Kapitel 10

Als Luitenant Verkramp ins Piemburger Krankenhaus eingeliefert wurde, wurde Wachtmeister Els gerade entlassen. »Ich sage Ihnen doch, ich hab die Tollwut«, brüllte Els den Arzt an, der ihm eben gesagt hatte, körperlich sei alles mit ihm in Ordnung. »Ich bin von einem tollwütigen Hund gebissen worden und muß sterben.«

»Das Glück haben wir leider nicht«, sagte der Arzt. »Sie bleiben leben und beißen irgendwann später ins Gras«, und damit ließ er Els auf der Treppe stehen, der die Schlampigkeiten des Arztberufs verfluchte. Er versuchte gerade, zu einem Entschluß zu kommen, was er als nächstes machen solle, als ein Polizeiauto, das den Krankenwagen mit Luitenant Verkramp begleitet hatte, neben ihm anhielt.

»Hallo, Els, wo zum Teufel hast du denn gesteckt?« fragte der Sergeant neben dem Fahrer. »Der Alte hat schon Zeter und Mordio nach dir geschrien.«

»Ich war im Krankenhaus«, sagte Els. »Tollwutverdacht.«

»Steig lieber ein. Wir fahren am Revier vorbei und laden dein kleines Spielzeug ein.«

»Welches kleine Spielzeug denn?« fragte Els, der hoffte, es sei nicht die Elefantenbüchse.

»Den Elektroschock-Apparat. Wir haben oben in Jacaranda House einen Patienten für dich.«

Während sie den Hügel hinauffuhren, saß Els da und schwieg. Er freute sich überhaupt nicht darauf, dem Kommandanten zu begegnen und ihm erklären zu müssen, warum er seinen Posten verlassen hatte. Als sie an dem ausgebrannten Schützenpanzer vorbeikamen, konnte Els sich ein leises Kichern nicht verkneifen.

»Ich weiß gar nicht, was es da zu lachen gibt«, sagte der Sergeant ärgerlich. »Du hättest ja auch da drin sein können.«

»Ich nicht«, sagte Els. »Du wirst mich nie in einem von diesen Dingern finden. Die ziehn das Unglück ja an.«

»Sind normalerweise sicher genug.«

»Nicht, wenn man’s mit einem guten Mann mit der richtigen Waffe zu tun kriegt«, sagte Els.

»Du redest, als hättest du was damit zu tun, du weißt soviel darüber.«

»Wer? Ich? Hab nichts damit zu tun. Warum sollte ich denn einen Panzer knacken?«

»Weiß der Himmel«, sagte der Sergeant, »aber das ist genau die Sorte Scheiß, die du dir ausdenken könntest.« Wachtmeister Els verfluchte sich, daß er sein Maul aufgemacht hatte. Mit dem Kommandanten würde er vorsichtiger sein müssen. Er begann sich zu überlegen, wie wohl die Symptome der Beulenpest aussähen. Als letzte Ausflucht würde er sie vielleicht produzieren müssen. Kommandant van Heerdens Verhör von Miss Hazelstone war gleich von Anfang an nicht richtig gelaufen. Nichts, was er sagte, konnte sie davon überzeugen, daß sie Fünfpenny nicht umgebracht hatte.

»Na schön, nehmen wir mal einen Moment lang an, Sie haben ihn erschossen«, sagte er zum zigsten Mal, »was war denn dann Ihr Motiv?«

»Er war mein Geliebter.«

»Die meisten Leute lieben ihre Geliebten, Miss Hazelstone, und trotzdem sagen Sie, Sie hätten ihn erschossen.«

»Genau. Das hab ich getan.«

»Kaum eine normale Reaktion.«

»Ich bin kein normaler Mensch«, sagte Miss Hazelstone.

»Das sind auch Sie nicht. Oder der Wachtmeister vor der Tür.

Keiner von uns ist normal.«

»Ich hätte gedacht, ich wäre einigermaßen normal«, sagte der Kommandant selbstgefällig.

»Das ist genau die eselhafte Bemerkung, die ich von Ihnen erwartet hatte, und sie beweist nur zu gut, wie unnormal Sie sind. Die meisten Menschen lieben den Gedanken, einzigartig zu sein. Das tun Sie ganz offensichtlich nicht, und da Sie anzunehmen scheinen, die Normalität liege darin, zu sein wie andere Menschen auch, so sind Sie, da Sie Eigenschaften besitzen, die Sie von anderen Leuten unterscheiden, unnormal. Habe ich mich klar ausgedrückt?«

»Nein«, sagte der Kommandant, »das haben Sie nicht.«

»Dann will ich es anders formulieren«, sagte Miss Hazelstone. »Normalität ist eine Idee. Können Sie mir folgen?«

»Das versuche ich«, sagte der Kommandant verzweifelt. »Gut. Wie ich also sagte, ist Normalität eine Idee. Sie ist kein Daseinszustand. Sie verwechseln sie mit dem Wunsch, sich anzupassen. Sie haben ein starkes Verlangen, sich anzupassen. Ich nicht.«

Kommandant van Heerden versuchte mühsam, ihr zu folgen. Er begriff kein Wort von dem, was sie sagte, aber es hörte sich nicht sehr schmeichelhaft an.

»Wie steht’s mit dem Motiv?« fragte er, um wieder auf vertrauteres Gelände zurückzugelangen.

»Ja, wie steht’s denn damit?« konterte Miss Hazelstone. »Wenn Sie Fünfpenny töteten, müssen Sie ein Motiv gehabt haben.«

Miss Hazelstone dachte einen Augenblick nach. »Das ist nicht logisch«, sagte sie schließlich, »obgleich man wahrscheinlich argumentieren könnte, daß eine motivlose Tat unmöglich ist, weil sie zwangsläufig die Absicht voraussetzt, ohne Motiv zu handeln, was in sich schon wieder ein Motiv ist.«

Kommandant van Heerden blickte sich verzweifelt im Zimmer um. Die Frau redete ihn um den Verstand. »Sie hatten also keins?« fragte er, nachdem er langsam bis zwanzig gezählt hatte.

»Wenn Sie unbedingt darauf bestehen, daß ich eines hatte, dann werde ich ja wohl eins liefern müssen. Man könnte sagen, es war Eifersucht.«

Der Kommandant atmete auf. Das hörte sich schon viel besser an. Er bekam wieder wohlbekannten Boden unter die Füße. »Und auf wen waren Sie eifersüchtig?«

»Auf niemand.«

»Niemand?«

»Ich sagte es.«

Kommandant van Heerden blickte über den Rand eines Abgrunds. »Niemand«, schrie er beinahe. »Wie in drei Teufels Namen kann man denn auf niemand eifersüchtig sein?« Er hielt inne und sah sie argwöhnisch an. »Niemand ist doch nicht etwa der Name von einem andern Nigger, oder?«

»Natürlich nicht. Es bedeutet genau, was es besagt. Ich war auf niemand eifersüchtig.«

»Man kann nicht auf niemand eifersüchtig sein. Das geht nicht. Man muß auf jemanden eifersüchtig sein.«

»Ich nicht, verstehen Sie?« Miss Hazelstone sah ihn mitleidig an.

Unter sich fühlte der Kommandant den Abgrund gähnen. Es war der Abgrund aller Abgründe.

»Niemand. Niemand«, wiederholte er beinahe pathetisch und schüttelte den Kopf. »Das soll mir mal jemand klarmachen, wie man auf niemanden eifersüchtig sein kann.«

»Ach, das ist wirklich ganz einfach«, fuhr Miss Hazelstone fort, »ich war einfach eifersüchtig.«

»Einfach eifersüchtig«, wiederholte der Kommandant langsam.

»Stimmt. Ich wollte den lieben Fünfpenny nicht verlieren.« Über die unermeßliche Leere des Abstrakten hinwegschwankend, klammerte sich der Kommandant an Fünfpenny. Der Zulu-Koch hatte einstmals was Greifbares an sich gehabt, und der Kommandant brauchte etwas Greifbares, woran er sich festhalten konnte.

»Sie hatten Angst, ihn zu verlieren?« dachte er laut nach, und dann bemerkte er den schrecklichen Widerspruch, in den er hineintappte. »Aber Sie behaupten doch, Sie hätten ihn erschossen. Ist das nicht der beste Weg, den Kerl zu verlieren?« Er war fast außer sich.

»Es war der einzige Weg, den ich hatte, um sicherzugehen, daß ich ihn behielt«, erwiderte Miss Hazelstone. Kommandant van Heerden zog sich vor der gähnenden Leere zurück. Das Verhör entglitt seiner Kontrolle. Er fing wieder von vorne an.

»Wollen wir mal für den Augenblick vergessen, daß Sie Fünfpenny erschossen haben, damit Sie ihn nicht verlieren«, sagte er langsam und sehr geduldig. »Fangen wir mal auf der anderen Seite an. Was war denn der Grund für Sie, sich in ihn zu verlieben?« Das war zwar kein Thema, dem er besonders auf den Grund zu gehen wünschte, und er glaubte auch keine Sekunde lang, daß sie überhaupt in den Schweinehund verliebt gewesen war, aber das war besser, als immer nur auf Niemand rumzureiten. Außerdem hatte er das ziemlich sichere Gefühl, daß sie sich jetzt irgendwie verraten werde. Die Hazelstones konnten sich einfach nicht in Zulu-Köche verlieben. »Fünfpenny und ich teilten miteinander gewisse Interessen«, sagte Miss Hazelstone langsam. »Zum Beispiel hatten wir denselben Fetisch.«

»Ach, wirklich? Denselben Fetisch?« In seiner Phantasie beschwor sich der Kommandant die kleinen Negergötzen herauf, die er in Piemburg im Museum gesehen hatte. »Das knüpfte starke Bande«, sagte Miss Hazelstone. »Ja, das muß es getan haben, und ich nehme an, Sie opferten dem Fetisch Ziegen«, sagte der Kommandant sarkastisch. »Was Sie für sonderbare Sachen sagen.« Miss Hazelstone blickte verdutzt drein. »Natürlich taten wir das nicht. Es war nicht so ein Fetisch.«

»Ach nein? Was war's denn für einer? Holz oder Stein?«

»Gummi«, sagte Miss Hazelstone kurz und bündig. Kommandant van Heerden lehnte sich ärgerlich in seinem Sessel zurück. Von Miss Hazelstones Foppereien hatte er jetzt so ziemlich die Nase voll. Falls die alte Schachtel allen Ernstes annahm, er werde irgendein Ammenmärchen von einem Gummigötzen glauben, da mußte sie sich schon was Besseres einfallen lassen.

»Nun hören Sie mir mal gut zu, Miss Hazelstone«, sagte er sehr ernst, »ich weiß zu würdigen, was Sie zu tun versuchen, und ich muß bekennen, ich bewundere Sie dafür. Familientreue ist was Schönes, und zu versuchen, den Bruder zu retten, ist auch was Schönes, aber ich habe meine Pflicht zu tun, und nichts, was Sie sagen, wird mich daran hindern, sie zu erfüllen. Wenn Sie jetzt so nett sind und zur Sache kommen und zugeben, daß Sie nicht das geringste mit dem Mord an Ihrem Koch zu tun hatten und niemals auch nur andeutungsweise in ihn verliebt waren, dann lasse ich Sie laufen. Wenn nicht, bin ich gezwungen, ein paar drastische Maßnahmen gegen Sie zu ergreifen. Sie stellen sich dem Lauf der Gerechtigkeit in den Weg und lassen mir keine andere Wahl. Also bitte, seien Sie vernünftig und geben Sie zu, daß das ganze Gequatsche über Fetische Blödsinn ist.«

Miss Hazelstone blickte ihn eisig an.

»Sind Sie leicht erregbar?« fragte sie. »Sexuell, meine ich.«

»Das hat doch mit Ihnen absolut nichts zu tun.«

»Es hat eine Menge mit diesem Fall zu tun«, sagte Miss Hazelstone und zögerte. Kommandant van Heerden rutschte in seinem Sessel unbehaglich hin und her. Ihm war klar, daß Miss Hazelstones Zögern wahrscheinlich wieder irgendeine neue, empörende Enthüllung ankündigte.

»Ich muß zugeben, daß ich nicht leicht erregbar bin«, sagte sie schließlich. Der Kommandant hörte es mit Freuden. »Ich brauche Gummi zur Reizung meiner sexuellen Lust.« Der Kommandant hätte beinahe gesagt, in seinem Falle habe Gummi genau die entgegengesetzte Wirkung, aber er besann sich eines Besseren.

»Ich bin eine Gummifetischistin, verstehen Sie?« fuhr Miss Hazelstone fort.

Kommandant van Heerden versuchte, hinter die Bedeutung dieser Bemerkung zu kommen.

»Ach ja?« sagte er.

»Ich bin verrückt nach Gummi.«

»Ach so.«

»Ich kann nur mit jemandem schlafen, wenn ich Gummisachen anhabe.«

»Ach nein.«

»Es war Gummi, was Fünfpenny und mich zueinander zog.«

»Ach tatsächlich?«

»Fünfpenny hatte die gleiche Neigung.«

»Ach was.«

»Als ich ihn zum ersten Mal sah, vulkanisierte er in einer Garage Reifen.«

»Ach je.«

»Ich hatte meine Reifen zum Vulkanisieren gebracht, und Fünfpenny arbeitete dort. Sofort erkannte ich in ihm den Mann, nach dem ich mein ganzes Leben gesucht hatte.«

»Ach wirklich?«

»Ich möchte fast sagen, unser Liebesverhältnis wurde über einem Michelin X beschlossen.«

»Ach Gott.«

Miss Hazelstone verstummte. Die Unfähigkeit des Kommandanten, mehr als zwei Worte auf einmal zu sagen, wovon eins obendrein immer das gleiche war, ärgerte sie langsam.

»Haben Sie eigentlich irgendeine Vorstellung, wovon ich rede?« fragte sie.

»Nein«, sagte der Kommandant.

»Ich weiß nicht, was ich noch tun soll, um mich verständlich zu machen«, sagte Miss Hazelstone. »Ich habe versucht, Ihnen so einfach wie möglich zu erklären, was ich an Fünfpenny anziehend fand.«

Kommandant van Heerden machte den Mund zu, der ihm die ganze Zeit offengestanden hatte, und versuchte, seinen Grips auf was Faßbares einzustellen. Was Miss Hazelstone ihm gerade so einfach wie möglich erklärt hatte, das war, mußte er zugeben, nicht im geringsten unverständlich gewesen, aber wenn er kurz zuvor noch über die Leere unbegreiflicher Abstraktionen hinweggeschwankt war, so waren die simplen Tatsachen, die sie ihm nun mitgeteilt hatte, so weit entfernt von allem, worauf er seiner Erfahrung nach vorbereitet sein mußte, daß er allmählich zu dem Schluß kam, er zöge alles in allem den abstrakten Abgrund vor. Bemüht, seinen Sinn für das Wirkliche wiederzugewinnen, nahm er Zuflucht zu gesunder Gewöhnlichkeit.

»Wollen Sie mir damit sagen«, begann er, griff zur Badekappe und ließ sie ein paar Zentimeter vor Miss Hazelstones Gesicht an seinem Finger hin und her baumeln,

»daß diese Gummikappe in Ihnen das unbezähmbare Verlangen weckt, mit mir zu bumsen?«

Miss Hazelstone nickte.

»Und wenn ich sie tragen sollte, wären Sie nicht in der Lage, Ihre sexuellen Regungen zu bremsen?« fuhr er fort. »Nein«, sagte Miss Hazelstone völlig außer sich. »Nein, dazu wäre ich nicht imstande. Ich meine, doch, das wäre ich.« Zwischen einem tobenden Ausbruch der Lust und einer kolossalen Abneigung gegen den Kommandanten hin und her gerissen, wußte sie kaum, was ihr geschah. »Und ich nehme an, Sie wollen mir erzählen, Ihr Zulu-Koch hätte dieselbe Vorliebe für Gummi gehabt?« Miss Hazelstone nickte wieder.

»Und all die Gummiklamotten, die ich oben in dem Schlafzimmer gefunden habe, gehören wohl auch Ihnen?« Miss Hazelstone gab das zu. »Und Fünfpenny zog dann wohl immer einen Gummianzug an und Sie ein Gumminachthemd? Stimmt’s?«

Kommandant van Heerden sah an Miss Hazelstones Gesicht, daß er zu guter Letzt doch wieder die Initiative an sich gerissen hatte. Sie saß schweigend da und starrte ihn wie hypnotisiert an. »War’s so normalerweise?« bohrte er unbarmherzig nach. Miss Hazelstone schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte sie, »es war umgedreht.«

»Ach wirklich? Was war umgedreht?«

»Na, die Sachen.«

»Die Sachen waren umgedreht?«

»Ja.«

»Von innen nach außen? Oder von vorn nach hinten?«

»So könnte man sie auch anziehen.«

Nach Kommandant van Heerdens Erfahrungen mit Gummikleidern während der letzten Nacht fand er sie weder so noch so in irgendeiner Weise anziehend. »Also wie?« fragte er.

»Ich trug die Herrenanzüge, und Fünfpenny trug die Kleider«, sagte Miss Hazelstone. »Wie Sie vielleicht bemerkt haben werden, habe ich einige ausgesprochen maskuline Eigenschaften, und Fünfpenny, der Ärmste, war Transvestit.« Der Kommandant, der sie mit wachsendem Abscheu anstarrte, verstand, was sie meinte. Maskuline Eigenschaften, das stimmte! Die Vorliebe für übertriebene, widerliche Geschichten zum Beispiel. Und wenn er für einen Augenblick wirklich glaubte, daß ein fetter Zulu-Koch sich in die Fummel seiner Herrin geschmissen hatte, dann war er ein sehr glücklicher Zulu, wenn er den Weg gegangen war, den er nun mal gegangen war. Der Kommandant wußte, was er mit jedem seiner Hausburschen machen würde, den er beim Herumhopsen in Damenkleidern ertappte, seien sie aus Gummi oder nicht, und er würde es nicht bloß dabei bewenden lassen, ihm die Höschen strammzuziehen. Er schob diese fürchterlichen Aussichten beiseite und versuchte, über den Fall nachzudenken. Er hatte es ja gewußt, daß an dem Schlafzimmer mit den Gummilaken etwas nicht koscher war, und nun hatte ihm Miss Hazelstone ihren Zweck erläutert.

»Es hat keinen Sinn, daß Sie weiter versuchen, Ihren Bruder zu decken«, sagte er. »Wir haben schon genug Beweise, um ihn an den Galgen zu bringen. Was Sie mir über die Gummisachen gesagt haben, bestätigt nur, was wir bereits wissen. Als Ihr Bruder letzte Nacht verhaftet wurde, trug er diese Kappe hier.« Er hielt sie ihr wieder vor die Nase.

»Natürlich hatte er sie auf«, sagte Miss Hazelstone. »Das muß er, wenn er schwimmen geht. Er hat Kummer mit seinen Ohren.«

Kommandant van Heerden lächelte. »Manchmal, wenn ich Ihnen zuhöre, Miss Hazelstone, bilde ich mir ein, mit meinen Ohren ist auch was nicht in Ordnung, aber ich renne nicht die ganze Zeit mit einer Badekappe auf dem Kopf herum.«

»Das tut Jonathan auch nicht.«

»Nein? Na, dann erklären Sie mir vielleicht mal, wie es kam, daß er sie immer noch aufhatte, als er heute morgen zu mir reingeführt wurde. Ihr Bruder liebt es offensichtlich, Gummisachen zu tragen.«

»Vielleicht hat er vergessen, sie abzunehmen«, sagte Miss Hazelstone. »Er ist sehr zerstreut, verstehen Sie? Er vergißt immer, wo er Sachen liegenläßt.«

»Das habe ich schon bemerkt«, sagte der Kommandant. Er schwieg und lehnte sich weit in seinem Sessel zurück. »Der Fall scheint mir ungefähr so zu liegen. Ihr Bruder kommt aus Rhodesien nach Hause, wahrscheinlich weil ihm der Boden dort zu heiß wurde.«

»Quatsch«, unterbrach ihn Miss Hazelstone. »In Barotseland wird es sehr heiß, das weiß ich, aber Jonathan ist Wärme gewöhnt.«

»Das kann man wohl behaupten«, sagte der Kommandant. »Na, aus welchem Grund auch immer, er kommt heim. Er bringt alle Gummisachen mit, die er so gern hat, und macht sich daran, Ihren Zulu-Koch zu verführen.«

»Was für ein unglaublicher Blödsinn«, sagte Miss Hazelstone. »Jonathan fiele so was nicht mal im Traume ein. Sie vergessen, daß er Bischof ist.«

Der Kommandant vergaß nichts von alledem, zumal er es nie gewußt hatte.

»Das hat er Ihnen vielleicht erzählt«, sagte er. »Nach unseren Informationen ist er ein notorischer Verbrecher. Wir haben sein Strafregister unten im Polizeirevier. Luitenant Verkramp weiß alle Einzelheiten.«

»Das ist doch Schwachsinn. Jonathan ist der Bischof von Barotseland.«

»Das ist vielleicht sein Deckname«, sagte der Kommandant. »Schön. Wir sind jetzt an dem Punkt, wo er Fünfpenny zu vögeln versucht. Der Koch weigert sich, rennt hinaus auf den Rasen, und Ihr Bruder schießt ihn nieder.«

»Sie sind ja verrückt«, schrie Miss Hazelstone und erhob sich. »Sie sind ja völlig verrückt. Mein Bruder war im Schwimmbad, als ich Fünfpenny erschoß. Er kam angelaufen, als er den Schuß hörte, und versuchte, ihm die Letzte Ölung zu geben.«

»Letzte Ölung, tja, so kann man’s auch ausdrücken«, sagte der Kommandant. »Und dabei beschmierte er sich wohl auch mit Blut?«

»Genau.«

»Und Sie erwarten allen Ernstes, daß ich glaube, daß eine nette, alte Dame wie Sie ihren Koch erschossen hat und daß Ihr Bruder, den ich total betrunken, nackt und von oben bis unten mit Blut beschmiert auf einem Bett finde, Bischof ist und nichts mit dem Mord zu tun hat? Wirklich, Miss Hazelstone, Sie müssen mich für einen Idioten halten.«

»Stimmt«, sagte Miss Hazelstone schlicht. »Und noch etwas«, fuhr der Kommandant eilig fort, »irgendein Wahnsinniger hat gestern nachmittag am Parktor einundzwanzig von meinen Männern niedergeschossen. Sie wollen mir doch jetzt wohl nicht weismachen, daß Sie sie auch umgebracht haben, oder?«

»Wenn der Wunsch der Vater des Gedankens wäre, ja«, sagte Miss Hazelstone.

Kommandant van Heerden lächelte. »Das ist er nicht, tut mir leid. Ich wünschte, ich könnte diesen ganzen Fall irgendwie vertuschen, und wenn’s bloß um den Tod Ihres Kochs ginge, möchte ich sagen, wär das auch möglich, aber nun kann ich leider nichts mehr machen. Die Gerechtigkeit muß ihren Gang gehen.«

Er drehte den Sessel herum und wandte das Gesicht den Bücherregalen zu. Er fühlte sich recht zufrieden mit sich. Alles hatte sich jetzt in seinem Kopf geordnet, und er hatte nicht den geringsten Zweifel, daß er den Staatsanwalt werde überzeugen können. Kommandant van Heerdens Karriere war gerettet. Miss Hazelstone hinter ihm handelte rasch. Sie ergriff sowohl die Gelegenheit, die ihr der Hinterkopf des Kommandanten bot, als auch den messingenen Briefbeschwerer und brachte beide mit aller Kraft, die sie aufbieten konnte, zusammen. Der Kommandant plumpste zu Boden.

Miss Hazelstone lief schnell zur Tür hinüber. »Der Kommandant hat einen Schlag erlitten«, sagte sie zu den beiden dort auf Posten stehenden Wachtmeistern. »Helfen Sie mir, ihn in sein Schlafzimmer raufzutragen«, und sie ging voran, die Treppe hinauf. Als die beiden Wachtmeister Kommandant van Heerden auf das Bett im blauen Schlafzimmer gelegt hatten, schickte sie sie runter, damit sie im Krankenhaus nach einem Krankenwagen riefen, und die beiden Männer, gewohnt, ohne zu fragen Befehlen zu gehorchen, fegten die Galerie hinunter und erstatteten Sergeant de Haen Bericht. Kaum waren sie weg, trat Miss Hazelstone vor die Schlafzimmertür und pfiff. Ein Dobermannpinscher, der im Salon auf dem Teppich gelegen und geschlafen hatte, hörte den Pfiff und verließ sein Allerheiligstes. Leise stieg er die Treppe nach oben und schlich den Gang hinunter zu seinem Frauchen.

Als Sergeant de Haen im Piemburger Krankenhaus angerufen und alles in die Wege geleitet hatte, daß ein Krankenwagen zum Haus raufgeschickt würde, ein Anruf, bei dem übrigens die Telefonistin die Auskunft verlangte, ob Kommandant van Heerden ein Weißer sei und keinen nichtweißen Krankenwagen brauche, war nicht zu übersehen, daß van Heerdens Lage eine Wendung zum Schlechteren genommen hatte.

Der Sergeant fand Miss Hazelstone am Ende der Galerie auf ihn wartend. Reserviert und von jenem Hauch Melancholie umgeben stand sie da, wie es der Kommandant tags zuvor so bewundert hatte, und in der Hand hielt sie etwas, das ganz entschieden melancholisch und nicht im geringsten reserviert aussah. Es war nicht von der Größe der Elefantenbüchse, und ganz zweifellos konnte es nicht auf tausend Meter einen angreifenden Elefanten außer Gefecht setzen, doch auf seine eigene kleine Weise war es für den Zweck geeignet, den Miss Hazelstone ganz deutlich im Sinn hatte. »So ist’s recht«, sagte sie, als der Sergeant auf dem Treppenabsatz stehenblieb. »Bleiben Sie ganz ruhig stehen, und Ihnen wird kein Haar gekrümmt. Das hier ist eine Schrotflinte, und wenn Sie herausfinden möchten, wie viele Patronen in ihrem Magazin sind, dann schlage ich vor, Sie versuchen, mich im Sturm zu überrumpeln. Sie werden ’ne Menge Leute brauchen.« Der große Dobermann neben ihr knurrte zustimmend. Er hatte offenbar für den Rest seines Lebens von Polizisten genug. Sergeant de Haen stand auf dem Treppenabsatz sehr still. Es war dem Ton von Miss Hazelstones Stimme deutlich zu entnehmen, daß, ganz gleich, welche Fähigkeiten ihre Schrotflinte auch hätte, die alte Dame nicht gewohnt war, irgendwas zweimal zu sagen. »So ist’s recht«, fuhr sie fort, während der Sergeant sie anstarrte. »Gucken Sie sich alles gut an, und wenn Sie schon mal dabei sind, gucken Sie sich auch die Waffen an den Wänden hier gut an. Sie funktionieren alle prächtig, und ich habe genug Munition in meinem Schlafzimmer, um damit ’ne ganze Weile zu reichen.« Sie machte eine Pause, und der Sergeant besah sich gehorsam die Gewehre. »Also, traben Sie jetzt die Treppe runter und versuchen Sie ja nicht, wieder raufzukommen. Toby sagt mir sonst sofort Bescheid.« Wieder knurrte der Hund verständig. »Und wenn Sie nach unten gehen«, fuhr sie fort, »lassen Sie gefälligst meinen Bruder frei. Ich gebe Ihnen zehn Minuten, dann erwarte ich, ihn frei und unbehindert die Auffahrt hinaufspazieren zu sehen. Wenn nicht, erschieße ich Kommandant van Heerden. Falls Sie irgendwelche Zweifel an meinen Fähigkeiten zu töten haben, empfehle ich Ihnen, mal einen Blick auf die blauen Gummibäume im Garten zu werfen. Ich denke, dort finden Sie alle Beweise, die sie brauchen.« Sergeant de Haen brauchte keine solchen Beweise. Er war überzeugt, daß sie töten konnte. »Gut, anscheinend verstehen Sie mich. Ich bleibe jetzt mit Kommandant van Heerden so lange in Tuchfühlung, bis ich von meinem Bruder aus Barotseland angerufen werde. Sobald ich den Anruf erhalte, lasse ich den Kommandanten frei. Sollte ich innerhalb von achtundvierzig Stunden von Jonathan nichts hören, überlasse ich Ihnen den Kommandanten tot. Haben Sie verstanden?« Der Sergeant nickte.

»Also, raus mit Ihnen.«

Sergeant de Haen flitzte die Treppe hinunter, und während er rannte, feuerte Miss Hazelstone als Warnung einen Schuß die Galerie hinunter. Das Ergebnis bestätigte alle Erwartungen, die der Sergeant hinsichtlich der tödlichen Eigenschaften der Flinte gehabt hatte. Vierundsechzig große Löcher erschienen plötzlich in der Badezimmertür.

Miss Hazelstone musterte die Löcher voll Zufriedenheit und ging wieder ins Schlafzimmer. Als sie dann dem Kommandanten mit den Handschellen, die er in der Kommode bemerkt hatte, die Hände ans Kopfende des Bettes gefesselt hatte, spazierte sie in aller Seelenruhe noch mal über die Galerie. Fünf Minuten später hatte sie ein kleines Waffenarsenal von den Wänden zusammengesammelt und zwei ungeheure Barrikaden errichtet, die lange genug jedem Versuch, ihre Festung zu erstürmen, standhalten würden, bevor sie mit dem Einsatz der Schrotflinte und anderer ausgewählter Waffen, die sie vor ihrer Schlafzimmertür aufgestapelt hatte, beginnen müsse. Endlich und um das Maß voll zu machen, schleifte sie mehrere Matratzen und eine Chaiselongue die Galerie hinunter und baute sich daraus eine kugelsichere Deckung. Als sie fertig war, besah sie sich ihr Werk und lächelte. »Ich glaube, wir werden wohl nicht ausgerechnet jetzt gestört werden, Toby«, sagte sie zu dem Dobermann, der auf die Chaiselongue gesprungen war. Sie gab dem Hund einen kleinen Klaps auf den Kopf, ging ins Schlafzimmer und begann, Kommandant van Heerden zu entkleiden.