21
»Liebe ist Knechtschaft«, behauptete der Alte.
»Und doch sehne ich mich nach einem Joch«,
erwiderte der Junge.
Aus einem Fragment des Stummen Barden
»Ich will das noch einmal hören.«
Sämtliche Müdigkeit, die mit dem Süßen Dorn so plötzlich über Nesca gekommen war, schien ebenso schnell verflogen, als die Scharlachrote Rose sie nach Rukabos und Teriaschs Rückkehr ein zweites Mal mit einer Nadel gestochen hatte. Die Pupula saß aufrecht auf ihrem Bett, das Gesicht eine starre Maske, in dem nur die Blässe ihrer Wangen verriet, was in ihr vorgehen musste.
Auf ihren Wunsch hin wiederholte Rukabo leise die vier Zeilen aus Gurdas Prophezeiungen, die er auswendig gelernt hatte.
»Der Fremden Kind findet einen mächtigen Vater.
Glut ist ihr Haar, Glut ist ihr rosenbehütetes Herz.
In ihr weht der Steppenwind, der Berge abträgt und den Atem nimmt.
Augenstern eines Reiches ist sie und sein Untergang in Schreien und wankenden Türmen.«
»Er glaubt es also wirklich.« Nesca sah zum Fenster in die Nacht hinaus. »Er glaubt, mein ganzes Leben läuft nur auf eine Reihe unheilverkündender Worte in einer alten Weissagung hinaus. Die Worte einer Frau, die längst tot ist. Die mich nie gekannt hat.« Sie wischte sich flüchtig mit der Hand über die Augen. »Es ist Irrsinn. Dagegen kann ich mich nicht wehren. Nichts, was ich zu ihm sage, könnte ihn davon abbringen.«
Teriasch musterte ihre Züge und wehrte sich verzweifelt dagegen, dass ihre hohle Mattheit auf ihn übersprang. Sie spürt keinen Zorn. Nur Enttäuschung. Und auch er spürte eine bittere Enttäuschung, weil ihm nichts anderes einfiel, als Hoffnung ausgerechnet in jenem Gerüst aus Lügen zu sehen, das andere um diese traurige Frau errichtet hatten. »Vielleicht ist es so«, sagte er. »Vielleicht wird er sich niemals von dir davon abbringen lassen, an diese Weissagung zu glauben. Aber da ist jemand anderes, auf den er hören wird, weil er auf ihn hören muss. Geh zu deinem Vater, Nesca, und erzähl ihm alles. Jetzt gleich!«
Sie schüttelte den Kopf, ohne ihn anzusehen. »Dafür ist es noch nicht an der Zeit. Noch ist nicht der Tag der Thronbesteigung.«
»Aber fast.« Auf weichen Knien trat Teriasch vor und hob beschwörend die Hände. »Hier steht etwas Wichtigeres auf dem Spiel als die Traditionen eures Volkes. Dein Leben. Er wird verstehen, dass du nicht warten konntest.«
»Still!« Die Art, wie sie zu ihm herumfuhr und ihre Finger sich in die Laken gruben, sprach nun doch von einer jähen Wut. »Du bist tatsächlich eine Feuerseele, Teriasch von den Schwarzen Pfeilen. Du würdest alles um dich herum zu Asche verbrennen, nur um deinen Willen zu bekommen, nicht wahr?«
Warum ist sie zornig auf mich? Ich habe ihr nichts getan! Teriasch schluckte seinen gekränkten Stolz hinunter. »Du hast mich doch eigens zu dir geholt, weil ich eben eine Feuerseele bin. Weil du meine Hilfe wolltest. Dann lass dir auch von mir helfen. Geh sofort zu deinem Vater, Nesca. Er ist der Einzige, der den Pollox zur Rechenschaft ziehen kann.«
»Ich weiß, warum du mich so drängst.« Sie lächelte, wenn auch kühl und herablassend. »Du denkst dabei nur an das, worum du mich im Turm des Feuers gebeten hast. Dass ich mich bei meinem Vater dafür einsetze, dass er die anderen Sklaven dieser Arena befreit, aus der ich dich geholt habe.«
»Nein.« Teriasch wich einen Schritt vor ihr zurück. »So ist es nicht.«
»Dann ist dir also völlig gleichgültig, was mit ihnen geschieht?«, fragte Nesca, die Augenbrauen spöttisch gehoben.
»Nein.« Teriaschs Gedanken rasten ihm durch den Schädel, hin und her, gehetzt von Rotten widerstreitender Gefühle. »Du verdrehst alles.«
»Nur weil du alles verdrehst«, entgegnete sie.
»Lass es sein«, empfahl Rukabo Teriasch vorsichtig. »Dieses Duell kannst du nicht gewinnen.«
Teriasch brachte den Halbling mit einem barschen Wink zum Schweigen. »Was meinst du damit, ich würde alles verdrehen?«, wollte er von Nesca wissen.
»Ich werde dir eine simple Frage stellen, Teriasch von den Schwarzen Pfeilen. Warum bist du noch hier?«
»Was?«
»Warum hast du noch nicht verlangt, dass ich dein Ampullarium verbrenne, damit dein Kollare von dir abfällt?« Sie redete schneller und schneller und wies immer wieder anklagend mit einem Finger auf ihn. »Wir haben beide unsere Abmachung erfüllt, oder? Du hast mir geholfen herauszufinden, wer mir nach dem Leben trachtet. Und du bist im Turm des Windes gewesen, um den Behemoth zu treffen. Das war der Handel, zu dem du mich überredet hast. Du bist frei. Was machst du also noch hier? Willst du dich an meinem Leid ergötzen? Lachst du heimlich in dich hinein, weil du mich im Bad dazu verleitet hast, mich dir zu nähern? Hasst du mich so sehr?«
»Bei allem, was heute schon geschehen ist, habe ich einfach nicht mehr an unsere Abmachung gedacht«, erwiderte er, erschüttert von den Vorwürfen, die sie an ihn richtete. Und von einem noch verblüffenderen Umstand. Wie konnte ich vergessen, dass ich meine Freiheit zurückgewonnen habe? Was hat sie mit mir nur gemacht? »Und ich hasse dich nicht, Nesca. Ich …«
»Worte«, zischte sie. »Billige Worte.«
»Warum hörst du eigentlich nie auf mich, Bursche?«, flüsterte Rukabo.
»Aber wo du doch so gerne Handel treibst …« Nesca straffte ihr Nachtgewand und stand auf. »Wie wäre es mit einer neuen Abmachung? Ich befreie deine Kameraden noch heute Nacht. Und du, du bleibst dafür mein Sklave.«
Nun sah sich Carda, die den Streit wortlos verfolgt hatte, offensichtlich doch zum Eingreifen genötigt. »Tut das nicht, Hoheit«, sagte sie. »Ihr seid zornig. Zorn ist ein schlechter Ratgeber. Denkt an die Spiele, die morgen anstehen. Sofern Silicis noch lebt, würde er unbedingt wollen, dass sie stattfinden. Eurem Vater zu Ehren«
»Unfug!«, wischte Nesca den Einwand beiseite. »Silicis ist längst nicht mehr Herr seiner Sinne, wenn ich der Feuerseele glauben kann. Und was die Ehre meines Vaters anbelangt, nun, Silicis ist ja beileibe nicht der Einzige, der eine Arena in Kalvakorum betreibt.«
»Und ihm sind dank Euch seine beiden Hauptattraktionen verloren gegangen«, merkte Rukabo ernst an. »Der Barbarenhäuptling und sein stattliches Ross.«
»Da hast du es!«, rief Nesca.
Auch wenn Carda demütig den Kopf gesenkt hielt, war sie noch nicht bereit, ganz und gar einzulenken. »Hoheit«, sagte sie. »Bitte denkt daran, was für ein Zeichen Ihr dadurch setzen würdet. Eine Pupula, die offen Sklaven befreit. Die Numates …«
»Ich schere mich einen Dreck um die Numates in ihren Villen.« Nesca packte eines ihrer verstreut liegenden Bücher und warf es quer durch den Raum. »Vielleicht will ich endlich ein Zeichen setzen. Schau nicht so entsetzt! Oder hältst du mich für verrückt, hm? Was willst du dagegen tun? Mich wieder mit einer deiner Nadeln stechen?«
»Hoheit, ich …« Cardas rasierter Schädel glühte mit einem Mal vor Scham. »Ihr müsst verstehen, dass …«
»Ich bin schon lange kein Kind mehr«, sagte Nesca scharf. »Früher fiel es mir schwer, mir einen Sinn auf viele der alten Schriften zu machen, die ich studiert habe. Doch das ist ja gerade das Schöne am Studieren: Je länger man es betreibt, desto leichter wird es, Sinn zu sehen, wo vorher keiner war. Nicht alle Schwestern stehen so treu zu ihrem Orden wie du. Manch eine hat Chronisten Dinge berichtet, die du und die deinen sicher lieber für euch behalten hättet. Diese Schreiber waren klug genug, sich nur in Andeutungen zu ergehen, doch mehr braucht es auch nicht, wenn man nur genügend Andeutungen aufspürt.« Sie holte tief Luft. »Steh nicht so da wie ein gescholtener Hund. Ich verzeihe dir. Du hast es nur gut gemeint. Und du hast bestimmt nichts dagegen, einen deiner Süßen Dornen dem Halbling zu geben, ja?«
»Was?«, sagten Rukabo und Carda wie aus einem Mund.
»Was soll er damit?«, fragte sie dann, und er fügte hinzu: »Eine Belohnung für treue Dienste. Zu gütig, Hoheit. Was ist ein Süßer Dorn?«
»Nesca …« Teriasch hob das Buch auf, das sie von sich geworfen hatte, und legte es auf einen Stapel Folianten neben dem Bett. »Ich sehe, was du vorhast.«
»Wenigstens einer«, raunte Rukabo.
»Du willst Silicis einen sanften Tod verschaffen, nicht wahr?« Teriasch bändigte mühsam seine aufgebrachten Gedanken. Sie weiß, dass ich ihren Handel nicht ausschlagen kann. Was wäre meine Freiheit wert, wenn ich sie mir mit dem Leben all dieser anderen Leute erkaufen würde? Nichts, und das ist ihr vollkommen klar. Aber ich lasse mich von ihr nicht einfach so benutzen … »Rukabo soll Silicis mit dem Dorn stechen. Dann wird er träumend zu seinen Ahnen gehen, und das ist gut so. Und er wird sich nicht wehren können, wenn Rukabo ihm den Ring vom Finger zieht, der die Kammer mit den Ampullarien öffnet.«
Rukabo betätigte sich ausgiebig als Speichellecker. »Ein formidabler Plan voller Güte und Weisheit! Wir sollten ihn sofort in die Tat umsetzen. Die Zeit drängt!«
Nesca streckte Teriasch die Hand entgegen. »Schlägst du ein?«
»Nur unter einer Bedingung.«
»Und die wäre?«
Er legte so viel Sanftheit in seine Stimme, wie er aufbringen konnte. »Sie wird dir nicht gefallen.«
»Das war eine dreiste Forderung.«
»Mag sein.« Teriasch übersah nicht, wie unwohl sich die Scharlachrote Rose in seinem Quartier fühlte: Sie hatte eine Hand an ihrem Streitkolben, mit der anderen massierte sie sich den Nacken, und ihre Blicke blieben fest auf die Tür gerichtet, als überlegte sie, jeden Moment einfach loszuspurten und Nescas Befehl zu ignorieren.
Die Pupula hatte sich unmissverständlich ausgedrückt: Sie wollte vollkommen allein sein, während sie sich für den Besuch bei ihrem Vater zurechtmachte, und so sehr Carda auch protestiert und auf ihre Eide verwiesen hatte, war sie am Ende dem Wunsch ihrer Gebieterin gefolgt. Etwas verloren war sie einfach Rukabo und Teriasch nachgetrottet. Der Halbling war rasch davongeeilt, um den Süßen Dorn, den Carda ihm widerwillig ausgehändigt hatte, bei Silicis zur Anwendung zu bringen. Sein Abschied von Teriasch war kurz, aber herzlich ausgefallen. Er hatte sich zu einer Umarmung gereckt und dabei feucht geflüstert: »Mach mir ja keine Schande vor dem Dominex, hörst du?«
»Es könnte sein, dass sie von Anfang an darauf gebaut hat, dass du diese unverschämte Bedingung stellen würdest«, mutmaßte Carda. »Sie ist gerissen. Jetzt gehörst du wieder ihr.«
Ein Teil von mir wird wohl immer ihr gehören, stellte Teriasch stumm fest, als er sich unter sein Bett beugte, um die Schriftrollenhülle darunter hervorzuholen. Ob ich Carda verraten sollte, dass ich ohnehin vorhabe, alle Sklaven zu befreien, die ein Kollare tragen? Nein, sie würde es nur für Prahlerei halten, und im schlimmsten Fall schlägt sie mir den Schädel ein, weil sie um das Leben Nescas fürchtet, wenn die herrschende Ordnung zusammenbricht … Die düstere Erkenntnis machte es ihm nicht leichter, seine Bitte an die Scharlachrote Rose loszuwerden. »Würdest du mich auch mit einem Süßen Dorn stechen?«
»Jetzt?« Seine Frage war zumindest interessant genug, dass Carda nun ihn anstelle der Tür anstarrte. »Weshalb?«
»Du hast gesagt, der Süße Dorn hilft einem, seine Träume so zu lenken, dass sie einem einen Wunsch erfüllen. Ich muss noch einmal träumen, bevor wir zum Dominex gehen.«
»Du bist ein sonderbarer Mann mit sonderbaren Forderungen. Andererseits habe ich heute meine Eide schon so oft so fahrlässig ausgelegt, dass es auf einmal mehr wohl nicht mehr ankommt.« Ihre Hand schob sich langsam unter ihr Wehrgehänge. Als sie sie wieder hervorzog, war zwischen Daumen und Zeigefinger eine Nadel geklemmt. »Was erhoffst du dir von diesem Traum?«
»Ich bin es gewohnt, durch Träume zu gehen, als wären sie die wache Welt«, erklärte Teriasch. »Ich möchte jemanden treffen, der sich auch darauf versteht.«
»Gefährdet das, was du tust, das Leben meiner Blüte?«, fragte Carda kühl.
»Nein«, antwortete Teriasch, ohne genau zu wissen, ob er eine Wahrheit oder eine Lüge sprach. »Es könnte jedoch unzählige Leben retten.«
»So?« Carda lächelte. »Hast du es also immer noch nicht aufgegeben, dich als großen Held zu sehen?«
»Es fühlt sich besser an, als nur ein Sklave zu sein.« Er setzte sich auf sein Bett und nickte in Richtung der Nadel. »Stichst du mich nun damit?«
»Wenn du unbedingt möchtest …«
Die Leibwächterin verzichtete auf die Zärtlichkeit, die sie bei Nesca gezeigt hatte: Sie drückte Teriasch an der Schulter nieder und bohrte ihm den Süßen Dorn in den Hals. Danach bezog sie sofort wieder Stellung an der Tür.
Teriasch rieb sich die schmerzende Stelle, wo sie ihn gestochen hatte. Die Wirkung war höchst erstaunlich: Schon spürte er seinen Leib schwerer und schwerer werden, als wäre er aus Stein und nicht aus Fleisch und Blut. Doch es war keine Kälte, die sich durch sämtliche Adern ausbreitete. Es war eine prickelnde Wärme, wie man sie an einem kalten Tag im Innern einer Schwitzhütte verspürte.
»Wann soll ich dich aufwecken?«, fragte Carda.
»Wenn du es für richtig hältst.« Es kostete Teriasch viel Kraft, Zunge und Lippen dazu zu bewegen, Worte zu formen. »Und wenn du mir nicht traust, lässt du mich einfach ewig schlafen.«
Sein letzter Gedanke, ehe er die wache Welt verließ, war erschreckend und verheißungsvoll zugleich. Was, wenn das nur das Ende einer langen Vision ist und ich daheim auf der Steppe erwache, schweißgebadet und den Geschmack von Kräutersud auf der Zunge?
An dem Ort, an dem Teriasch dem Drachen begegnete, hatte sich seit dem letzten Mal nichts verändert. Noch immer war die Welt rings um den Gipfel ins Zwergenhafte geschrumpft, noch immer war Schwarzschwinge in einer starren Kruste aus getrocknetem Schleim gefangen, und noch immer sprach das uralte Geschöpf in der Sprache des Windes.
»Du blutest«, lautete seine Begrüßung.
Teriasch sah an sich herunter und erwartete, dass es rot an seiner Flanke herabrann, dort, wo ihn im Bad der Dolch des Letzten Seufzers gestreift hatte. Doch da gab es keine Wunde, seine Haut war unversehrt. Stattdessen sprudelte das Blut aus der Mitte seiner Brust, benetzte die Zier aus Hengstzähnen und Geierklauen, die er in der wachen Welt vor so langer Zeit schon abgelegt hatte.
»Sie hat scharfe Krallen«, säuselte Schwarzschwinge.
»Ich bin nicht hier, um über sie zu sprechen.«
»Nicht?« Der Drache lachte brummend auf. »Vielleicht sollten wir das aber. Mir scheint, sie hält dich davon ab, das zu tun, worauf wir uns geeinigt haben.«
»Deswegen bin ich hier.« Er hob die Hand, in der er diesmal keine schwere Keule, sondern Schwarzschwinges federleichten Zahn trug. »Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«
»Habe ich dir nicht genug gegeben?« Der Drache drehte den Kopf und zeigte Teriasch eine Lücke in seinen Zahnreihen, die um einiges breiter war als in der wachen Welt. »Bekommst du denn nie genug?«
Teriasch achtete weder auf den leisen Hohn noch auf sein Blut, das sich zu seinen Füßen in einer Lache sammelte. »Du hast gesagt, der Wurm der alles umschlingenden Liebe hätte dir noch nicht deine gesamte Macht gestohlen. Du musst einen Teil dieser Macht zu meinen Gunsten einsetzen, damit ich unsere Abmachung einhalten kann. Würdest du das tun?«
»Wenn es denn einem Zweck dient, der auch mir förderlich ist«, knurrte der Drache. »Wann brauchst du meine Unterstützung? Auf der Stelle?«
»Nein.« Teriasch zögerte. Bin ich umsonst zu ihm gekommen? Ich weiß nicht einmal, ob er zu dem fähig ist, was ich mir von ihm erwarte. »Ich kenne den Augenblick noch nicht. Aber es wird bald sein.«
»Du stellst sonderbare Forderungen, Menschlein«, sagte Schwarzschwinge, als hätte er das letzte Gespräch zwischen Teriasch und Carda belauscht. Der Drache blickte seinen Besucher aus unergründlichen Augen an, die im Traum noch beide gesund und klar waren. »Woher soll ich erfahren, wann es für mich Zeit ist, mein letztes Quäntchen Macht für dich in die Waagschale zu werfen, hm? Und woher soll ich wissen, wo ich dich finde? Hast du etwa vor, ein Leuchtfeuer zu entzünden?«
Teriasch schwieg. Es war dumm von mir, hierherzukommen.
Aus Schwarzschwinges Maul schoss eine gespaltene Zunge, die über Teriaschs Blut hinwegstrich. »Du schmeckst gut. Scharf.« Dann lachte der Drache wieder. »Zieh nicht ein solches Gesicht, Menschlein. Nimm es mir nicht übel, wenn ich meine Späßchen mit dir treibe. Ich habe so wenig Abwechslung im Kerker. Und ich muss wirklich sagen, dass ihr noch mehr über uns vergessen habt, als ich es je für möglich gehalten hätte. Du sorgst dich darum, ob ich weiß, wann du mich brauchst? Sieh doch nur, was du da in Händen hältst, du dummer Schlüpfling!«
Teriasch schaute auf den Zahn. Er fühlte nicht den geringsten Schmerz, doch zwischen den Fingern, die er fest um den Kristall geschlossen hatte, quoll ihm satt und dunkel das Blut hervor. Er dachte an alles, was ihn Pukemasu über Geister gelehrt hatte und darüber, wie in ihren Reichen das Tatsächliche mit dem Scheinbaren verknüpft war. Und er begriff, dass der Traum, den er träumte, nicht vergebens war.