17

 

Der Unterschied zwischen Meister und Schüler
offenbart sich in jedem Handwerk
bereits oft an der Wahl des Werkzeugs.
Merkspruch der Letzten Seufzer, der wohlweislich auf eine Weisheit aus den Tagen der Geschuppten Könige zurückgeht

 

Als Teriasch erwachte, saß eine Frau mit feuerrotem Haar neben seinem Bett, und in dem schwebenden Zustand zwischen Träumen und Wachen war er sich mit einem Mal sicher, dass sie schon einmal an seinem Krankenlager gewacht hatte. Vor so langer Zeit, dass seine Erinnerung daran nicht mehr als ein blasser Geist war. In einer Zeit, in der sie das gleiche Gesicht, aber einen anderen Namen besessen hatte. »Tamni?«

»Nein«, sagte sie. »Ich bin es. Nesca.«

»Nesca …« Er setzte sich auf. Ein feuchter Lappen rutschte ihm von der Stirn und landete in seinem Schoß. »Wie lange habe ich geschlafen?«

»Die Wasseruhr draußen auf dem Gang sagt fast acht Stunden.« Rukabo erhob sich von einem Schemel am Fußende des Bettes und hielt ihm eine Schüssel hin. »Traube?«

Teriasch schüttelte den Kopf.

»Hat dich das Opfer so erschüttert?«, fragte Nesca, nahm den Lappen, stand auf und wrang ihn in dem Becken an der Wand aus.

»Ja«, log Teriasch, weil ihm die Wahrheit viel zu kompliziert vorkam, um sie ihr zu erklären.

Carda, die am Fenster ins Abendrot hinausgeblickt hatte, drehte sich zu ihm um. »Du solltest dir überlegen, ob du die richtige Abmachung mit Ihrer Hoheit getroffen hast. Wie willst du einem Behemoth allein gegenübertreten, wenn du schon bei einem einfachen Opfergang in Ohnmacht fällst?«

Teriasch streckte die Beine aus und stellte fest, dass er zwar sein Hemd trug, aber seine Beine unter der Decke nackt waren. »Wer hat mir die ausgezogen?«, fragte er Nesca. »Du?«

»Ich«, sagte Rukabo und steckte sich eine Traube in den Mund. »Aus gebotenem Anlass. Du hast dich eingenässt.«

»Oh …«

»Und gewaschen habe ich dich auch«, fügte der Halbling schmatzend hinzu.

»Danke.«

»Das Vergnügen war ganz meinerseits.«

»Ich habe nachgedacht.« Nesca setzte sich und reichte Teriasch den Lappen. »Vielleicht war es falsch von mir, dich in meine Dienste zu zwingen. Vielleicht hätte ich von Anfang an mit offenen Karten spielen sollen. Doch diese Chance ist vertan.« Sie lächelte versonnen. »Jetzt haben wir eine Abmachung getroffen, und es ist wichtig, dass du mir vertraust.«

»Ich vertraue Euch auch ohne Abmachung«, warf Rukabo ein.

»Ruhe, du haarige Kröte!«, maßregelte ihn Carda.

»Du hast Glück«, fuhr Nesca fort. »Vor ein paar Stunden erst ist Dentilegus gestorben, ein altes Kriegsprobaska, das im Gnadenstall meines Vaters stand. Ein Veteran vieler Schlachten und eines meiner liebsten Tiere hier im Palast.«

»Wieso …« Teriasch stockte und fischte nun doch in Rukabos Schüssel nach einer Traube, weil er einen widerlich fischigen Geschmack im Mund hatte. »Wieso ist es ein Glück für mich, dass diese Rüsselschnauze, die dein Freund war, tot ist?«

»Nun, das Tor zum Turm des Windes mag versiegelt sein. Der Behemoth, der darin lebt, hat aber mehr Hunger, als dass es mit dem Opfer einmal alle vier Jahre getan wäre.«

»Er muss also öfter fressen?«, fragte Teriasch.

»So wie der Behemoth der Erde auch«, mischte sich Rukabo ein. »Ihr Götter, wie ich es früher gehasst habe, Wasserlinsen zu ernten. Da wird einem die Fußhaut ganz weich und schrumpelig. Vom Schlamm zwischen den Zehen mal ganz zu schweigen.« Er schüttelte sich. »Und dieses Viech hat einen Magen, in den ganze Wagenladungen reingehen, weshalb wir eigentlich immer am Ernten waren. Und da wundert sich meine Verwandtschaft, dass ich mir andere Wege gesucht habe, mir die Zeit zu vertreiben.«

»Du lernst es nicht mehr, oder?«, kam es drohend von Carda.

Rukabo schlug sich die Hand vor den Mund und schüttelte den Kopf.

»Der Behemoth des Windes wird mit Aas gefüttert«, erklärte Nesca. »Es bekommt Fleischabfälle aus den Herrschaftlichen Küchen zu fressen, und alles Vieh, das im Palastbezirk verendet. Die toten Tiere werden über eine eingefettete Rampe in einen Schlitz im Fuß des Turms hineingeschoben, und …«

»Das ist ja schön und gut.« Rukabo wuselte eilig aus Cardas Reichweite. »Aber wie hilft ihm das dabei, in den Turm hineinzugelangen? Soll er etwa diese Rampe hinunterrutschen und durch den Schlitz springen? Wie käme er dann wieder aus dem Turm raus?«

»Nett, dass du fragst.« Carda war am Fenster stehen geblieben und grinste den Halbling breit an. »Kannst du mit einer Armbrust umgehen?«

»Ich hoffe doch sehr, dass das nur dein Knie ist, was mir da so hart in den Rücken stößt«, nuschelte Rukabo in der stinkenden Finsternis.

Es war tatsächlich nur Teriaschs Knie, doch er fand in der beklemmenden, feuchten Enge einfach keine Position, die Rukabos Rücken geschont hätte. Sie lagen halb aufeinander, halb nebeneinander, und Teriasch einziger Trost bestand darin, dass seine Umgebung weich war, abgesehen von dem klobigen Ding, das Rukabo in einem Rucksack transportierte und ihm ständig in den Bauch piekte.

Starna sei mit mir, worauf habe ich mich da nur eingelassen? Kaum hatte er sein stummes Stoßgebet gesprochen, dämmerte Teriasch, dass es unverschämt war, der Ewigen Wanderin zuzumuten, sich zu ihm in den Bauch eines Probaskas zu begeben.

Nachdem er dem wahnwitzigen Unterfangen zugestimmt hatte, hatten sie sich gleich daran gemacht, es in die Tat umzusetzen. Carda hatte einige wichtige Besorgungen unternommen, während Teriasch in seine neue Hose geschlüpft war und sich von Nesca noch einmal genau erklären ließ, was sie vorhatten. Rukabo hatte nur immerzu den Kopf geschüttelt und leise vor sich hin gejammert. Nach ihrer Rückkehr führte Carda sie alle in den Gnadenstall des Dominex, zu jenem weitläufigen, ummauerten Gehege, in dem das tote Probaska lag. Dentilegus gehörte zu jener Sorte von Rüsselschnauze, denen ein rötliches Fell aus der grauen Haut spross. Als er vor dem Kadaver stand, hatte Teriasch das Gefühl vor einem Berg aus rötlichen Borsten zu stehen. Unter dem Vorwand, die Tochter des Dominex wolle sich unbedingt von ihrem alten Spielkameraden verabschieden, wurden die Stallsklaven aus dem Gehege hinauskomplimentiert. Danach ging alles sehr schnell: Carda breitete ein großes Öltuch vor Dentilegus’ rundem Bauch aus, ehe sie nach einer besonders felligen Stelle suchte, die sie mit einem kurzen Schwert und kräftigen Rucken aufschnitt. Gedärm quoll aus dem Spalt wie dicke braun glänzende Würmer. Carda packte es beherzt und zerrte so viel davon aus dem Kadaver heraus, bis sie kniehoch in den Innereien stand. Sie schlug das Öltuch über das Gekröse und schaffte den Ballen zu einem Futterstand, wo sie ausgiebig Heu darüber verteilte.

Teriasch würde sein Lebtag nicht vergessen, wie es sich anfühlte, als er sich durch die Wunde in den Bauch des Probaskas zwängte. Es war wie eine perverse Umkehrung einer Geburt. Aus einer warmen Welt voll Licht kroch er in eine düstere Höhle, in der ihn von allen Seiten kalte, glitschige Wände umschlossen. Noch dazu ging der tote Dentilegus bald mit Zwillingen trächtig, denn Rukabo krabbelte Teriasch tapfer hinterher.

Dann reichte ihnen Carda das, was sie in der nach vergorenen Pflanzen stinkenden Höhle vor dem Ersticken bewahren sollte – dünne Silberröhrchen, die die Scharlachrote Rose aus einer Wasseruhr ausgebaut hatte. Rukabo und Teriasch steckten sie sich in den Mund und suchten gemeinsam nach einer Position, in der ihre Köpfe möglichst dicht an dem klaffenden Spalt waren. Carda nickte, wünschte ihnen viel Glück und begann, die Wunde mit einer gebogenen Ledernadel und einem groben Faden zu schließen. Immer wieder befürchtete Teriasch, Carda könnte einmal zu tief stechen und ihn versehentlich von innen an die Haut des Probaskas nähen, doch diese grausige Vorstellung blieb zum Glück nur Fantasie. Stattdessen achtete Carda peinlich genau darauf, dass die Spitzen der Silberröhrchen frei lagen, denn sie ruckelte mehrfach an ihnen oder bog sie leicht in die eine oder andere Richtung.

Schließlich setzte sie den letzten Stich der Naht, zurrte den Faden fest, und der schmale Lichtstreif, der noch ins Innere des Probaskas fiel, wurde jäh abgeschnitten.

Nun begann das bange Warten. Teriasch spürte, wie das erkaltende Aas ihm nach und nach die Wärme aus dem Leib sog. Er biss fest auf das Röhrchen und versuchte, ruhig zu atmen.

Irgendwann hörte er gedämpfte Rufe und das aufgeregte Trompeten lebender Probaskas, denen es offenkundig nicht schmeckte, von ihren Lenkern an den Körper eines toten Artgenossen herangeführt zu werden. Dentilegus’ Fleisch erzitterte unter ihrem nervösen Stampfen.

In diesem Augenblick wurde Teriasch die wahre Irrwitzigkeit ihres Plans bewusst.

Was, wenn jemand die Naht bemerkt, wenn sie die Seile um das Probaska schlingen, an denen sie es zum Turm schleifen?

Doch dem war nicht so. Teriasch spürte Rukabo überrascht zusammenzucken, als ein heftiger Ruck durch ihr Gefängnis ging. Erst einer, dann noch einer, bis daraus ein steter Takt aus Voranrutschen und Innehalten wurde.

Was, wenn der Kadaver umkippt und wir von dem Gedärm in ihm zerquetscht werden oder er so fällt, dass wir durch die Röhrchen keine Luft mehr kriegen?

Auch diese Sorge erwies sich als unbegründet. Zwar verstrich eine Ewigkeit, in der das tote Probaska weiter und weiter vorangeschleift wurde, doch seine eigene Masse bewahrte es davor, sich zur Seite zu neigen.

Was, wenn Dentilegus zu groß ist, um durch den Spalt im Fuß des Turms zu passen, und er vorher in kleinere Teile zerlegt werden muss?

Diese Befürchtung zerstob, als Teriaschs Magen sich mit einem Mal in eine andere Richtung bewegen wollte als der Rest seines Körpers. Wir rutschen! Wir rutschen schnell!

»Scheiße! Scheiße! Scheiße!«, nuschelte Rukabo.

Eine bizarre Empfindung ergriff Teriasch: Obwohl er in einer toten Kreatur steckte, die mehr wog als zehn Pferde, hatte er das merkwürdige Gefühl, selbst keinerlei Gewicht mehr zu besitzen, frei zu fliegen wie ein Vogel. Die Empfindung währte nicht lange.

Ein harter Aufprall schüttelte ihn durch, irgendeins der aufgeblähten Organe in seiner Nähe platzte auf und überschüttete ihn mit einem Schwall bitterer, zäher Flüssigkeit. Panisch zwängte er seine Hand an Rukabos Hintern vorbei in seine Hosentasche und suchte nach dem Klappmesser, das Carda ihm gegeben hatte.

Der Kadaver des Probaskas kam zwar kurz zur Ruhe, doch von draußen gab es erst ein lautes Fauchen und Knurren, dann Scharren und Schaben, und zu guter Letzt ein knackendes Krachen, begleitet von einem plötzlichen Schütteln und Rütteln an Dentilegus’ sterblichen Überresten.

»Schneid doch! Schneid doch!«, bettelte Rukabo.

Da seine Finger kalt und schleimig waren, brauchte Teriasch drei Anläufe, seine Klinge aufzuklappen. Er tastete blind nach der Naht, fand sie und begann, den ersten Faden zu durchtrennen.

Das Knacken berstender Knochen wurde lauter. Teriasch quetschte sich noch dichter an die Naht heran, obwohl sich Rukabo unter ihm verzweifelt zu winden begann. Er kappte Faden um Faden, der Spalt klaffte ein Stück auseinander. Das trübe Licht reichte dennoch aus, ihn zu blenden. Blinzelnd setzte er seine Arbeit fort. Rukabo krallte die Hände in die Seiten der sich viel zu langsam öffnenden Wunde und zog und zerrte daran. Teriasch spie das Röhrchen aus, schnappte angestrengt nach Luft.

»Raus! Raus!«, schrie er, so laut er konnte.

Rukabo schlüpfte an ihm vorbei, schob Kopf und Schultern durch den Spalt, blieb stecken, und einen Moment lang war Teriasch wieder in Dunkelheit gefangen. Er ließ das Messer fallen, drückte gegen Rukabos Rücken, der mit den Beinen strampelte, als versuchte er, sich freizuschwimmen.

Die Naht riss ganz auf. Rukabo und Teriasch glitten in einem Knäuel aus Armen und Beinen aus dem Probaska heraus. Sie kullerten und purzelten übereinander. Teriasch wälzte sich von dem zeternden Halbling herunter und erstarrte, als er sah, wo er sich befand.

Die künstlich geschaffene Höhle war nur durch die schwachen Sonnenstrahlen von außerhalb des Turms erleuchtet, die ihren Weg durch die Futterspalte oben an der Decke fanden. Ihr Boden war ein einziges Knochenfeld, übersät von dem gelb schimmernden Gebein all der unzähligen toten Geschöpfe, die man ihrem Bewohner zum Fraß vorgeworfen hatte.

Der Drache hatte gerade den Kopf des Probaskas zwischen seinen gewaltigen Kiefern zermalmt. Im Gegensatz zu Teriaschs Traum von ihm war Schwarzschwinge nicht unter einer Schicht aus verkrustetem Schleim gefangen. Dafür waren seine Vorderpranken und seine Flügel mit schwarzen Ketten gefesselt, von denen jedes Glied die Größe eines Wagenrads besaß, und der Drache hatte auch sonst wenig von einer herrschaftlichen Erscheinung: Sein linkes Auge war milchig trüb, in seinen wegen der Ketten nach hinten verrenkten Schwingen klafften faustgroße Löcher, und an vielen Stellen seines Leibes waren ihm die Schuppen ausgefallen und entblößten seine darunterliegende bleiche Haut. Um den Hals trug er das größte Kollare, das Teriasch je gesehen hatte, und dort, wo der Reif nicht von wildem Fleisch überwuchert war, sickerte dunkles Blut aus wundgescheuerten Stellen.

In Schwarzschwinges gesundem Auge verengte sich die geschlitzte Pupille. Der zerbissene Kopf des Probaskas rutschte aus dem Maul des Drachen. Er legte den Kopf schief. »Du bist gekommen, Menschlein. Ich habe dich geträumt, und du bist gekommen.«

Beim Aufstehen schlossen sich Teriaschs Finger wie von selbst um einen langen Knochen, der einmal einem Pferd oder einer kleinen Rüsselschnauze gehört hatte. »Du hast nicht gelogen. Es gibt keinen Behemoth des Feuers.«

»Warum hätte ich dich belügen sollen?«

»Weil das ein Land voller Lügen ist.«

»Mit wem redest du da?« Rukabos Stimme zitterte. Der Halbling hatte seinen Rucksack abgesetzt und begonnen, seinen Inhalt auszupacken, als könnte er es gar nicht abwarten, sofort wieder aus dem Turm zu fliehen. »Redest du mit dem Drachen?«

»Ja.«

»Wie?«

»Mit dem Mund.«

»Und er gibt dir Antwort?«

»Hörst du ihn nicht?«

»Ich höre ihn knurren und fauchen und mit den Kristallzähnen klacken, wenn du das meinst.«

Schwarzschwinge lachte grollend. »Das halbe Menschlein ist nicht wie du. Er hat nicht das Feuer in sich. Aber er sieht schmackhaft aus. Schön fett. Und er hat Angst. Angst verleiht Fleisch eine köstliche Würze.«

Teriasch hob den Knochen wie eine Keule. »Ich bin hier, um die Waffe zu holen, die du mir versprochen hast.«

»Du bist verrückt«, murmelte Rukabo vor sich hin, während er die Schnallen und Schließen seines Rucksacks löste. »Du bist einfach verrückt.«

Der Drache sog Luft in die vier Löcher an seiner Schnauze. »Du bist gerissen, Menschlein. Dich in meinem Futter zu verstecken, das ist … mutig. Ich hätte dich fressen können, bevor ich gemerkt hätte, dass du da bist. Mein letzter Besucher hat einen weniger gefährlichen Weg gewählt, um mich zu treffen. Er hat ein Lied gesungen, damit die Wände meines Kerkers vor ihm Platz machen.«

»Das musst du geträumt haben«, sagte Teriasch.

»So? Und was würde das ändern?« Schwarzschwinges Ketten klirrten, als seine Schwingen zuckten. »Und habe ich etwa auch geträumt, dass du es geschafft hast, die Karini Yoni mit deinem Zorn zu wecken? Habe ich geträumt, dass ich ihren Turm beben spürte?«

»Die Waffe«, sagte Teriasch nur.

»Warum bist du so ungeduldig?«, fragte Schwarzschwinge amüsiert. »Aber komm ruhig näher, dann kannst du sie besser sehen.«

Teriasch machte zwei Schritte auf den Drachen zu. Er braucht mich genauso, wie ich ihn brauche. Er wird mir nichts tun.

»Wo willst du hin?« Rukabo tapste ihm nach, besann sich aber eines Besseren und blieb stehen. »Das Tor hinter ihm ist versiegelt. Da kommen wir nicht raus. Und selbst wenn, ich habe keine Lust, der Tempelwache in die Arme zu laufen. Bleib hier.«

Teriasch deutete mit dem Knochen auf den Drachen. »Ich will etwas von ihm.«

»Ja, natürlich willst du das.« Rukabo seufzte. »Und soll ich dir sagen, was du von dieser Bestie kriegst? Den Kopf abgebissen, das kriegst du.«

»Das halbe Menschlein redet viel Unsinn«, merkte Schwarzschwinge an.

»Ich weiß«, erwiderte Teriasch. »Wo ist die Waffe?«

»Erst musst du mir etwas versprechen«, verlangte Schwarzschwinge ernst. »Dann bekommst du sie.«

»Und was soll ich dir versprechen?«

»Führst du Verhandlungen mit dem Ding?«, wollte Rukabo entgeistert wissen. »Worüber? Kannst du da auch was für mich rausschlagen?«

Schwarzschwinge nahm erneut Witterung auf. »Das laute halbe Menschlein riecht nach Feuerstaub. Hat es sich für mich darin gewälzt, damit es mir besser schmeckt?«

»Das Versprechen«, erinnerte Teriasch ihn. »Was willst du von mir?«

»Du musst noch einmal zu mir kommen, wenn du den Kala Hantumanas getötet hast«, sagte Schwarzschwinge. »Du musst mich befreien.«

»Aber warum?«, wunderte sich Teriasch. »Wenn er tot ist, hat das Kollare keine Macht mehr über dich.«

»Sieh mich doch nur richtig an, Menschlein.« Der Drache spreizte die Klauen seiner Vorderpranken, als wollte er seine Ketten sprengen, dann senkte er traurig die Schnauze in einen Knochenhaufen. »Ich bin zu schwach«, kam es zwischen dem Gebein hervor. »Ich bin zu lange gefangen, um mich noch selbst zu befreien, sogar wenn der Wurm der alles umschlingenden Liebe sterben sollte. Meine Macht reicht kaum mehr noch zum Träumen, und es fällt mir immer schwerer, auch nur eine einzige der fliegenden Echsen, deren Urahn ich bin, zum Aufbegehren zu bewegen. Du musst mir helfen. Versprichst du es?«

»Ich will erst die Waffe sehen«, verlangte Teriasch.

»Ich habe sie ja gleich ausgepackt«, grummelte Rukabo. »Wollen wir mal hoffen, dass sie keinen allzu großen Schaden genommen hat.«

»Seine Waffe, nicht die Arkakrux«, klärte Teriasch seinen Begleiter auf.

»Seine Waffe?«

»Wie du möchtest, Menschlein.« Schwarzschwinge nahm den Kopf aus dem Haufen und drehte ihn so, dass er Teriasch eine Seite seiner Schnauze präsentierte. »Siehst du sie jetzt?«

»Nein.«

»Dann musst du wohl näher kommen.«

Die schwach funkelnden, speerartigen Zähne des Drachen fest im Blick, schritt Teriasch nach vorn. Alte Knochen zerbröselten knackend unter seinen Stiefelsohlen. Das Geräusch bereitete ihm Unbehagen, doch er achtete ebenso wenig darauf wie auf das neuerliche Gejammer, das Rukabo anstimmte. Was hätte Schwarzschwinge davon, wenn er mich frisst? Er hat doch förmlich um meine Hilfe gebettelt. Oder war das nur eine List?

»Siehst du sie?«, raunte der Drache. Er verrenkte in grotesker Weise Hals und Vorderbeine, um mit einer Klaue gegen einen der Zähne in seiner Schnauze zu tippen. Der leise Laut, der dabei entstand, war glockenhell. »Das ist sie.«

Teriasch stand nun so dicht vor Schwarzschwinge, dass ihm der Atem des Drachen entgegenschlug, kühl und rein. Er musterte den durchsichtigen, nadelspitz zulaufenden Zahn, der so lang wie sein Arm und so dick wie sein Handgelenk war. Einen Fingerbreit unterhalb des Kiefers zog sich ein feiner Riss quer durch den Kristall, als hätte Schwarzschwinge einmal auf etwas gebissen, das selbst für seine Zähne zu hart war.

»Du brauchst sie dir nur noch zu nehmen«, sagte der Drache.

Teriasch ließ den Knochen fallen, streckte die Hand nach dem Zahn aus, legte die Finger um ihn.

»Ich wäre dann so weit«, rief Rukabo, die Stimme leiernd vor Furcht und Ungeduld. »Ich werde nicht auf dich warten, wenn das Ding zuschnappt. Bei aller Freundschaft nicht.«

Der Zahn fühlte sich an wie ein Eiszapfen, glatt und kalt.

»Halt gut fest!«, knurrte Schwarzschwinge noch, dann riss er den Kopf weg. Ein sattes Knirschen kratzte Teriasch in den Ohren. Ungläubig starrte er auf den Zahn, den sich der Drache mit seiner Hilfe aus dem Kiefer gebrochen hatte. Er ist ganz leicht, wie ein dürrer Ast.

»Was mache ich damit?«, fragte er leise.

»Du treibst ihn dem Kala Hantumanas in seinen verfluchten Leib.« Eine plötzliche Wildheit schwang in den Worten mit. »So tief, wie du nur kannst.«

Teriasch dachte an das Geschöpf, das ihm beim Anlegen seines Kollare erschienen war – das schemenhafte, gigantische Wesen, das in der Schwärze eines bodenlosen Sees lauerte. »Aber der Wurm ist so groß, und diese Waffe ist so klein.«

»Ich meine es ernst, weißt du?«, drängelte Rukabo. »Wie lange willst du das Viech noch reizen? Glaubst du, es hat ewig mit dir Geduld? Du hast ihm einen Zahn abgebrochen, Mann! Komm jetzt endlich! Deinetwegen verpasse ich nicht das große Feuerwerk, weil ich im Bauch eines Drachen verdaut werde, das will ich dir sagen.«

»Was hat das halbe Menschlein für ein putziges Spielzeug?«, wollte Schwarzschwinge wissen.

»Eine Arkakrux.« Teriasch brauchte sich nicht umzudrehen. »Eine von der Sorte, die Diebe verwenden, um ungesehen auf Häuserdächer zu kommen. Sie verschießt einen Bolzen mit einem Hakenkopf, und an dem Bolzen ist ein Seil. Es ist dünn, aber mir wurde gesagt, es trägt genügend Gewicht, dass selbst mein Freund daran hochklettern kann.«

»Ah.« Schwarzschwinge nickte. »Ist es ein Seil des Spinnenvolks? Dann hat es einen weiten Weg hinter sich.«

»Das weiß ich nicht.« Teriasch wog den furchtbar leichten Zahn in seiner Hand. »Aber ich möchte etwas anderes wissen. Von dir. Wie soll ich mit dieser winzigen Waffe gegen einen Gegner wie den Kala Hantumanas antreten? Ist das alles ein Scherz, den nur ein Drache verstehen kann?«

»Ein Scherz, bei dem ich mich selbst verstümmele?« Schwarzschwinge lachte. »Das ist ein guter Scherz, Menschlein. Du hast eine schlechte Angewohnheit, wie mir scheint. Überall siehst du Lügen, nur nicht dort, wo Lügen sind.«

»Steck diesen Zahn in den Rucksack, wenn du ihn mitnehmen willst, und dann raus hier«, rief Rukabo. »Mir ist es hier nämlich mit all den Knochen nicht geheuer, und dass du einen Drachen zähmen kannst, will ich nicht glauben. Ich zähle bis drei. Eins!«

»Das halbe Menschlein ist in Eile«, stellte Schwarzschwinge fest. »Und es hat recht. Du solltest dich sputen. Warte nicht zu lange, bis du zum Kala Hantumanas gehst.«

»Zwei! Ich habe schon angelegt. Da ist eine Lücke in der Mauer gleich unter dem Spalt, der mir sehr vielversprechend aussieht. Und mit vielversprechenden Spalten kenne ich mich bestens aus.«

Teriasch ging langsam rückwärts. »Warum muss ich mich damit so beeilen, den Wurm zu töten?«

»Weil ich nicht länger warten will, frei zu sein«, sagte Schwarzschwinge und stemmte sich so heftig gegen seine Ketten, dass die gesamte Höhle wankte und die Knochen auf ihrem Boden klappernd zu tanzen begannen. »Weil ich frei sein muss!«

»Drei! Drei! Drei!«, kreischte Rukabo.

Heldenzorn: Roman
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