Kapitel 12

Als es ihr mit ihrem Schnellfeuer ans andere Ende der Galerie so gar nicht gelungen war, wenigstens für einen Augenblick das Getöse der Maschinengewehre und das Schreien und Knurren zum Schweigen zu bringen, das ein wesentlicher Bestandteil von Wachtmeister Eisens Keilerei mit dem Dobermann war, mußte Miss Hazelstone sich notgedrungen eingestehen, daß ihre Pläne nicht ganz wie gedacht verliefen. Während wiederholt Salven durch ihre Louis-XV.-Barrikaden fetzten und mit ungewohntem Nachdruck mehrere pseudojakobäische Möbelstücke und ein unersetzliches, einstmals mit Elfenbeinintarsien geschmücktes Schreibpult aus dem achtzehnten Jahrhundert durchlöcherten, nahm der Kampflärm auf dem Treppenabsatz zu. Über ihr schoß unter dem Anprall der Maschinengewehrkugeln eine Fontäne aus Dachziegeln in die Luft und prasselte wie riesige Hagelkörner wieder auf das Dach zurück. Miss Hazelstone gab den Versuch auf, durch den Gipsnebel irgend etwas zu erkennen, und ging ins Schlafzimmer zurück. Es war sofort zu sehen, daß auch hier irgendwas schiefgelaufen war. Im Zimmer war es stockfinster, und irgendein großer Gegenstand vor dem Fenster versperrte vollständig die Aussicht auf den Park, die sie vorher so genossen hatte. Sie knipste das Licht an und starrte auf die Unterseite des Bettes, auf dem sie nur wenige Minuten zuvor gesessen und Kommandant van Heerden ermutigt hatte, ein Mann zu sein. Und während sie noch so das enorme Bett betrachtete, wurde ihr zum ersten Male klar, was für ein wahnsinnig starker Mann der Kommandant war. Zehn Leute waren nötig gewesen, das Bett die Treppe hinauf und durch die Galerie zu bugsieren, und nun hatte ein Mann ganz allein es hochgehoben und zum Fenster getragen, wo er offenbar auf dem Fensterbrett stand und es vor sich hielt, eine Kraftleistung, die sie nie für möglich gehalten hätte. Während sie guckte und staunte, hörte man gedämpftes Geschrei durch die Matratze.

»Laßt mich runter«, brüllte der Kommandant, »laßt mich runter, laßt mich runter. Das verdammte Weib ist noch mein Grab.« Miss Hazelstone lächelte still in sich hinein. »Ganz wie Sie sagen«, murmelte sie und zielte mit der Schrotflinte auf die Sprungfedern. Beim Abdrücken sagte sie sich, wie passend es doch sei, daß der Kommandant in einem Gumminachthemd und auf eine Matratze der Marke »Ruhe sanft« gebunden vor seinen Schöpfer trete, und als die Sprungfedern jaulten und die Bettfedern flogen, wandte Miss Hazelstone sich ab und trat mit einem Schluchzer auf die Galerie.

Es war aller Wahrscheinlichkeit nach dieser Schluchzer, der zum Tode ihres geliebten Toby führte. Der Dobermann, der sich bis dahin ganz sicher in dem Griff gefühlt hatte, mit dem er Wachtmeister Els’ Gesicht gepackt hielt, ließ für eine fatale Sekunde nach. Er hob den Kopf und spitzte ein letztes pflichtbewußtes Mal die Ohren, und in der Sekunde nutzte Els, der halb erstickt war, weil ihm der Hund andauernd die Nase zugebissen hatte, die Gelegenheit und schloß seine Kiefer um die Kehle des Hundes. Mit einer Hand drückte er den Hund an sich und mit der anderen packte er ihn bei den Hoden und quetschte zu. »Quetschte« war kaum das richtige Wort für die enorme Kraft, die er gebrauchte.

Der Hund war dank Elsens Druck auf seine Luftröhre außerstande, gegen diese Verletzung der Queensberry-Regeln zu protestieren, warf sich zur Seite und strampelte wie wild mit allen vieren, um sich zu befreien. Den klettenartigen Els mit sich schleifend, unternahm der Hund einen fliegenden Start, stürzte auf die oberste Treppenstufe los, und einen Moment später segelten die beiden tollwütigen Viecher mehrere Fuß hoch über der großen Treppe. Als sie in die Halle runterdonnerten, blickten die Porträts von Sir Theophilus und Richter Hazelstone grimmig auf das unedle Schauspiel. Nur das Wildschwein, selber an ein unnachgiebiges Eisengerüst gefesselt, kann ermessen haben, was sein modernes Gegenstück zu leiden hatte. Drei Minuten später wußte Wachtmeister Els, auf dem Marmorboden der Diele liegend, daß er gesiegt hatte. Der Dobermann lag totenstill da, und Els lockerte seinen Griff um die Kehle des Hundes und kam schwankend auf die Füße. Die Köpfe der ausgestopften Warzenschweine und Büffel um ihn herum waren sein einziges Publikum in diesem triumphalen Augenblick. Den Hund am Schwanz hinter sich herziehend, ging Wachtmeister Els in den Park hinaus, um nach dem Geier zu suchen. Der hatte ihn derart freßgierig angesehen, und er dachte, dem Vogel könne vielleicht eine Kostveränderung zusagen. Er hatte einige Schwierigkeiten, ihn zu finden, aber als er ihn gefunden hatte, sah selbst Wachtmeister Els, daß der Geier nicht Hungers gestorben war.

Die Schüsse, die indirekt zum Tode Tobys geführt hatten, waren sehr nahe darangewesen, auch den Tod von Kommandant van Heerden zu verursachen. Nahe daran, aber um etliches zu hoch, denn der Kommandant hatte das Glück, an seinen Handgelenken von dem Teil des Bettes herunterzuhängen, das jetzt das Fußende war. Er hatte sich durch die Haube durchgebissen und äugte auf Sergeant de Haen herunter, der aussah, als habe er gerade einen grauenhaften Unfall in einer Hühnerschlachterei hinter sich. Das schien ihm keine glaubwürdige Erklärung für den Zustand des Sergeanten zu sein, aber nach seinen jüngsten Erfahrungen mit Perversitäten hätte es den Kommandanten nicht im geringsten überrascht, wenn er gehört hätte, daß der Sergeant soeben irgendeine mit seinem Namen zusammenhängende schweinische Zwangsvorstellung spazierengeführt habe.

Er dachte gerade über diese Sache nach, als seine Überlegungen im Geballere eines Gewehrs genau über seinem Kopf untergingen und ihm plötzlich eine Federwolke die Aussicht auf den Garten versperrte. »Haenchen«, rief er, als der Sergeant um die Hausecke verschwand, und er schrie noch immer Zeter und Mordio, als der Sergeant ein paar Minuten später mit einigen Polizisten wieder auf der Bildfläche erschien. Es hatte den Anschein, daß seine Stimme, die durch das Loch tönte, das er hatte in die Gummihaube beißen können, weniger Autorität als normal verbreitete. Die kleine Gruppe von Polizisten, die sich unter ihm versammelt hatten, schien von seinen Befehlen jedenfalls mehr amüsiert zu sein als geneigt, ihnen zu gehorchen.

»Laßt mich runter«, kreischte der Kommandant. »Laßt mich runter.« Vor dem Hintergrund dieser ignorierten Anweisung erläuterte Sergeant de Haen den jungen Polizeibeamten die schlüpfrigen Tatsachen des Lebens.

»Was Sie hier vor sich sehen«, sagte er mit unheilschwangerer Stimme, »ist ein Transvestit.«

»Was bedeutet das denn, Sergeant?« fragte ein Wachtmeister. »Das ist ein Mann, der gerne Frauenkleider anzieht. Dieser Transvestit hier ist dazu noch ein Perverser.«

»Laß mich runter, du Dreckskerl«, schrie der Kommandant. »Er ist ein Perverser«, fuhr der Sergeant fort, »weil er homosexuell ist, und er ist doppelt pervers, weil er auch noch ein Gummifetischist ist.«

»Ich degradiere Sie, wenn Sie mich nicht runterlassen.«

»Was ist denn ein Gummifetischist, Sergeant?«

»Das ist jemand, der sich Gummiklamotten anzieht, aus anderer Leute Schlafzimmerfenster raushängt und darunter stehende Leute anmacht«, sagte der Sergeant und zupfte sich Federn und Kaidaunen von seiner Uniform. »Das ist auch so ein Produkt freizügiger Gesellschaften, und wie Sie alle wissen, ist Südafrika keine freizügige Gesellschaft. Was diese Sau da tut, ist gegen unser Gesetz, und deshalb schlage ich vor, wir schießen ihm ein, zwei Kugeln in den Arsch und verschaffen ihm den Schauer, der alle Schauer beendet.«

Der Vorschlag wurde mit zustimmendem Kopfnicken von den Polizisten und noch lauterem Geschrei von der baumelnden Gestalt mit der Gummihaube begrüßt. Nur ein ganz naiver Beamter widersprach.

»Aber wäre das nicht Mord, Sergeant?« fragte er. Sergeant de Haen sah ihn streng an. »Wollen Sie mir etwa erzählen«, sagte er, »daß Sie der Meinung sind, es sollte solchen Kerlen erlaubt sein, in Weibernachthemden in der Gegend rumzurennen?«

»Nein, Sergeant. Das ist gegen das Gesetz.«

»Genau das sagte ich ja eben. Also täten wir bloß unsere Pflicht, wenn wir ihm eins auf den Pelz brennen.«

»Könnten wir ihn nicht einfach verhaften?« fragte der Wachtmeister.

»Ich bin Ihr Kommandeur, und ich befehle Ihnen, mich runterzulassen.«

»Jetzt macht er sich noch eines Verbrechens schuldig, Sergeant«, sagte ein anderer Polizist. »Er gibt sich als Polizeibeamter aus.«

»Verehrte junge Kollegen, Sie kennen das Vorgehen, oder Sie sollten’s verdammt noch mal kennen«, fuhr der Sergeant fort. »Falls Sie einen Verbrecher in flagranti erwischen, was tun Sie da?«

»Ihn verhaften«, erwiderten die Polizisten im Chor. »Und wenn Sie ihn nicht verhaften können? Wenn er zu entkommen versucht?«

»Da gibt man einen Schreckschuß auf ihn ab.«

»Und was ist, wenn er weiter zu entkommen versucht?«

»Da erschießt man ihn, Sergeant.«

»Richtig«, sagte der Sergeant. »Wollen Sie mir jetzt etwa weismachen, daß der Scheißkerl da kein in flagranti erwischter Verbrecher ist und daß er nicht zu entkommen versucht?« Die Polizisten mußten zugeben, daß der Sergeant recht hatte, und genau an diesem Punkt waren sie in ihren Überlegungen angelangt, als Wachtmeister Els mit dem toten Dobermann im Schlepptau triumphierend um die Ecke gehumpelt kam. »Kuckt mal, was ich habe«, sagte er stolz. Das Grüppchen um Sergeant de Haen war nicht beeindruckt. »Kuck mal, was wir haben«, sagten sie, und Wachtmeister Els mußte zugeben, daß neben dem, was da zappelnd aus dem Fenster hing, seine Trophäe ziemlich nichtssagend aussah. »Machen grad ’ne Tunte fertig«, sagte Sergeant de Haen. »Machen Sie mit, Els, das ist doch was nach Ihrem Geschmack?«

»Nicht mein Geschmack«, sagte Els, der zu der Gestalt hochsah. »Aber das da oben schmeckt ganz nach Kommandant van Heerden, das will ich Ihnen mal sagen. Ich würde das überall rausschmecken.«

Während das Exekutionskommando auf die Nachricht, daß das der Kommandant sei, was da oben hing, verwirrt auseinanderstob, überlegte diejenige, die weitgehend für seine mißliche Lage verantwortlich war, was als nächstes zu tun sei. Sie dachte, letztlich müsse sie es wohl in den Dickschädel des Kommandanten hineinbekommen haben, daß sie imstande war, Fünfpenny zu töten, aber da sie sich bewußt war, daß Kommandant van Heerdens Meinung nicht länger zählte, hoffte sie nur, daß sein Nachfolger genug Verstand besäße, sie auf der Stelle zu verhaften.

Sie ging nach unten, um nach einem Polizisten zu suchen, der sie in ihre Zelle im Piemburger Polizeirevier begleitete, aber das Haus schien völlig ausgestorben.

»Ich hab sie wohl weggegrault«, dachte sie und machte sich auf den Weg, um ihren Wagen zu holen. Auf halbem Weg zur Garage fiel ihr ein, daß Fünfpenny die Schlüssel bei sich hatte, und so kletterte sie statt dessen in einen der Polizei-Landrover und ließ den Motor an.

Als die Polizisten auf der anderen Seite von Jacaranda House dem Kommandanten die Leiter runterhalfen, achtete keiner auf den Landrover, der unsicher die Auffahrt hinaufstockerte. Am Tor winkte der Posten den Wagen vorbei, und er verschwand um die Ecke und die Straße hinunter nach Piemburg. Die meisten Ereignisse des Tages waren über den Kopf des Bischofs von Barotseland vollkommen hinweggegangen. Nackt und gefesselt lag er im Keller und versuchte, sich auf geistige Fragen zu konzentrieren, weil sie ihm weniger schmerzhaft als die Dinge des Fleisches vorkamen. Er war in seinen Bemühungen aber nicht besonders erfolgreich: Hunger und Schmerzen wetteiferten mit der Furcht um einen Platz in seinem Bewußtsein, und über allen dreien hing die fürchterliche Angst, wahnsinnig zu werden. Und es war weniger die Angst, er könne wahnsinnig werden, als vielmehr die, er sei es bereits. In vierundzwanzig Stunden hatte er die unumstößlichen Grundsätze seines Lebens in einer Weise geschändet gesehen, die, das mußte er sich eingestehen, alle Zeichen des Irrsinns an sich trug.

»Ich bin Bischof, und meine Schwester ist eine Mörderin«, sagte er sich zur Beruhigung. »Wenn meine Schwester keine Mörderin ist, besteht die Möglichkeit, daß ich kein Bischof bin.« Diese logische Folgerung erschien ihm nicht sehr hilfreich, und er gab sie auf, weil sie ihm sonst auch noch das bißchen geistige Gleichgewicht durcheinandergebracht hätte, das ihm geblieben war. »Irgend jemand ist verrückt«, schloß er und überlegte dann, ob die Stimmen, die er am Grunde des Swimmingpools vernommen hatte, nicht schließlich doch Anzeichen von Wahnsinn seien, an dem er vielleicht leide. Auf der anderen Seite führte ihn sein fester Glaube an das Eingreifen Gottes ins Weltgetriebe dazu, sich zu fragen, inwiefern er so entsetzlich gesündigt habe, um die Strafe zu verdienen, die ihn getroffen hatte. Er kam zu dem Schluß, er habe sich der Selbstüberhebung schuldig gemacht. »Hochmut kommt vor dem Fall«, sagte er, aber er konnte sich nicht vorstellen, welche Höhe an Hochmut die Tiefe, in die er gestürzt war, rechtfertigen könne. Sicherlich schrie das kleine bißchen Eigenlob, das er sich anläßlich seiner Berufung nach Barotseland gestattet hatte, kaum nach der schrecklichen Strafe, die er nun durchmachte. Da neigte er eher zu der Annahme, daß seine gegenwärtigen Leiden eine Vorbereitung auf Besseres in der Zukunft und eine Prüfung seiner Standfestigkeit im Glauben seien. Er tröstete sich bei dem Gedanken, daß es in der Welt sicherlich einige Leute gäbe, die in einer noch größeren Misere steckten, aber er konnte sich nicht vorstellen, wer sie wären oder was sie erduldeten.

»Ich werde meine Trübsal mit Freuden tragen, und meine Seele wird sich daran aufrichten«, sagte er selbstgefällig und überließ sich frommer Andacht.

Kommandant van Heerden war zu ganz anderen Schlußfolgerungen gelangt. Er hatte in den vergangenen vierundzwanzig Stunden genug Trübsal erduldet, daß es ihm für sein Leben reichte. Er wußte jetzt, daß es drei Dinge gab, die er nie wiedersehen wollte: Gumminachthemden, Sergeant de Haen und Jacaranda House. Alle drei hatten jeglichen Reiz, den sie einst in seinen Augen besessen hatten, eingebüßt, und im Falle der ersten beiden war der vorher schon Null gewesen. Was Jacaranda House betraf, so mußte er zugeben, daß er das Anwesen einst sehr gemocht hatte, aber ihm wurde jetzt klar, daß seine Gefühle nicht erwidert wurden. Das Haus behielt sich seine Gunst offenbar für Leute von untadeligem gesellschaftlichem Rang und britischer Abkunft vor. Für geringere Sterbliche hielt es nur Schrecken bereit. Hierbei setzte er in der Reihenfolge von oben nach unten erst sich ein, gefolgt von Els, dem Dobermann, Fünfpenny und dem Geier. Er selbst war aufgeknüpft, geängstigt und mit dem Tode bedroht worden.

Els war bei zwei getrennten Gelegenheiten äußerst brutal überfallen worden. Der Dobermann war totgebissen worden. Fünfpenny lag über den ganzen Garten verstreut, und der Geier über den ganzen Sergeant de Haen. Kurz, diese Demütigungen standen in zu enger Beziehung zur Rangstufe der Empfänger, als daß es irgendeinen Zweifel geben konnte, daß der snobistische Ruf, dessen sich die Hazelstones erfreuten, nicht seinen Grund in den Tatsachen hätte. Im großen und ganzen, dachte er, war Els ziemlich leicht davongekommen, wenn man sich seine Herkunft und seine gesellschaftliche Stellung vor Augen führte. Auf der anderen Seite hatte er Grund zu der Annahme, daß Els seinen Teil am Pech noch vor sich habe. Sicher, er hatte zweimal dazu beigetragen, das Leben des Kommandanten zu retten. Kommandant van Heerden mußte zugeben, daß Wachtmeister Eisens Dazwischenfunken auf dem Treppenabsatz ihm Zeit gegeben hatte, aus dem Fenster zu springen, und als er da erst mal hing, war es Els gewesen, der Sergeant de Haen davon abgehalten hatte, seine Dienstpflichten überzuerfüllen. Aber dann gab es da auch wieder diese kleine Sache mit dem Gemetzel am Haupttor. Sie enthielt zu viele Els’sche Merkmale, als daß sie ganz und gar ignoriert werden durften. Els würde ihm ein paar Erklärungen zu geben haben.

Als Kommandant van Heerden sich im Arbeitszimmer anzog, beobachtete er Els vorsichtig von der Seite. Der Wachtmeister tupfte sich ein Wundmittel auf die Nase und spielte mit dem Briefbeschwerer. Als der Kommandant die Hose anhatte, war er zu einigen endgültigen Schlüssen gekommen. Miss Hazelstone hatte ihren Kopf durchgesetzt, und der Kommandant war überzeugt, daß sie höchstwahrscheinlich Fünfpenny getötet hatte. Unglücklicherweise konnte sie, das war ihm klar, nicht auch noch die Polizisten am Haupttor niedergemetzelt haben. Jemand anderer war dafür verantwortlich, und obwohl alle Beweise auf Jonathan Hazelstone deuteten, hatte der Kommandant ihn, kurz bevor die Schießerei begann, auf dem Bett liegen und schlafen sehen. Daraus folgte, wenn Jonathan unschuldig wäre, dann wäre Els der Schuldige. Von dieser Schlußfolgerung zur Frage, wer die Verantwortung zu tragen habe, war es nur ein Schritt. Wer, so würde man fragen, hatte einem gewalttätigen Irren wie Els erlaubt, sich in den Besitz einer mehrläufigen Elefantenbüchse zu bringen, und wer hatte ihm die Erlaubnis gegeben, sie zu benutzen? Der Kommandant wog, was er Wachtmeister Els im einzelnen schuldig war, und die fürchterlichen Aussichten seiner Karriere gegeneinander ab und kam zu einer schnellen Entscheidung. »Els«, sagte er ruhig und nahm hinter dem Schreibtisch Platz, »bitte denken Sie gründlich nach, ehe Sie meine nächste Frage beantworten. Und zwar sehr gründlich.«

Wachtmeister Els blickte nervös auf. Den Ton in der Stimme des Kommandanten mochte er nicht.

»Wie spät war es, als Sie gestern nachmittag Ihren Posten am Haupttor verließen?« fuhr der Kommandant fort. »Ich habe meinen Posten nicht verlassen, Sir«, sagte Els. Den Kommandanten schauderte. Das war schlimmer als erwartet, Der Idiot war drauf und dran zu behaupten, er sei den ganzen Nachmittag dort geblieben.

»Ich glaube, Sie haben Ihren Posten verlassen, Els«, sagte er. »Tatsächlich weiß ich, daß Sie das getan haben. Und zwar um halb vier, um genau zu sein.«

»Nein, Sir«, sagte Els, »ich wurde abgelöst.«

»Abgelöst?«

»Ja, Sir, von einem langen, schwarzhaarigen Wachtmeister, der seinen Revolver auf dem Revier vergessen hatte.«

»Von einem langen, schwarzhaarigen Wachtmeister, der seinen Revolver auf dem Revier vergessen hatte?« wiederholte der Kommandant langsam und fragte sich, wo die Falle steckte.

»Das stimmt. Das hat er mir jedenfalls erzählt, Sir. Daß er seinen Revolver auf dem Revier vergessen hätte. Er bat mich, ihm meinen zu leihen.«

»Er bat Sie, ihm Ihren zu leihen?«

»Ja, Sir.«

Kommandant van Heerden grübelte über diese Behauptung nach, ehe er weiterfragte. Er mußte zugeben, daß sie sich sehr brauchbar anhörte.

»Würden Sie diesen langen, schwarzhaarigen Wachtmeister wiedererkennen, wenn Sie ihn sähen?« fragte er. »O ja, Sir«, sagte Els. »Er sitzt unten im Keller.«

»Sitzt unten im Keller. Soso.« Kommandant van Heerden blickte aus dem Fenster und überlegte. Draußen patrouillierte Sergeant de Haen auf einem Parkweg hin und her. Und wie er so auf den Sergeant blickte, dachte der Kommandant, schließlich und endlich könne er vielleicht doch noch eine Verwendung für ihn haben. Er ging ans Fenster und rief. »Sergeant de Haen«, befahl er, »reinkommen. Marsch, Marsch.«

Einen Augenblick später stand der Sergeant vor dem Schreibtisch des Richters und bereute, daß er den Kommandanten jemals für einen Transvestiten gehalten hatte. »Wie viele Male habe ich Ihnen gesagt, Sergeant«, sagte der Kommandant streng, »daß ich es nicht dulde, daß meine Männer in schlampigen Uniformen rumlaufen. Gerade auch von Ihnen wird ein Beispiel erwartet. Nun sehen Sie sich Ihre Uniform an, Mann. Das ist ja widerlich. Sie sind eine Schande für die südafrikanische Polizei.«

»Habe mich in Ausübung der Pflicht beschmutzt«, sagte der Sergeant. »Flatternder Geier starb auf mir.«

»Gleich und gleich, Sergeant de Haen, gesellt sich gern«, sagte der Kommandant.

»Sehr komisch, ganz bestimmt, Sir«, sagte der Sergeant unfreundlich.

»Hm«, sagte der Kommandant. »Schön, was mich betrifft, ich finde es unentschuldbar.«

»Ich hatte mir nicht ausgesucht, dort zu stehen.«

»Keine Ausflüchte. Ich hatte mir auch nicht ausgesucht, dort zu sein, wo ich gerade war, aber ich habe Ihrerseits keine Rücksicht auf meine Lage bemerkt, also brauchen Sie auch meinerseits keine zu erwarten. Ziehen Sie sofort diese dreckige Uniform aus. Wachtmeister Els, holen Sie den Gefangenen.« Während sich der Sergeant auszog, las ihm der Kommandant weiter die Leviten, und als er sich schließlich aus der Uniform gepellt hatte, hatte er eine Menge Dinge über sich erfahren, über die er lieber unaufgeklärt geblieben wäre. »Und was soll ich Ihrer Meinung nach auf der Fahrt in die Kaserne tragen?« fragte er.

Kommandant van Heerden schob ihm das Gumminachthemd rüber. »Versuchen Sie, ob Ihnen das paßt«, fauchte er. »Sie erwarten doch nicht etwa, daß ich in diesem Ding hier in die Stadt runterfahre?« fragte de Haen ungläubig. Der Kommandant nickte.

»Was gut ist für das Huhn ...«, sagte er süffisant. »Ich laß mich nicht zur Spottfigur der Kaserne machen«, beharrte der Sergeant.

»Niemand wird wissen, wer Sie sind. Denn Sie werden auch das tragen«, und der Kommandant reichte ihm die Haube. Sergeant de Haen zögerte entmutigt. »Ich weiß nicht ...«, sagte er.

»Aber ich weiß es, verdammt noch mal«, schrie der Kommandant. »Steigen Sie in diese Sachen. Das ist ein Befehl«, und während der Sergeant seine Wut runterschluckte, sich in die widerlichen Gewänder zwängte und sich fragte, wie er den Auftritt seiner Frau erklären solle, fuhr der Kommandant fort:

»Sie sind jetzt inkognito, Sergeant, und vorausgesetzt, Sie halten Ihre Klappe, dann bleiben Sie es auch.«

»Das werde ich weiß Gott bestimmt nicht«, sagte der Sergeant. »Ich bin aus diesen Scheiß Sachen so schnell wieder draußen wie möglich. Ich weiß nicht, wie Sie verdammt noch mal erwarten, daß ich Disziplin bewahre, wenn Sie mich so verflucht lächerlich machen.«

»Unsinn«, sagte der Kommandant. »Diese Haube ist eine perfekte Maske. Sie sollten das doch wissen. Und noch etwas: Sie halten den Mund über das, was Sie gesehen haben, und ich halte meinen über Sie. In Ordnung?«

»So wird’s wohl sein müssen.«

In den nächsten fünf Minuten erfuhr Sergeant de Haen, daß er nie so was wie einen Geier gesehen und Jacaranda Park nicht besucht habe. Er war, so schien es, zu einem Sonderurlaub verreist, um seine kranke Mutter zu besuchen. Daß seine Mutter schon vor zehn Jahren gestorben war, schien keiner Erwähnung wert. Wohl wissend, daß er für den Rest seines Lebens als Gummi-Haenchen bekannt sein würde, wenn er nicht machte, was man ihm sagte, hatte der Sergeant obendrein das Gefühl, daß er sich nicht in der Situation befand, in der er mit dem Kommandanten streiten dürfe.

Der Bischof von Barotseland war zu einem ganz ähnlichen Schluß gelangt. Die ganze Sache sei ein Versehen, und die Polizei werde bald ihren Irrtum entdecken, sagte er sich, als Wachtmeister Els ihn nach oben in das Arbeitszimmer brachte. Erfreut stellte er fest, daß sich der Kommandant in viel freundlicherer Verfassung befand als früher an diesem Tag. »Sie können ihm die Handschellen abnehmen, Els«, sagte der Kommandant. »Tja, also«, fuhr er fort, als das geschehen war, »wir wollen nur ein kleines Experiment machen. Es geht um diese Uniform.« Er hielt Sergeant de Haens blutbekleckerte Sachen in die Höhe. »Wir haben Grund zu der Annahme, daß der Mann, der für die gestrigen Morde verantwortlich ist, diese Uniform trug. Ich möchte nur, daß Sie sie eben mal anprobieren. Wenn sie Ihnen nicht paßt, und ich glaube nicht eine Sekunde lang, daß sie das tut, steht es Ihnen frei, das Zimmer zu verlassen.«

Zweifelnd besah sich der Bischof die Uniform. Sie war ohne Frage mehrere Nummern zu klein für ihn. »Da komm ich wohl nicht rein«, sagte er. »Na, ziehen Sie sie einfach mal an, und dann sehen wir weiter«, sagte der Kommandant aufmunternd, und der Bischof kletterte in die Uniform. In der Ecke stand eine grimmige Gestalt in Nachthemd und Haube und lächelte still in sich hinein. Sergeant de Haen dämmerte es langsam. Endlich war der Bischof soweit, seine Unschuld zu beweisen. Die Hose war an die dreißig Zentimeter zu kurz, der Hosenschlitz ließ sich nicht schließen, und die Ärmel der Uniformjacke bedeckten eben seine Ellbogen. Es war deutlich zu sehen, daß er die Uniform niemals getragen hatte. Er konnte sich in dem Ding kaum bewegen.

Frohgestimmt drehte er sich zu dem Kommandanten um. »Da haben Sie’s«, sagte er, »ich habe Ihnen ja gesagt, sie würde nicht passen.«

Kommandant van Heerden setzte ihm die Mütze des Sergeanten auf den Kopf, von wo sie jeden Augenblick wieder runterrutschen konnte. Dann trat er zurück und betrachtete ihn anerkennend.

»Nur noch eins«, sagte er. »Wir müssen eine kleine Gegenüberstellung machen.«

Fünf Minuten später stand der Bischof mit zwanzig Polizeibeamten in einer Reihe nebeneinander, und Wachtmeister Els spazierte langsam daran entlang. Um der Wahrscheinlichkeit willen richtete Els es so ein, daß er vor mehreren anderen Männern zögerte, ehe er endgültig vor dem Bischof stehenblieb. »Das ist der Mann, der mich abgelöst hat, Sir«, sagte er mit Nachdruck. »Den würde ich überall wiedererkennen. Ich vergesse nie ein Gesicht.«

»Sind Sie sich da auch ganz sicher?« fragte der Kommandant. »Absolut, Sir«, sagte Els.

»Genau, wie ich’s mir gedacht habe«, sagte der Kommandant. »Legen Sie dem Dreckskerl Handschellen an.« Bevor er wußte, was ihm geschah, wurde der Bischof wieder gefesselt und in den Fond eines Polizeiwagens verfrachtet. Neben ihm saß, maskiert und erhitzt, die grimmige Gestalt aus dem Arbeitszimmer.

»Das ist eine Lüge. Das ist ein Versehen«, schrie der Bischof, als sich der Wagen langsam in Bewegung setzte. »Man hat mich reingelegt.«

»Das kann man wohl sagen«, murmelte die Gestalt mit der Haube. Der Bischof sah ihn an. »Wer sind Sie?« fragte er. »Der Henker«, sagte der maskierte Mann und kicherte. Im Fond des Polizeiwagens schwanden dem Bischof die Sinne. Auf der Vordertreppe von Jacaranda House erteilte Kommandant van Heerden seine Befehle. Sie waren völlig eindeutig. Suchen Sie Miss Hazelstone, verhaften und bringen Sie sie ins Irrenhaus Fort Rapier. Machen Sie jede tödliche Waffe in Jacaranda House ausfindig und schaffen Sie sie zum Polizeiarsenal. Spüren Sie jedes Stückchen Gummi auf, auch Badematten und Regenmäntel, und bringen Sie sie ins Polizeirevier in Piemburg. Kurz, tragen Sie alle Beweisstücke zusammen, und dann nix wie weg! Nein, die Beulenpest– und Tollwutschilder könnten stehenbleiben. Sie seien sehr brauchbar und deuteten die Gefahren, die Jacaranda Park für Besucher bereithalte, gewissermaßen zurückhaltend an. Von nun an werde Kommandant van Heerden den Fall von einer sicheren Einsatzbasis aus leiten. Sein Hauptquartier befände sich direkt im Piemburger Gefängnis, aus dem Jonathan Hazelstone nicht rauskäme und, wichtiger noch, in das seine Schwester nicht reinkäme. Und schafft mir diese verdammte Injektionsspritze aus den Augen. Er hatte genug Spritzen gesehen, daß es ihm für sein ganzes Leben reichte.

Als die Leute verschwanden, um seine Befehle auszuführen, rief der Kommandant Wachtmeister Els zurück. »Sehr gut, Els«, sagte er mild, »nur ein einziger kleiner Fehler ist Ihnen unterlaufen.«

»Ein Fehler? Was denn für einer?«

Der Kommandant lächelte. »Es war kein Wachtmeister, der Sie am Haupttor abgelöst hat, es war ein Sergeant.«

»Ja, natürlich, so war’s. Jetzt besinne ich mich. Ein Sergeant.«