18
Königin Leone wurde in Makilorn gekrönt.
Nach dem Verschwinden San Nalgre Hien-Mis gab es keine Möglichkeit, die Zusprechung zu ändern. Königin Leone war Königin von ganz Tsungfaril.
Ein neuer Bewahrer würde Nalgres Platz einnehmen, und die Kontinuität wäre gewährleistet. Der neue Dikaster, ob Mann oder Frau, würde auf Entscheidungen der Vergangenheit keinen Einfluß haben.
Königin Leone, eine kluge, aufgeschlossene Persönlichkeit, ein wunderschönes junges Mädchen, wurde mit überschwenglicher Begeisterung begrüßt, wo immer sie auch hinging. Sie war beliebt. Jedermann unterstützte sie von ganzem Herzen – mit Ausnahme von uns wenigen Undankbaren.
»Das war's dann wohl.« San Chandra klang so verzweifelt, daß er sich sicher hier und jetzt die Kehle durchgeschnitten hätte, hätte es nicht automatisch seinen Ausschluß aus dem Gilium zur Folge gehabt.
»Ich kann mich von meinen Ländereien in Taranik verabschieden.« Kuong stieß einen tiefen Seufzer aus. »Und ich habe Kirsty nicht nur deswegen unterstützt.«
»Sicher«, fauchte Mevancy, während sie ihre Tasse auf den Tisch knallte, denn wir saßen beim zweiten Frühstück. »Sicher werden die Menschen von Tsungfaril diesen schrecklichen Piffs aus Tarankar nicht erlauben, sie anzugreifen und ihr Land zu stehlen, ohne sich zu wehren?«
»Die Leute werden das tun, was die Königin ihnen sagt. Und sie tut das, was Shang-Li-Po ihr sagt.« Chandra ließ die Palines fallen, während er redete.
»Du warst ihr Lehrer«, stellte ich fest.
Chandras schmales Gesicht verzog sich gedemütigt. »Sie hat gesagt, daß sie mir nichts nachträgt, und ich glaube ihr, denn sie ist ein fröhliches und versöhnliches Mädchen. Aber sie vertraut mir nicht mehr. Schließlich«, und hier deutete Chandra in verbittertem Schmerz mit dem Finger auf sich selbst, »habe ich sie nicht verraten? Habe ich nicht für ihre Rivalin Kirsty gestimmt?«
»Wie du es wieder tun würdest, San«, sagte Kuong ...
»Aye. Aye, wie ich es wieder tun würde, möge Tsung-Tan mir vergeben.«
Ich fing Mevancys Blick auf und deutete mit dem Kopf zur Seite. Sie stand auf. Wir wollten uns beide entschuldigen, um zu gehen, denn obwohl wir unaufhörlich darüber geredet hatten, welche Katastrophe das für unsere Pläne war, gab es noch mehr, was gesagt werden mußte.
Kuong saß nach vorn gebeugt, eine Paline halb in den Mund gesteckt. Chandras Kopf war unbequem zur Seite gedreht, während er zu Mevancy hochschaute. Keiner der beiden bewegte sich.
»Ich habe Angst, Schwachkopf«, sagte Mevancy sehr leise.
Es gab nichts Sinnvolles, was ich erwidern konnte. Wir warteten beide, während Kuong und Chandra steif und unbeweglich dort saßen. Wir warteten auf die Herren der Sterne.
Die Kälte erfaßte das Zimmer und verging. Der Gdoinye flog durch ein offenes Fenster hinein, drehte eine Runde und ließ sich auf einem hohen Geschirrschrank nieder. Er legte den Kopf zur Seite und musterte uns mit einem durchdringenden Blick.
Gleich darauf flog die Gdoinya herein und setzte sich neben ihn. Die beiden prachtvollen Raubvögel hockten da, ihre Krallen bohrten sich in die Schnitzereien des Geschirrschrankes, und ihre goldenen und scharlachroten Federn glänzten in der Helligkeit der niedrigstehenden Sonnen.
Das heisere Kreischen schmetterte auf uns nieder, aber wir vermochten nicht zu sagen, welcher der Vögel sprach.
»Ihr habt versagt. Die Everoinye sind nicht erfreut.«
Mit kühler, ruhiger, gedämpfter Stimme sagte ich: »Wir haben nicht versagt. Wir haben das Leben von Lunky und Kirsty bewahrt.«
»Onker! Kirsty ist nicht zur Königin gewählt geworden!«
»Also habt ihr Königin Leone ermorden lassen, ihr Rasts!«
»Drajak ...« Mevancy Stimme war ein unterdrücktes Stöhnen.
»Nein! Damit haben die Everoinye nichts zu tun.«
»Nein? Ihr habt mich fortgezerrt, als ...«
»Als die Zeit der alten Königin gekommen war, war sie gekommen. Du mußtest die neue Königin beschützen.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich konnte nicht kühl, ruhig und beherrscht bleiben, wenn ich mich an die Leidenschaft und Schönheit und die Wärme der toten Königin erinnerte. Mevancy räusperte sich.
»Die bösen Mächte sind uns entglitten«, flüsterte sie.
Die beiden großartigen Vögel, die prachtvoll in dem oberen Gemach der Mishuro-Villa saßen, veränderten ihre Haltung, fast so, als würden sie sich beraten. Mevancy zitterte. Ich verspürte wachsenden Zorn darüber, daß die Herren der Sterne in ihrer arroganten, über den Dingen stehenden Art und Weise das Mädchen so zutiefst erschrecken konnten.
Schließlich sprachen sie mit einem heiseren Kreischen. »Ja, es ist wahr. Es ist noch Arbeit zu erledigen. Andere Helfer müssen eure Arbeit übernehmen, und wenn sie getan haben, was getan werden muß, müßt ihr die Sache zu Ende führen.«
»Andere Helfer?« Mevancys Gesichtsfarbe, immer kräftig, war fast ganz aus ihrem Antlitz gewichen. Jetzt glühten rote Flecke auf ihren Wangen.
»Kompetentere Helfer.« War da eine selbstgefällige Besserwisserei in dem scharfen Tonfall?
»Sagt uns, was wir als nächstes tun sollen, ihr unzufriedenen großen Onker!«
Bei diesem Ausbruch, den ich nicht unterdrücken konnte, fiel Mevancy in ihren Stuhl zurück. Sie bedeckte die Augen, als erwarte sie, daß ich auf der Stelle zerschmettert werden würde. Nun, bei Krun, es hätte mich auch nicht überrascht.
»Man wird es dir sagen, wenn die Zeit ...«
»Gekommen ist!« Ich schrie sie an. »Es ist immer das gleiche mit euch! Wenn ihr etwas Nützliches tun wollt, warum schafft ihr mir dann nicht diesen verrückten Zauberer aus Loh, Na-Si-Fantong, vom Hals?«
»Deine lächerliche Eskapade mit dem Skantiklar ist dein Problem. Fantong hat entschieden, daß im Moment nicht an diesen Edelstein heranzukommen ist, und ist verschwunden.«
»Verschwunden? Wohin?«
»Wenn er ankommt, werden wir es wissen. Er ist im Augenblick nicht wichtig. Eure Probleme kommen aus anderen Richtungen.«
Wenn mich die Neuigkeit überraschte, daß die Herren der Sterne sich immerhin ein kleines bißchen um meine Haut sorgten, so versetzten mich die nächsten Worte der beiden Zwillingsvögel in absolutes Erstaunen.
»Du hast uns in der Vergangenheit gut gedient. Mevancy ist loyal. Wir wollen deine Dienste nicht verlieren, so eigennützig sie auch sein mögen. Wir halten den bösen Einfluß Carazaars in Schach. Aber weitere Fehlschläge werden seine Macht unweigerlich steigern.«
Ich schloß den Mund, da mir der Unterkiefer herabgesackt war. Ich schluckte. Was ich sagen wollte, weiß ich nicht mehr, da Mevancy sich einmischte. Sie redete auf zögerliche, undeutliche Weise. »Ja, ich bin loyal. Ich verstehe nicht, worüber ihr redet, aber ich bin loyal!«
Beißend sagte ich: »Vielleicht hättet ihr mir lieber von diesem Carazaar erzählen sollen. Schließlich habe ich sein Henkerwesen Arzuriel ausgeschaltet.«
Die Vögel lachten nicht direkt, doch ihr Gegacker kam einem spöttischen Gelächter gefährlich nahe. »Arzuriel ist ein multidimensionales Wesen. Du bist weder mit ihm fertig noch hast ihn zum letzten Mal gesehen.«
»Ich steckte ihn ...«, fing ich hitzig an.
»Nur eine dimensionale Verkörperung. Was seinen Herren Carazaar angeht, so vergrößert eure Stümperei seinen Einfluß. Tut, was hier getan werden muß, dann werden wir ...«
»Wenn wir mehr Unterstützung hätten«, schrie ich hinauf, »wären die Dinge anders gelaufen! Ihr seid die Stümper, ihr und die Herren der Sterne!«
Mevancy legte mir eine Hand auf den Arm. »Wir werden tun, was ihr befehlt.« Sie sprach fest, ihre Stimme war klar und beherrscht. In diesem Augenblick bewunderte ich sie noch mehr, da ich ihre Gefühle verstand – zumindest glaubte ich es.
Mit trägen, arroganten Schlägen ihrer glänzenden Schwingen flogen die beiden Raubvögel durch das offene Fenster, und ihr letztes Kreischen klang herab.
Chandro sagte: »Sei nur vorsichtig, Mevancy.« Er drehte sich vollends um, um zu ihr aufzublicken. Seine Augenbrauen senkten sich. Offensichtlich konnte er die Veränderung ihres Gesichtsausdrucks sehen, die von einem Vorfall herrührte, von dem er absolut nichts wußte. »Fühlst du dich nicht wohl?«
Kuong steckte die Paline in den Mund, als Mevancy sich mit der Hand über die Stirn strich und für Chandro ein Lächeln erzwang. »Oh, die ganze Geschichte würde Benga Serenmefa aufregen.«
Damit konnten Mevancy und ich gehen. Wir hatten eine Menge zu besprechen: Wir waren, wie man in Clishdrin sagte, hübsch eingesalzt.
»Wenigstens«, sagte ich zu ihr, als wir die Stufen zum Seiteneingang der Villa hinunterschritten, »haben wir den idiotischen Zauberer aus Walfarg, Na-Si-Fantong, nicht mehr im Nacken sitzen.«
»Du sprichst von deinem Nacken, Schwachkopf!«
Oho, sagte ich mir. Also erholt Madam sich wieder. Gut! Sie fuhr fort. »Du solltest lieber die anderen Dinge erklären – Carazaar?«
»Ein Phantom. Arzuriel, sein tierähnlicher Komplize, ist anscheinend nicht tot, was an sich schon ein Verbrechen gegen die Natur ist. Sie versuchen, mir zu schaden.«
»Wenn sie mit den Everoinye in Verbindung stehen ...«
»Daran habe ich nie gedacht. Ich war überrascht, als die verdammten Vögel ...«
»Schwachkopf! Wirklich! Du mußt deinen Ton mäßigen. Wer weiß, was dir hätte geschehen können?« Sie wandte mir das Gesicht zu, das jetzt in seiner natürlichen kräftigen Farbe leuchtete, die zurückgekehrt war. Ich fühlte mich wie ein wirklich übler Bursche, daß ich sie verletzt hatte. Aber ich beschimpfte den Gdoinye jetzt schon seit Jahren, und er hatte meine Beleidigungen doppelt erwidert. Wie mit den Herren der Sterne selber, hatte ich eine Beziehung und eine Art Übereinstimmung mit dem Gdoinye aufgebaut.
»Ja, gut«, sagte ich etwas ausweichend. »Diese anmaßenden Vögel scheinen dir ganz schön unter die Haut zu gehen.« Wir begaben uns nach draußen in den strahlenden Glanz der Sonnen Scorpios. »Laß uns gehen und etwas kühlen Parclear trinken. Ich bin ausgetrocknet.«
»Nach alledem, was du zum Frühstück getrunken hast?«
»Ganz genau.«
Jeder Bursche bekommt ein seltsames Gefühl, wenn er eine schöne Frau begleitet und fast alle vorbeigehenden Männer sich umdrehen, um sie anzustarren. Das ist keine Unverschämtheit, zumindest so wie ich es sehe, sondern eher eine Art Hommage an die Schönheit. Wenn es der Dame natürlich zuwider und ihr Begleiter der Meinung ist, die Blicke seien zu aufdringlich, sollte man vielleicht etwas unternehmen. Wie dem auch sei, man kann die Gedanken eines Mannes wirklich nicht gesetzlich kontrollieren – zumindest so lange nicht, bis die Prophezeiungen einer Gedankenpolizei und -Überwachung Wirklichkeit werden.
So nahm Mevancy absolut keine Notiz von dem Mann, der sie von der anderen Straßenseite offen anstarrte. Ich warf ihm einen scharfen Blick zu. Er war mittelgroß, hatte dunkelbraunes Haar und braune Augen. Sein Gesicht erschien mir einnehmend und gleichmäßig geschnitten, auch wenn es hier und da von ein paar Flecken gezeichnet war. Wie die meisten Leute in Makilorn trug er die allgemein übliche Kombination aus hellbraunem Gewand und Mantel, und seine linke Hand ruhte in dem Gewand. Als er bemerkte, daß ich ihn anblickte, wandte er sich ab und verschwand in einer Gasse. Der Gedanke, ihm zu folgen, kam mir nicht. Mevancy ging mit erhobenem Kopf voran.
Eine – wenn auch die einzige, bei Vox! – gute Sache hatte der Sieg von Shang-Li-Pos Partei mit sich gebracht, soweit es Mevancy und mich betraf; und zwar waren wir die Meuchelmörder los. Zumindest ich war zu dieser Überzeugung gekommen, der sowohl Kuong als auch Chandra zustimmten. Der Anblick dieses aufgeweckten Burschen, der uns mit mehr als bloßer Bewunderung für Mevancy beobachtet hatte, machte mir Sorgen. Wir ich bereits sagte, war Mevancy keine atemberaubende Schönheit. Ihr Reiz beruhte mehr auf ihrer Lebhaftigkeit und ihrem Temperament als dem Schnitt ihrer Gesichtszüge. Was also hatte dieser Bursche gewollt?
Wir fanden eine kleine freistehende Theke an der Ecke eines Gebäudes mit darüber befindlichen Wohnungen und tranken unseren Parclear. Ich zumindest. Da sie von dem allseits akzeptierten Frauenbild abwich, bestellte sie Sazz. Sie wählte eine hellgrüne Sorte. Das störte mich nicht ein Jota.
Wir besprachen die Erscheinung von Carazaar, und ich sagte, daß es nicht der Gdoinyi bedurft hätte, um mir zu sagen, daß er böse bis ins Mark war.*
»Wenn er irgendwie mit den Everoinye in Verbindung steht, Schwachkopf, geht mich das auch an.«
»Sicherlich.«
»Ach, du!«
Gut, sagte ich mir, sie mag nicht das hübscheste Mädchen zweier Welten sein, aber sie hat ein Feuer und einen Geist, den jeder bewundern würde.
Nun war sie über meine sanfte Spöttelei gestolpert, über meine idiotische Neckerei, und aus ihren Augen schoß ein Blick, der dazu bestimmt war, mich zurechtzustutzen und auf meinen Platz zu verweisen.
Sie erwähnte den Mann auch nicht, der sie angestarrt hatte.
Ich drehte mich um, lehnte mich mit dem Rücken an die Theke, die Ellbogen auf die Platte gestützt, und sah der vorbeimarschierenden Parade zu. Die Sonnen schienen schräg herab, und die vertrauten Staubflecken waren in der Luft. Eine Abteilung der königlichen Garde marschierte vorbei, und da dies Loh war und die alten kaiserlichen Traditionen immer noch fortbestanden, marschierten alle im Gleichschritt. Die gelben Nocken ihrer Pfeile fingen das Licht auf und schimmerten messingfarben. An der Spitze marschierte, meiner Meinung nach zu geziert für einen Soldaten, ein Hikdar mit blutarmem Gesicht und zu vielen goldenen Schnüren behängt. Er rief mit schriller Stimme einen Befehl, und die Gruppe kam gegenüber der Erfrischungstheke mit viel Getöse zum Stehen. Ich stieß mich ab und konnte nicht verhindern, daß meine Hand zum Schwertgriff fuhr.
»Tu das nicht, Tikshim!« Die schrille Stimme hatte einen nasalen Klang. »Du bist Drajak, der als der Schnelle bekannt ist?«
»Wer will das wissen?«
»Schwachkopf!« ertönte ein hitziges Flüstern an meiner Seite.
»Hikdar Vangli ti Trishnar, Shint! Nach dir wird geschickt!«
Daraufhin kam die Wachabteilung auf mich zu.
Nicht einmal Dray Prescot hätte eine Möglichkeit gefunden, sich einen Weg aus dieser Gruppe zu bahnen, besonders nicht, als die lohischen Langbogen von den Schultern genommen wurden und die scharfen, stählernen Pfeilspitzen auf meinen Leib zielten.
Ich sagte: »Wer schickt nach mir?«
Unmöglich oder nicht, wenn die falsche Antwort kam, würde ich den Versuch wagen müssen.
»Die Königin, Shint! Sofort, Bratch!«
Das war nicht die falsche Antwort. Wenigstens hatte diese unangenehme Person Bratch gesagt statt des sklavenantreibenden Grak. Ich bewegte mich schnell vor, bis ich an seiner Seite stand. Er blinzelte. Er öffnete den mit dicken, purpurnen Lippen versehenen Mund, und ich sagte scharf: »Worauf wartest du noch? Laß uns gehen.« Ich drängte mich an den beiden nächsten Wachen vorbei und ging los.
Er trippelte an meine Seite und versuchte, sich meinem Tempo anzupassen. Ich wandte den Kopf nicht um. Falls Mevancy ... Als wir losgingen, seufzte ich erleichtert auf. Sie hatte die Geistesgegenwart besessen, nicht zu rufen oder eine Szene zu machen. Soweit es Vangli ti Trishnar betraf, war sie nur eine Frau an der Theke und hatte nichts mit dem Mann zu tun, den er laut Befehl abzuholen hatte.
Also gingen wir alle zusammen im staubigen Licht der Sonnen zum Palast.
Eins mußte man Leone zugestehen: Sie sah jeden Zoll aus wie eine Königin. Meine Eskorte führte mich in ein Gemach. Obwohl es nicht groß oder bemerkenswert aufwendig ausgestattet war, war es mehr als nur ein einfaches Vorzimmer. Leone saß auf eine Art Mini-Thron, der vor Gold und Elfenbein nur so glitzerte. Sie trug einen königlichen Schatz an Juwelen. Ihr helles Haar war hochfrisiert und mit Edelsteinen durchsetzt. Ihr Gesicht – nun, ihr hübsches Gesicht glühte förmlich, und ihre Augen sahen mich strahlend an.
»Drajak!«
»Majestrix!«
Sie wedelte die Eskorte weg, doch Vangli zögerte. »Du darfst beruhigt sein, Hikdar. Dieser Mann ist ein Freund.«
Er verneigte sich und nahm seinen Wachtrupp mit.
Leone sah mich stirnrunzelnd an. »Ich nenne dich einen Freund, Drajak, und doch ignorierst du mich.«
»Du hast jetzt neue Freunde, Leone. San Chandro ...«
»Oh!« platzte es aus ihr heraus. »Willst du seinetwegen jammern?«
»Er verehrt dich sehr ...«
»Das hat er auf schöne Art zum Ausdruck gebracht!« Sie atmete schnell, und die Juwelen, die ihre Brust schmückten, funkelten. »Und du, Drajak, verehrst du mich auch so?«
Mir kam der Gedanke, daß sie die Macht hatte anzuordnen: ›Kopf ab!‹
Ich starrte ihr ins Gesicht, sah die Rötung, das Strahlen und das kleine verräterische Beben ihrer weichen Lippen.
»Nun, Drajak?«
»Du kennst die Antwort, Leone.«
Sie biß sich auf die Unterlippe und ließ sich in den Thron zurücksinken. Ein kleiner, mit Seide bekleideter Fuß tappte gegen das elfenbeinerne Stuhlbein. »Du könntest mein Gatte sein.«
»Das ist unmöglich. Ich würde dir die Demütigung ersparen ...«
»Demütigung!« Sie brauste auf, lehnte sich vor und setzte sich kerzengerade hin. Ihre Juwelen blitzten angriffslustig auf. »Shang-Li-Po hat bestimmte Dinge über dich gesagt, und über San Chandro. Wenn ich wollte ...«
Mit scharfer und haßerfüllter Stimme knurrte ich: »Shang-Li-Po ist dir kein Freund, Leone! Er hat Nalgre ermorden lassen. Er wird Chandro töten lassen, wenn er eine Möglichkeit findet. Er sorgt nur für sich.«
Sie erbebte vor Leidenschaft. »So kannst du nicht mit mir sprechen!«
»Ich habe es gerade getan. Und da ist noch mehr. Wenn du Chandro zuhören würdest ...«
»Nach seinem Verrat!«
Man konnte wirklich nicht von ihr erwarten, Chandras Unterstützung für ihre Kusine Kirsty zu verstehen oder gar zu akzeptieren. »Leone, denk immer daran, Chandro, Lunky und Kuong sind deine wahren Freunde«, sagte ich.
Wir hätten noch einige Zeit auf diese Art streiten können, wenn nicht Wink mit Prang und Ching-Lee hereingekommen wäre. Zumindest hatte ich sie von mir als Thema abgebracht. Ihre Freunde drängten sich lachend herein und riefen: »Er ist da!«
Sie war fast so froh über diese Unterbrechung wie ich. Außerdem gefiel es mir zu sehen, daß sie mit ihren Palastgefährten auf vertrautem Fuß geblieben war. Vieles an Leone war bewundernswert, wie ich wußte. Ich war der Meinung, daß sie sich jetzt wieder beruhigen und es später noch einmal mit mir versuchen würde.
Sie erhob sich anmutig von dem Mini-Thron. »Du darfst jetzt gehen, Drajak.« Ich lächelte nicht über ihren Ton. Sie hatte den Kniff des Befehlens schnell genug begriffen. »Mein Portrait soll gemalt werden, und der Künstler ist da.«
Ich verneigte mich mit einer knappen Verbeugung vor ihr, und sie hob den Kopf und ging mit ihren Gefährten heraus; sie alle plauderten wie früher.
Den Weg nach draußen zu finden war nicht schwer. Wachen standen hier und da, und die Korridore des Palastes waren mir vertraut. Ich vermutete, daß der arme alte Chandro den Komfort seiner Gemächer im königlichen Palast vermißte, wenn er sie mit denen in Mishuros Villa verglich. Der vorletzte Korridor vor den Gemächern, die zu den Nebeneingängen führten, lag ohne Wachen vor mir. Am anderen Ende erspähte ich eine flüchtige Bewegung hinter einem der großen Keramikkrüge, die sofort aufhörte. So war ich auf alles gefaßt, als ich darauf zuging. Das – und davon war ich felsenfest überzeugt – war nicht Leones Werk. Das trug die finstere Handschrift Shang-Li-Pos. Der Bursche dort vorn, ein verdammter Meuchelmörder, war schnell in dem Moment herbeigerufen worden, in dem Hikdar Vangli meine Anwesenheit im Palast gemeldet hatte, da war ich sicher. Ich ging gleichmäßig weiter, darauf vorbereitet, den ersten Schlag abzuwehren und den Stikitche im Gegenzug niederzustrecken.
Es verblieben nur noch ein paar Schritte bis zu dem Keramikkrug. Ein massiger Mann, der ein schwarzes Gewand trug, taumelte hinter dem Krug hervor und fiel mit dem Gesicht zu Boden. Aus seinem Rücken ragte der Griff eines Dolches.
Ich blieb augenblicklich stehen und zog mein Schwert.
»Das wirst du nicht brauchen, Dom. Er ist erledigt.«
Die Stimme war hell und selbstsicher. Der Mann, den ich dabei ertappt hatte, wie er Mevancy anstarrte, trat aus dem Schatten der Tür. Er schlenderte heran, bückte sich, nahm seinen Dolch wieder an sich und wischte ihn an dem schwarzen Gewand sauber.
Er sah sich um. »Wir bringen am besten eine möglichst große Entfernung zwischen uns und diesen kläglichen Stikitche, Drajak. Hier durch.«
Ohne weiteres Aufheben drückte er auf eine Platte in der Wand. Eine Geheimtür öffnete sich. »Ich habe sie erst heute morgen gefunden. Es war so einfach, daß man darüber in Tränen ausbrechen könnte. Diese Leute sind nicht besonders fähig.«
Wenn er vorgehabt hätte, mich zu töten, so hätte er es jetzt schon getan – beziehungsweise wäre beim Versuch gestorben. Ich nickte. Wir betraten den Geheimgang, und die Tür schloß sich. Eine Laterne brannte an der Ecke, die der Biegung der äußeren Wand folgte. Hier gab es zwei Türen, die beide geschlossen waren.
Er legte die Hand auf den Riegel der linken Tür und nickte zu der anderen hin. »Diese führt nach draußen. Ich muß den Weg zur Königin jetzt abkürzen. Es wäre nicht gut, sie bei der ersten Sitzung warten zu lassen.«
Die Tür führte tatsächlich nach draußen – in einen Innenhof, wie ich durch meine Erkundungen wußte. Dieser Künstler war sicherlich ein vielseitiger Bursche.
Er öffnete die Tür nicht. Er wandte sich mir halb zu. »Du bist sicherlich Drajak der Schnelle?« Seine Hand umklammerte den Dolchgriff.
»Aye. Und du?«
»Caspar Del Vanian. Lahal.«
»Lahal.« Mich durchfuhr ein echter Schock. Ein großartiger Künstler, der für Delias Großvater, den Herrscher von Vallia, gemalt hatte, war Caspar Del Vanian genannt worden. Wenn dieser prächtige junge Bursche der Urenkel war, so hatte er offensichtlich nie Dray Prescot zu Gesicht bekommen, als ich Herrscher von Vallia gewesen war. Außerdem war Caspar zum Trylon gemacht worden, dem dritthöchsten Adelsrang nach einem Kov und einem Vad – den Vadvar nicht mitgezählt –, nicht nur wegen seiner hervorragenden, glänzenden künstlerischen Leistungen, sondern auch wegen der finanziellen Zuwendungen für die Krone. Den Del Vanians war es schlecht ergangen, und obwohl ich nicht alle Details kannte, hatte ich gehört, daß sie ihr Trylonat verloren hatten. Als die schweren Zeiten über Vallia hereingebrochen waren, hatte man nur wenig von ihnen gehört. Nun schien es, als ob der jüngste Nachkomme der Linie vorhatte, die Reichtümer der Familie nicht nur durch Pinsel und Farbe zurückzugewinnen.
»Du scheinst«, sagte er und verfolgte seinen Gedanken weiter, »nicht darüber beunruhigt zu sein, daß man dich beinahe umgebracht hätte.«
»Ich habe gerade gedacht, daß auch du ein ganz schön kaltblütiger Bursche bist.«
Er lächelte darüber und zeigte gleichmäßige weiße Zähne. »Es ist ein Handwerk.«
»Ach?«
Er schüttelte den Kopf wegen meines Tonfalls. »Nein, nein. Ich bin kein gewöhnlicher Meuchelmörder.«
»Ich kann nicht behaupten, daß ich für diese Sorte etwas übrig habe.«
»Ich verstehe genau, was du sagen willst. Aber du mußt zugeben, daß es Leute auf der Welt gibt, die besser nicht lebten.«
»Ja«, sagte ich, und dachte unter anderem an Shang-Li-Po.
»Siehst du.« Er hatte wirklich ein einnehmendes Lächeln. »Ich muß gehen. Die erste Sitzung wird nicht lange dauern. Danach werde ich Mevancy und dich in der Mishuro-Villa besuchen. Die Everoinye haben ziemlich deutlich zu verstehen gegeben, daß ihr einen weiteren Helfer braucht.«