9. Schrippe finden, ist auch ein Plan
"Wir müssen erst mal sehen, ob wir Schrippe hier finden", versuchte ich mich an einem vernünftigen Plan. In Augenhöhe war ein kleines Fenster in die Tür eingelassen. Ich presste meine Wange an das Glas und lugte hindurch. Leider befand sich ein Teil des Korridors im toten Winkel. Hoffentlich hat das nichts zu bedeuten!, dachte ich mit einem mehr als unguten Gefühl.
Direkt vor dem Aufzug sah ich etwas groß, dunkel und unwirklich Aussehendes liegen. Es dauerte ein paar Momente, bis ich begriff, was es war. Dann hatte mein Gehirn geschaltet.
Dort lag eine schrecklich zugerichtete und ausgeweidete Leiche in ihrem Blut. Der entsetzliche Anblick versetzte mir einen Schock, sodass ich mich fast schon panisch wegdrehte. Ich schluckte heftig gegen meinen rumorenden Magen und den üblen Würgereiz an.
Dralle kam neugierig näher: "Was ist?" fragte er.
Bevor ich aber mit erstickter Stimme sagen konnte: "Nicht!", hatte der Idiot auch einen Blick riskiert. Ich sah, wie sein Gesicht an Farbe verlor. Er keuchte und kippte zur Seite weg. Das war zu viel für ihn. An der Wand sackte er zu Boden und schlug sich die Hände vors Gesicht.
Ich wedelte mit den Händen, wollte mich damit selbst beruhigen.
"Da liegt eine Leiche beim Aufzug. Irgendwo sind also auch Zombies", stellte ich atemlos, aber so ruhig wie möglich fest. Ich spürte, dass meine Stimme zitterte.
"Wir brauchen Waffen!" Tank war wie immer sehr pragmatisch.
"Und dann?", fragte ich irritiert. "Killen wir Zombies? Wie Rambo, oder was?"
Ratlos hob ich die Arme und ließ sie wieder sinken. Die Aufregung half mir das Grauen dort drinnen zu verarbeiten.
"Tank, das ist kein Film. Wir sind mittendrin in der Scheiße!" Tank hatte einen Sprung in der Schüssel. Ich kümmerte mich besser um Dralle, der hatte es nötiger.
"Komm", sagte ich zu ihm, versuchte ihn aus seiner Starre zu lösen. "Wir müssen da raus!"
"Ich bin fertig. Ich kann nicht mehr", flüsterte Dralle erschöpft zwischen seinen Fingern hindurch.
"Schrippe ist vielleicht in seinem Zimmer!", versuchte ich es erneut.
"Es geht nicht; nein", flüsterte Dralle.
Das hatte keinen Sinn. Der Mann war am Ende. Ich drehte mich weg, sagte zu Tank: "Bleib du bei ihm. Ich geh´ nachsehen."
"Du kannst da nicht alleine rausgehen! Wie willst du gegen Zombies ...", entgegnete Tank.
Mit einer energischen Geste schnitt ich ihm das Wort ab. "Keine Diskussionen."
Ich atmete tief ein und legte meine Hand auf den Türgriff.
So viel Mut, wie ich brauche, um da raus zu gehen, habe ich gar nicht, dachte ich und unterdrückte ein unkontrolliertes Zittern meiner Hände. Ich biss mir auf die Lippen, dann fasste ich mich.
"Ich bin bald zurück", floskelte ich und wusste, dass Leute, die das sagten, nie zurückkamen; zumindest nicht in Horrorfilmen.
Mir blieb nun nichts anderes übrig, und bevor ich es mir anders überlegen konnte, schob ich die Tür auf und schlüpfte mit einer für mich untypischen Fließbewegung hinaus. Die Tür fiel mit einem leisen Geräusch ins Schloss. Mit dem Rücken presste ich mich an das Holz und verschaffte mir einen ersten Überblick der Lage. Ich lauschte angestrengt, versuchte festzustellen, ob sich irgendwo auf diesem Stockwerk etwas bewegte. Doch da war nichts. Nur der Lärm meines bis zum Hals schlagenden Herzens. Ich stand kurz vor einem Infarkt, das war sicher.
Als es nach einer ganzen Weile immer noch ruhig blieb, blieb mir natürlich nichts anderes übrig, als weiter zu gehen. Mit zitternden Knien setzte ich mich in Bewegung. Am Aufzug lag die entsetzlich zugerichtete Leiche. Ich schüttelte mich innerlich, vermied den direkten Blickkontakt und stieg schnell über den Körper.
Hätte ich bloß etwas genauer hingesehen! Denn plötzlich packte mich etwas an der Ferse. Ich fuhr zusammen, mein Herz setzte für einen Moment aus. Kein Scheiß, ich erschrak bis ins Mark. Eine starke Hand hatte mich am Wickel. Ich stolperte, fiel unglücklich nach vorne, konnte die Arme hoch reißen. Leider zu spät, ich schlug schwer auf und stieß mir den Kopf auf den Fliesen. Eine Wagenladung Sterne umkreiste mich und Vögel zwitscherten den River-Kwai-Marsch. Schmerzwogen tanzten ganze Revuen in meinem Kopf. Es war schrecklich.
Nur benommen nahm ich war, wie mich zwei knochige Hände packten und sich etwas Schweres an mich heranzog.
Ein schwarzes Loch drohte mich zu verschlingen. Sekundenbruchteile verlor ich das Bewusstsein.
Finger krallten sich fest, zerrten an meinen Sandalen.
"Was ist denn?", fragte ich laut, fühlte mich eingehüllt wie in dicke Watte.
Dann hörte ich nur noch einen Schrei und sah einen riesigen Schatten heranstürmen. Benebelt nahm ich wahr, wie Tank den Zombie mit mehreren Tritten beiseite fegte und dabei wie besessen auf ihn einschlug. Die widerlichen Geräusche - Ächzen, Stöhnen, Klatschen, Tritte und Knirschen - brachten mich im Nu wieder zur Besinnung.
Die ausgeweidete Leiche am Aufzug ist ein verschissener Zombie und wollte mich beißen! Das war ja noch grauenvoller als das Geschmatze unten im Büro.
Tank verpasste dem Untoten, der mittlerweile eher Hackfleisch glich, einen letzten Tritt auf den zerplatzten Kopf. Dann lag das Ding endgültig still.
"Der ist hin!", stieß Tank keuchend hervor.
"Danke, das war knapp!" Ich erhob mich und keuchte ebenfalls. "Du musst zu Dralle zurück." Damit schob ich Tank Richtung Treppenhaus. "Geh schon", fuchtelte ich kurzatmig. Meine Kopfschmerzen lösten sich langsam aber sicher auf.
Nach einer kurzen Atempause machte ich mich auch wieder auf den Weg und umschritt das Zombie-Hack weiträumig. Überall Blut, Gekröse und Schmodder.
Würg, würgte ich.
Der Lärm würde sicherlich jeden verdammten Untoten auf dem Stock anlocken. Ich muss mich einfach beeilen, dachte ich und hielt die Erkenntnis für die beste Idee des Tages. So setzte ich also langsam und vor allen Dingen leise Fuß vor Fuß, ging sozusagen auf Samtpfoten, suchte die Umgebung, den Korridor vor mir nach verdächtigen Bewegungen, aber auch nach geeigneten Waffen ab.
Als ich die Abbiegung, in die andere Zimmerflucht erreichte, blieb ich wieder stehen und lauschte angestrengt. Nichts.
Schnell ruckte ich mit dem Kopf vor und noch schneller wieder zurück. Keine Zombies! Gott sei Dank! Der Korridor war sauber.
Dennoch blieb ich vorsichtig und weiterhin wachsam. Das Erlebnis mit der zerfleischten Leiche saß mir in den Knochen. Nur noch ein paar Schritte zu Tanks und Schrippes Zimmer, dachte ich nervös.
Langsam näherte ich mich der Tür und horchte angestrengt. Ich konnte irgendetwas hören. War da nicht ein leises Quietschen, Stöhnen und Schmatzen?
Es half alles nichts, ich musste da rein. Ich fasste mich und erwartete das Allerschlimmste. Schrippe in den Klauen der Untoten. Womöglich ist Schrippe schon selbst einer von denen und wartet auf mich. Die Vorstellung war nicht gerade sehr hilfreich, um mein Vorhaben zum Erfolg zu bringen.
"Verdammt!", greinte ich vor mich hin. "Scheiße!", fluchte ich, dabei stieß ich die Tür auf. Mit einem weiten Satz landete ich im Zimmer und erwartete jeden Moment einen Zombie-Angriff.
Doch was ich stattdessen zu sehen bekam, verblüffte mich im ersten Moment derart, dass ich mit offenem Mund dastand. Ich wollte meinen Augen nicht trauen. Die armen Glubscher fingen deshalb sogar an zu tränen, so unglaublich war das Ganze. Erschüttert und mit zum Kampf erhobenen Fäusten stand ich breitbeinig vor Schrippes Bett. Von dort kam nämlich das Quietschen und Stöhnen. Das Bett quietschte und die dralle Blondine, die auf Schrippe saß und sich immer schneller auf und ab bewegte, stöhnte leise.
Eine sehr sehnige und sportlich wirkende Brünette mit einem ausladenden Hinterteil saß auf seiner Brust und ließ sich von ihm verwöhnen. Das war dann also das Schmatzen.
Mir lief der Sabber aus dem offenen Mund, und Augenkrebs begann sich zu bilden. Das war unglaublich. Da draußen herrschte das absolute Chaos und Schrippe vergnügte sich hier drin gleich mit zwei Frauen.