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20 Uhr – Palm Springs, Kalifornien

»Nimmst Du mich ernst, Charlotte? Bereitest Du die öffentliche Erklärung vor? Oder verschwendest Du Deine Zeit damit, nach mir zu suchen? Gib es auf. Du wirst mich niemals finden. Setz die Pressekonferenz an, Charlotte. Sonst werde ich Dir noch einmal zeigen müssen, wozu ich fähig bin.«

Charlotte hämmerte auf eine Taste und schloß das abscheuliche E-Mail. Sie blickte auf ihre Uhr. Wo blieb Jonathan?

Sie ging zur Schalttafel des Überwachungsmonitors und drückte auf die Knöpfe für die verschiedenen Ansichten der Firmenanlage. Büros und Korridore, Außenwege, Parkplätze, Laboratorien, Fabrikations- und Versandhallen erschienen nacheinander auf dem Schirm. Sie konnte einen nervösen Adrian sehen, der mit einem Handy an jedem Ohr auf und ab marschierte, dann Margo, die in ihrem Büro eine Frau mit einer großen Tasche und einem zusammengeklappten Massagetisch begrüßte, schließlich Desmond, der Agent Knight etwas an der Verladerampe zeigte. Die beiden standen schon seit einer halben Stunde dort. Charlotte fragte sich, was Knights Interesse wohl so erregte. Leider hatte Jonathan an der Verladerampe kein Abhörgerät installiert.

Sie warf einen Blick auf den Museumseingang und rätselte, was Jonathan aufhielt. Er war vor mehr als einer halben Stunde fortgegangen, um seinen elektromagnetischen Pulsmonitor an der Schalttafel des Kommunikationsfeldes anzubringen, und hätte eigentlich längst zurück sein müssen.

Charlotte wurde immer unruhiger. Die Sache mit der Garagentür ging ihr nicht aus dem Kopf. Hatte wirklich jemand daran herummanipuliert? Konnte Agent Knight hundertprozentig sicher sein, daß es sich nicht um einen Unfall handelte? Es überlief sie ein kalter Schauer. Wenn es absichtlich geschehen war, würde der Täter es wieder versuchen, und Charlotte hatte keine Ahnung, wo oder wann er das nächste Mal zuschlagen konnte.

Sie drückte einen Knopf auf der Schalttafel, und der Seiteneingang zum Hauptgebäude wurde sichtbar. Sie sah, wie jemand in den Regen hinaustrat und schnell zum nächsten schützenden Dach lief. Mr. Sung. Wohin mochte er so eilig unterwegs sein? Er wirkte erregt. Etwas, das gar nicht zu ihm paßte …

Wieder blickte sie zum Museumseingang. Jetzt war die Gelegenheit, die sie gesucht hatte, denn alle waren so beschäftigt, daß sie Jonathan unbemerkt in die Laboratorien und Fabrikationshallen hätte führen können. Aber er hatte sich nicht gemeldet.

Sie betrachtete die beiden Computer, die wie fremdartige Ungeheuer auf dem Schreibtisch ihrer Großmutter hockten. Der eine zeigte den letzten Bildschirm, den Jonathan aufgenommen hatte. Es war Margos und zeigte ihren geöffneten E-Mail-Briefkasten. Hatte sie gerade ein E-Mail abschicken wollen? Auf dem anderen Computer blitzten Textstücke auf, während ein Suchprogramm die Datenbank der Firma durchstreifte und komprimierte – eine KI, hatte ihr Jonathan erklärt, »Künstliche Intelligenz«, seine eigene Erfindung, ein Softwareprogramm, das, während es arbeitete, dazulernte.

Lief es schnell genug? Charlotte bemühte sich, ein Zittern zu unterdrücken. Wie konnte Jonathan so fest darauf vertrauen, daß er diesen Irren erwischen würde? Vielleicht sollte sie Knight doch von den E-Mails erzählen. Nein – Jonathan hatte recht. Am besten führten sie ihre eigene, geheime Untersuchung durch. Soweit sie wußte, kam das FDA-Team kaum voran. Außerdem bezweifelte sie, daß der Kerl, der sie mit der Garagentür umbringen wollte, sich von den Bundesagenten abschrecken lassen würde.

Plötzlich flog die Tür auf, und Jonathan kam herein. Er schüttelte den Regen ab und sagte: »Erledigt. Sobald sich hier jemand ins Internet einloggt, wissen wir es. Irgendwelche Neuigkeiten von unserem anonymen Freund?«

Sie sah, wie seine feucht gewordenen Haare sich ganz leicht kräuselten, und mußte an das Gefühl von einst denken, wenn sie ihm mit den Fingern durch diese Locken gefahren war – damals. Heute hatte eine andere Frau das Privileg. »Nur die eine, die schon vor einer Weile kam. Ich habe die Mail zugemacht. Ich konnte den Anblick auf dem Bildschirm nicht ertragen. Jonathan, jetzt ist ein günstiger Moment, um in die Laboratorien zu gehen.«

»Gut.« Er sammelte seine Sachen zusammen, schloß die schwarze Tasche und hängte sich den Riemen über die Schulter. »Denk immer daran, daß wir äußerst vorsichtig sein müssen. Niemand darf uns sehen. Das Werk steht unter offzieller Beobachtung durch eine Bundesbehörde, und man könnte uns alles mögliche zur Last legen – angefangen von Behinderung der Ermittlungen bis hin zu Verfälschung von Beweismaterial.«

Die Warnung war unnötig. Charlotte war schon einmal verhaftet worden. Sie hatte überfüllte Gefängnisse, gleichgültige Polizisten und das Entwürdigende einer Leibesvisitation kennengelernt. Das wollte sie kein zweites Mal riskieren. Und die Handschellen … nie würde sie das Gefühl von kaltem Metall an ihren Handgelenken vergessen, als ob sie ein stummes Tier war, das man zur Schlachtbank führt. Der Beamte, der sie verhaftet hatte, wollte ihr nicht einmal erlauben, sich das Blut von den Händen zu waschen. Er hatte wütend gewirkt, als wollte er, daß sie den Beweis ihrer schändlichen Tat auch zur Schau trage. Sie hatte versucht, ihm alles zu erklären, aber er hatte nicht zugehört. Niemand wollte ihr zuhören, außer ihrer Freundin Naomi. Sie allein hatte verstanden, warum Charlotte so handeln mußte.

Das Haus der Harmonie: Roman
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