Elstead, Großbritannien

Emilio Roessner saß in der Bar des Hotels Three Crowns und trank Kaffee, während er Zeitung las. Ihn interessierten besonders die Kleinanzeigen unter ›Vermischtes‹. Sorgfältig ging er die kleingedruckten Kolumnen durch. Da! Da war es!

Hallo Mutter, ich komme morgen.

Dein John.

Emilio Roessner fühlte seine Handflächen ein wenig feucht werden. Sie waren auf seine Bedingungen eingegangen. Wenn er sich nicht allzu dumm anstellte, bedeutete das Geld, viel Geld. Hier in Europa konnte sich niemand vorstellen, was es hieß, in Südamerika arm zu sein. Abschaum! Nie mehr! Selbst seine Arbeit als Sicherheitschef der Breedwell Farms wurde eher mäßig bezahlt. Und dann hatte er diese arrogante Type von Cruikshank auch noch dauernd am Hals gehabt. Aber der hatte ja abgedankt. Wer wohl die beiden Typen mit dem argentinischen Rover gewesen waren? Na ja, egal! Jetzt ging es mit letzter Konzentration ans Abkassieren.

Tagelang hatte er darüber gebrütet, wie er die Übergabe regeln sollte. Inzwischen hatte er sich für die Tunnelvariante entschieden. Der Kurier sollte den Koffer mit dem Geld auf ein bestimmtes Zeichen hin während der Fahrt aus dem Schnellzug London-Liverpool werfen. Roessner wollte das Signal in einem langen Tunnel kurz vor dem Bahnhof Luton geben und den Koffer später im Tunnel abholen. Dann das Geld in seine Tasche umladen und ab ins schöne Leben!

Zunächst würde er in England bleiben, bis sich die Wogen gelegt hatten. Vielleicht würde er danach in ein Spanisch sprechendes Land gehen. Man würde sehen.

Emilio Roessner griff in die Innentasche seines Sakkos und holte einen Umschlag und den Brief hervor, den er letzte Nacht auf einer neu gekauften kleinen Reiseschreibmaschine getippt hatte, in der Privatpension zwei Orte weiter. Er überflog den Text ein letztes Mal und steckte dann den Brief in den Umschlag. Jetzt brauchte er nur noch eine Briefmarke.

An der Hotelrezeption gab es so etwas bestimmt. Er beglich die Rechnung in der Bar und ging durch die Verbindungstür hinüber ins Foyer. Zögernd näherte er sich dem Portier, denn an der Rezeption stand ein Bobby.

Roessner trat grüßend näher an die beiden Männer heran. Hoffentlich quasselten die Typen nicht zu lange, dachte er.

»Hallo, Hank«, hörte er den Polizisten gerade sagen. »Alles klar?«

»Wie immer«, antwortete Hank, der Portier. »Was führt dich her? Dasselbe wie gestern?«

Der Bobby nickte. »Und? Hast du heute vielleicht einen Gast namens Roessner?« fragte er den Portier grinsend.

Dem Uruguayer gelang es mit Mühe, die Fassung zu bewahren. Die Schweine fahndeten nach ihm, obwohl er doch ganz klar damit gedroht hatte, ein Exempel zu statuieren, wenn man ihn suchen sollte.

»Nein, leider wieder nicht!« hörte er den Portier feixen.

Der Bobby zuckte mit den Achseln. »Also wieder nichts mit der Beförderung. Du machst mich traurig, Hank. Bis morgen!«

»Bis morgen!« grüßte der Portier zurück und wandte sich Roessner zu, während der Bobby pfeifend das Hotel verließ. »Sir, was kann ich für Sie tun?«

Roessner riß sich zusammen, so gut es ging, und antwortete: »Ich benötige eine Briefmarke. Für einen Brief innerhalb Englands. Kann ich eine bei Ihnen kaufen?«

»Leider nicht«, bedauerte der Portier. »Nur im Post Office. Es sind aber nur ein paar Meter die Straße hinunter.«

»Danke sehr«, erwiderte Roessner geistesabwesend und ging zur Eingangstür. Draußen zerriß er den Brief in kleine Fetzen und warf sie wütend in einen Papierkorb.

Jetzt ging es richtig zur Sache! Die Typen glaubten wohl, sie könnten ihn für blöd verkaufen! Also dann, seine Umsicht hatte sich gelohnt! Er hatte in der richtigen Gegend gewartet. Jetzt würden sich einige Leute aber mächtig umgucken!

Roessner kehrte zum Auto zurück, das er in London gemietet hatte, und stellte sich die Reiseschreibmaschine auf die Knie. Statt Übergabemodalitäten gab es jetzt erst mal einen Hinweis auf das Unvermeidliche. Er freute sich bereits auf die Reaktion.