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Ja. Tatsächlich. Sie war die Kirsty, von der San Chandra gesprochen hatte, eine Kusine von Leone. Sie war temperamentvoll. Sehr sogar. Ihre Nase war klein und hatte aufgeblähte Nüstern. Das war bedauerlich, da das vom Rest der Welt immer als verächtlicher Ausdruck gedeutet wurde. Sie hatte beschlossen, den Chasserfic aus dem Weg räumen zu lassen, da das Ding sie auf eine Art und Weise geängstigt hatte, die sie als erschütternd und unangenehm empfunden hatte. Sie war eine Lady, die es nicht zuließ, daß sie mit Erfahrungen konfrontiert wurde, die sie aus dem Gleichgewicht bringen konnten. Der Chasserfic war gestorben.

Es ist erstaunlich, daß die Schöpfung solch unterschiedliche Wesenszüge in Leuten zum Vorschein bringt, die miteinander verwandt sind, denn Kirsty und Leone waren wie der sprichwörtliche Unterschied zwischen Tag und Nacht. Ich verbannte Kirsty aus meinem Bewußtsein und überlegte mir einen Weg aus meiner mißlichen Lage.

Hier stand ich, ohne Geld und ohne Kleider, in einem öffentlichen Bad. Ha! Sogar die Herren der Sterne konnten den Witz dieser Misere erkennen, wenn sie, wie ich glaubte, ein ganz kleines Stückchen Humor behalten hatten.

In anderen Teilen Kregens wäre es kein Problem gewesen. Ich konnte zum dortigen vallianischen Konsul gehen, wie ich es bereits früher getan hatte. Ich konnte einen Kaufmann mit Handelsverbindungen nach Vallia oder Djanduin oder, wie es in diesen Tagen bemerkenswerterweise möglich war, nach Hamal suchen und mir einen Kreditbrief ausstellen lassen. Als letzten Ausweg in einem feindlichen Land konnte ich irgendeinen armen Kerl niederschlagen und mir selbst helfen.

Es erwies sich nicht als allzu schwierig, etwas zum Anziehen aufzutreiben. In das gelbe Handtuch gewickelt, schlenderte ich durch die Umkleideräume. Umsicht war erforderlich. Jeglichen Gedanken, zu Nanji und Floria zu gehen, verbannte ich in dem Moment aus meinem Kopf, in dem mir diese lächerliche Idee kam.

Ein kleiner Och-Sklave mit einem verkümmerten mittleren linken Arm saß an einem Tisch. Eine irdene Schale vor ihm war mit verschiedenen Münzen gefüllt, alle aus Kupfer. Ich ging an dem Tisch vorbei, ohne dem Och auch nur einen Blick zu schenken. Der Raum war lang und schmal, und auf jeder Seite befanden sich kleine Nischen. Dies hier war tatsächlich ein Etablissement der Oberklasse, da viele Umkleidegelegenheiten einfach aus einem offenen Raum bestanden und jeder damit zurecht kam. Das Bad mochte noch so exklusiv sein, diese Anordnung komplizierte alles. Es schien kein System zu geben, das eine Marke zur Verfügung stellte, mit der man seine Kleider in der Nische sichern konnte. Das Ganze war ein Fall von reinem Glück.

Ein paar Männer kamen heraus, in ein Gespräch vertieft. Sie dachten daran, ein paar Kupfermünzen in die Schale zu werfen, als sie hinausgingen. Jetzt war der Ort bis auf den Och-Sklaven leer. Ich holte tief Luft und ging auf eine Tür in der Reihe zu.

Schritte klatschten auf dem Marmor, und eine Stimme rief: »Warte auf mich, Walfger. Wir müssen ein Glas zusammen trinken.«

Ich fuhr herum. Ron Dang Fang, der Rodders genannt wurde, kam herein und rieb kräftig sein feurig rotes Haar trocken. Er schlenderte herbei und blieb mir halb zugewandt stehen. Seine Kleider befanden sich also in einer dieser Nischen, in irgendeiner auf der rechten oder linken Seite. Mir gelang eine Grimasse, die als Lächeln durchgehen konnte. »Du bist sehr großzügig, Walfger.«

»Nenn mich Rodders.« Er legte eine Hand auf den Riegel der Nische, die sich direkt vor mir befand. »Beeil dich!« Er öffnete die Tür und ging hinein. Als sich die Tür schloß, atmete ich die angehaltene Luft aus. Ich konnte Wasser, Salz, Essig und die miteinander vermengten Gerüche riechen, die untrennbar mit Bädern verbunden sind.

Dies waren Mineralquellen, keine Neunfachen Bäder. Also waren wir aus gesundheitlichen Gründen hier. Es mochte in der Nähe Etablissements geben, die das genußsüchtige Verlangen ehrlicher Leute befriedigten; sicherlich würde es einen Ort geben, an dem ein Bursche seinen Durst stillen konnte.

Ich verschwand in der gegenüberliegenden Nische und sah auf einen Blick, daß die Kleider einem Zwerg paßten, aber nicht Dray Prescot.

Auf dem Weg nach draußen warf ich einen Blick auf Rodders Nische. Er würde sich wohl über meine Possen wundern. Die nächste Nische enthielt ein Gewand von einem entsetzlich grellen Grün, zusammen mit dem allgegenwärtigen hellbraunen Mantel. Ich erinnerte mich daran, daß ich Dray Prescot war. Die Schauspielerei in letzter Zeit mußte mein Hirn angeknabbert haben. Ich warf die Tür zu und versuchte die nächste.

Das hellbraune Gewand und der Umhang, die sich hier befanden, paßten mir einigermaßen. Es gab einen Krummdolch in einer schlichten Scheide, ein Paar Sandalen und eine Tasche, die Münzen enthielt. Es war keine Zeit, sie sich näher anzusehen, da draußen eine Stimme ertönte. »Komm, Drajak! Meine Zunge brennt!«

Rodders kam heran, als ich rauskam. »Ah! Dann los!«

Ich warf nach Rodders eine Kupfermünze in die Schale des Ochs, und wir gingen nach draußen unter den Säulengang. Die Sonnen schienen herein, prächtig in ihrem vermischten Grün und Rot. Der Blumenduft aus dem Garten und das Plätschern von Wasser entspannten mich.

»Die Nadelstecherin hat gesagt, daß es ihr gut geht. Sie hatte einen Schock.«

»Eine böse Sache – Rodders. Irgendeine Vorstellung, wer ...?«

Freundlich legte er mir eine Hand auf die Schulter. Er war so groß wie ich. »Es gibt keine Namen, die ich aussprechen würde, Drajak, nein. Aber ich habe einen Verdacht. O ja, ich habe einen Verdacht!«

Während er glaubte, daß die Bedrohung ihm oder Kirsty gegolten hatte, war ich der Meinung, daß Nanji und Floria das Ziel des Anschlags gewesen waren, die Kitchews, wie die Stikitches sie nannten. Ich fragte mich, was Madam Mevancy wohl sagen würde.

Rodders war kräftig gebaut, ein guter Kämpfer. An der Seite trug er Lynxter und Dolch. Sein Gewand war nicht verziert. Ich konnte mir vorstellen, daß er zu seiner Zeit als Söldner gearbeitet hatte. Möglicherweise war er ein Zhan-Paktun gewesen, dazu berechtigt, den goldenen Pakzhan am Hals zu tragen, ein berühmter Söldner. Er bewegte sich geschmeidig und würde nicht leicht zu überrumpeln sein.

Das ließ mich erkennen, daß – wie es unter Männern weit verbreitet ist – die panische Sorge um seine Dame ihn seiner gewöhnlichen Härte und seines gesunden Menschenverstandes beraubt hatte. Er erzählte mir, daß sie ihren eigenen Willen hatte und darauf bestand, sich um ihre Dinge zu kümmern, als wäre nichts gewesen. Er zog eine schiefe Grimasse. »Hier können wir eine Zeitlang etwas trinken. Der H'siung-Garten ist zu dieser Tageszeit erfrischend.«

Das Lokal war von einem kleinen, üppigen Garten umgeben, dank des übermäßig vorhandenen Wassers, und Rodders führte uns energisch hinein. Als wir uns gesetzt hatten, leerte er schnell sein Glas und bestellte nach. Ich trank zurückhaltend.

Er fing an, mir von sich zu erzählen, und ich hörte aus Höflichkeit zu. Mein Plan war – durchsichtig wie immer! –, mein Geschick mit dem seinem zu verbinden, bis ich zurück nach Makilorn gelangte. Mit jedem Herzschlag erwartete ich, daß sich mir eine schwere Hand auf die Schulter legte und eine Stimme sagte: »Das sind meine Kleider!«

Rodders war tatsächlich ein Söldner, ein Pakzhan. Er lächelte schief, als er sagte, daß er seinen goldenen Pakzhan gewöhnlich bei seinem Gepäck verwahrte. Er war Bogenschütze aus Loh, aus Walfarg. Er hatte Kirsty im Rahmen seiner Tätigkeit kennengelernt, als er von Auftrag zu Auftrag gewandert war, und sie hatte ihn festgehalten. Er kannte ihre dornigen Eigenschaften, ihre Hitzigkeit, ihre Skrupellosigkeit, aber, wie er sagte: »So ist Kirsty eben.«

Er verstummte, und in dieses Schweigen hinein sagte ich, um etwas zu sagen: »Wie ich gehört habe, ist sie eine Kusine Leones.«

Der Bogenschütze aus Loh stürzte seinen Trunk hinunter und knallte das Glas auf den Tisch. »Aye. Das kleine blasse Etwas zuckt jedesmal zusammen, wenn sie Kirsty sieht. Leone – sie hat keine Vorstellung davon, was es bedeutet, eine Frau zu sein.«

»Sie schien sehr angenehm zu sein«, sagte ich. »Zu mir ist sie immer sehr nett.«

»Kennst du sie gut?«

Alarmglocken ertönten in meinem Kopf. Ich trank etwas von dem Sazz, um mein Zögern zu überspielen. »Wir haben uns vor kurzem kennengelernt. Ich konnte ihr einen kleinen Gefallen erweisen.« Seine Augenbrauen hoben sich. Ich stieß weiter vor. »Der junge Lord Wink ...«

Sein kräftiges Gesicht verzog sich zu einem wissenden Grinsen. »Sag nichts mehr. Dieser junge Draufgänger und seine Gesellen werden eines Tages Aufsehen erregen.«

»Er war etwas – angeheitert.«

Rodders lachte. »Und ihr Lehrer, San Chandro?«

»Ich habe ihn beim Jikaida geschlagen.«

Er nickte. »Ich sehe, du bist ein vielseitiger Mann.« Er leerte das Glas und stand von dem Stuhl auf. »Ich habe die kurze Unterhaltung genossen, Drajak. Jetzt muß ich nach Kirsty schauen, und feststellen, ob Erthanfydd auf mich herablächelt. Wir werden uns früh zurückziehen, und morgen hole ich mir die Annorpha Aigrette.« Er strich seinen hellbraunen Mantel. »Wo wohnst du?«

Ah! »In der Karawanserei ...«, fing ich an.

»Unsinn, Drajak! Du mußt bei uns wohnen. Kirsty würde es mir nicht verzeihen. Und wir können uns unterhalten!« Ich war nicht so sehr von der Versöhnlichkeit dieser ichbezogenen Dame überzeugt, aber dies löste mein Problem in bezug auf Essen und Unterkunft – wie ich es geplant hatte, bei Krun!

Wir gingen zu den privaten Schießständen und absolvierten einen kurzen Durchgang. Er war ein ausgezeichneter Bogenschütze. Nur weil Loh die Heimat der Bogenschützen aus Loh ist, bedeutet es nicht, daß jeder auf diesem Kontinent ein ausgezeichneter Schütze ist. Er war gut. Ich schoß bedächtig und hielt mich zurück. Er erzählte mir, daß er auf das morgige Turnier gespannt sei; der siegreiche Bogenschütze würde die Aigrette – einen Kopfschmuck – von Annorpha und einen gut gefüllten Beutel gewinnen. Sofort sah ich einen Weg, meine Tasche zu füllen, und meine erste Aufgabe würde es sein, neue Gewänder zu kaufen und die alten an einem geeigneten Ort zu deponieren, damit man sie finden und ihrem Besitzer zurückgeben konnte.

Der Rest des Tages verging bedächtig. Wir gingen zu seiner Unterkunft, die sehr bequem war, aßen und tranken mäßig und begaben uns früh zur Ruhe, um für den morgigen Wettbewerb ausgeruht zu sein. Je mehr ich über Rodders erfuhr, desto mehr gefiel er mir, und desto mehr schien er mir ein ganzer Mann zu sein. Er gab seine Fehler zu. Sein Temperament war eher zu hitzig. Er hatte einem Mann die Nase gebrochen, der Kirsty unverschämt angestarrt hatte.

Der Moment, an dem ich mich ausrüsten und entweder eine Zorca kaufen oder stehlen konnte, würde der Moment sein, an dem ich nach Makilorn aufbrach.

Was jetzt dort vor sich ging, wußte nur Opaz.

Ich war sicher, daß die starken Verbände aus der Stadt das Problem mit den Glitch-Reitern erledigt hatten. Die Gruppe, die hinter den Überlebenden der Glitcher, die uns überfallen hatten, hergejagt war, war nur der Voraustrupp gewesen. Wie leistungsfähig Tsungfarils Militär war, konnte ich nicht genau sagen. Die Neuigkeit vom Tod der Königin würde Annorpha bald erreichen, und zweifellos würde es dann einen Massenexodus geben, wenn die Menschen in die Hauptstadt zurückströmten.

Die Verlockung, bei Rodders zu bleiben und mich beim Bogenschießen, Singen und Baden zu vergnügen, um dann mit der Allgemeinheit zurückzukehren, war sehr, sehr groß, bei Vox!

Schließlich konnte Madame Mevancy auf sich selbst aufpassen. Das hatte sie bewiesen, und außerdem konnte sie auf die Leute aufpassen, die nach dem Willen der Herren der Sterne beschützt werden sollten. Verspätet fiel mir ein, daß ich vielleicht hier bei den Quellen bleiben sollte, um ein Auge auf Nanji und Floria zu haben. Ich hatte den Eindruck, daß die Everoinye das Unternehmen auf eine Weise durchführten, die sich völlig von der jener unterschied, an denen ich früher teilgenommen hatte. Ja, es gab Gemeinsamkeiten mit der Zeit, als Pompino und ich zusammengearbeitet hatten; es waren die Unterschiede, die hier zählten.

Wenn Pflicht und Neigung übereinstimmen, ist es an der Zeit, bei Vulken dem Eindringling, aufmerksam, wachsam und darauf vorbereitet zu sein, daß irgend etwas Weiches und Unangenehmes aus großer Höhe auf einen herabfällt.

Während meiner Zeit auf Kregen hatten viele Lebensfäden ihre miteinander verflochtenen Netze gewoben, Personen waren aufgetaucht und wieder verschwunden, wie Sie meiner Erzählung entnommen haben werden. Viele Dinge hatten von mir unerwähnt ihren Abschluß gefunden, da sie sich im Hintergrund abspielten und die Ereignisse sie überholt hatten. Viele der Probleme, die ich in der Vergangenheit angesprochen habe, haben ein glückliches – und unglückliches – Ende gefunden, und wenn die Bänder ausreichen, hoffe ich, daß ich denen, die zuhören, einst jede Kleinigkeit erzählen kann. Doch jetzt muß ich mit den verwickelten Netzen weitermachen, die in Tsungfaril in Loh gewoben wurden.

Die Quellen von Annorpha wurden am nächsten Morgen inmitten einer ausgelassenen und fröhlichen Atmosphäre Zeuge des großen Turniers um die Aigrette von Annorpha. Die Vorbereitungen für das Schießen selbst waren äußerst einfach. Schaulustige standen dicht zusammengedrängt. Marschälle schwangen ihre Zepter. Musik spielte und Flaggen wehten. Die Ziele waren in festgelegten Entfernungen aufgestellt worden, und die Teilnehmer mußten ihre vorgegebene Anzahl an Pfeilen abschießen. Ein Fehlschuß hatte den sofortigen Ausschluß aus dem Wettbewerb zur Folge. In einer Atmosphäre gespannter Aufregung wurden die besseren Bogenschützen ermittelt, bis schließlich das endgültige halbe Dutzend übrig blieb, das die Entscheidung unter sich ausmachen sollte.

Was konnte es Natürlicheres auf dem Kontinent Loh geben als einen Wettbewerb im Bogenschießen?

Entspannt und zuversichtlich sagte Rodders zu mir: »Ich spüre, daß ich in großartiger Form bin, Drajak. Auf Huang muß man aufpassen. Du schießt gut, aber ...« Er sprach in seiner unbekümmerten Art: »... ich fühle, daß ich dich schlagen werde, natürlich mit allem nötigen Respekt, wenn du verstehst.«

Wäre Seg hier gewesen, hätte er zweifellos auf den Sieger gewettet und seinen ganzen Besitz auf mich gesetzt. Ich wußte, daß ich Rodders und diesen Huang, der nicht annähernd so gut war, wie Rodders meinte, schlagen konnte. Das ist keine Prahlerei, die ich nicht ausstehen kann, sondern eine einfache professionelle Einschätzung. Leichter Wind kam auf und erstarb wieder, und die Flaggen flatterten und hingen dann schlaff herunter. Die Masse hielt ihr angeregtes Geschnatter aufrecht. Verkäufer gingen umher und machten ein lebhaftes Geschäft. Ich wollte gerade eine nichtssagende Erwiderung machen, da ich einfach nur vorhatte, zu schießen und zu gewinnen, damit ich die Börse bekam – die Aigrette würde sich wohl auch verkaufen lassen –, da ließen mich Rodders nächste Worte den Mund halten.

»Bei Hlo-Hli! Ich bin entschlossen, die Aigrette für Kirsty zu gewinnen. Sie wird heute abend Ballkönigin sein, wenn der Horek meine Pfeile führt!«

Der Ausdruck auf seinem Gesicht ließ keinen Zweifel aufkommen, daß er jedes Wort ernst meinte. Konnte ich es wagen, ihn im Kampf um die Aigrette, die er für seine Dame begehrte, zu schlagen, da ich doch keinen Pfennig besaß, in meiner prekären Lage, in der sich alle meine Hoffnungen auf sein Wohlwollen richteten? Bei Makki-Grodnos ekelhaft verfaulter Leber und seinem Augenlicht, was war das für eine verwünschte, unerwartete Komplikation!