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Aggressives Betteln

Ich schloss die Küchentür ab – Ilse und Ludger waren unterwegs, irgendwo in Oxford, und ich wollte mich nicht von ihnen überraschen lassen. Es war Mittag, ich hatte eine Stunde Zeit, bis Hamid kam. Mir war seltsam zumute, als ich die Tür zu Ludgers und Ilses Zimmer öffnete – zu meinem Esszimmer immerhin –, und ich musste mir erst klarmachen, dass ich keinen Fuß hineingesetzt hatte, seit Ludger bei mir hauste.

Das Zimmer sah aus, als wäre es seit einem Monat von Flüchtlingen bewohnt. Es roch nach alten Kleidern, Zigaretten und Räucherstäbchen. Auf dem Boden lagen zwei Luftmatratzen mit geöffneten Armeeschlafsäcken, die uralt aussahen, khakifarben, faltig, fast wie Lebewesen oder abgestreifte Häute, riesige Gliedmaßen, die in Verwesung übergegangen waren. Hier und da stapelten sich Lebensmittel und Getränke – Thunfisch- und Sardinenbüchsen, Cider und Dosenbier, Schokoriegel und Kekse –, als hätten sich die Bewohner auf eine längere Belagerung eingestellt. Tische und Stühle waren an die Wand geschoben und dienten als provisorische Garderobe -Jeans, Hemden, Flatterhemden, Unterhosen bedeckten alle Flächen, hingen über jede Kante, jede Stuhllehne. In einer anderen Ecke sah ich die Reisetasche, mit der Ludger gekommen war, und einen sperrigen Rucksack – ebenfalls Armeeausrüstung –, der vermutlich Ilse gehörte.

Ich schaute mir sehr sorgfältig an, wie er an die Wand gelehnt war, und erst, als ich ihn öffnen wollte, kam mir in den Sinn, dass sie vielleicht Fallen angebracht hatte. »Fallen«, sagte ich laut und rang mir ein ironisches Lachen ab: Ich beschäftige mich zu viel mit der Vergangenheit meiner Mutter, sagte ich mir – und musste doch gestehen, dass ich gerade im Begriff war, das Zimmer meiner Logiergäste heimlich zu durchsuchen. Ich löste die Schnalle und kramte im Rucksack: ein paar zerfledderte Taschenbücher (deutsche, von Stefan Zweig), eine Polaroid, ein arg mitgenommener Teddybär mit dem aufgestickten Namen »Uli«, etliche Packungen Kondome und ein halbziegelgroßer Packen, der in Alufolie gewickelt war. Ich wusste und roch gleich, was es war: Hasch, Marihuana. Als ich die Folie ein wenig löste, sah ich die dunkle, schokoladenartige Masse. Ich nahm ein winziges Bröckchen zwischen Daumen und Zeigefinger und kostete – warum, weiß ich selbst nicht. War ich etwa ein Drogenkenner und Spezialist, der die Sorte am Geschmack erkannte? Nein, nicht im Mindesten, obwohl ich mir von Zeit zu Zeit einen Joint gönnte, aber so etwas machte man wohl, wenn man heimlich in den Sachen anderer Leute herumschnüffelte. Ich schloss die Folie wieder und tat alle Sachen in den Rucksack zurück. Dann öffnete ich die Seitentaschen und fand nichts Interessantes. Ich war mir nicht einmal sicher, wonach ich überhaupt suchte. Nach Waffen? Einer Pistole? Einer Handgranate? Ich verließ das Zimmer, schloss die Tür und machte mir in der Küche ein Sandwich.

Als Hamid zu seiner Stunde kam, überreichte er mir einen Umschlag und ein Flugblatt. Das Flugblatt kündigte eine Demo vor dem Wadham College an – gegen den offiziellen Besuch der Schwester des Schahs, Prinzessin Ashraf. Im Umschlag steckte die Einladung zu einer Party im Obergeschoss des Captain Bligh, eines Pubs in der Cowley Road, die am Freitag stattfinden sollte.

»Wer veranstaltet die Party?«, fragte ich.

»Ich«, sagte Hamid. »Ich will mich verabschieden. Am Tag darauf gehe ich nach Indonesien.«

 

Am selben Abend, als Jochen im Bett lag und Ludger mit Ilse ins Pub gegangen war – sie luden mich immer ein, und ich lehnte im mer ab –, rief ich Detective Constable Frobisher an.

»Ich habe einen Anruf von dieser Ilse bekommen«, sagte ich. »Jemand muss ihr aus Versehen meine Nummer gegeben haben – sie fragte nach jemandem, den ich nicht kannte, einem James. Ich glaube, der Anruf kam aus London.«

»Nein, sie ist jetzt mit Sicherheit in Oxford, Miss Gilmartin.«

»Oh.« Da war ich platt. »Was soll sie denn angestellt haben?«

Schweigen, dann antwortete er: »Eigentlich dürfte ich Ihnen das nicht erzählen, aber sie hat sich als Hausbesetzerin in Tooting Bec aufgehalten. Wir vermuten, dass sie mit Drogen handelt, aber es liegen nur Anzeigen wegen aggressiven Betteins vor. Betteln, verbunden mit Drohungen, wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Ach so. Dann ist sie also nicht so eine Art anarchistische Terroristin.«

»Warum fragen Sie?« Sein Interesse erwachte von neuem.

»Nur so. Weil man ständig davon in den Zeitungen liest.«

»Klar … also, Scotland Yard möchte, dass wir sie festnehmen. Und solche Typen brauchen wir in Oxford nicht«, fügte er ein wenig selbstgerecht und albern hinzu.

Oxford ist voll von kaputten Typen, dachte ich. Auf eine Ilse mehr oder weniger kommt es nicht an.

»Wenn sie sich noch mal meldet, rufe ich sofort an«, versprach ich pflichtbewusst.

»Vielen Dank, Miss Gilmartin.«

Ich legte auf und stellte mir die magere, schmuddlige, übellaunige Ilse beim aggressiven Betteln vor. Dann beschlich mich die Frage, ob es ein Fehler gewesen war, Frobisher anzurufen – er schien mir ziemlich pflichteifrig –, und was mich dazu verführt hatte, den Terrorismus zu erwähnen. Das war ein Patzer, ein wirklich dummer Fehler. Ich hatte geglaubt, die zweite Generation der Baader-Meinhof-Bande bei mir zu beherbergen, doch dann entpuppten sie sich als die üblichen faulen Säcke und Versager.

 

Die Demo vor dem Wadham College war für achtzehn Uhr angesetzt, den Einweihungstermin für die neue, vom Schah finanzierte Bibliothek, zu deren Eröffnung die Schwester des Schahs erwartet wurde. Ich holte Jochen von Grindle’s ab, mit dem Bus fuhren wir in die Stadt. Wir hatten noch Zeit für eine Pizza mit Coke in der St. Michael’s Street, bevor wir Hand in Hand über die Broad Street zum Wadham College liefen.

»Was ist eine Demo, Mummy?«, fragte er.

»Wir protestieren dagegen, dass die Universität Oxford Geld von einem Tyrannen und Diktator annimmt, einem Mann, der sich Schah von Iran nennt.«

»Schah von Iran«, wiederholte er; der Klang der Wörter schien ihm zu gefallen. »Kommt Hamid auch?«

»Mit Sicherheit, würde ich sagen.«

»Er kommt auch aus dem Iran, stimmt’s?«

»Allerdings, kleiner Schlaumeier …«

Ich blieb stehen und staunte – eine Menschenmenge von etwa fünfhundert hatte sich zu beiden Seiten des Haupteingangs gesammelt und bildete zwei Gruppen. Erwartet hatte ich das übliche Häuflein der verbohrten Linken und ein paar Halbstarke, die ihren Spaß haben wollten, aber dort waren Dutzende Polizisten, die eine Kette bildeten und den Eingang zum College so weit freihalten wollten, wie es nur ging. Andere standen auf der Straße und winkten ungeduldig die Autos durch. Es gab Transparente mit der Aufschrift DIKTATOR, VERRÄTER, MÖRDER, SCHANDE FÜR OXFORD und (etwas witziger) DIE SCHAHNDE VON IRAN, ein Vermummter mit Megaphon dirigierte Sprechchöre auf Farsi. Doch die Stimmung war merkwürdig festlich – vielleicht, weil es ein so schöner Sommerabend war, vielleicht, weil es eine gesittete Oxforder Demo war, vielleicht auch, weil es nicht einfach schien, sich wegen der Eröffnung einer Bibliothek so richtig empört und revolutionär zu geben. Es gab viel Gelächter, Gegrinse, Geplänkel – trotzdem war ich beeindruckt: Das war die größte politische Demonstration, die ich in Oxford je erlebt hatte. Ich dachte an meine Hamburger Zeiten, an Karl-Heinz und all die leidenschaftlichen, zornigen Aufmärsche und Demos, an denen wir teilgenommen hatten, und meine Stimmung fiel deutlich ab.

Ich entdeckte Hamid in einer Gruppe von Iranern, die unter Anleitung des Megaphons Parolen riefen und mit Emphase die Finger reckten. Die englischen Studenten mit ihren Tarnjacken und Palästinensertüchern sahen wie Amateure aus; für sie war der Protest eine willkommene Abwechslung vom Studienalltag – ein kleiner Spaß am Abend.

Ich schaute mir die Menge an, die schwitzenden, überforderten Polizisten, die versuchten, den halbherzigen Ansturm der Protestierenden im Zaum zu halten. Von den Mannschaftswagen, die vor dem Keble College parkten, näherte sich ein weiterer Trupp Polizisten – die Schah-Schwester konnte nicht mehr weit sein. Dann sah ich Frobisher – er stand mit Reportern und Pressefotografen auf einer niedrigen Mauer und knipste munter in die Menge der Demonstranten hinein. Ich drehte ihm schnell den Rücken zu und stieß fast mit Ludger und Ilse zusammen.

»He, Ruth«, sagte Ludger mit seinem breiten Lächeln, offenbar erfreut, mich zu sehen. »Und Jochen auch. Ist ja toll! Nimm dir ein Ei.«

Er und Ilse hatten je zwei Zwölferpackungen Eier, die sie an die Demonstranten verteilten.

Jochen nahm sich vorsichtig eins heraus. »Was soll ich damit machen?«, fragte er verlegen – mit Ludger war er nie warm geworden, obwohl der unablässig mit ihm plauderte und scherzte, aber er mochte Ilse. Ich nahm mir auch ein Ei, um ihm Mut zu machen.

»Wenn du die reiche Lady aus der Limousine steigen siehst, musst du sie damit bewerfen«, sagte Ludger.

»Warum?«, fragte Jochen, eine vernünftige Frage, wie mir schien, aber bevor ihm jemand eine überzeugende Antwort geben konnte, hatte Hamid ihn gepackt und auf die Schultern gehoben.

»Jetzt hast du einen guten Ausblick«, sagte er.

Ich fragte mich, ob ich die besorgte Mutter spielen sollte, entschied mich aber dagegen – man konnte nicht früh genug versuchen, die Mythen eines allmächtigen Systems zu zerstören. Und sei’s drum, dachte ich, es lebe die Gegenkultur, auch einem Jochen Gilmartin kann es nicht schaden, ein Ei auf eine persische Prinzessin zu werfen. Da Jochen das Geschehen nun von Hamids Schultern aus überschaute, wandte ich mich an Ilse.

»Siehst du den Fotografen mit der Jeansjacke – dort auf der Mauer bei den Reportern?«

»Ja, na und?«

»Das ist ein Polizist. Er sucht nach dir.«

Sie drehte sich sofort weg und fischte eine Mütze aus ihrer Jackentasche, eine blassblaue Sommermütze mit weicher Krempe, die sie tief ins Gesicht zog und mit einer Sonnenbrille ergänzte. Sie flüsterte Ludger etwas zu, und beide suchten Deckung in der Menge.

Plötzlich begannen die Polizisten zu rufen und gestikulieren. Der gesamte Verkehr wurde gestoppt, und ein Wagenkonvoi, angeführt von zwei Polizeiautos mit Blaulicht, näherte sich in schnellem Tempo. Die Schreie und Pfiffe wurden schrill, als die Kolonne hielt, Bodyguards ausstiegen und sich schützend um eine kleine Person in türkisfarbenem Seidenkleid gruppierten. Ich sah die dunkle, lackierte Toupetfrisur, die große Sonnenbrille, und während die Prinzessin hastig zum Pförtnerhäuschen und dem nervösen Begrüßungskomitee eskortiert wurde, begannen die Eier zu fliegen. Das knackende Geräusch, das sie beim Aufprall machten, kam mir vor wie ferne Gewehrschüsse.

»Wirf, Jochen!«, schrie ich spontan – und sah, wie er sein Ei warf. Hamid behielt ihn noch einen Moment länger auf der Schulter, dann setzte er ihn ab.

»Ich hab einen Mann an der Schulter getroffen«, sagte Jochen. »Einen von den Männern mit Sonnenbrille.«

»Brav, mein Junge«, sagte ich. »Aber jetzt geht’s nach Hause. Genug Aufregung für heute.«

Wir verabschiedeten uns und liefen die Broad Street hinauf, dann weiter zur Banbury Road. Nach kurzer Zeit bekamen wir überraschend Begleitung, von Ludger und Ilse. Jochen setzte sofort zu einer Erklärung an, dass er absichtlich nicht auf die Lady gezielt hatte, weil ihr Kleid so schön war – und sicher sehr teuer.

»Hey, Ruth«, sagte Ludger, der neben mir ging, »danke für die Warnung vor dem Bullen.«

Ilse hatte Jochen bei der Hand genommen, wie ich sah, und redete Deutsch mit ihm.

»Ich hatte gedacht, sie wäre in größeren Schwierigkeiten«, sagte ich. »Aber ich glaube, die Polizei will sie nur verwarnen.«

»Nein, nein«, sagte Ludger mit nervösem Lachen. Er senkte die Stimme. »Sie hat ’n Ding zu laufen. Ein bisschen irre. Aber nichts Ernstes. Du verstehst?«

»Klar. Also wie wir alle«, sagte ich.

Jochen griff nach Ludgers Hand. »Los, Ludger, schaukel mich.«

Also nahmen Ludger und Ilse ihn zwischen sich und ließen ihn schaukeln, während wir nach Hause gingen. Jochen schrie vor Begeisterung und rief bei jedem Mal: »Höher! Höher!«

Ich blieb ein wenig zurück und bückte mich, um einen Riemen an der Sandale festzuziehen. Das Polizeiauto sah ich erst, als es neben mir hielt. Detective Constable Frobisher lächelte mich durchs offene Fenster an.

»Miss Gilmartin – ich dachte mir doch, dass Sie es sind. Könnte ich Sie kurz sprechen?« Er stieg aus, der Fahrer blieb sitzen. Ich merkte, dass Jochen, Ilse und Ludger weiterliefen, ohne auf mich zu achten, und es gelang mir, mich nicht zu ihnen umzudrehen.

»Ich wollte Ihnen nur sagen«, führ Frobisher fort, »die junge Frau aus Deutschland scheint wieder in London zu sein.«

»Ah, gut.«

»Haben Sie die Demo gesehen?«

»Ja. Ich war in der Broad Street. Ein paar meiner Studenten haben teilgenommen. Iraner, verstehen Sie?«

»Ja, darüber wollte ich mit Ihnen reden.« Er machte einen Schritt auf mich zu. »Wie ich sehe, bewegen Sie sich viel unter den ausländischen Studenten.«

»Dass ich mich ›unter ihnen bewege‹, würde ich nicht unbedingt sagen – aber ich unterrichte ausländische Studenten, das ganze Jahr über.« Ich strich mir das Haar aus den Augen und nutzte die Handbewegung, um einen Blick nach vorn zu riskieren. Ludger, Ilse und Jochen waren etwa hundert Meter entfernt stehen geblieben und schauten sich nach mir um, Ilse hielt Jochen bei der Hand.

»Lassen Sie’s mich mal so ausdrücken, Miss Gilmartin«, sagte Frobisher, jetzt in zutraulichem, fast drängendem Ton. »Wir wären sehr interessiert, falls Sie irgendetwas Ungewöhnliches hören oder sehen – Politisches, über Anarchisten, Radikale. Die Italiener, die Deutschen, die Araber … Alles, was Ihnen auffällig vorkommt – rufen Sie uns einfach an.« Er lächelte, und sein Lächeln war echt, nicht gekünstelt, und für einen Augenblick sah ich den wahren Frobisher, seinen ungebremsten Eifer. Hinter den Höflichkeitsfloskeln und der drögen Ernsthaftigkeit verbarg sich einer, der listiger, klüger und ehrgeiziger war, als es den Anschein hatte. »Sie kommen näher an diese Leute heran als wir, Sie hören Dinge, die wir nie zu hören kriegen«, sagte er und ließ noch einmal die Maske fallen. »Und wenn Sie uns von Zeit zu Zeit anrufen würden – auch wenn es nur so ein Eindruck ist –, wären wir Ihnen sehr verbunden.«

Fängt es so an?, dachte ich. Fängt so dein Leben als Spionin an?

»Klar«, sagte ich. »Wenn ich denn was hören würde. Aber sie sind alle ganz harmlos und wollen nur Englisch lernen.«

»Ich weiß. Neunundneunzig Prozent. Aber Sie haben doch die Graffiti gesehen«, sagte er. »Rechts außen spricht man Italienisch, links außen spricht man Deutsch. Die müssen sich ja hier aufhalten, wenn sie dieses Zeug an die Wände schreiben.« Wohl wahr: Ganz Oxford wurde mehr und mehr mit sinnlosen Agitprop-Losungen aus Europa zugeschmiert – Ordine Nuovo, Das Volk wird dich rächen, Caca-pipi-talisme –, sinnlos für die Engländer, wollte ich damit sagen.

»Ich verstehe«, sagte ich. »Wenn ich etwas höre, rufe ich Sie an. Kein Problem, ich habe Ihre Nummer.«

Er dankte mir noch einmal, verabschiedete sich mit »Bis bald«, riet mir noch, auf mich aufzupassen, und stieg in sein Auto, das flink wendete und ins Stadtzentrum zurückfuhr.

Ich lief weiter zum wartenden Trio.

»Was wollte der Polizist von dir, Mummy?«

»Er sagte, er sucht nach einem Jungen, der ein Ei geworfen hat.« Wir drei Erwachsenen lachten, aber Jochen fand es nicht lustig.

»Den Witz hast du schon mal gemacht. Er ist immer noch nicht witzig.«

Als wir weitergingen, blieb ich ein paar Schritte mit Ilse zurück.

»Aus irgendeinem Grund denken sie, du bist wieder in London. Also nehme ich an, dass du hier sicher bist.«

»Danke, Ruth. Ich bin dir sehr dankbar.«

»Warum bettelst du? Sie sagten, du würdest aggressivbetteln – mit Drohungen.«

Sie seufzte. »Nur am Anfang hab ich gebettelt. Stimmt. Aber jetzt nicht mehr.« Sie zuckte die Schultern. »Auf den Straßen herrscht so viel Gleichgültigkeit, weißt du? Das hat mich wütend gemacht.«

»Was hast du überhaupt in London gewollt?«

»Ich bin von zu Hause abgehauen – aus Düsseldorf. Meine beste Schulfreundin fing an, mit meinem Vater zu ficken. Das war unmöglich, ich musste weg.«

»Ja«, sagte ich, »ja, das kann ich mir vorstellen … Was willst du jetzt machen?«

Ilse dachte eine Weile nach, machte eine vage Handbewegung. »Ich glaube, wir suchen uns eine Wohnung in Oxford, Ludger und ich. Oder besetzen eine. Mir gefällt es hier. Ludger sagt, wir können vielleicht was mit Porno machen.«

»In Oxford?«

»Nein, in Amsterdam. Ludger sagt, er kennt einen, der Videos macht.«

Ich warf einen Blick auf das dürre blonde Mädchen, das neben mir herlief und in ihrer Tasche nach einer Zigarette kramte – beinahe hübsch, nur etwas Stumpfes in ihren Zügen ließ sie gewöhnlich aussehen. Ein gewöhnliches Mädchen.

»Das mit dem Porno würde ich mir überlegen, Ilse«, sagte ich. »Da wirst du für traurige alte Männer zur Wichsvorlage.«

»Jaa …« Sie dachte ein bisschen nach. »Hast ja recht. Dann verkaufe ich lieber Drogen.«

Wir holten Ludger und Jochen ein und redeten über die Demo und Jochens Volltreffer mit dem Ei, gleich beim ersten Wurf. Doch aus irgendeinem Grund musste ich an Frobishers Bitte denken: Alles, was Sie hören, selbst wenn es nur eine Vermutung ist – wir wären Ihnen sehr verbunden.