Canberra, Australien
Adrian Kay und Daniel Harris kannten sich seit nahezu drei Jahrzehnten. An der Universität von Sydney hatte ihre enge Freundschaft begonnen, und sie bestand noch immer, da sie die meisten Stufen ihrer Karriereleiter zusammen beschritten hatten. Ihr Einvernehmen und gegenseitiges Verständnis waren mit der Zeit nur noch gewachsen, und viele behaupteten, daß die beiden deshalb Junggesellen geblieben wären, weil sie einen besseren Lebensgefährten ohnehin nicht hätten finden können. Heute gehörten Kay und Harris zu den einflußreichsten Persönlichkeiten Australiens, obwohl ihre Namen so gut wie nie in der Öffentlichkeit auftauchten. Die meisten Australier hatten wahrscheinlich überhaupt noch nie von ihnen gehört.
Bekanntheit wäre der Arbeit der beiden Männer auch eher abträglich gewesen, bestand diese Arbeit doch darin, die Aktivitäten der beiden größten australischen Geheimdienste zu leiten. Kay war der Chef der Spionageabwehr, und Harris stand dem Auslandsnachrichtendienst vor.
Innerhalb ihrer Organisationen allerdings waren die beiden bekannt wie die bunten Hunde, beliebt und erfolgreich. Und dieser Erfolg beruhte nicht zuletzt auf dem blinden Vertrauen und der engen Zusammenarbeit zwischen den von ihren Mitarbeitern so genannten ›Secret twins‹. Äußeres Zeichen für diese enge Zusammenarbeit waren die wöchentlichen Treffen, bei denen die beiden Männer die Arbeit ihrer Dienste koordinierten.
An diesem Montag sah Adrian Kay der wöchentlichen Konferenz mit Spannung entgegen. Er hatte bereits um 7 Uhr sein Büro betreten, die Berichte der Mitarbeiter gelesen und die Post aufgearbeitet, denn um 10 Uhr wurde er von Harris erwartet, und da wollte er die Routineangelegenheiten bereits erledigt haben.
Es klopfte an der holzvertäfelten Tür seines Büros. Kay sah hoch. »Ja, herein!«
Sein Sekretär Emerson Coleclough steckte den Kopf durch den Türspalt und nickte ihm grüßend zu: »Guten Morgen, Sir. Es ist 9.45 Uhr. Soll ich den Wagen kommen lassen?«
»Guten Morgen, Emerson«, erwiderte Kay mit freundlichem Lächeln und blickte dann auf die Armbanduhr. »Meine Güte, tatsächlich. Die Zeit vergeht im Fluge. Danke, daß Sie daran gedacht haben, Emerson.«
Coleclough winkte leicht ab. »Ich bitte Sie, Sir, ich werde schließlich dafür bezahlt, daß ich an Ihre Termine denke.«
Fünf Minuten später nahm Adrian Kay im Fond der schweren Dienstlimousine Platz. »Guten Morgen, Dawson«, grüßte er den Mann hinter dem Lenkrad, der ihn schon seit fast zehn Jahren chauffierte.
Der Wagen rollte bereits an, als Dawson antwortete. »Guten Morgen, Sir. Zu Mr. Harris, Sir?«
»In der Tat, Dawson«, erwiderte Kay amüsiert. Viel mehr als die paar Worte zur morgendlichen Begrüßung kriegte Dawson im Laufe eines Tages erfahrungsgemäß nicht über die Lippen, und Kay hatte es im Laufe der Jahre aufgegeben, diese Maulfaulheit zu bekämpfen. »Ich bin zum Fahren angestellt, nicht zum Reden«, hatte ihm Dawson irgendwann einmal erklärt, und Kay mußte sich dieser Auffassung wohl oder übel anschließen, denn einen besseren Chauffeur gab es wahrscheinlich in ganz Australien nicht.
Die Fahrt zum Hauptquartier des Nachrichtendienstes dauerte nicht ganz zehn Minuten.
»Ich weiß noch nicht, wie lange es dauern wird, Dawson«, meinte Kay beim Aussteigen, »ich lasse Ihnen Bescheid geben, wenn ich Sie wieder brauche.«
Dawson nickte wortlos und fuhr an, als die Fondtür ins Schloß fiel. Adrian Kay stieg die breiten Stufen zum Eingangsportal hinauf, ließ sich mit dem Sonderlift in die oberste Etage fahren und klopfte laut an die Tür zu Harris' Vorzimmer.
»Herein!« rief eine energische weibliche Stimme.
Kay öffnete die Tür und setzte sein gewinnendstes Lächeln auf. »Guten Morgen, Isobel. Wie geht es Ihnen?«
Isobel Cummings musterte ihn kühl. »Guten Morgen, Sir. Der Chef erwartet Sie bereits«, ließ sie ihn mit distanzierter Stimme wissen. Die etwa fünfzigjährige Sekretärin konnte den Abwehrchef nicht so recht leiden, vor allem wegen seiner Vorliebe für schwarze Zigarren und wegen der Unverschämtheit, diese Dinger immer dann anzuzünden, wenn er ihr Büro betrat. Außerdem hegte sie den unbestimmten Verdacht, daß Kay ihre Abneigung gegen seine Brasilzigarren kannte und diesen qualmenden Gestank nur deshalb produzierte, um sie zu ärgern.
»Danke, Isobel. Ich fürchte, ich habe mich einige Minuten verspätet«, meinte Kay entschuldigend und versuchte, auf die Armbanduhr zu blicken, während er die Zigarre in Brand setzte. Nachdem er einige dicke Wolken fabriziert hatte, öffnete er Harris' Bürotür.
Sein Freund nickte ihm grüßend zu und zeigte auf den Ledersessel vor seinem Schreibtisch. »Setz dich, Adrian! Isobel ist bestimmt wieder auf hundertachtzig. Sie liegt mir dauernd in den Ohren, wie schädlich Rauchen doch sei und daß die Gardinen vom Nikotin so schrecklich gelb werden.«
Kay ließ sich in den Ledersessel sinken und warf Harris das Zigarrenetui zu. »Bedien dich!« grinste er. »Oder hat sie dich soweit?«
Statt einer Antwort tippte Harris mit dem Zeigefinger an die rechte Schläfe und widmete sich dann einer der teuren Brasilzigarren. Genüßlich brachte er das gute Stück zum Glimmen. Dann ging er zur Bar und kehrte mit zwei Cognacschwenkern und einer Flasche zurück. »Cheers, Dan«, wünschte Kay, nachdem er eingeschenkt hatte, und nahm einen Schluck. Er blickte Harris interessiert an. »Ich habe gehört, es gab ziemliche Schwierigkeiten?«
»Die gibt es immer!« behauptete Harris. »Welche genau meinst du jetzt?«
»Einen Toten!« erwiderte Kay. »Montgomery.«
»Woher weißt du das schon wieder?«
»Das erzähl ich dir gleich. Du wirst dich mächtig wundern. Aber rede, was ist passiert?«
»Hm«, brummte Harris und paffte an der Brasil, »so wie es aussieht, war es ein Unfall. Kurz bevor Montgomery die Fähre nach Dublin besteigen wollte, ist ihm eine Palette mit Zeitungen auf den Kopf gefallen. Er war nicht das einzige Opfer, weil er mit einer Gruppe anderer Reisender zusammen auf dem Weg aufs Schiff war.«
»Alles andere als ein Unfall ist ausgeschlossen?« fragte Kay interessiert.
Harris musterte ihn nachdenklich. »Nein, natürlich nicht. Wie will man das auch ausschließen?«
»Wo wollte Montgomery denn hin? Weißt du das?«
Harris nickte. »Sein Mitarbeiter hat durchgegeben, daß er nach Irland wollte, weil er Efrem Blunstone aufgetrieben hatte.«
Kay zuckte leicht zusammen. »Blunstone? Das wäre …! Den möchte ich auch gerne in die Finger kriegen! Was, zum Teufel, macht der denn in Irland?«
»Du wirst es kaum glauben, mein Lieber, aber laut Montgomery leitet er da irgendein Forschungsinstitut.«
»Soll das ein schlechter Witz sein?«
»Warum sollte Montgomery Unsinn verbreiten? Das hat er noch nie getan.«
Kay brummte abwesend. Efrem Blunstone lag ihm immer noch schwer im Magen. Unter den Augen der Abwehrbeamten hatte er vor mehr als sieben Jahren dubiose Geschäfte mit dem Verteidigungsministerium abgewickelt. Dabei ging es offenbar um die Entwicklung neuartiger biologischer Kampfstoffe, die Blunstone im Auftrag einiger australischer Militärs in seinem Institut vorantreiben wollte. Da die Regierung vollmundig auf internationaler Ebene die Entwicklung und den Einsatz von B-Waffen verurteilt und eine Verzichtserklärung abgegeben hatte, wäre die Affäre beinahe zu einer apokalyptischen Peinlichkeit geraten. Zum Glück arbeitete Kays Spionageabwehr ganz brauchbar, deshalb waren die korrupten Stellen im Ministerium und im Militärapparat früh genug gefunden worden. Blunstone allerdings war ihnen durch die Lappen gegangen.
Harris unterbrach Kays Erinnerungen. »Was ist, woran denkst du?«
»Ich hatte mir gerade überlegt, wie jemand wie Blunstone an die Leitung eines Forschungsinstituts gelangen kann.«
Harris musterte ihn aufmerksam. »Ich verstehe ja, daß du ihn nicht leiden kannst, mein Freund, aber du solltest nicht vergessen, daß er als Wissenschaftler und auch als Manager ein durchaus fähiger Mann zu sein scheint. Außerdem: Wir haben seine Machenschaften hier aus naheliegenden Gründen nicht an die große Glocke gehängt. Welchen Anlaß also sollte eine Firma haben, ihn nicht zu engagieren?«
Kay nippte am Cognac. »Ich halte es immer noch für einen Fehler, daß wir die ganze Affäre auf dem Geheimdienstniveau erledigt haben. Das hat nur Nachteile gebracht. Man wird erpreßbar, weil es offenbar etwas zu vertuschen gab. Und außerdem kann man keine offizielle Verfolgung der Verantwortlichen in Gang setzen. Sehr unbefriedigend.«
»Mag sein, daß wir damals einen Fehler gemacht haben, aber das läßt sich nun auch nicht mehr ändern. Was mich allerdings am meisten ärgert, ist, daß Montgomery ihn offensichtlich gefunden zu haben glaubte; und jetzt ist die Verbindung abgerissen.«
Kay setzte den Cognacschwenker ab und sah Harris gespannt an. »Weiß denn Montgomerys Mitarbeiter wenigstens ungefähr, wo Blunstone zu finden sein soll?«
Sein Freund wiegte den Kopf. »Du kanntest ja Stephen Montgomery. Der ließ doch die Informationen erst dann raus, wenn er sich völlig sicher war. Aber angeblich hatte er vor, sich bei einem Forschungsinstitut in Irland umzusehen.« Er griff in eine Schublade seines Schreibtisches, holte einen Schnellhefter hervor und blätterte kurz darin. »Hier! Der Laden trägt den Namen Interclone Laboratories und liegt in der Nähe von Limerick.« Harris klappte den Ordner wieder zu. »Also, entweder ist Blunstone dort zu finden, oder Montgomery hat eine Kontaktperson aufgetan, die etwas über Blunstones derzeitigen Aufenthaltsort weiß. Das Problem ist, daß wir praktisch neu anfangen müssen, die Spur aufzunehmen. Und im Moment fällt mir nicht so recht ein, wer das übernehmen sollte.«
»Lundquist.« Kay grinste vergnügt, als er Harris' Gesichtsausdruck sah.
»Bitte, wer?«
»Lundquist. Stan Lundquist.« Kay amüsierte sich königlich.
»Sag mal, willst du mich foppen? Der hockt doch auf irgendeiner griechischen Insel und schmollt, weil ihn das Schicksal im letzten Jahr so gebeutelt hat. Also, was soll das?«
Kay nickte. »Im Prinzip hast du recht, Dan, aber eben nur im Prinzip. Lundquist hat mich vorgestern nacht angerufen.«
»Ach, tatsächlich? Was hat ihn denn dazu gebracht?«
»Du wirst es kaum glauben, aber er wußte von Montgomerys Unfall; wenn ich mich nicht irre, hat er davon aus der englischen Presse erfahren. Er hat sich nach London in Bewegung gesetzt und wird heute nachmittag wieder Kontakt aufnehmen.«
Harris schüttelte den Kopf. »Warum kümmert er sich denn überhaupt darum?«
»Weil er und Montgomery zusammen die High School besucht haben – deshalb. Und anscheinend glaubt Lundquist, bei dem Unfall sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen.«
»Hat er dafür irgendwelche Anhaltspunkte?«
Kay schüttelte den Kopf. »Nein. Einfach ein Gefühl. Aber immerhin, er könnte sich um Interclone kümmern. Wir brauchten ihn nur dort einzuschleusen.«
»›Nur‹ ist gut. Wie stellst du dir das vor?«
»Na hör mal, das liegt ja wohl auf der Hand. Der Junge bewirbt sich einfach um eine Stelle als Wissenschaftler. Die Kompetenz besitzt er ja. Wir müssen ihn lediglich mit einigen zusätzlichen Referenzen versorgen.«
Langsam schien Harris Gefallen an der Idee zu finden, denn sein Gesichtsausdruck hellte sich merklich auf. »Ja, warum eigentlich nicht? Keine schlechte Idee. Und das Ganze hätte den Vorteil, daß ihn keiner kennen kann.«
»Eben, das dachte ich mir auch. Was soll ich ihm also sagen, wenn er anruft?«
Harris dachte kurz nach. Dann erwiderte er: »Sag ihm, er soll sich bei Interclone bewerben. Die nötigen Unterlagen sind morgen abend per Kurier in London. Er soll sie in der Botschaft abholen.« Harris hob den Cognacschwenker. »Prost, Adrian! Auf Lundquist!«
Kay nickte ihm zu. »Auf Lundquist!« Er nahm einen Schluck. Das konnte ja noch heiter werden!