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Die nächsten Tage zeigten mir den Hof jedoch in einem neuen Licht, das mich die vergangenen dunklen Stunden für eine Weile vergessen ließ. Fast jeden Tag rief mich der König zu sich, damit ich ihm vorlas oder mich mit ihm unterhielt. Wir gingen im Park vor den Tuilerien spazieren, in dem sich das erste Grün auf dem Rasen zeigte, oder ritten zur Beizjagd, in der wir die Flüge der Falken beobachteten.

Eines Tages bestand der König darauf, ein Bild von mir anfertigen zu lassen, das er in seinen privaten Gemächern aufhängen wollte. Stundenlang musste ich dafür still sitzen, während der König dem Künstler immer wieder kritisch über die Schulter sah und den armen Mann damit fast in den Wahnsinn trieb. Eigenhändig suchte er den Schmuck aus, den ich auf dem Bild tragen sollte: wunderschöne Perlen, die schimmerten wie Schnee.

Ein anderes Mal lud er mich sogar ein, mit ihm eine Vorstellung des Hoftheaters zu besuchen, und ich war ganz verzückt gewesen von der Musik und den Schauspielern. Die Luft roch nach Schminke und Farbe. Quietschende Seilzüge hoben und senkten die Bühnenbilder, auf denen in leuchtenden Farben Wälder und Häuser aufgemalt worden waren – und obwohl die Männer, die an den Seilen zogen, zu sehen waren, kam es mir vor, als sei ich mitten hinein in eine von Berthas Geschichten geraten.

In der Tat war das Stück recht traurig, doch das machte mir nichts aus. Am Ende schnäuzte ich in mein Taschentuch und der König tätschelte meine Hand.

»Ihr dürft es Euch nicht so zu Herzen nehmen, Mademoiselle«, sagte er. »Das Leben besteht nicht nur aus Tragödien, auch wenn uns die Dichter gerne anderes lehren würden.«

Aufmerksam lauschte ich ihm, als er sich nach der Aufführung mit dem Hofdichter Malherbe unterhielt, einem ernst dreinschauenden Mann, der immerfort die Stirn krauszog.

Der König schien ihn zu mögen, auch wenn er ihn nicht mit Spott verschonte, sobald der Dichter außer Hörweite war. »Seinem Papier ist er ein besserer Gesellschafter. Es nimmt seine Dramen ohne Widerworte auf.«

Vater hingegen war von solcherlei Freizeitvergnügen nicht sehr angetan. »Das Theater verdirbt den Charakter«, urteilte er, als ich ihm von meinem Besuch berichtete und ihm die Maske aus versilbertem Leder zeigte, die mir ein Schauspieler geschenkt hatte. »Unnützes Zeug«, nannte er sie.

Aber mir gefiel die Maske, daher legte ich sie neben mein Bett, und so war sie das Letzte, was ich sah, bevor ich am Abend die Augen schloss.

In jener Nacht träumte ich von einem Mann mit silberner Maske, dem ich in einen dichten Wald folgte. Etwas an seiner Statur und seinen Bewegungen kam mir sonderbar bekannt vor. Ich konnte ihn aber nicht einholen. Immer wenn ich glaubte, ihn erreicht zu haben, verschwand er wieder hinter einem Baum wie ein Irrlicht. Ich rief ihm mehrmals zu, aber er antwortete nicht.

Als ich am nächsten Morgen erwachte und der Traum noch in mir nachklang, wusste ich endlich, an wen mich der Mann erinnert hatte.

An Condé.

Es beunruhigte mich etwas, dass er es geschafft hatte, sich in meine Träume zu schleichen, und ich nahm mir vor, in Zukunft weniger an ihn zu denken, damit das nicht noch einmal passieren konnte.

 

Es waren aufregende Tage und der König eröffnete mir den Hof, wie ich ihn mir immer vorgestellt hatte: reich, amüsant und außergewöhnlich, randvoll mit schönen Dingen, die es nirgendwo sonst auf der Welt gab. Wenn ich mit ihm durch die königlichen Werkstätten ging, blieb mir vor Staunen der Mund offen stehen, bis der König über meine Begeisterung in Gelächter ausbrach.

Eines Tages blieb ich auf einem unserer Rundgänge vor einem Porträt des Prinzen Condé stehen, das ihn als Jungen zeigte mit seinem Jagdhund. Schon damals hatte er einen ernsten Ausdruck und ich fragte mich, was er im Alter von fünf Jahren schon alles gesehen hatte.

Der König blieb neben mir stehen und unter seinem prüfenden Blick brannten mir die Wangen. »Das Bild scheint es Euch angetan zu haben, Mademoiselle, so versunken wie Ihr in Condés Antlitz seid. Oder ist es gar nicht das Bild?«

»Majestät, ich ...« Weiter kam ich nicht, denn er winkte ab und lächelte gutmütig.

»Schon gut, Charlotte, Ihr müsst nicht antworten. Solche Blicke sind das Recht der Jugend, wer bin ich also, Euch danach zu fragen.« Er ging langsam weiter und ich folgte ihm nachdenklich. Was er wohl damit gemeint hatte?

Doch für lange Grübeleien blieb keine Zeit, denn die Werkstätten boten zu viel Ablenkung, um allzu lange Trübsal zu blasen. Und wie sollte man nicht begeistert sein angesichts der Wunder, die die Handwerker vollbrachten? In den Werkstätten entstanden nicht nur Bilder, Skulpturen und Tapeten. Auch Goldschmiede waren dort ansässig, die Geschmeide herstellten, welche aussahen wie von Feenhand gemacht. Blumen aus Gold rankten sich um die Hälse der Damen, die solche Ketten in Auftrag gegeben hatten. Aber am meisten faszinierten mich die Uhrmacher, deren Automaten mich in ihren Bann schlugen. Der König schenkte mir einen Himmelsglobus, der durch ein Uhrwerk betrieben wurde und die Sternzeichen anzeigte. Sein Gehäuse war aus Messing, der Fuß aus Gold. Ich stellte ihn in unserem Appartement auf den Kaminsims und betrachtete ihn stundenlang, bis Manon ausrief: »Dieses Ding wird Euch noch verrückt machen, wenn Ihr es weiter so anstarrt!«

»Ich habe dir doch gesagt, es gibt in Paris Automaten.«

»Aber ich sehe darin noch immer keine Nützlichkeit.« Manon blieb stur und verschränkte die Arme. »Hilft es einem vielleicht beim Wäschewaschen oder bei den täglichen Pflichten? Nein. Was soll ich also damit anfangen können?«

»Ach, Manon, darum geht es doch gar nicht. Es ist einfach dazu da, dass du dich daran erfreuen kannst, weil es so wunderschön ist. Fasziniert dich das denn gar nicht?«

Daraufhin grummelte sie nur und ich musste lachen.

Die Freude an solcherlei Wunderdingen ließ mich fast vergessen, dass uns auf jedem Schritt die Neugier der Diener und Höflinge folgte und nichts, was wir sagten oder taten, unentdeckt blieb. Wie die Krähen auf den Feldern lauerten sie auf Beute. Doch dem König schien das nichts auszumachen, vielleicht hatte er sich in all den Jahren längst daran gewöhnt.

Jedes Mal, wenn ich von den Begegnungen mit dem König in unser Appartement zurückkehrte, setzte sich Vater mit mir hin und wollte peinlich genau wissen, worüber der König und ich uns unterhalten, was wir getan und gegessen hatten.

Seit der ersten Einladung in die königlichen Gemächer näherten sich mir plötzlich Menschen, die mich vorher nicht eines Blickes gewürdigt hatten. Auf einmal erhielt ich Einladungen zu Banketten, Tanzveranstaltungen und Ausritten. Selbst Mathilde und Elisabeth grüßten mich, wenn sie mir auf dem Gang entgegenkamen.

Vater überprüfte jede Einladung und verfasste meine Antwortschreiben. Ich bekam zunehmend das Gefühl, eingesperrt zu sein. Es fiel mir schwer, mich daran zu gewöhnen, dass Vater über den größten Teil meiner Zeit bestimmte. Während seiner langen Aufenthalte in Paris hatte ich in Chantilly zwar unter der Obhut der Erzieher gestanden, aber im Grunde genommen hatte ich über mich selbst bestimmt. Manons Warnungen bei unserer Abreise aus Chantilly, dass das Protokoll am Hof sehr viel strenger sei, hatte ich ignoriert.

Etwas anderes machte mir außerdem zu schaffen. Sämtliche Versuche, mit Henri über den Herzog d’Épernon oder Auguste Bonfour zu reden, scheiterten, da Henri mit mir nicht darüber sprechen wollte, mit wem er seine Zeit verbrachte. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, mir Vorschriften zu machen. Wenn ich versuchte, von seiner Frau Jeanne etwas zu erfahren, beendete sie das Gespräch hastig und sah traurig zur Seite. Henri früheres freundliches Naturell verschwand immer mehr hinter einer Maske der Sturheit. Zwischen uns tat sich ein Graben auf, der von Tag zu Tag größer wurde.

 

Und wie vieles Schöne besaßen auch diese Zusammentreffen mit dem König ihre Schattenseiten. Sophie sah ich nur noch selten. Erst nach einer ganzen Woche kam ich dazu, ihr von den wunderlichen Dingen zu berichten, die mir der König gezeigt hatte. Gemeinsam waren wir nach Paris hineingefahren, um bei einer Schneiderin eine zweite Anprobe durchführen zu lassen, während Manon die Gelegenheit nutzte, Besorgungen zu erledigen. Inzwischen hatte sie sich nämlich an die Stadt gewöhnt, auch wenn sie ihre Begeisterung dafür hinter einer Tirade von Beschwerden verbarg, die längst niemand mehr ernst nahm.

In der Tat dauerte die Anprobe Stunden, weil sich die alte Schneiderin immer wieder beim Abstecken vertat, bis ihre Schwiegertochter mit hochrotem Gesicht die Arbeit übernahm. Nun, da ich so viel Zeit mit dem König verbrachte, bestand Vater darauf, dass die Aufstockung meiner Garderobe schneller voranging.

»Die Leute werden dich jetzt noch genauer beobachten«, hatte er zu mir gesagt und Manon einen Beutel voller Münzen in die Hand gedrückt, damit sie die Schneiderin bezahlen konnte. Ich bekam neue Röcke aus Samt mit silberbroschiertem Satin, auf dem sich Blumenmuster abwechselten. Hemden aus Seide, in die aufwendige Streifenmuster eingestickt waren, die der König so liebte und die inzwischen so viele Hofdamen trugen, um ihm zu gefallen. Die Knöpfe bestanden aus emailliertem Gold ebenso wie die Mantelringe und Verschlüsse. Ein indigoblaues Kleid mit hellblauem Kronenmuster rundete die Kollektion ab, dennoch hörte die Schneiderin nicht auf, mir weitere Stoffe vorzulegen, von denen einer schöner war als der andere. Die Pracht der Farben machte mich schwindlig, denn noch nie in meinem Leben hatte ich solch kostbare Kleidung gesehen.

Als wir endlich mit der Anprobe fertig waren, war Manon auf einem Schemel eingeschlafen und draußen hatte bereits die Dämmerung eingesetzt. Der Weg zurück in den Louvre erfolgte in aller Eile und am Tor schalt uns der Gardesoldat, dass wir Glück gehabt hätten, denn sie waren schon dabei, die Tore zu schließen.

»Nun plustere dich mal nicht so auf, Mann«, erwiderte Manon und reckte sich aus dem Fenster der Kutsche. »Noch sind die Tore ja offen und wir rasch hindurch. Oder willst du etwa unter unseren Röcken nachsehen, wen wir in den Louvre schmuggeln?«

Der Soldat errötete unter ihrem Spott und winkte die Kutsche durch, ohne sie zu durchsuchen. Hinter vorgehaltener Hand kicherte Manon, bis die Kutsche vor dem Eingang hielt.