Die sexuellen Mythen unserer Gesellschaft
Wir haben uns bisher viel mit Ihrer Partnerschaft beschäftigt. Zum Schluss noch ein raffinierter Parcours durch einige Hindernisse. Hier können Sie prüfen, wie weit Sie mit Ihrer sexuellen Selbstbestimmung gekommen sind. Wie authentisch Sie als sexuelle Person denken, fühlen und handeln, hängt auch davon ab, wie Sie sich zu dem verhalten, was Ihre Umgebung Ihnen einredet. Teilweise laut und penetrant, aber teilweise aber auch subtil und leise. Ich spreche von den sexuellen Mythen unserer Gesellschaft.
Kulturelles Umfeld der Erotik
Sex in langjährigen Beziehungen hängt nicht nur vom Können und Wollen, von Leidenschaft und Zuneigung der Partner ab. Liebe und Sexualität entwickeln sich vielmehr in einem bestimmten kulturellen Umfeld. Der kulturelle Hintergrund bringt die Bedeutung ins Spiel, die wir dem Sex geben: Darin zeigen sich christlich-abendländische Einflüsse genauso wie die der Aufklärung, der sozialen oder biologischen Wissenschaft, der romantischen Literatur oder ethische Grundsätze, die den Wertekanon unserer Gesellschaft bestimmen. Und natürlich die Medien – all das, was Funk, Fernsehen und die Presse so alles von sich geben. Es ist verflixt: Wir wissen, dass uns das beeinflusst – und doch können wir uns dem schwer entziehen. Wir leben in dieser Welt und können diese Umgebung schwer ignorieren. Jeder Einzelne bezieht aus diesem kulturellen Hintergrundrauschen Anhaltspunkte dafür, wie der Sex zu sein hat: wie oft, wie lange, wie laut, wie wild, wie liebevoll, wie zart, wie umwerfend, wie experimentell.
Aus den kulturellen Begleitumständen der Erotik formen sich Mythen. Das sind Geschichten, die wahr erscheinen, weil sie schon so oft von so vielen erzählt wurden. Und weil man sie so oft gehört hat, kommen sie einem so offensichtlich und wirklich vor. Das Teuflische dran: Wenn man es für wirklich hält, wird es das auch. Aber bei den meisten Mythen lohnt sich ein zweiter Blick.
Mythen sind doppelgesichtig
Mythen können uns darin unterstützen, Orientierung zu finden, können Halt geben und die komplizierte Welt übersichtlich erscheinen lassen. Ein Mythos wie »Wenn zwei sich lieben, funktioniert der Sex von ganz allein« koppelt Liebe eng an die Sexualität – und lässt uns leicht verstehen, dass Erotik in der Phase frischer Verliebtheit oft fast wie von selbst funktioniert. Derselbe Mythos aber kann uns irgendwann darin behindern, uns erotisch zu entfalten. Er hemmt uns, wenn wir bemerken, in einer langjährigen Beziehung funktioniert der Sex eben doch nicht von allein – trotz aller Harmonie und Liebe. Glauben wir in einer solchen Situation weiterhin an den Mythos, wird es unmöglich, etwas gegen die nachlassende sexuelle Erregungskurve zu unternehmen. Stattdessen fangen wir dann an, an der Liebe zu zweifeln …
Eben weil es kein »richtiges« Bewusstsein, keine wirkliche Wahrheit über Sex gibt, gibt es auch keine Mythen im Sinn von Märchen, deren Unwahrheit enttarnt werden müsste. Auch die Wissenschaft hilft uns wenig. Sie liefert hier und da ein paar Daten, aber keine großen Wahrheiten, um sexuelle Mythen aufzudecken.
Mit Mythen spielen und sie entkräften
Es liegt an uns, die wir die Mythen nutzen, ob wir uns von ihnen inspirieren lassen. Wir entscheiden, ob wir uns von einem erotischen Mythos so beeindrucken lassen, dass wir ihn für wahr erachten. Mythen werden mächtig durch diejenigen, die ihnen ihren großen Stellenwert zumessen. Also durch uns selbst. Es ist der große Gewinn der sexuellen Selbstbestimmung, dass wir keine Instanz über uns haben, die uns sagt, was gilt. Wir können selbst entscheiden, was wir für wahr halten. Aber wir müssen es auch selbst entscheiden. Freiheit verpflichtet!
Im Tagebau der erotischen Mythen lassen sich zahlreiche Fundstellen ausmachen. Einige davon will ich ansprechen. Dabei möchte ich Sie dazu auffordern, mit diesen Mythen zu spielen, sie zu zerpflücken, sie von verschiedenen Seiten zu betrachten. Denken Sie die Mythen ernsthaft zu Ende, so seltsam das auch sein mag! Und betrachten Sie die Mythen als Ballons voller bedeutungsschwerer heißer Luft, die Sie kontrolliert entweichen lassen können.
Ich möchte einige Mythen besprechen, die Ihnen bekannt vorkommen werden. Sam, unsere unentwegte Advokatin für sexuelle Selbstbestimmung, spottet über die Mythen. Und Sam zeigt, wie sich der Mythos entkräften und demontieren lässt – wenn Sie wollen. Nur wenn Sie wollen! Denn das bedeuten sexuelle Freiheit und Selbstbestimmung auch: Sie haben das gute Recht, all den Mythen nachzuträumen, die Sie faszinieren oder die Ihnen helfen, die Welt, Ihren Partner und womöglich sich selbst besser zu verstehen.
Mythos 1: Jugend = guter Sex, Alter = schlechter Sex
Die Sexualwissenschaft kennt keine gut gesicherte und einigermaßen befriedigende Theorie der sexuellen Entwicklung über das Alter. Das macht Alltagsmythen über sexuelle Lebensphasen konkurrenzlos – entsprechend stark und dominant sind sie.
Der mächtigste kulturelle Alltagsmythos über sexuelle Lebensphasen besagt im Kern, dass die Sexualität in der späten Jugend und im frühen Erwachsenenalter reich, überschwänglich, im Vollbesitz ihrer Kräfte sei. Im Lauf der Jahre lassen Kraft, Saft, Interesse und Fähigkeit nach. Im Alter sei dann außer Mühsal und Erinnerung an bessere Zeiten kaum mehr etwas Erotisches vorhanden. Der Mythos beschreibt eine mit dem Alter abnehmende Verlaufskurve, deren Neigungswinkel man im günstigen Fall verlangsamen, aber nicht aufhalten kann. Dieser Mythos ist für Frauen noch eine Spur radikaler als für Männer.
Im Kern ist dieser Mythos naturalistisch. Er bewertet besonders die jugendliche Kraft positiv, er schätzt die mit dem Alter zunehmende sexuelle Erfahrung gering. Diese wird nicht als Ressource wahrgenommen und bewertet. Ein alternativer Mythos erotischer Weisheit oder Reife findet sich in unserer Kultur nicht. Gäbe es ihn aber, würde ein solcher Mythos wahrscheinlich die erotische Qualität gegenüber der sexuellen Funktion und dem Wert der sexuellen Vollzugshäufigkeiten bevorzugen. Dazu gehört auch die altersmilde Gelassenheit gegenüber der Veränderung der sexuellen Wünsche.
Sam spottet:
So hältst du den Mythos am Leben:
Beklage häufig dein zunehmendes Alter!
Denke über Schönheitsoperationen nach!
Betrachte im Spiegel die welk werdende Haut und zähle die Falten!
Sprich viel über Krankheiten!
Eigne dir Witze über alte Menschen an und erzähle sie möglichst oft!
Sams Tipp:
So kannst du den Mythos demontieren:
Überlege, was du als Liebhaber/in in den letzten Jahren dazu gewonnen hast.
Überlege, was du über Erotik mit 20 Jahren noch nicht wusstest.
Bärbel ist seit 20 Jahren mit ihrem Mann Rolf verheiratet und fühlt sich zunehmend unattraktiv. Sie glaubt ihm jeden Tag weniger, dass er sie wirklich begehrt. Sie denkt, er schläft nur noch aus Mitleid mit ihr. Er ist zunehmend genervt, dass sie ihm so sehr misstraut. Seit vielen Jahren lebt Bärbel in der Furcht, Rolf werde sich früher oder später eine jüngere, attraktivere Frau suchen. Rolf versucht, Bärbel Komplimente zu machen, sie zu hofieren. Je mehr er das tut, desto stärker wird ihr Eindruck, er mache das sowieso nur, um ihr einen Gefallen zu tun und nicht, weil er es tatsächlich so empfindet.
Es handelt sich um eine Variante der Wahrnehmung, dass am Anfang (oder früher) alles besser war. Das wird gelegentlich auch von älteren Menschen zum Besten gegeben. Dahinter steht die Idee, dass Jugend, jugendliche Kraft und Energie ausschließlich positiv sind – und Alter das Gegenteil davon. Nicht die zunehmende Erfahrung rückt ins Zentrum der Wahrnehmung, sondern der körperliche Verfall, die müden Knochen, die nicht mehr so beweglich sind, und das Fleisch, das nicht mehr so fest ist wie früher.
Mythos 2: Wenn zwei sich lieben, funktioniert der Sex von ganz allein
Die Liebe ist die Königin des Sex. Wenn sie regiert, folgt der Sex gehorsam und von selbst. Alles funktioniert gesteuert wie von Zauberhand – scheinbar ohne das Zutun der beiden Partner. Sex ist das i-Tüpfelchen der Verliebtheit. Wer an den Mythos glaubt, dass Sex ganz von allein funktioniert, wenn zwei Menschen sich lieben, geht davon aus, dass die Liebe dem Sex vorausgehen muss. Wer liebt, hat auch keine Probleme beim Sex. Und umgekehrt: Wer Probleme beim Sex hat, bei dem stimmt etwas mit der Liebe nicht.
Miriam ist seit zwei Jahren mit Noah zusammen. Beide leben in verschiedenen Wohnungen. Drei bis vier Abende in der Woche verbringen sie miteinander. Seit sie sich kennen lernten, ist es selbstverständlich, einen gemeinsamen Abend auch gemeinsam zu beenden, entweder bei ihm oder bei ihr. Miriam fühlt sich wohl und geborgen – und ist sich sicher, ihren Traummann gefunden zu haben. Es trifft sie deshalb mit Wucht, als ihr Freund sie eines Abends fragt, ob sie nicht beim Sex kreativer sein könnten. Der Sex mit ihr beginne, ihn zu langweilen.
Noah: »Es ist alles total lieb und so. Aber richtig aufregend finde ich es nicht.«
»Aber es hat dir doch die ganze Zeit gefallen«, erwidert Miriam. »Liebst du mich denn nicht mehr?«
»Klar lieb’ ich dich«, sagt Noah, »aber mir passiert zu wenig zwischen uns beiden, wenn wir Sex haben.«
Miriam fällt der Himmel auf den Kopf. Sie fragt sich, wie sehr sie sich in Noah getäuscht habe, wenn er nun so etwas zu ihr sagt. Hat er ihr seine Liebe nur vorgegaukelt?
Die arme Miriam. Herz und Sex sind bei ihr innig verbunden. Eines geht nicht ohne das andere. Für sie. Sexuell etwas anders zu machen, heißt für sie, ihre Liebe infrage zu stellen. Für Noah ist das anders. Er liebt sie. Aber das spricht sich nicht durch bis zu seinem Sex.
Liebe und Sex als teilweise unabhängig voneinander zu betrachten, kann eine große Entlastung sein. Sex drückt nicht immer Liebe aus. Manchmal drückt Sex gar nichts aus – man macht ihn einfach. Und manchmal geht es sexuell nicht so aufregend zu: Das kann sehr viel bedeuten. Es kann Ihre Partnerschaft gefährden und damit Ihre Lebensqualität gründlich verderben. Und manchmal bedeutet es gar nichts. Es ist einfach so!
So kannst du den Mythos am Leben halten:
Suche lange und intensiv, bis du auf den Richtigen/die Richtige triffst!
Gehe erotischen Experimenten unbedingt aus dem Weg!
Wenn dein Partner sexuelle Unzufriedenheit äußert, prüfe ihn streng, ob er dich noch liebt.
Wenn du sexuell unzufrieden bist, überlege lange, ob du deinen Partner wirklich noch liebst. Grüble so lange, bis du etwas gefunden hast.
Mach auf keinen Fall Sex einfach so oder aus Spaß. Das wäre nicht liebevoll.
Sams Tipp:
So demontierst du den Mythos:
Mach einfach mal langweiligen Sex mit deinem Partner und sag ihm, dass du ihn liebst.
Mach deinen Partner sexuell an, wenn du gar nicht gut auf ihn zu sprechen bist.
Rechne in deiner Partnerschaft sowohl mit gutem als auch mit nicht so gutem Sex!
Unterscheide zwischen der Liebe zu deinem Partner und dem erotischen Leben mit deinem Partner!
Mythos 3: Regelmäßiger Sex ist wichtig
Die Häufigkeit von Sex in Liebesbeziehungen ist immer wieder Gegenstand des kulturellen Smalltalk. In den Schlafzimmern sei nichts los, liest man, bloß weil sexualwissenschaftliche Studien zum Ergebnis kommen, dass viele Paare nur einmal im Monat Sex haben. Jeder kann Martin Luther zitieren: »In der Woche zwier – schadet weder dir noch ihr – macht im Jahre hundertvier.« Gemeint ist zweimal Sex pro Woche. Studienergebnisse, die Häufigkeiten von Geschlechtsverkehr und anderem erotischem Verhalten erfragen, bringen uns auf Gedanken, wie viel Sex wohl angemessen ist. Und seit ein paar Jahren gibt es den Begriff der sexuellen Gesundheit, »sexual health«, der uns neben fettarmer Kost noch die körperliche Lust als gesundheitsdienlich nahe legt.
Zu allem Lebendigen gehört der Wechsel, die Variation. Phasen ohne Sex gehören zu langjährigen Beziehungen genauso wie intensive Nächte. Und liebevolle Begegnungen ebenso wie müde Quickies vorm Einschlafen. Leidenschaft des Anfangs wie die Gelassenheit der Erfahrung. Es gibt genug Gründe, asexuelle Phasen zu haben: Schwangerschaften, körperliche und seelische Erkrankungen, Phasen beruflicher Anspannung, Belastungen durch Angehörige, kleine Kinder usw.
Dieser Mythos beschämt zu Unrecht jene, die schon wochen-, monate- oder jahrelang keinerlei Sex mit dem Partner hatten – und damit durchaus glücklich leben. Wer sich diesem Mythos verschreibt, wird unglücklich und steht unter Handlungsdruck, wenn es in der Partnerschaft zu sexfreien Phasen kommt.
Sam spottet:
So kannst du den Mythos am Leben halten:
Führe die. »partnerschaftliche Pflichtübung« (Seite 188f.) durch.
Führe mit deinem Partner besorgte Gespräche, wenn ihr längere asexuelle Phasen hattet.
Nimm Unregelmäßigkeiten nicht auf die leichte Schulter.
Sams Tipp:
So demontierst du den Mythos:
Betrachte dein Sexualleben als lebendige Geschichte.
Entwickle zu lustlosen und zu lustvollen Phasen deines Lebens ein gleich gutes Verhältnis.
Mythos 4: Sex muss Spaß machen
Dies ist ein scheinbar harmloser Mythos. Seine Wirkungskraft ist nicht unmittelbar zu erkennen. Immerhin macht Sex manchen Menschen in bestimmten Situationen mit bestimmten Partnern wirklich Spaß. Das kommt vor. Was ist daran ein Mythos? Er liegt darin, dass eine mögliche Erlebnisvariante, der Spaß, als das Eigentliche am Sex deklariert wird. Diese Gleichsetzung ist unzureichend. Sie drängt eine Menge möglicher anderer Erlebnisweisen des Sex an den Rand. Der Mythos lässt die anderen Varianten des Erlebens mithin als weniger bedeutsam erscheinen: Sex kann verärgern und traurig machen. Sex kann Harndrang provozieren. Sex kann Angst auslösen. Sex kann Gefühle von Demütigung hervorrufen. Sex kann nachdenklich machen, gewaltbereit, rachedurstig, ohnmächtig, müde. Sex kann ernsthafte Nähe erzeugen, Innigkeit wachrufen und noch vieles andere. Wir können uns verzweifelt, ausgeliefert, stolz oder leichtsinnig fühlen. Ja, Spaß ist auch immer mal wieder dabei. Aber eben nicht nur, sondern unter anderem.
Fallbeispiel
Michel und Miriam begegnen sich erstmals in Indien, auf einer Weltreise. Miriam ist fasziniert von Michels Lockerheit, seiner Offenheit, seiner Zugänglichkeit, seinem sonnigen Gemüt. Mehrere Monate reisen sie gemeinsam. Nach ihrer Rückkehr beschließen sie, sich eine gemeinsame Wohnung zu suchen. In ihrem neuen Zuhause behält er sein sonniges Gemüt. Michel gewinnt dem Leben, der Liebe und dem Sex ausschließlich positive Seiten ab. Miriam hingegen zeigt sich im neuen Leben von einer ganz anderen Seite. Für Miriam ist Sex eine zwiespältige Angelegenheit. Sie erzählt Michel erst später von ihrer schlimmen Erfahrung, die sie mit Klaus, dem Lebensgefährten ihrer Mutter, gemacht hatte, als sie mit zwölf Jahren eben in die Pubertät gekommen war. Durch die Beziehung mit ihm war die Mutter – und damit auch Miriam und ihr Bruder– aus ihren äußerst engen materiellen Verhältnissen herausgekommen. Dadurch entstand aber auch eine Abhängigkeit, was für Miriam Furchtbares bedeutete. Sie konnte sich lange nicht gegen die sexuellen Übergriffe von Klaus wehren. Am schlimmsten waren für sie Klaus Bemerkungen, ihr habe das doch auch gefallen.
Miriam ist froh, dass sie Michel hat. Sie ist auch erleichtert, dass er von der Vorgeschichte weiß. Er versucht, sie aufzumuntern. Und manchmal ist seine unbeschwerte Heiterkeit auch ansteckend. Manchmal auch nicht. Und so kommt es, dass Miriam gelegentlich mitten im Liebesspiel aussteigt und Michel bittet aufzuhören.
Miriams Sexualleben hat die Narbe des früheren Missbrauchs. Die kichernde Schüchternheit, mit der andere Mädchen ihre ersten Erfahrungen machen, konnte sie nicht erleben. Ihre ersten Erfahrungen waren nicht ihrem Alter gemäß unschuldig, sondern brutal. Damit ist ihr Sexualleben nicht zwangsläufig dauerhaft gestört. Aber den unbeeinträchtigten Spaß, den Michel erlebt, kann sie nicht ohne weiteres haben. Unser sexuelles Erleben ist nicht nur vom Erleben im Hier und Jetzt bestimmt, sondern auch von der Vergangenheit geprägt. Wir entkommen unserer Geschichte nicht.
Sam spottet:
So kannst du den Mythos am Leben halten:
Zwinge dich zu sexueller Heiterkeit, wenn dir mal nicht danach ist.
Nimm Antidepressiva, wenn du nachdenklich bist.
Wenn dein Partner ein sexuelles Problem hat, erzähl ihm einen Witz.
Suche, was bei dir falsch sein könnte, wenn du mal beim Sex keinen Spaß hast.
So kannst du den Mythos demontieren:
Akzeptiere deine Geschichte. Du hast sie sowieso.
Langsamer Sex ist so gut wie schneller Sex. Inniger Sex so gut wie flotter Sex.
Manchmal macht Sex keinen Spaß. Ohne dass du irgendetwas falsch gemacht hast.
Mythos 5: Am Anfang der Beziehung ist der Sex am besten, deshalb soll es so bleiben wie am Anfang
Allem Anfang wohnt ein Zauber inne, dichtete einst Hermann Hesse. Auch der Anfang einer Liebesbeziehung ist meist zauberhaft – und aufregend zugleich. Die Partner fühlen sich magisch zueinander hingezogen. Sie möchten sich nahe sein, alles miteinander teilen. Sie vergessen die Welt um sich herum. Die Verliebten werden von Symptomen befallen, die sie als Verliebtheit deuten, die aber auch Flucht und Angst kennzeichnen: Herzrasen, Schweißausbrüche, ein flaues Gefühl im Magen, Appetitlosigkeit. Die Unkenntnis des Fremden reizt die Partner. Die Ungewissheit darüber, wie es weitergeht, zieht sie an. Die Partner sind aufgeregt und neugierig. Das Ungewisse erzeugt einen enormen erotischen Reiz. Und doch sehnen beide sich danach, die Aufregung zu stabilisieren – sich fest zu binden.
Die Lust stellt sich anfänglich also von ganz allein ein. Die Partner kennen sich nicht. Sie nähern sich einander unvoreingenommen an. Dadurch werden erotische Erfahrungen und Erlebnisse möglich, die einprägsame Spuren hinterlassen. Jahre später erwecken diese Spuren dann den Eindruck: Am Anfang war alles besser! Beide wünschen sich in den ersten Tagen und Wochen sehr, all das möge lange so bleiben. So leicht, so unbeschwert und so wenig einengend soll der Sex auch später noch sein. Irgendwann ist diese Zeit unwiderruflich vorbei. Die Lust fällt nicht mehr vom Himmel. Sie muss der Beziehung abgerungen werden. Die Partner müssen ihre Lust aktiv hegen und pflegen. Selbst wenn der Sex genauso bleibt wie am Anfang, die Partner werden dennoch das Gefühl haben, alles habe sich abgeschwächt. Sex wird also ganz von selbst schlechter, weil die Wahrnehmung aus dem Besonderen etwas Gewöhnliches macht ...
Fallbeispiel
Bastian ist verliebt. Mit Feuer und Flamme. Dieses Mal ist er wirklich davon überzeugt, dass Silvia die Frau seines Lebens ist, mit der er viele Jahre zusammenbleiben wird. Mit Petra ging es nach drei Jahren zu Ende. Lisa lernte einen anderen Mann kennen. Mit Martina hatte er nach der Geburt von Nico nur noch eine Vater-Mutter-Beziehung …
Bastian glaubt, wie viele Menschen, den Mythos kippen zu können. Und fällt ihm dabei doch ständig zum Opfer – wie viele andere Menschen auch: sie sind verliebt in die verrückte, aufregende Phase der Verliebtheit. Gewohnheiten, Rituale, wiederkehrende Momente, das alltägliche Beziehungsdasein fürchten sie wie der Teufel das Weihwasser. Dann stellt sich plötzlich ein Gefühl von Leere ein. Das Strohfeuer ist abgebrannt. Bastian will die geschichtslose Liebe, den Sex ohne Alter. Ohne Entwicklung!
Kein Wunder, dass Bastian auf die eigene Illusion hereinfällt. Der Mythos selbst gründet sich auf einer Überhöhung. Sie ist darauf zurückführen, dass die Partner zu Beginn einer Beziehung angesichts der begehrten Frau oder des begehrten Mannes ohne größere Anstrengung und ganz von allein Lust empfinden.
Menschen wie Bastian wollen ewig jung bleiben. Statt klug älter zu werden. Sex und Rotwein werden nicht schlechter mit dem Alter. Nur anders. Wenn die Substanz da ist. Nehmen Sie das Alter – und auch das Beziehungsalter – als Ressource, nicht als Last. Wer älter ist, weiß mehr Bescheid. Reif sein heißt: zur vollen Blüte kommen. Der Anfangsrausch ist blinde Liebe. Reifer Sex ist sehende Liebe!
Sam spottet:
So kannst du den Mythos am Leben halten:
Sorge dafür, dass du ewig jung bleibst.
Beende deine Beziehungen spätestens nach drei Monaten, vier Wochen wären sogar noch besser für den Erhalt des Mythos!
Verwirf den Gedanken, du könntest dich als Paar erotisch weiterentwickeln!
Falls es langweilig wird: beschuldige deinen Partner.
Für Männer: suche dir immer jüngere Geliebte.
Für Frauen: beklage, dass die Männer auch nicht mehr das sind, was sie früher mal waren.
Komme deinem Partner nie näher als am Anfang, als er dir noch fremd und unbekannt war!
Sams Tipp:
So kannst du den Mythos demontieren:
Denke in Phasen.
Bringe in Erfahrung, was dein Partner will!
Der Anfang ist nur der Anfang!
Bleibe deinem Partner gegenüber neugierig. Der ändert sich mehr als du glaubst.