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Der nächste Tag brachte Vater schon am frühen Morgen zu mir, denn er wollte mir zu meinem Erfolg beim König gratulieren. Eine geschlagene Stunde lang hielt er mir einen Vortrag, wie ich die Gunst des Königs erhalten könne. Was ich sagen oder tun solle, wann ich dem König zustimmen oder ihm widersprechen solle, über welche Themen ich besser nicht sprach und worüber der König gern redete. Zweimal war ich kurz davor, in meinem Sessel einzuschlafen.
»Ich glaube, Ihr macht die ganze Sache größer, als sie eigentlich ist, Vater. Wir haben lediglich ein wenig geplaudert. Wenn man Euch so reden hört, könnte man annehmen, ich wäre auf einer diplomatischen Mission gewesen.«
Aber Vater schüttelte den Kopf. »Glaub mir, Charlotte, jedes Gespräch mit dem König gleicht einer diplomatischen Mission, das bringt sein Amt mit sich.«
Ich versuchte, ihm zu erklären, dass es zwar angenehm war, sich mit dem König zu unterhalten, dass ich aber kein Interesse daran hatte, zur Favoritin aufzusteigen, doch Vater unterbrach mich, wie er es immer tat, wenn er glaubte, ich hätte etwas nicht verstanden.
»Es spielt keine Rolle, ob du Favoritin sein möchtest. Wenn der König dich dazu macht, kannst du dich nicht dagegen wehren.«
Er fuhr fort mit seinen Anleitungen und schärfte mir ein, unter keinen, unter gar keinen Umständen über Politik zu reden! Das Verhältnis zwischen Katholiken und Protestanten verschärfe sich weiter und der König reagiere ungehalten auf jeden, der das Thema auch nur ansprach, weil er sich dessen nur allzu bewusst war. Es gab Parteien am Hof, die davon profitierten, wenn der Streit zwischen den Konfessionen erneut eskalierte.
Ich fragte mich, ob Henri in diesen Kreisen verkehrte und ob ich Vater von der Äußerung des Königs und Sophies Warnungen erzählen sollte. Doch dann entschied ich mich dagegen, ich wollte zunächst mit Henri allein darüber reden und ihn nicht vorschnell in Schwierigkeiten bringen.
Kaum hatte Vater mein Zimmer verlassen, tauchte auch schon mein Bruder auf, als hätte er irgendwie gemerkt, dass es mich drängte, ihn zu sehen. Manon brachte uns einen kleinen Imbiss, Biskuitkuchen mit Marzipan, und zog sich dann aus meiner Kammer zurück.
Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, begann Henri ebenfalls, im Zimmer auf und ab zu gehen und dabei mit wild gestikulierenden Händen Vorträge zu halten. Sie klangen Vaters alles in allem recht ähnlich, nur schlossen sie mit seiner Meinung zum Thema Hugenotten in königlichen Ämtern, die alles andere als schmeichelhaft war und mich weiter beunruhigte.
Erschöpft ließ ich den Kopf auf die Stuhllehne sinken. Das konnte ja heiter werden. Ob Sophies Vater ihr ebensolche Vorträge hielt? Pflegte er die gleichen Vorbehalte gegen uns Katholiken wie Henri gegen die Hugenotten?
»Meinst du nicht, dass du mit deinem harten Urteil vielleicht ein wenig übertreibst, Henri? Ich meine, warum verfolgst du diese Sache nur mit einem solchen Eifer? Früher hast du dich nie dafür interessiert.«
Sein Blick wurde düster und er verschränkte die Arme vor seinem dunkelblauen Wams. »Früher hatten sie nicht solchen Einfluss. Glaubst du denn, sie werden die Ämter, die sie nun innehaben, je wieder freigeben? Nein, wenn wir erst einmal ein Amt an einen von ihnen verloren haben, werden die Söhne ihre Väter beerben und irgendwann bleibt uns nicht mehr viel zu sagen.«
»Suchst du deshalb die Unterstützung des Herzogs d’Épernon?«
»Ich weiß, du kannst ihn nicht leiden, Himmel, ich kann ihn die meiste Zeit selbst nicht ausstehen, aber das spielt keine Rolle. Er hat Einfluss.«
»Ist das alles, was dich interessiert?«
»Warum sollte es nicht? Glaubst du, unsere Familie vermehrt ihr Vermögen allein durch Herumsitzen?«
»Die Hotels in Paris laufen gut, ihre Vermietung sichert Vater ein beachtliches Einkommen.«
Henri lachte. »Das reicht längst nicht aus, Charlotte. Vater ist alt, im Grunde will er nur seine Ruhe haben, er verkennt die Zeichen der Zeit. Wenn wir uns jetzt nicht der richtigen Freunde versichern, wird es irgendwann zu spät sein.«
»Ist Auguste Bonfour auch ein Freund von dir?«
Überrascht sah er mich an. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren. »Woher kennst du diesen Namen?«
»Ich bin nicht so naiv, wie du denkst, Henri. Auch ich sehe Dinge und erfahre Dinge. Glaubst du wirklich, du kannst deine Beziehungen zu diesen Leuten geheim halten? Du selbst hast mir gesagt, dass man im Louvre vorsichtig sein muss, aber du scheinst dich nicht an deine eigenen Worte zu halten. Wenn Vater oder, noch schlimmer, der König erfährt, dass du dich mit diesem Mann abgibst, wirst du nicht nur dir selbst schaden.«
Plötzlich sank Henri auf dem Stuhl mir gegenüber zusammen. Auf einmal sah er unglücklich und verwirrt aus und von seiner herablassenden Art war nichts mehr zu erkennen. Ich wusste nicht, wie ich ihm helfen konnte. Er schien sich in eine Sache verstrickt zu haben, die ihm über den Kopf wuchs, von der er aber nicht wusste, wie er ihr entrinnen konnte.
Vorsichtig streckte ich die Hand aus und fuhr ihm über die Haare. »Du musst aufpassen, Henri, dein Ehrgeiz kann dich sonst den Kopf kosten.« Meine Stimme war zu einem Wispern herabgesunken und die Stille um uns herum kam mir auf einmal gespenstisch vor. Obwohl in den Mauern des Louvre Hunderte Menschen ihrer Wege gingen, verspürte ich das Gefühl nagender Einsamkeit.
Orson musste meine Verzweiflung gespürt haben, denn er kam angetrottet und stupste mich mit der Schnauze an, als wolle er mich trösten. Schweigend saßen Henri und ich uns gegenüber und wussten beide nicht, was wir sagen sollten.
Nachdem Henri gegangen war, erinnerte mich Manon an die Ballettproben. Wieder einmal eilte ich durch die Gänge, um rechtzeitig zu erscheinen, aber als ich den Saal betrat, kam mir ein Diener in gelber Livree entgegengeeilt, der nicht wagte, mich anzusehen, und nervös von einem Fuß auf den anderen trat.
»Mademoiselle«, stieß er hervor und rang die Hände.
»Ja?«
Im Hintergrund stand die Königin mit dem Rücken zu mir, die Hände in die Hüften gestützt. Die Art, wie die Mädchen die Köpfe senkten und überall hinsahen, nur nicht zu mir, beunruhigte mich.
Der Diener räusperte sich und ich sah ihn wieder an.
»Die Königin ...«, begann er und warf mir einen flehenden Blick zu, doch ich verstand nicht, was er mir zu sagen versuchte. »Das Ballett ... Eure Anwesenheit ... Die Königin bat mich ...« Es war kaum mit anzusehen, wie sich der arme Kerl abmühte.
Als der Geiger mit der Musik begann und sich die Mädchen in Bewegung setzten, obwohl sie mich sahen, begann ich endlich zu ahnen, was der Mann mir zu sagen versuchte. Die Bewegung machte es schwerer, die Mädchen zu zählen, trotzdem gelang es mir mit ein bisschen Konzentration.
Neun.
Zehn.
Elf.
Zwölf.
Das Ballett war vollständig. Jetzt erkannte ich auch das neue Gesicht in der Menge.
Das hatten also die abgewandten Gesichter und das Gestammel des Dieners zu bedeuten. Die Königin hatte beschlossen, mich im Ballett zu ersetzen.
Obwohl ich zuerst gar nicht in das Ballett gewollt hatte, traf mich diese Abweisung doch. Die Königin sah mich nicht einmal an, gar nichts. Ich konnte nicht verstehen, was sie so gegen mich aufbrachte. Lag es wirklich nur daran, dass mich der König zu sich hatte bitten lassen? Sollte ich versuchen, ihr zu erklären, dass ich es nicht auf seine Gunst abgesehen hatte oder Zwietracht zwischen den Eheleuten säen wollte?
Doch der Diener versperrte mir den Weg. Die Königin wollte nicht reden, sie hatte ihre Entscheidung getroffen. Meine Vorstellung davon, mich mit ihr gut zu stellen, fand ein vorzeitiges Ende.
Das hatte Vater also gemeint, als er gesagt hatte, dass die Gunst der Monarchen schwer zu erreichen, aber leicht zu verlieren war.
Ich spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen, aber ich wollte nicht, dass der Diener oder eines der Mädchen mich so sah, deshalb drehte ich mich abrupt um und lief den Gang zurück, den ich eben erst gekommen war. Ich war so empört über die ungerechte Behandlung, dass meine Hände zitterten.
Zu allem Unglück hörte ich auch noch eine bekannte Stimme hinter mir.
»Charlotte!«
Ich blieb nicht stehen. Wieder ertönte mein Name und kurz darauf fasste mich der Marquis de Bassompierre am Arm.
Wie immer sah er sehr attraktiv aus, das konnte ich nicht leugnen. An diesem Tag trug er eine hellgrüne Weste über dem Hemd, die einen schönen Kontrast zu seinen blonden Haaren bildete. Aber als ich sein Gesicht betrachtete, war der Zauber, den ich einmal dabei verspürt hatte, verschwunden.
»Was wollt Ihr?«, fragte ich und versuchte, meine Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Der Marquis hatte mir jetzt gerade noch gefehlt!
»Es hat fast den Anschein, als würdet Ihr mir aus dem Weg gehen.«
»Ihr irrt Euch, Marquis. Es hat nicht nur den Anschein, es ist auch so.«
»Was hat Euch denn so verstimmt, meine Liebe?«
Ungläubig sah ich ihn an. »Das fragt Ihr allen Ernstes? Der ganze Hof klatscht über uns und nicht ein einziges Mal habt Ihr Euch bei mir entschuldigt.«
»Ihr dramatisiert. Und Ihr hängt auch noch immer dieser Sache nach. Ich hatte gehofft, dass Ihr in der Zwischenzeit zur Besinnung gekommen wärt.« Er seufzte übertrieben und hob dann die Arme, als würde er auf einer Bühne stehen. »Ich wüsste auch gar nicht, wofür ich mich entschuldigen sollte, schließlich wart Ihr es, die meine Gemächer unangemeldet und allein aufgesucht hat, das dürft Ihr nicht vergessen. Ihr tragt also selbst Schuld daran, dass diese Geschichte so unerfreulich geworden ist.«
Sprachlos starrte ich ihn an. Im Moment fehlte mir die Kraft, mit ihm zu streiten, daher drehte ich mich nur um und setzte meinen Weg fort, doch de Bassompierre blieb an meiner Seite.
»Wie ich hörte, hat die Königin Euch aus Eurer Verantwortung im Ballett enthoben.«
»Solche Sachen sprechen sich hier schnell herum.«
»Nun ja. Der Diener sagt es dem Pagen, der erzählt es der Zofe und die wiederum ihrer Herrin, und voilà.« Er zuckte mit den Schultern, als mache es ihm nicht das Geringste aus, dass sein Leben unter den Blicken der Dienerschaft stattfand.
»Die Königin hat mich ersetzt, wenn es das ist, was Ihr wissen wollt.«
»Das ist schade. Ich gebe zu, ich hatte gehofft, die Königin würde an Eurer Gesellschaft Gefallen finden. C’est la vie«, er hob die Arme, »dann werden wir eben mehr Zeit mit dem König verbringen.«
»Wir?«
»Nun ja, ich werde Euch selbstverständlich zu den Empfängen begleiten, denen Ihr auf Einladung des Königs folgt.«
»Werdet Ihr?«
Er nickte.
»Erlaubt mir ebenfalls eine Bemerkung, Marquis. Wenn Ihr Euch noch weiter aufplustert, könnten Euch die Leute mit einem Pfau verwechseln!« Mit diesen Worten ließ ich ihn stehen.
Unmöglich, sich vorzustellen, dass ich mit diesem Mann einmal unter einem Dach wohnen, geschweige denn ein Schlafzimmer teilen sollte. Außer seinen eigenen Interessen schien er nichts und niemanden wahrzunehmen. Zu meiner Erleichterung versuchte er dieses Mal nicht, mir zu folgen.
Nachdem ich in mein Zimmer zurückgekehrt war, erwartete ich, dass Vater oder Henri jeden Moment hereingestürmt kamen, um mich zu fragen, wie es zum Bruch mit der Königin hatte kommen können. Orson, der meine Unruhe spürte, sprang aufgeregt um mich herum, bis Manon ihn mit einem Diener nach draußen schickte, damit er sich im Park vor den Tuilerien austoben konnte.
Als nach einer Stunde immer noch niemand gekommen war, beschlich mich der Verdacht, dass sie mit der Ungnade der Königin gerechnet hatten, sobald der König seine Einladung ausgesprochen hatte.
»Das eifersüchtige Temperament der Königin ist kein Geheimnis«, sagte Manon schulterzuckend, als ich ihr davon erzählte. Sie stopfte gerade einen Rock und schien wie immer bestens über die Vorgänge am Hof informiert zu sein. »Ich habe Geschichten gehört, die würdet Ihr mir nicht glauben! Angeblich hat sie sogar schon mit Porzellan geworfen, wenn sie einen Tobsuchtsanfall hatte. Könnt Ihr Euch das vorstellen?« Ungläubig schüttelte sie den Kopf. »Man sagt, das ist der Einfluss der Concini, die Alte würde das Temperament der Königin anstacheln.«
Ich erinnerte mich an die Szene während des Balls, die ich beobachtet hatte, und wie die Dienerin ihrer Königin ins Ohr geflüstert hatte. War die Königin wirklich so leicht zu beeinflussen?
Es schien jedenfalls, als wäre es unmöglich, sich die Gunst beider Monarchen zu erhalten. Hielt man es mit dem einen, brach man mit dem anderen.
Kein Wunder, dass alle Welt den Marquis de Bassompierre mit einer gewissen Bewunderung betrachtete, immerhin wirkte es so, als ob ihm das Unmögliche gelungen war. Und obwohl ich noch immer wütend auf ihn war, so kam ich doch nicht umhin, mich zu fragen, wie ihm dieses wohl gelungen war. Allein sein Charme konnte es nicht sein, denn dafür war der König unempfänglich. Vielleicht hatte er den König mit seinem Wissen beeindruckt, immerhin war er sehr gebildet, das musste man ihm lassen. Und ich hatte ja am eigenen Leib erfahren, wie amüsant die Unterhaltungen mit ihm sein konnten. Möglicherweise bestand genau darin seine größte Kunst, dass er herausfand, was die Leute gerne von ihm hören wollten. Im Grunde war er wie die Schausteller, die von Dorf zu Dorf zogen und ihre Rollen zum Besten gaben. Es ärgerte mich nur, dass ich das nicht eher durchschaut hatte, denn nun war es zu spät.