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Unsere Ankunft blieb nicht unbemerkt. Obwohl die Sonne bereits unterging, herrschte an der Porte de Bourbon ein ständiges Kommen und Gehen. Das Tor lag zwischen zwei dicken Rundtürmen, es war aus eisenverstärkten, aber rostigen Bohlen und gab die Sicht auf eine Holzbrücke frei, die wiederum auf zwei Zugbrücken führte. Diese Zugbrücken spannten sich über den Wehrgraben, der um den Louvre lief.
Dienstmägde mit großen Körben verließen das Gebäude und Männer mit Papierrollen unter den Armen rannten an uns vorbei, vertieft in Gespräche, von denen wir nur Bruchteile erhaschten. Sie alle warfen uns im Vorbeieilen neugierige Blicke zu, als wir aus der Kutsche stiegen. Aber die Garde in ihren roten Röcken mit den blauen Litzen trieb sie zum Weitergehen an.
»Madame, so gehen Sie doch weiter, Sie behindern ja den ganzen Verkehr!«
Nervös zupfte ich meinen Hut zurecht, unter dem schon die dicken blonden Strähnen hervorrutschten. Staunend sah ich an der Fassade empor. Das Licht der untergehenden Sonne färbte die Fenster rot und schien die Steinfiguren zum Leben zu erwecken.
Plötzlich hörte ich meinen Namen. Es dauerte einen Moment, bis ich den Rufer ausmachte. Es war Henri, der an einem Fenster im ersten Stock stand und mir zuwinkte. Kaum hatte ich jedoch die Hand erhoben, schloss er auch schon wieder das Fenster. Kurz darauf tauchte er in der Türöffnung hinter dem Toreingang auf.
»Geht ruhig schon vor, ich kümmere mich darum, dass das Gepäck abgeladen wird«, sagte Manon und scheuchte mich vorwärts, Henri entgegen, der inzwischen am Tor angekommen war.
Fast hätte ich meinen eigenen Bruder nicht erkannt. Er sah gut aus und war nun mindestens einen Kopf größer als ich. Seine Schultern waren breiter geworden und seine Haare wellten sich der neusten Mode nach über dem Kragen. Der Mantel, den er gegen die Kälte trug, war aus schwerem, mitternachtsblauem Brokat geschneidert und die Weste mit Perlen bestickt. Auf der linken Seite der Weste prangte das gelbe Wappen der Montmorencys mit den roten Balken und den vier mal vier Adlern. Er war nun nicht mehr nur Henri, sondern auch der zukünftige vierte Herzog von Montmorency.
Ich wartete darauf, dass er auf mich zugerannt kam, wie er es getan hatte, als wir noch Kinder gewesen waren, doch das tat er nicht. Vielleicht gehörte sich das als verheirateter Mann nicht mehr. Aber er lächelte sein breites Henri-Lächeln, von dem ich erst jetzt merkte, wie sehr ich es vermisst hatte, und so war ich es schließlich, die die letzten Schritte auf ihn zurannte.
Stürmisch hob er mich in seine Arme und küsste mich auf beide Wangen, als hätte er im letzten Augenblick doch vergessen, was sich schickte, und wir beide wären wieder daheim in Chantilly.
Nachdem er mich abgesetzt hatte, nahm er meinen Arm und führte mich hinüber zu einem kleinen Holzverschlag, in dem die Palastwache Stellung bezogen hatte. Ein Mann in Harnisch und weißem Spitzenkragen sah uns entgegen. Sein Gesicht zierten eine Knollennase und ein beachtlicher Schnurbart, dessen Enden sich spitz und weit über seine Wangen nach oben bogen.
»Marschall de Vitry, darf ich Euch meine Schwester Charlotte de Montmorency vorstellen.«
Der Mann nickte missmutig und sein Blick glitt prüfend über mich.
Unter diesem Blick verstummte ich, außer einem Nicken brachte ich nichts zustande, dabei war ich für gewöhnlich nicht auf den Mund gefallen. Da ich nicht genau wusste, was die Etikette vorsah, machte ich vorsichtshalber einen Knicks und murmelte: »Sehr erfreut.«
Doch der Mann sagte nur etwas vor sich hin, das ich nicht verstand, und sah weiter finster drein. Irritiert blickte ich zu Henri, der mein Unbehagen bemerkte und mich erneut am Arm nahm und weiterzog. Nervös warf ich einen Blick über die Schulter zurück, doch Marschall de Vitry war damit beschäftigt, den Dienern zuzusehen, wie sie die Kutsche entluden. Dabei stand er steif wie ein Zinnsoldat trotz des kalten Windes, der Henri und mich die Schultern hochziehen ließ.
»Du darfst dir nichts daraus machen, Charlotte. Der Marschall sieht immer so aus, als wollte er einen gleich verhaften. Er ist der Hauptmann der königlichen Garde und vermutet in jeder Gewandfalte ein Messer. Seitdem der letzte König von einem Jesuiten ermordet wurde, auch bei jedem Priester und jedem Frauenzimmer.« Er lachte und ich schüttelte über seinen Spaß den Kopf. Was war an der Ermordung Henris III. so komisch?
»Ist es denn wirklich so gefährlich im Louvre?«
»Nicht für die Ehrendamen der Königin.« Henri tätschelte meinen Arm.
Die Geste ärgerte mich, denn sie schien zu sagen: Nicht für Mädchen wie dich. Sie hatte etwas Herablassendes und ich fragte mich, woher diese Herablassung kam. Früher hatte Henri mich nie so behandelt. Obwohl er jetzt größer war als ich, war er dennoch ein Jahr jünger, und in Chantilly hatten wir die meiste Zeit gemeinsam verbracht, da zwischen uns und unseren Halbgeschwistern einige Jahre lagen und wir ihnen nie besonders nahegestanden hatten. Als Henri geheiratet hatte und an den Hof nach Paris gegangen war, hatte ich nicht nur meinen Bruder, sondern auch meinen Vertrauten verloren.
Doch mein Ärger war schon bald vergessen, denn wir betraten den Louvre am nördlichen Treppenaufgang und vor mir entfalteten sich die breiten Aufgänge. Unser eigenes Schloss in Chantilly besaß zwar auch Marmorfußböden, aber sie ließen sich in ihrer Pracht nicht mit diesen hier vergleichen. Die Wintersonne, die durch die runden Fenster fiel, prallte an den weißen Fliesen ab und sprang dem Besucher geradezu ins Gesicht. Säulen reckten sich über unsere Köpfe empor und schienen kein Ende finden zu wollen; wenn ich ihre Kapitelle sehen wollte, musste ich den Kopf in den Nacken legen. Die Decken waren geschmückt mit allerlei Stuck und Gemälden und ich hätte nach jedem Schritt stehen bleiben können, um mir die Szenen genauer anzusehen. Doch Henri zog mich schnell weiter.
»Das kannst du dir alles in den nächsten Tagen in Ruhe ansehen, Vater erwartet uns. Warte nur ab, bis du die große Galerie siehst, du wirst staunen.«
In meiner Begeisterung achtete ich nicht auf den Weg und stieß ein paarmal mit Fremden zusammen. Manche lachten amüsiert über mein Staunen, andere schnaubten empört und eine ältere Dame mit einer breiten Perlenkette um den dicken Hals murmelte aufgebracht: »Immer diese Mädchen vom Lande!«
Ich lief rot an und beeilte mich, Henri zu folgen, der ungeduldig eine Tür aufhielt. Wie konnte man nicht begeistert sein von diesem Ort? Wie war es möglich, dass die Menschen nicht ständig innehielten, um ihn zu bewundern? Es war mir ein Rätsel.
Genau wie die unzähligen Gänge.
Kaum bogen wir um eine Ecke, eröffneten sich schon wieder durch Kerzen beleuchtete Treppenaufgänge und Korridore. Wie sollte ich mir jemals merken, welchen Weg ich gehen musste?
»Nun trödele doch nicht so, Charlotte. Bei Gott, deinetwegen kriege ich noch ganz kalte Füße.«
Eine Zofe, die uns entgegenkam, kicherte über Henris Ausruf, während sie einen Knicks andeutete und dabei versuchte, einen Korb voller Wäsche zu balancieren, der ihr gefährlich schief auf der Hüfte saß.
Plötzlich kam aus einem Seitengang ein Diener in blauer Livree gestürzt, unter der die Weste nur halb zugeknöpft war. Auf den Händen trug er ein Tablett, das unter der Last der Speisen jeden Augenblick zur Seite zu kippen drohte. Der Mann eilte an uns vorbei, wobei sein Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst war.
»Das wird nicht gut gehen«, flüsterte ich Henri zu, der nur mit den Schultern zuckte.
»Das ist der Leibdiener der Comtesse de Moret, einer Dame, der der König eine Zeit lang sehr zugetan war. Sie ist ein fürchterliches Frauenzimmer und beschwert sich lautstark, wenn die Diener ihr nicht sofort jeden Wunsch von den Augen ablesen. Wahrscheinlich bestraft sie den armen Kerl, wenn er bei seinem Gang durch den Louvre das Essen kalt werden lässt.«
»Das ist ja grauenvoll.«
»So ist der Hof eben«, erwiderte Henri, als wäre ein solches Verhalten das Normalste auf der Welt.
Aus einem der Gänge drangen seltsame Geräusche an mein Ohr und der Geruch nach Farbe lag in der Luft.
»Was ist das?«, fragte ich neugierig.
»Die Werkstätten. Dort lässt der König neue Gemälde und Skulpturen anfertigen. Du wirst feststellen, dass die Männer, die dort arbeiten, niemals schlafen. Zumindest kommt es einem so vor, immerzu brennt Licht, wird gemeißelt oder gemalt, sodass dieser Teil des Louvre unentwegt nach Farbe stinkt.«
»Das ist doch wunderbar!«
»Das wirst du nicht mehr sagen, wenn du hier lebst und den Gestank jeden Tag ertragen musst oder wenn du versuchst zu schlafen, glaub mir. Gut, dass unsere Appartements nicht in diesem Flügel liegen.«
Henri schien diesem Tag nicht viel Positives abgewinnen zu können, daher schwieg ich und beschloss, in der nächsten Zeit das Schloss allein zu erkunden. Es war auf jeden Fall das größte Gebäude, das ich je in meinem Leben betreten hatte, und schien mir ein rechter Irrgarten zu sein. Ein Labyrinth mit marmornen Wänden, in dessen Ecken Statuen antiker Götter standen, deren steinerne Blicke mir folgten.
Im zweiten Stock waren weniger Menschen unterwegs, auch der Lärm ließ nach. Die Diener waren gerade dabei, Fackeln anzuzünden, als uns auf dem dämmrigen Gang ein Mann entgegenkam, der ganz in Schwarz gekleidet war. Sein weißer Kragen lag steif auf den Schultern und zwang ihn dazu, kerzengerade zu gehen. Keine Perle verzierte seine Kleidung und es war kein Schmuck zu sehen. Er trug die typische Kleidung der Hugenotten. Auf dem Kopf glänzte zwar eine beachtliche Glatze, aber sein Bart war lang und sorgfältig geschnitten. Er reichte ihm bis zum Schlüsselbein. Der Mann flößte mir Respekt ein, wie er uns langsam entgegenkam.
Neben mir versteifte sich Henri, er lief plötzlich ebenfalls gerader und legte mir die Hand auf die Schulter. »Bleib einen Moment hier stehen, Charlotte, ich muss mit ihm reden. Schon seit Tagen versuche ich, eine Audienz bei ihm zu bekommen.«
Bevor ich noch etwas mehr als »Was ...« sagen konnte, war Henri dem Mann auch schon entgegengeeilt und hatte mich stehen lassen. Mitten im Gang, wo es empfindlich zog.
Warum wollte er mich diesem Mann nicht vorstellen? Die Entfernung war zu groß, ich konnte ihr Gespräch nicht hören, nur sehen, wie Henri auf den Protestanten einredete und dabei immer wilder mit den Händen gestikulierte. Offenbar ärgerte er sich über etwas. Doch sein Gegenüber blieb ruhig, ab und zu nickte der Mann und strich sich über den Bart. Er machte einen gefassten Eindruck, wie jemand, der sich seiner selbst sehr sicher war, ohne überheblich zu wirken. Hin und wieder glitt sein Blick zu mir herüber, aber von seinem Gesicht war nichts abzulesen.
Auf einmal zupfte etwas an meinem Kleid und überrascht sah ich nach unten. Ich sah eine kleine Hand in blutroten Handschuhen, die in einen Arm überging, der in einem tiefschwarzen Wams steckte. Der Arm gehörte zu einem gebückten Männlein, das mir kaum bis zum Kinn reichte, so krumm stand es. Der Rücken zeigte einen Buckel, den auch die aufwendige Kleidung nicht verbergen konnte.
Als das Männlein das Gesicht hob, erkannte ich, dass die Person viel jünger war, als ich angenommen hatte. Nur wenige Jahre älter als ich. Zwei schöne grüne Augen blitzten mich schalkhaft an.
»Habt Ihr Euch verirrt, Prinzessin?«
»Ich bin keine Prinzessin«, entfuhr es mir. Es wunderte mich, dass er das nicht wusste, denn sicherlich kannte man die Prinzen und Prinzessinnen von Geblüt am Hof.
»Oh, das überlasst nur mir, ich habe einen Blick dafür und Ihr seid so schön, dass Ihr zweifellos eine Prinzessin seid oder es werdet.« Er lächelte und ich musste ebenfalls lächeln.
»Ihr kennt Euch also aus mit Prinzen, mein Herr. Verratet Ihr mir, wieso?«
»Oh, gestattet, dass ich mich vorstelle. Mein Name ist Angoulevent.« Er griff nach meiner Hand und küsste sie. »Und Ihr seid?«
»Charlotte de Montmorency.«
»Nun, Mademoiselle de Montmorency, die Antwort auf Eure Frage lautet: Man könnte sagen, dass ich selbst ein König bin.«
Er legte meine Hand auf seine Brust, unter der ich sein Herz schlagen spürte, und mein Blick fiel auf sein Wams, das von einer goldenen Brosche verziert wurde, einer Laute.
Es gab nur einen im Königreich, der eine solche Brosche trug.
»Ihr seid der König der Spielleute«, stellte ich erstaunt fest und er lächelte erfreut, weil ich ihn erkannt hatte.
Vater hatte mir einmal vom König der Spielleute erzählt, dem Roi des ménestrels, und dass dieser Titel nicht leicht zu verdienen sei. Es gehörte mehr dazu als nur das Rezitieren von Gedichten in einem Kostüm. Der König der Spielleute wurde auf ein Jahr gewählt und übernahm die Führung seiner Zunft. Er traf geschäftliche Absprachen und erhielt dafür Geschenke und Geldbeträge. Er vertrat und schützte die Leute, die sich ihm anschlossen, und es war ein einflussreicher Posten.
»Zu Euren Diensten, Prinzessin.« Er ließ meine Hand los und deutete eine Verbeugung an, die aufgrund seiner Statur nur schlecht gelang.
Fasziniert fragte ich mich, wie er es geschafft hatte, ganz an die Spitze seiner Zunft zu gelangen. Er musste ein außergewöhnlicher Mensch sein.
Die Hand in dem blutroten Handschuh legte sich sanft auf meinen Arm und der Blick aus den grünen Augen suchte neugierig meinen.
»Aber das ist noch nicht die ganze Antwort, meine Schöne. Ich bin zwar mein eigener Herr, aber ich stehe auch in den Diensten eines anderen, man hat so seine Verpflichtungen, nicht wahr. Ich diene dem berühmtesten Prinzen an diesem Hof.« Er nickte gewichtig, aber sein Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. »Mein Prinz ist der Schönste, mein Prinz ist der Klügste, müsst Ihr wissen. Er ist beliebt wie kein Zweiter. Das liegt an seiner Nase.«
»An seiner Nase?«
»Oh ja, sie ist von königlicher Art.«
»Ihr wollt mich auf den Arm nehmen.«
»Aber nein, Mademoiselle, viel lieber in den Arm nehmen, Schönste.« Er lachte und dabei verzog sich sein Mund fast bis zu den Ohren. »Mein Prinz findet bestimmt auch, dass Ihr der Göttin Diana ähnelt, jawohl. Ihr müsst ihn unbedingt treffen, den Prinzen Condé, denn er ist so charmant, wie ich schön bin.«
Ich wusste nicht, ob ich über seine derben Scherze lachen oder erzürnt sein sollte, aber das Funkeln in seinen Augen verleitete mich dazu, laut zu lachen. »Ich glaube, ich verzichte darauf, mein Herr. Wenn Euer Prinz eine ebenso scharfe Zunge hat wie sein Diener, dann erscheint mir seine Gesellschaft recht anstrengend, meint Ihr nicht?«
»Anstrengend wird sie nur, wenn man nichts Rechtes zu sagen weiß.«
»Und Ihr glaubt, dass ich etwas Rechtes zu sagen wüsste?«
»Aber ja, Mademoiselle. Lasst Euch versichert sein, ich habe viele Gesichter am Hof auftauchen sehen und kaum eines davon war so entzückend wie Eures.«
»Und daran messt Ihr meinen Verstand, das scheint mir nicht sehr überzeugend.«
»Mit dieser Äußerung bestätigt sich nur mein Verdacht. Ihr seid reizend, dabei bleibe ich.« Er verschränkte die Arme.
Den Namen Condé hatte ich schon gehört. Der Prinz, dessen Vater der Cousin des Königs war, hatte als Kind bei den Hugenotten in La Rochelle gelebt, bevor er an den Hof nach Paris kam, aber Protestant geblieben war. In den Augen vieler wurde er dadurch verdächtig, denn die Hafenstadt La Rochelle war das Herz des Protestantismus und hatte auch der Belagerung durch katholische Truppen erfolgreich widerstanden. Sie war ein Symbol des Widerstandes und als solches manchem Katholiken ein Dorn im Auge.
Vater hatte nie viel von Condé erzählt, und wenn, dann bildete sich zwischen seinen Augenbrauen eine steile Falte. »Ungestüm«, hatte er ihn einmal genannt und einen »Dickschädel«, aber mehr war nicht von ihm zu erfahren. Umso neugieriger war ich auf die Geschichten des Narren, denn der Prinz schien mir recht geheimnisvoll.
Ich hätte mich gern noch eine Weile mit Angoulevent unterhalten, aber in diesem Moment hob der fremde Mann die Hand und schien das Gespräch zu beenden. Er nickte Henri kurz zu und ging dann seines Weges, während mein Bruder für mehrere Herzschläge lang stocksteif im Gang stand, als wisse er nicht, was er als Nächstes tun sollte. Als er schließlich auf uns zukam, war sein Blick finster, und ich konnte seine schlechte Laune schon von Weitem erkennen, die wie eine Wolke drohend über ihm hing.
»Oh, Teuerste, da kommt ein Sturm auf uns zu«, flüsterte Angoulevent. »Ich suche Deckung, ein Versteck, in dem mich der Sturm nicht erreichen kann.« Er griff nach meiner Hand, küsste sie erneut und zog sich dann rückwärts in den Schatten zurück, aus dem er aufgetaucht war. Dabei winkte er übertrieben mit einem löchrigen Taschentuch und rief: »Wir sehen uns wieder, zweifelt nicht daran, Schönste, der Louvre ist kleiner, als man zuerst vermuten würde.« Mit dieser seltsamen Äußerung verschwand er.
Als Henri bei mir ankam, fragte er missmutig: »Was hast du mit dem Narren des Bastardprinzen zu schaffen?«
»Nennt man den Prinzen so?«
»Ja, und das nicht ohne Grund, du hältst dich besser von ihm fern. Der Prinz ist kein Umgang für dich.«
»Vielleicht sehe ich das anders. Möglicherweise gefällt mir seine Gesellschaft ja.«
Die steile Falte, die ich von Vater so gut kannte, bildete sich nun auch zwischen seinen Augenbrauen. »Sei nicht albern, Charlotte, du bist gerade erst hier angekommen, du solltest besser auf das Urteil der Leute, die dir nahestehen, vertrauen.«
»Vielleicht möchte ich mir ja ein eigenes Urteil bilden, Henri, dazu bin ich durchaus in der Lage.«
Er winkte ab und verschränkte die Arme hinter dem Rücken, genau wie Vater es tat, wenn er über etwas nachdachte. Manchmal waren sie sich ähnlicher, als sie sich beide eingestehen wollten.
Schweigend liefen wir den Gang entlang, während Henri über etwas grübelte. Seine düstere Stimmung übertrug sich auf mich, deshalb dauerte es eine Weile, bis ich fragte: »Mit wem hast du vorhin gesprochen?«
Sein Blick wurde noch finsterer. »Dem Herzog von Sully.«
»Verwaltet er nicht die Finanzen?«
Henri nickte. »Ja, ist das zu fassen? Dieser Kerl weigert sich standhaft, seinem Glauben abzuschwören. Es ist nicht zu verstehen, warum der König ihn noch in seiner Nähe duldet, diesen Hugenotten! Aber der König wird in letzter Zeit ohnehin weich, was diese Ketzer betrifft. Er hat eine sentimentale Bindung an sie.«
Erschrocken sah ich ihn an. Solche Reden waren neu für meinen Bruder. Bisher hatten ihn die Religionsstreitigkeiten nie groß interessiert. In Chantilly bekamen wir nicht viel davon mit. Auch wir hatten protestantische Diener in unserem Schloss, es gab nie Ärger mit ihnen. Dass Henri einen solchen Missmut bei dem Thema befiel, überraschte mich.
»Solche Sachen solltest du nicht sagen, Henri. Der König wird schon wissen, warum er dem Herzog von Sully diese Aufgaben überlässt. Vielleicht hat er ein Talent dafür.«
»Was spielt das für eine Rolle?«, fuhr er mich an. Sein Gesichtsausdruck zeigte mir deutlich, dass er meine Antwort für dumm hielt. »Wenn er die Hugenotten mit solchen Ämtern ausstattet, stärkt er ihre Macht, und du wirst sehen, früher oder später werden sie sich gegen uns erheben.«
Mit uns meinte er die Katholiken – auch den König, der vor vielen Jahren seinem protestantischen Glauben abgeschworen hatte und zum Katholizismus übergetreten war, nachdem seine erste Hochzeit mit Margot von Valois in einem Massaker an den Hugenotten endete. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Hugenotten einen Aufstand planten, gerade nachdem endlich ein wenig Ruhe eingekehrt war. Seit Henri von Navarra König geworden war, sprach niemand mehr von dieser Hochzeit, aber die Erinnerung daran schwebte über uns allen wie ein böser Traum. Vater war manche Nacht aus Träumen aufgewacht und seine Schreie hatten uns Kinder ebenfalls aus dem Schlaf getrieben. Nur ein einziges Mal hatte er uns von jener schrecklichen Nacht erzählt, in der das Morden begonnen hatte.
Der Frieden war zu kostbar, um ihn aufs Spiel zu setzen. Warum sollten die Hugenotten riskieren, dass sich ein solches Ereignis wiederholte?, überlegte ich mir.
Aber ich sagte nichts weiter dazu. Am Tag meiner Ankunft wollte ich keinen Streit beginnen, immerhin hatten wir uns seit über einem Jahr nicht mehr gesehen und vielleicht wusste Henri ja auch mehr als ich, schließlich lebte er länger am Hof. Trotzdem erstaunte mich seine heftige Reaktion auf den Herzog, und ein ungutes Gefühl begleitete mich, als wir durch die Gänge des Louvre liefen.
Früher hatte er nicht so gehasst.