23. Der König von Mallorca
Ich plumpste wie ein nasser Sack auf den Boden zwischen Getränkekisten und Palettenwagen voller Pappabfälle und Gemüsekisten. Der Hof war zwar voll wie Dralles Hose bei einem Zombie-Überfall, aber nur mit den üblichen Supermarkthinterlassenschaften wie Holzpaletten, Kartons, Kunststoffmüll und anderem Krimskrams. Es war unmöglich, dass sich hier ein Untoter versteckte, dafür fehlte einfach der Platz. Dennoch schlich ich mich auf leisen Sohlen zur Hintertür; im Laden selbst konnten sich schließlich Zombies herumtreiben. Ich lauschte und peilte die Lage, bevor ich vorsichtig die Tür aufdrückte.
Die Scharniere knarzten herzzerreißend. Ich erschrak zu Tode und sprang einen Schritt zurück. Der Laden lag in einem diffusen Halbdunkel, in dem Dutzende Untote einkaufen konnten. Schnell zog ich die knarzende Tür wieder zu.
War wahrscheinlich keine gute Idee gewesen, zu Phase zwei überzugehen. Reinster Selbstmord!
Mein Herz fuhr mit dem Expresslift in die Hose und bearbeitete meine Blase. Was war ich bloß für ein Idiot. Ratlos stand ich ein paar Minuten vor der Tür. Mein Gehirn war wie eine leere Lagerhalle, durch die der Wind ungehindert sein trauriges Lied pfiff. Hier stand ich nun.
Dann aber fiel mir wieder ein, weshalb ich die Scheiße überhaupt auf mich genommen hatte. Neue Energie strömte von irgendwo her; es war wie ein Neustart. Voller Zuversicht suchte ich in dem Müll nach einer brauchbaren Waffe. Und hatte nach wenigen Minuten des Herumwühlens eine mindestens 50 Zentimeter lange Eisenstange gefunden, die sich an einem Ende verjüngte und eine nicht ungefährliche Spitze aufwies. Damit konnte ich mich schon ganz gut behelfen.
Ich reckte die Faust mit der Stange in die Luft und fluchte gotteserbärmlich. Dreckszombies! Kommt nur her! Ich zeig´s euch!
Dann verpasste ich der Tür einen kräftigen Tritt. Sie flog nach innen auf und der Untote, der dahinter auf mich wartete, bekam den Metallrahmen mit aller Härte in die Fresse, dass es nur so klatschte. Sein hässlicher zerfressener Kopf wurde nach hinten gerissen. Dumpf schlug er mit dem Rücken auf die dreckigen Fliesen.
Ich setzte sofort nach und rammte ihm das spitze Ende meiner neuen Waffe in den Schädel. Das Einzige, was der Untote noch dazu zu sagen hatte, war: "Umpf." Und dann war es vorbei mit ihm.
Kurz blieb ich in der Hocke und horchte angestrengt. Ganz deutlich konnte ich weitere Zombies im Ladenbereich herumkrauchen hören. Der Kampflärm hatte sie aus ihrer Apathie erweckt. Im Geiste stellte ich mir schaudernd eine Hundertschaft lebender Toter vor, die mich langsam aber sicher einkreiste. Sie näherten sich lautstark. Ich bekam eine Gänsehaut. Schrecklich, was einem die Fantasie alles vorgaukeln konnte. Beruhigend an der Sache war, dass in den Laden keine hundert Untote hinein passten.
Um meinen aberwitzigen Plan auszuführen, musste ich zuerst hier drin Ordnung schaffen, also die lebenden Toten von ihrem Unleben befreien.
Ich schlich durch die Gänge, zuerst an der Wand entlang, um nicht von drei Seiten eingekeilt zu werden. In der Biegung, an einer Regalwand stand eine Zombie in einem lila Morgenmantel und schreiend gelben Lockenwicklern. Am Hals hatte sie eine fiese klaffende Wunde, die noch immer nässte. Ihr Morgenmantel wies im oberen Bereich dunkelbraune Flecken auf. Sie stand an einem Regal mit erhobenen Armen, so als wollte sie gerade einen Artikel greifen. Leise kam ich heran, um zu sehen, was sie einkaufen wollte. Aha, eine teure Tages- und Nachtcreme - mit Goldpartikeln. Bei den Hautproblemen hilft dir jetzt auch keine Kosmetik mehr, dachte ich.
Wenig später hatte sie gar keine Probleme mehr, ich dagegen umso mehr, denn sie krachte in das Regal und riss die ganze Kosmetik in Glasflaschen und -tiegeln mit sich zu Boden. Der Lärm war ohrenbetäubend.
Ich zuckte zusammen, als ich das Stöhnen und Ächzen in direkter Nähe wahrnahm. Und schon kamen die Kollegen, von rechts und von links wankten sie auf mich zu. Einer war bestimmt der Besitzer des Ladens, er hatte eine nicht mehr ganz so weiße Schürze mit dem Namen des Ladens umgebunden. Sein rechter Arm sah extrem übel aus, als hätte ein ganzes Rudel Untoter daran herumgenagt. Aber auch sonst wirkte er ziemlich mitgenommen. Überall hatte er Biss- und Schürfwunden.
Der andere Zombie fauchte und stapfte wie ein angeschlagenes Schlachtschiff heftig hin und her schaukelnd auf mich zu; ihm fehlte der rechte Fuß unterhalb des Knöchels. Als er mich sah, fauchte er gierig und streckte mir die Arme entgegen. Er wollte mich unbedingt umarmen. Schnell wog ich meine Optionen ab und entschied mich dafür, erst den Ladenbesitzer hops zu nehmen, dann den Humpler.
Geschickt wich ich den Klauen des untoten Geschäftsmannes aus, ging vor ihm leicht in die Hocke und sprang dann mit vorgereckter Stange hoch. Sie drang mit einem hässlichen Geräusch, das nicht in Lautschrift auszudrücken war, von unten durch die Weichteile des Kinns in das verfaulte Gehirn ein. Der Zombie sackte zusammen, als hätte man einer Marionette die Fäden gekappt.
Der zweite Untote produzierte bei seinem Ableben ein noch widerlicheres Geräusch, was sich anhörte wie eine Mischung aus einem röchelnden Klatschen und einem Krachen. Ich hatte so viel Schwung in den Schlag gelegt, dass die Eisenstange die Schädeldecke oben durchdrang und ein etwa handtellergroßes Stück davon abhob. Hastig zog ich die Stange aus dem Brei, bevor noch weitere Angestellte auftauchen konnten.
Sollen sie kommen, dachte ich übermütig. Ich lauschte, konnte aber kein typisches Zombiegeräusch mehr wahrnehmen. Dennoch blieb ich äußerst vorsichtig bei der Durchsuchung des Ladens. Im Verkaufsbereich selbst fand ich keinen weiteren Stinker mehr. Hinten gab es noch zwei Türen, die zum Klo und zu Privaträumen führten. Die ließ ich vorerst unangetastet. Das war mir jetzt doch etwas zu heikel. Falls dort Zombies eingeschlossen waren, sollten sie dort drin bleiben und vergammeln.
Als Nächstes überprüfte ich den Eingangsbereich. Die Tür war abgeschlossen, aber der Schlüssel steckte noch. Der Weg nach draußen war frei, denn die Untoten tummelten sich ja vor dem Locutorio herum.
Phase Zwei konnte also endlich anlaufen.
In aller Ruhe suchte ich mir die Sachen zusammen, die ich für meinen Plan brauchte. Ein Ghettoblaster stand hinter dem Tresen auf einem kleinen Tisch. Ich überprüfte schnell das Batteriefach, damit ich nicht die falschen mitnahm. Eine CD lag auch schon im Schubfach, was mir eine zeitraubende Suche ersparte. Sehr gut, Mann.
Natürlich testete ich den Blaster leise. Als die Musik erklang, musste ich lächeln. Das war witzig.
Leider war der Spar nicht so gut ausgestattet, wie ich es erhofft hatte. Hier gab es keinerlei Kartenmaterial. Weder Stadtpläne noch irgendwelche Landkarten; das fand ich jetzt nicht besonders witzig.
Ich packte die passenden Batterien und eine kleine Flasche Wasser in ein braunes Herrentäschchen, das ich mir adrett um das Handgelenk drapierte. Der Ghettoblaster war mit einem schmalen Gurt ausgestattet, den ich mir bequem um die Schulter hängen konnte.
Mich durchströmte eine angenehme Ruhe und ich war sicher, dass alles so funktionierte, wie ich es mir ausgedacht hatte. Schließlich war Mutters Sohn nicht besonders doll auf den Kopf gefallen.
Siegessicher stapfte ich zur Tür. Jetzt kam es darauf an: Fummelten die Zombies immer noch am Locutorio herum oder hatten sie schon aufgegeben?
Der ganze Eingangsbereich war mit allerlei blödsinniger nunmehr nutzloser Werbung vollgekleistert, sodass ich nicht nach draußen sehen konnte. Ich horchte angestrengt, aber da keiner von den Dingern an der Tür rüttelte oder dagegen klopfte, war ich mir sicher, dass sie sich immer noch vor dem Nachbargeschäft vergnügten. Zumindest ein Großteil von ihnen. Nun galt es!
In einem Anfall von Wahnsinn riss ich die Tür auf und sprang in weiten Sätzen hinaus.
Ich verschaffte mir kurz einen Überblick und rannte laut schreiend die Straße im Zickzack hinunter: "Ihr Arschlöcher! Hier bin ich! Scheiß-Zombies!"
Und schon hatte ich die Kameraden. Ein paar Stinker wurden aufmerksam. Sie schlurfen
mit wild schwenkenden Armen auf mich zu.
So, und jetzt noch das! Ich schaltete den Ghettoblaster auf volle Lautstärke. Damit konnte man Tote aufwecken - im wahrsten Sinne des Wortes. Harharhar.
Hallo Leute!
Hier bin ich wieder,
rollt den roten Teppich aus!
Ich blieb stehen, um auch noch dem letzten Idioten die Gelegenheit zu bieten, mitzukommen.
Ich bin der König von Mallorca.
Ich bin der Prinz von Arenal.
Ich habe zwar einen an der Krone,
doch das ist mir scheißegal.
Auch der begriffsstutzigste Stinker ließ endlich vom Locutorio ab. Aus einer der Seitenstraßen kamen ebenfalls Untote heran gewankt. Eine Prozession formierte sich. Nun konnte es also losgehen.
Ich bin der König von Mallorca.
Als ihr Guru schritt ich mit dem heiligen Blaster vorneweg. Ich war einen Tick schneller als sie, damit keiner mich einholen und überwältigen konnte. Von vorne taumelten sie mir auch entgegen, aber bis jetzt war es kein Problem, den vereinzelt herankommenden Zombies auszuweichen.
In kurzer Zeit war eine unüberschaubare Anhängerzahl zusammengekommen, die mir vorbehaltlos folgte. Ich entfernte mich weiter und weiter von unserem Hotel und von dem Haus, in dem Dralle und Tank warteten. Bald hatte ich mein Ziel erreicht.
Die Zombies waren so laut, dass ich eigentlich keine Musik mehr brauchte, um weitere anzulocken. Ein paar Meter vor mir taumelte ein Stinker in seltsamer Aufmachung aus einer Einfahrt. Er hatte schulterlange fettige Haare und einen roten Königsumhang. Ich musste zweimal hinsehen, um mich zu überzeugen.
Nein, das kann nicht sein. Hat nicht Mickie Krause den Königsmantel und die Würde vor Jahren ersteigert, oder wie war das? Ob ich trotzdem ein Autogramm bekommen kann? Oder vielleicht ein Selfie mit ihm?
Ob er das nun war oder nicht, beschäftigte mich nicht ganz einen Sekundenbruchteil, denn als der Stinker mich sah, fing er laut an zu knurren und ich musste zusehen, dass ich schnell davon kam.
Sein Umhang glitt etwas zur Seite und offenbarte eine extrem übel aussehende Wunde am Hals. Kurz dachte ich, dass viele Untote Wunden am Hals aufwiesen. Aber auch den Gedankengang konnte ich nicht weiter verfolgen. Es wurde langsam heikel. So schlug ich einen Haken und wich geschickt den fuchtelnden nach mir grabschenden Händen aus. Mit steifen Schritten nahm der Königszombie die Verfolgung auf.
Länger konnte ich mich mit ihm nicht mehr beschäftigen, weil die anderen Untoten langsam aufschlossen. Sie durften mir nicht zu nahe kommen. Also nahm ich meine Flucht wieder auf.
Nach ein paar Minuten erreichte ich eine relativ breite Kreuzung, die von ineinandergeschobenen Autos nur so gespickt war. Ich kletterte auf die Blechhaufen und platzierte den Ghettoblaster genau in der Mitte der Karambolage auf einem wie zerknülltes Kaugummipapier aussehenden Auto. Dann tauschte ich in aller Seelenruhe die Batterien aus und stellte die Musik wieder auf volle Lautstärke.
Hier ist der Himmel auf Erden,
das letzte Paradies.
Ich bin der König von Mallorca.
Ich bin der Prinz von Arenal.
Zufrieden blickte ich in Hunderte toter Augen. Unzählige Hände griffen nach mir. Untote Körper schoben, quetschten und rieben sich an den liegen gebliebenen Fahrzeugen. Sie ächzten, stöhnten, knurrten und röchelten.
Das war´s, Freunde. Von der anderen Seite des Massenunfalls kamen auch schon welche angetorkelt.
Ich stellte den Ghettoblaster auf Wiederholung, damit er so lange lief, bis die Batterien leer waren.
Von allen Seiten kamen sie; angelockt von der quengelnden Schlagermusik. Massen von ihnen taumelten herbei, quetschten sich mit gierig ausgestreckten Armen durch die Lücken in der Autoschlange und geiferten gierig in meine Richtung. Das war das erste Mal, dass ich derart im Mittelpunkt stand. Ich hatte zwar kein Lampenfieber, aber mir war dennoch ganz anders bei der Vorstellung, ihre verfaulten Klauen könnten mich packen. Noch befand ich mich in der Mitte der Karambolage in relativer Sicherheit.
Die Lage wurde trotzdem langsam prekär, um nicht zu sagen sehr prekär. Es gab nur noch eine Möglichkeit zu entkommen. Da jede Straße der Kreuzung mittlerweile von Stinkern verstopft war, blieben mir nur noch die Autodächer und meine schnellen Beine. Wenn mich nur einer von den Zombies zu Fall brachte, war es aus. Das war definitiv ein Grund zum Schwitzen.
Ich atmete noch einmal tief durch, dann startete ich meinen Sprint in die Richtung, die mich weiter vom Hotel wegführte. Ihr wollte ich bis zum nächsten Block folgen, um dann einen Bogen zu machen, damit ich von der anderen Seite herankommen konnte. Jedenfalls dachte ich es mir so. Ein paar Mal um die Blocks laufen und schon war ich wieder am Hotel.
Enttäuschtes Raunen, typisches Zombie-Gestöhne und Wellen aus fauligen Armen folgten mir von Dach zu Motorhaube und wieder zu Dach. Tiefe Dellen blieben von meinen Sprüngen im Blech zurück.
Die Zombies reckten mir ihre Klauen entgegen, manche streiften mich sogar, doch ich war immer einen Tick schneller. Ich hüpfte, rannte und sprang, wich manchmal nur wenige Zentimeter hin zur Seite aus.
Nur Minuten später war ich aus der Gefahrenzone heraus. Hinter dem letzten Auto, das in der Reihe stand, sprang ich auf den Asphalt.
Einzelne Zombies und Nachzügler bemerkten meine Flucht, drehten sich langsam um und schlurften mir nach. Ich nahm sie nur kurz aus den Augenwinkeln wahr, bevor ich meinen Jogging-Lauf fortsetzte.
Die Straßen von S´Arenal sind auch ohne geparkte, zurückgelassene oder verunglückte Autos schon eng genug. Ich musste höllisch aufpassen, dass mir kein Zombie in den Weg trat oder aus einem Auto heraus anfiel. Mein Lauf bestand aus seltsamen Haken, Seiten- und Hochsprüngen und geduckten Kurzsprints. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich einmal so sportlich betätigen musste.