Leiche.

Wir hätten den Stuhl bei der Geheimtür lassen können, um ihn auf dem Weg nach draußen mitzunehmen, aber vielleicht würden wir gezwungen, einen anderen Weg zu gehen, und mußten deshalb den Gherimcal bei uns haben. Meine Audienz bei Leone war insofern von wesentlicher Bedeutung gewesen, weil ich entdeckt hatte, wo sie sich in dem Labyrinth des Palastes aufhielt. Theoretisch kannte ich den Weg dorthin. Natürlich nahm ich mehrmals die falsche Richtung. Am Ende fanden wir uns in einer schmalen, schmutzigen Passage wieder, die in der Wand verborgen lag, hinter der Leone ihr Porträt malen ließ.

Durch das Guckloch sah ich die verdammte rote Gestalt Shang-Li-Pos, der wie eine blutsaugende Fledermaus dort lauerte.

Wir zogen uns die schwarzen Masken übers Gesicht.

Es würde drei gegen vier stehen, bis Llodi und Caspar eingreifen konnten.

Mit dem Schwert in der Faust schob ich mich zur Geheimtür hin und bereitete mich darauf vor, durch sie hindurchzustürmen. Ich hoffte nur, daß wir die Wachen nicht zu töten brauchten.

Kuong tippte mich auf den Arm.

»Es ist meine Pflicht, als erster zu gehen, Drajak.«

»Äh«, sagte ich wie ein Knecht. Es hatte mich völlig unvorbereitet getroffen. Dann: »Natürlich, Trylon. Nach dir.«

Als er sich bereitmachte, die Tür vor sich, hatte ich Zeit, über alle anderen und weitaus besseren Möglichkeiten nachzudenken, wie wir diese Sache hätten erledigen können. Man hätte die Königin entführen können, wobei die verstümmelte Leiche später an einer anderen Stelle aufgefunden worden wäre. Das war uns nicht als wasserdichter Plan erschienen. Wir mußten bei dem bleiben, was wir ausgemacht hatten – und Kuong stieß die Geheimtür weit auf und sprang in den Raum hinein.

Mevancy schubste mich beiseite und sprang als zweite durch. Das mußte man ihr erlauben, um ihretwillen. Ich sauste sehr schnell hinter ihr her, sehr schnell, bei Krun!

Die Khibilwachen hatten keine Zeit zu reagieren. Ihre Aufmerksamkeit war auf das Gewand und die Königin gerichtet. Nur einer wurde getötet. Kuong traf ihn, als er herumwirbelte, und der arme Teufel rammte sich die Klinge durch die Gedärme. Ich sah, wie Mevancy eine Wache kraftvoll mit der Keule niederschlug, dann rammte ich der dritten meinen Schwertgriff ans Kinn und wirbelte zur vierten herum, um zu sehen, wie sie unter Kuongs Angriff taumelte. Ich schlug zu, als sie niederstürzte.

Leone wollte schreien, bekam aber nur ein ersticktes Quietschen heraus.

Shang-Li-Po hatte seine eigenen geheimen Ein- und Ausgänge im Palast, und er hatte versucht, sich in die Schatten am anderen Ende des Raumes zu flüchten. Er hatte sich nicht von der Stelle bewegt; er kämpfte und wand sich, als er versuchte, sich von dem Dolch zu befreien, der den Saum seines roten Gewandes auf den Boden nagelte. Sein steinernes Gesicht wurde weich und zitterte vor Schrecken, als Kuong ihn ansprang.

»Ein sauberer Wurf«, bemerkte Mevancy.

Caspar sagte: »Ich will meinen Dolch wiederhaben.«

Ich sagte: »Ich werde das Mädchen holen – erklärt Leone alles.«

Als ich den Raum wieder betrat, in dem sich das bunt schillernde Licht über die reglosen Wachen ergoß, sagte Leone: »Aber ich bin die Königin!« Ihre Stimme war gleichzeitig launisch und forsch. Sie tat mir wirklich leid.

»Versuche, es zu verstehen«, sagte Mevancy geduldig. »Du kannst nicht die Königin sein, da sie dich umbringen werden; Kaopan, verstehst du?«

Caspar sagte: »Ich fange drüben bei dem Stuhl an. Ihr braucht nicht zuzusehen.«

»Aber ich bin gern Königin! Ihr werdet nicht wagen, mich zu töten! Ich werde die Wachen rufen ...«

»Leone«, sagte ich, und sie zuckte zusammen. Ich packte sie mit der Faust am Oberarm und führte sie zu dem Stuhl, den sie verlassen hatte. Caspar war bereits bei der Arbeit. »Schau, Leone«, sagte ich. »Das bist du.«

Ich fing sie auf, als sie fiel.

»Wenigstens wird sie dadurch den Mund halten«, fauchte Mevancy, die sich sehr bemühte, nicht zu sehen, was Caspar dort tat. »Du warst hart zu ihr.«

Der Gestank vergossenen Blutes verbreitete sich in dem Gemach.

»Es wird sehr blutig werden«, kommentierte Caspar und arbeitete weiter.

Er hatte die Ärmel aufgerollt und einen Malerkittel angelegt. Unten in Loh mochte es als affektiert gelten, unter den jetzigen Umständen war es äußerst praktisch. Er hatte Arme und Hände mit einem Paar langer Strümpfe bedeckt. Ich ließ Leone sanft zu Boden gleiten, riß ihr Kleid und Unterwäsche herunter und warf sie Caspar hin. Mevancy schnalzte beim Anblick des schlaffen nackten Körpers mißbilligend mit der Zunge und holte die Kleider hervor, die wir mitgebracht hatten.

Ich ging zu der bewußtlosen Gestalt Shang-Li-Pos hinüber.

»Dieser Shint wird Kaour genannt.« Ich bückte mich und zog ihn ein Stück weiter. »Soll er sich den Namen verdienen.«

Caspar schaute nicht auf. »Eine vorzügliche Idee.«

»Was ...?« sagte Mevancy. Dann: »Oh, ich verstehe.«

Dem Geräusch schweren Atmens und eines Räusperns folgten Llodis Worte: »Was ist mit mir und dem Künstler?«

»Von den Meuchelmördern niedergeschlagen«, sagte ich fröhlich.

»Oh! Gut. Vielleicht sollte ich lieber derjenige sein, der aufwacht und rausrennt, um Alarm zu schlagen und so.«

»Ist mir recht«, sagte Caspar und befleckte Shang-Li-Pos Gewand absichtlich mit Blut.

Für das arme Mädchen stellt das Geschehen eine grausame und erschütternde Ironie dar: Im Leben hatte sie den hungernden Massen angehört, im Tod war sie Königin.

Caspar ließ sich Zeit und machte alles ohne unziemliche Hast fertig. Ich vermute, daß er in Wirklichkeit schnell gearbeitet hat. Er säuberte sein Messer, und wir arrangierten die Szene.

Wir zerrten Shang-Li-Pos Gestalt heran und tauchten sein Gewand in das Blut. Wir steckten ihm den eigenen Dolch in die rechte Faust – Kuong wußte, daß er kein Linkshänder war –, und das Herz des armen Mädchens in die linke. Wir beschmierten alles mit Blut. Jeder, der diese widerwärtige Szene sah, würde nicht bezweifeln, daß Shang-Li-Po die Königin getötet, an ihrem nackten Körper die Riten von Kaopan ausgeführt hatte und von dem Ergebnis übermannt worden war. Wenn Llodi es richtig berechnete, würde er die alarmierten Wachen in genau dem Moment hereinbringen, in dem der Dikaster wieder zu sich kam. Das würde schön werden.

Ich hatte nicht vor dazubleiben, um es zu erleben.

Caspar legte seinen blutbefleckten Kittel ab und rollte ihn sorgfältig zusammen. Ich mußte ihm dabei helfen, die Strümpfe herunterzuziehen. Mich störten die Blutspuren auf meiner Kleidung nicht, solange Caspar sauber blieb. Er legte sich bequem neben der Staffelei auf den Boden und entspannte sich. »Ich bin soweit.«

Ich blieb mißtrauisch. Ich musterte ihn. Ich konnte kein Blut an ihm entdecken. Auf Kregen hatte sich die moderne forensische Wissenschaft noch nicht ausreichend entwickelt, um das Blut zu entdecken, das sich zweifellos an ihm befand. »Bist du sicher? Du gehst ein großes Risiko ein«, sagte ich.

»Dieser Cramph hat nicht gesehen, wer den Dolch geworfen hat. Ich habe nichts zu befürchten. Außerdem, ein Leben ohne Risiko, wer will das schon?«

Zwar verhinderte ich, daß aus mir herausplatzte: »Ich hätte nichts dagegen, bei Vox!« Aber ich verspürte die Verlockungen eines friedlichen Lebens, bei Zair!

Diese lächerliche Vorstellung hatte sowieso keine Chance, auf Kregen jemals Realität zu werden, weder für mich noch für eine Menge anderer Leute. Die Probleme des Lebens blieben an uns hängen. Viele von uns brauchten sich nicht darum zu sorgen, wo das Geld für die Miete und das Essen herkam, doch diese Probleme sind sehr real, Opaz weiß es! Wir mußten uns wegen der Shanks sorgen, sie fürchten und versuchen, mit ihnen fertig zu werden. Solange die Auseinandersetzung mit den Räubern von der anderen Seite der Welt nicht erledigt war, blieb die Existenz aller, die auf Paz lebten, gefährdet.

Llodi nahm seine Position halb zwischen Shang-Li-Po und der Tür ein. Wenn der Bewahrer sich rührte, würde Llodi nach draußen rennen, um Alarm zu schlagen – und so.

»Ich kann nicht behaupten«, sagte er mit einer für ihn uncharakteristischen Redseligkeit, »daß das Leben nicht interessant gewesen wäre und so, seit wir uns kennengelernt haben, Drajak.«

»Raus aus den schwarzen Sachen, und beeilt euch! Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit«, fauchte Mevancy.

Als wir wieder unsere ockerfarbenen Wüstengewänder trugen und Caspars blutbefleckte Kleidung in einem Beutel sicher verstaut war, sagten wir ein schnelles Remberee, betraten den Gang durch die Geheimtür und machten uns aus dem Staub. Mevancy nieste, als Staub emporwallte. Die Täfelung schloß sich. Durch das Guckloch konnten wir Llodi sehen, wie er ruhig dort stand. Er winkte uns fröhlich zu. Ja, es ist erfrischend und sehr beruhigend, auf Kregen gute Kameraden zu haben!

Die anderen beiden trugen die Teile des Gherimcal. Ich hatte mir Leone über die Schulter gelegt, und den Kleidersack hielt ich in der anderen Faust.

Als wir die Tür erreichten, durch die wir aussteigen mußten, waren wir staubig und mit Spinnweben übersät. Daher war es wichtig, daß wir uns säuberten, bevor wir nach draußen gingen. Der Tragstuhl ließ sich leicht zusammensetzen, und wir legten den Kleiderbeutel auf Leone. Mevancy machte viel Aufhebens darum, die Vorhänge so zu arrangieren, daß sie alles verbargen.

»Alles bereit?« wollte Kuong wissen. Mit einigem Vergnügen erkannte ich, daß – von der Verstümmelung des armen toten Mädchens einmal abgesehen – ihm die ganze Sache richtig Spaß machte.

Und ich erkannte auch, daß für einen der Verfluchten, einen, der den Paol-ur-bliem angehörte, der Anblick und die Erinnerung daran, was das Kaopan bedeutete, unwillkommen und äußerst furchterregend sein mußte.

»Wenda!« sagte Mevancy, und wir traten hinaus in den leeren Korridor.

Wir gingen den gleichen Weg zurück und stießen schnell auf eine Menge Leute, die eilig ihren Geschäften nachgingen. Niemand würdigte uns eines Blickes.

Wir hatten gerade eine lange Galerie betreten, die von Statuetten gesäumt wurde. Eine Säule warmer Luft kam aus der nächsten Ecke. Ohne zu zögern gingen Mevancy und Kuong daran vorbei. Ich blieb zurück. Der Schimmer versuchte sich zu verfestigen und wehte zitternd umher. Nur einen Augenblick lang sah und erkannte ich die Gesichtszüge Deb-Lu-Quienyins. Er versuchte, mich durch die Ebenen zu erreichen.

Verzerrt und kaum verständlich sagte er: »Jak! Die Quelle eines schwachen Kharmas liegt vor dir. Da ist eine starke persönliche feindselige Stimmung ...« Die Stimme erstarb, und der geisterhafte Schimmer des projizierten lupalen Bildes Deb-Lus verschwand.*

Sofort flüsterte ich eindringlich: »Kuong, Mevancy! Nehmt die nächste Abzweigung nach rechts. Ihr könnt den direkten Weg nach draußen ein paar Zimmer weiter wieder aufnehmen.«

»Schwachkopf – was hast du vor?«

»Geh einfach weiter, Gimpel. Ich sehe dich in der Villa.«

Kuong erkannte die Dringlichkeit in meiner Stimme. »Komm, Mevancy!«

Sie drehte den Kopf um und warf mir einen durchdringenden Blick zu. Ich machte eine gereizte Handbewegung.

»Ach, du!« sagte sie und bog gezwungenermaßen nach rechts ab, um Kuong zu folgen. Der Gherimcal zwischen ihnen schwankte.

Wenn Deb-Lu sagt, daß Schwierigkeiten auf uns warten, dann stimmt es auch!

Es brauchte kein Genie, um sich auszurechnen, wo die Schwierigkeiten herrührten. Einmal davon abgesehen, daß Na-Si-Fantong Makilorn verlassen hatte, würde er meiner Meinung nach nicht die Quelle eines schwachen Kharmas sein. So mußte der lauernde Unruhestifter der Hofzauberer Chang-So sein, der Bursche, der einen Groll gegen mich nährte. Ich hatte gewußt, daß er einen Anschlag auf mich verüben würde. Es mußte doch nur nicht ausgerechnet jetzt passieren, wo sich unser Plan seiner Erfüllung näherte und wir dabei waren, zu entkommen! Doch so werden Sandburgen fortgespült, wie man in Clishdrin sagt.

Mit weit aufgerissenen und vor Furcht starren Augen lief ein Haufen zerlumpter Sklaven an mir vorbei. Chang-So würde ihnen leicht angst machen können. Als ich um die Ecke in die nächste Galerie bog, stand Chang-So in seinen prächtigen Gewändern und seinem spitzen Hut vorsichtig hinter einen halben Dutzend plump aufragender Wachen des brutalen Schlägertyps. Ganz offensichtlich hatte man ihm meine Anwesenheit im Palast gemeldet, und er war nun hier, um sich für die Geringschätzung zu rächen, die ich ihm erwiesen hatte.

Die Wachen trugen Schwerter, Lynxter, und mir dämmerte, daß Chang-So mich tot sehen wollte.

Ich hatte viel zuviel zu erledigen, um das zu erlauben, bei Zair!

Die Wachen griffen an. Ich riß meine Klinge heraus und stellte mich ihrem Angriff mit dem Klirren von Stahl entgegen. Sie waren solide, berufsmäßige Handwerker des Schwertes. Sie würden ohne ausgefallene Techniken die Arbeit erledigen. Meiner Beurteilung nach waren sie nur im weitesten Sinn mit Kurin verwandt.

Trotzdem, sie waren zu sechst, und wenn ich mich ungeschickt anstellte, würden sie mich durchbohren.

Auf eine ganz bestimmte Weise, wie ich schon früher erwähnt habe, unterscheidet sich jeder Kampf vom anderen, und doch ist jeder Kampf der gleiche. Sie umkreisten mich, um mich von beiden Seiten anzugreifen. Es waren nicht nur Apims, doch ich ergründete ihre rassische Herkunft nicht; ich ging den mir am nächsten direkt an, streckte ihn nieder, gab seinem Kameraden einen Tritt und schlitzte einen weiteren mit der Klinge auf. Auf diese Weise durchbrach ich ihre Reihen und brachte auch die drei zum Staunen, die mich umkreist hatten. Ich sah Chang-So an.

Ich hatte ihn als Mann eingeschätzt, der sich an den Geheimnissen weidete, die ihm bekannt waren. Jetzt war das wichtigste Geheimnis in seinem Leben kein Geheimnis mehr, und das verriet ihm, daß sein Leben nicht mehr sein Leben war. Er glaubte wirklich, daß ich ihn töten würde.

Er stolperte zurück. Er hob die Arme und versuchte, mit den Fingern irgendein magisches Symbol zu formen. Er wollte Worte hervorbringen; sein großer Hut verrutschte und fiel zu Boden, wo er wegrollte. Ich stieß ihn sanft gegen die Schulter.

Sofort mußte ich herumwirbeln, um die Klinge des schnellsten Wachtpostens mit der meinen abzufangen. Er tat mir wirklich leid, als mein Schwert das seine zur Seite drängte und in seinen Körper fuhr, doch er wurde für seine Arbeit bezahlt, und die Bezahlung konnte anstatt Münzen genausogut der Tod sein.

Der nächste zögerte und wartete darauf, daß sein Kamerad ihm beistand.

Ich griff nach hinten und packte mit der linken Faust Chang-Sos Kragen. Ich hob ihn etwas an, so daß seine Füße die Berührung mit dem Boden verloren. Er japste und spuckte, und Tränen des Zorns und der Hilflosigkeit und – behaupte ich – der Furcht rannen ihm über die Wangen. Er war nicht gewohnt, auf diese Art behandelt zu werden, nein, bei den Sieben Arkaden!

»Schaut ihn euch an, Doms!« Ich sagte es auf meine harte Art. »Das ist das Individuum, dessentwegen ihr euer Leben verlieren werdet. Das ist es nicht wert, Tsung-Tan sei mein Zeuge. Schtump! Haut ab, solange ihr noch die Gelegenheit habt.«

Drei lagen am Boden, und drei waren übriggeblieben. Blut verschmierte den Boden. Der Zauberer machte auf sie den Eindruck, als würde er nicht lange genug leben, um ihren Sold zu zahlen. Einer von ihnen, ein Fristle, spuckte aus. »Laß uns Herkin mit uns nehmen. Du hast ihn nur verwundet. Bei Odiflor! Du bist schnell.«

»Nehmt Herkin.« Ich stemmte Chang-So hoch und warf ihn leibhaftig auf die beiden Leichen und die verwundete Gestalt Herkins. »Und nehmt den Zauberer auch mit.«

Dann sprintete ich ziemlich schnell um die nächste Ecke.

Für mich gab es nicht den Schatten eines Zweifels, daß Kuong und Mevancy es schafften. Sie würden Leone in die Villa bringen, wir würden uns alle treffen und dann unsere nächsten Schritte beraten. Es gab für mich gleichermaßen keinen Zweifel darüber, daß die Herren der Sterne, wenn unsere Arbeit in Makilorn beendet war, bald eine neue Aufgabe für uns finden würden.

Sie würde wahrscheinlich drüben im Westen sein: der Versuch, die Shanks aus Tarankar zu vertreiben. Kuong, als Trylon von Taranik, konnte sehr nützlich sein. Und Caspar der Spitzer? Würden die Herren der Sterne einen anderen finden, den sie von Kregen entfernt sehen wollten?

Mir kam der erheiternde Gedanke, daß bei allen Kalkulationen darüber, was mir in Zukunft passieren würde, bei denen ›wir‹ dies oder jenes tun würden, dieses ›wir‹, dieses ›uns‹ Mevancy einfach als normalen Teil des Lebens einschloß.

Das ließ mich erkennen, daß sich mir eine phantastische Möglichkeit bot. Bei Vox! Wenn es mir nur gelänge! Die Bedrohung durch die Shanks in Tarankar war so ernst, daß ich jedes Recht hatte, alle Hilfe zu verlangen, die ich aufbringen konnte. Die Herren der Sterne mußten das einsehen. Das sollten auch die Schwestern der Rose. Ich würde eine Nachricht für Seg arrangieren. Er mußte Milsi benachrichtigen, und sie würde Delia Bescheid sagen. Dann – dann würde der abgelegene Teil Lohs sehen, was eine richtige Herrscherin war!

Ich war so in erwartungsvoller Freude über meine eigene Klugheit vertieft, daß die knisternde Stimme, die mich ansprach, einen ganzen Satz gesagte hatte, bevor ich den Sprecher ausmachen konnte.

»Dray Prescot, du hast den Everoinye nicht gehorcht und bei dem versagt, was dir befohlen wurde.«

An der Korridorwand hockte ein rötlich-brauner Skorpion mit glänzendem Körper und arrogant aufgerichtetem Schwanz. Er redete mit mir, redete mit mir – im direkten Auftrag der Herren der Sterne. Sonst bewegte sich nichts in dem Korridor. Ich atmete flach.

»Natürlich habe ich nicht versagt! Kirsty wird Königin werden!«

»Trotzdem hast du die Befehle nicht befolgt!«

»Du dummer, achtbeiniger Onker! Das hat damit nichts zu tun! Kirsty wird Königin sein, und sie wird dafür sorgen, daß Tsungfaril vor den Shanks beschützt wird. Darum geht es bei alledem.«

»Es steht dir nicht zu, den Everoinye zu erklären, welche Ziele sie verfolgen.«

»Nun, wenn sie glauben, daß ich versagt habe, ist es an der Zeit, daß ihnen jemand sagt ...«

»Genug, Dray Prescot!«

»Und noch etwas! Du kannst deinen teuren Herren der Sterne ausrichten, daß es Zeit für mich wird, nach Hause zurückzukehren.« Hier zögerte ich für den angsterfüllten Bruchstück eines Moments und fuhr dann sehr schnell fort: »Nach Hause nach Valka! Dann können wir uns mit den Shanks befassen.«

»Du wirst dich mit den Shanks befassen, Dray Prescot.« Die Stimme, die wie tote Blätter klang, die über Schotter geweht werden, hatte einen bedrohlichen Unterton. »Doch zuvor wirst du für deine Befehlsverweigerung geradestehen.«

Ich öffnete den Mund, um in verblüfftem Zorn zu schreien, daß dieser Kretin von einem Skorpion nicht das geringste verstand, und da erst kam mir die Erkenntnis. Hier ging es um Ungehorsam. Um mich herum wuchs die blaue Strahlung. Ich schaute auf, um über mir die riesenhafte Gestalt des blauen Phantomskorpions lauern zu sehen. Kälte traf mich. Von einer eiskalten Bläue wurde ich in die Dunkelheit gerissen und fortgetragen.

 


* Walfger: Herr, Mister, Ehrenmann; Pappattu: Vorstellung.

* Wr.: Abkürzung für Walfger, Herr, Mister.

* Gdoinyi: Prescot spricht es so aus. Es ist die Mehrzahl. – A. B. A.

* Gherimcal: kleiner Stuhl zum Tragen; kleine Sänfte.

* Wenda! Los geht's – A. B. A.

* Kharma: zauberische Macht; thaumaturgische Energie – A. B. A.