Kapitel 6
Kommandant van Heerden war gerade mitten in Jacaranda Park unter einer Eiche stehengeblieben, um wieder zu Puste zu kommen, und versuchte, Mut genug zu fassen, um ins Haus zurückzukehren, als Wachtmeister Els die Elefantenbüchse abfeuerte. Das Echo der Detonation brachte den Kommandanten zur Besinnung. Zum einen wurde ein Geier, der in den Zweigen über ihm mit offenbarer Vorahnung gelauert hatte, vorn Krachen der Flinte aufgeschreckt und flappte bedrohlich in den Himmel hinauf. Zum anderen kam der Kommandant augenblicklich zu der Überzeugung, daß die Gesellschaft Jonathan Hazelstones unendlich weniger tödlich sei als das Blutbad, das Wachtmeister Els am Haupttor anrichtete. Er verließ die Deckung, die der Baum ihm bot, und hastete unbeholfen auf das Haus zu, wobei er auf alle Welt wie ein verrückt gewordener Dickhäuter wirkte, den außer Gefecht zu setzen der Sinn der Elefantenbüchse war. Hinter ihm hing die Stille des eben eingetretenen Todes düster über Jacaranda Park. Vor sich konnte er die schlanke, anmutige Gestalt Miss Hazelstones erkennen, die auf der Veranda stand. Sie blickte unschlüssig in den wolkenlosen Abendhimmel. Als der Kommandant an ihr vorbei in den Salon stürzte, hörte er sie sagen: »Ich meine, ich hätte es eben donnern hören. Ich glaube, wir bekommen Regen.« Es war gut, wieder dort zu sein, wo die Welt im Lot war, dachte der Kommandant, als er schlaff und erschöpft in den Lehnstuhl sank.
Gleich darauf kehrte Miss Hazelstone von der Betrachtung des Sonnenuntergangs ins Zimmer zurück. Sie brachte eine Atmosphäre der Ruhe und Lebensbejahung mit herein, wie sie ihr allein, oder zumindest erschien es Kommandant van Heerden so, unter all den Leuten eigen war, die an diesem Nachmittag die Ereignisse in Jacaranda Park erlebten. Dasselbe war von Wachtmeister Els schwerlich zu sagen. Was ihm an Leben in die Quere kam, das bejahte er kein bißchen, schon gar nicht mit etwas, das auch nur leise der Ruhe geähnelt hätte. Der einzige Trost, den Kommandant van Heerden finden konnte, war der Gedanke, daß dem Geräusch nach Els sich und den halben angrenzenden Vorort in die Luft gesprengt hatte. Miss Hazelstone tappte gedankenverloren und mit dem Ausdruck sanfter Melancholie zu ihrem Ohrensessel, setzte sich und wandte ihr Gesicht mit einem Blick tiefster Verehrung einem Gemälde zu, das über dem Kamin hing. »Er war ein guter Mensch«, sagte sie schließlich mit leiser Stimme.
Kommandant van Heerden folgte ihrem Blick und besah sich das Bild. Es stellte einen Mann in langer Robe mit einer Laterne in der Hand dar, der an der Tür eines Hauses stand, und der Kommandant vermutete, es handele sich um ein weiteres Porträt von Sir Theophilus, dieses Mal, der Robe nach zu urteilen, gemalt, als der große Mann in Indien amtierte. Es trug den Titel »Das Licht der Welt«, was selbst dem Kommandanten bei aller Bewunderung für den Vizekönig ein bißchen weit zu gehen schien. Trotzdem fühlte er sich gezwungen, etwas zu sagen. »Das war er sicherlich«, sagte er wohlwollend, »und auch ein sehr bedeutender Mensch.«
Miss Hazelstone sah den Kommandanten dankbar und mit ungewohnter Hochachtung an.
»Das wußte ich gar nicht«, murmelte sie. »Oh, ich vergöttere den Mann geradezu«, fuhr der Kommandant fort und fügte als nachträglichen Gedanken hinzu: »Er wußte, wie man mit den Zulus richtig umgeht«, worauf er mit Erstaunen bemerkte, daß Miss Hazelstone plötzlich in ihr Taschentuch zu schluchzen begann. Van Heerden, der ihre Tränen als weiteren Beweis der tief en Zuneigung zu ihrem Großvater wertete, mühte sich weiter.
»Ich wünschte nur, von seiner Sorte gäbe es heute noch mehr«, sagte er und stellte zufrieden fest, daß Miss Hazelstone ihn noch einmal dankbar über ihr Taschentuch hinweg ansah. »Es gäbe heute nur halb soviel Kummer in der Welt, wenn er wieder da wäre.« Er wollte gerade sagen: »Er würde sie dutzendweise hängen«, aber er sagte sich, daß das Hängen angesichts des voraussichtlichen Schicksals von Miss Hazelstones eigenem Bruder kein taktvolles Thema sei, und begnügte sich mit der Feststellung: »Er würde ihnen schnell das eine oder andere beibiegen.«
Dem stimmte Miss Hazelstone zu. »Das würde er, o ja, das würde er. Ich bin so glücklich, daß gerade Sie, Kommandant, die Dinge so betrachten.«
Kommandant van Heerden sah nicht ganz die Notwendigkeit für diesen Nachdruck ein. Es erschien ihm nur natürlich, daß ein Polizeioffizier sich an Sir Theophilus’ Methoden hielt, mit Verbrechern umzuspringen. Schließlich hatte Richter Hazelstone sich seine Vorliebe für das Hängen und Prügeln ja auch nicht aus den Fingern gesogen. Jeder wußte, daß der alte Sir Theophilus es sich zur Aufgabe gemacht hatte, dafür zu sorgen, daß sein Sohn William früh den Sinn für körperliche Züchtigungen entwickele, indem er sie dem Knaben praktisch vom Tag seiner Geburt an zukommen ließ. Dieses Pflichtgefühl erinnerte den Kommandanten an seine eigene unangenehme Aufgabe, und er sagte sich, dieser Augenblick sei so gut wie jeder andere, ihr endlich beizubringen, daß er genau wisse, daß Fünfpenny nicht von ihr, sondern von ihrem Bruder Jonathan ermordet worden sei. Er stand von seinem Sessel auf und fiel in den förmlichen Jargon seines Amtes.
»Ich habe Grund zu glauben ...«, begann er, aber Miss Hazelstone ließ ihn nicht ausreden. Sie erhob sich von ihrem Ohrensessel und blickte hingerissen zu ihm auf, eine Reaktion, die van Heerden kaum erwartet hatte und gewiß nicht bewundern konnte. Schließlich war der Kerl ihr eigener Bruder, und erst vor einer Stunde war sie bereit gewesen, den Mord selber auf sich zu nehmen, bloß um ihn zu decken.
Er begann wieder: »Ich habe Grund zu glauben ...«
»Oh, ich auch. Das hab’ ich auch. Haben wir das nicht alle?« Und diesmal nahm Miss Hazelstone die riesigen Pranken des Kommandanten in ihre zierlichen Hände und blickte ihm in die Augen. »Ich wußte es, Kommandant. Ich wußte es die ganze Zeit.«
Kommandant van Heerden brauchte man das nicht zu sagen. Natürlich hatte sie es die ganze Zeit gewußt, sonst hätte sie den Unmenschen ja nicht in Schutz genommen. Zum Teufel, dachte er, mit der ganzen Förmlichkeit. »Ich nehme an, er ist oben im Schlafzimmer«, sagte er.
Der Ausdruck auf Miss Hazelstones Gesicht ließ auf eine gewisse Verwunderung schließen, was wohl, nahm der Kommandant an, darauf zurückzuführen war, daß sie plötzlich sein großes Talent als Detektiv erkannte. »Oben?« krächzte sie.
»Ja. Im Schlafzimmer mit der rosageblümten Bettdecke.« Miss Hazelstones Erstaunen war nicht zu übersehen. »Im rosa Schlafzimmer?« stammelte sie und wich von ihm zurück. »Er bietet leider keinen sehr erfreulichen Anblick«, fuhr der Kommandant fort. »Er ist dun wie der Teufel.« Miss Hazelstone war nahe am Überschnappen. »Der Teufel?« brachte sie schließlich keuchend hervor. »Besoffen«, sagte der Kommandant. »Sternhagelvoll und über und über mit Blut beschmiert. Die Schuld steht ihm nicht bloß ins Gesicht geschrieben.«
Miss Hazelstone hielt es nicht mehr. Sie eilte zur Tür, aber Kommandant van Heerden war vor ihr da.
»O nein, das tun Sie nicht. Sie gehen nicht rauf und warnen ihn«, sagte er. »Er muß auslöffeln, was er sich eingebrockt hat.« Kommandant van Heerden hatte im stillen seine Zweifel, ob der Kerl noch oben sei. Selbst einen total Besoffenen mußte die Explosion aus dem Bett gehauen haben. Andererseits war der Mann wahnsinnig, und bei Irren konnte man nie wissen. Was sie taten, war einfach unvorhersehbar. Es gab, bemerkte er jetzt, auch in Miss Hazelstones Verhalten Symptome von Wahnwitz und Unberechenbarkeit und Zeichen dafür, daß sie sich auf eine Art benehmen könne, die weder nett noch vornehm wäre. »Nun, nun, liebe Miss Hazelstone. In gewisse Dinge müssen wir uns zu schicken lernen«, sagte er beruhigend, und während er das sagte, war Miss Hazelstone nur eines völlig klar, daß nämlich nichts auf Gottes Erdboden sie dazu bringen werde, in der Reichweite dieses schwitzenden Polizisten zu bleiben, der dachte, der Teufel persönlich liege sternhagelblau und über und über mit Blut beschmiert oben im rosageblümten Schlafzimmer. Es gebe ja vielleicht, räumte sie großzügig ein, gewisse irrationale Züge in ihrem eigenen Seelenleben, aber sie waren nichts gegen die unübersehbaren Zeichen von Irrsinn, die der Kommandant an den Tag legte. Bleich und unverständliches Zeug lallend, sprang sie in einem Satz von ihm zurück, riß einen dekorativen Krummsäbel von der Wand und hielt ihn mit beiden Händen über ihren alten grauhaarigen Schädel. Kommandant van Heerden war völlig platt. Eben noch hatte er vor einer reizenden alten Dame gestanden, die seine Hände in ihre nahm und ihm sanft ins Auge blickte, und im nächsten Moment war sie ein tanzender Derwisch und offenkundig darauf versessen, ihn mit einem fürchterlichen Messer mitten durchzusäbeln.
»Nun, nun«, sagte er, außerstande, seine Ausdrucksweise seiner neuen, schrecklichen Lage anzupassen. Eine Sekunde später war klar, daß Miss Hazelstone sein »Nun, nun« als Hinweis darauf verstanden hatte, daß er den Tod sofort wünsche. Wie ein Krebs kam sie auf ihn zu. In Wirklichkeit versuchte Miss Hazelstone zur Tür zu gelangen, die in die Halle führte. »Aus dem Weg«, befahl sie, und der Kommandant, ängstlich bemüht, ihr nicht den leisesten Vorwand zu liefern, ihn mit dem Krummschwert in der Mitte durchzuspalten, sprang zur Seite, wo er mit einer großen chinesischen Vase zusammenprallte, die von ihrem Podest kippte und auf den Boden krachte. Eine Sekunde lang zeigte Miss Hazelstones Gesichtsausdruck jene Fähigkeit, sich rasch zu verändern, die der Kommandant eben schon mal wahrgenommen hatte. Jetzt war sie zweifellos völlig außer sich vor Wut.
»Die Ming! Die Ming!« kreischte sie und ließ den Krummsäbel von oben heruntersausen. Aber Kommandant van Heerden war nicht mehr an dieser Stelle. Die zerschmetterten Kunstschätze aus der jahrtausendealten chinesischen Geschichte hinter sich lassend, stürzte er quer durchs Zimmer. Während er über die Veranda fegte, hörte er Miss Hazelstone immer noch »Die Ming! Die Ming!« zu ihrem Bruder hochschreien, und da er meinte, die Ming sei eine unbeschreiblich fürchterliche Waffe, die griffbereit oben in der Galerie an der Wand hing, rannte der Kommandant wieder mal durch Jacaranda Park, diesmal aber in die Richtung des Tores, aus der das Getöse wiedererwachten Gewehrfeuers zu hören war, ein Getöse, das er als Zeichen ganz normaler und gesunder Gewalt willkommen hieß. Und wie er so rannte, dankte er seinem Glücksstern, daß die Dämmerung schon in Nacht überging, die den Weg seiner Flucht verdunkelte. Für Wachtmeister Els, der immer noch über die Auswirkungen seiner Schießkünste schmunzeln mußte, hatte es, als die Dämmerung sich über die zusammengeknäulten Tore des Parks zu senken begann, die ersten Anzeichen dafür gegeben, daß mehrere neue Faktoren in den kleinen Flecken westlicher Kultur eingriffen, den er so mannhaft verteidigte. Er hatte gerade einen kräftigen Schluck alten Nashornhaut-Brandy gekippt, um sich gegen die Nachtkühle zu schützen, als er draußen ein merkwürdiges Kratzen hörte. Zuerst dachte er, ein Stachelschwein schabe sich an der Panzertür des Bunkers, aber als er sie aufmachte, war nichts zu sehen, während die Geräusche immer näher kamen. Sie schienen aus einer Hecke unten an der Straße zu dringen, und er war gerade zu der Überzeugung gelangt, sie ließen sich nur dadurch erklären, daß ein Nashorn, das an Eiterflechte leide, sich zur Linderung von der Juckerei in einem Weißdorn siele, als er drei bemerkenswert flinke Pflanzengebilde über die Straße hoppeln sah. Offenbar sollte der nächste Angriff beginnen.
Wachtmeister Els lehnte sich zurück und überdachte die Lage. Einen Angriff hatte er mit seinem Revolver zurückgeschlagen, einen zweiten mit der Elefantenbüchse zunichte gemacht. Es sei Zeit, meinte er, zum Gegenangriff überzugehen. In der immer dunkler werdenden Dämmerung verließ Wachtmeister Els den Schutz des Bunkers und kroch, seinen Revolver in der Hand, leise auf seine Angreifer zu, deren polyphones Vorrücken alle leisen Geräusche übertönte, die er möglicherweise machte. Als Luitenant Verkramp und seine zwei Freiwilligen eine dreiviertel Meile bis zur Spitze des Hügels hinaufgekrochen waren, wünschte Verkramp sich im stillen, er wäre doch einfach mit dem Panzerwagen raufgefahren, vor allem aber begann er, den Sinn der ganzen Unternehmung anzuzweifeln. Es war bereits so dunkel, daß er zwar vielleicht den Busch nicht verfehlte, der ihnen so viel Kummer bereitete, daß er ihn aber eventuell einfach nicht mehr sah. Seine Hände waren zerkratzt und aufgerissen, und er war bis auf Spuckdistanz an zwei Puffottern und eine Kobra herangekommen, was zweifellos ein Kompliment für seine Tarnungskünste war, aber eins, ohne das er sehr gut leben konnte. Es war ihm nie so klar gewesen, welcher Wildreichtum in den Hecken Piemburgs hauste. Die Spinne, die ihn in die Nase gebissen hatte, als er sich aus ihrem Netz herauszuwinden versuchte, war so groß und bösartig, wie er es nie für möglich gehalten hatte, hätte er es nicht mit einem eigenen Auge gesehen, wobei ihm die Spinne das andere mit drei Füßen zudrückte, mit denen sie sich abstemmte, um sich festen Halt zu verschaffen, während sie ihm 50 ccm Gift ins linke Nasenloch spritzte. An diesem Punkt wäre er beinahe umgekehrt, denn das Gift verteilte sich so schnell und war dermaßen wirkungsvoll, daß er auch, nachdem die Riesenspinne so freundlich gewesen war, sich von seiner Netzhaut zu verabschieden, noch immer nichts sehen konnte. Auf dieser Seite seines Gesichts pochte es alarmierend, und seine Nebenhöhlen schienen mit irgendeiner ätzenden Flüssigkeit gefüllt zu sein. Und da ihm klar war, daß die Expedition mit einiger Eile weiterkommen mußte, ehe seine Atmungsorgane für immer die Arbeit einstellten, rückten Luitenant Verkramp und seine beiden Männer weiter krachend durch das feindselige Unterholz auf ihren Gegner zu. Wachtmeister Els, der nicht so hastig und weit unbemerkter vorwärtsrobbte, hatte inzwischen Sir Theophilus’ furchtbaren Verteidigungsgraben entdeckt und mit erheblicher Befriedigung dessen Wirkung auf die letzten Opfer wahrgenommen. Els streckte sich im Gras aus und überlegte sich, wie er den offenbar unersättlichen Appetit dieses Ergebnisses der Angst Sir Theophilus’ noch weiter befriedigen könne. Die Geräusche, die aus dem Unterholz zu ihm drangen, schienen zu besagen, daß seine Feinde bereits an irgendwelchem Gliederzucken litten. Zu dem Knacken der Zweige, das ihr Vorrücken begleitet hatte, trat jetzt ein gelegentliches Wimmern und etwas, das sich anhörte wie chronischer Katarrh. Wachtmeister Els wartete nicht länger. Er kroch, den mörderischen Graben meidend, lautlos weiter und bezog im Gras neben der Straße Stellung. Luitenant Verkramp, der in dem Gestrüpp verbissen vorwärtskrabbelte, erschien nichts seltsam oder ungewöhnlich. Seine Nase machte ihm Schwierigkeiten, das war zwar richtig, und das Spinnengift hatte sich beängstigend ausgebreitet, so daß mal seine Augen, mal seine Ohren Sperenzchen machten, aber wenn auch sein Inneres von Blitzen und einem seltsamen Trommelgetöse erfüllt war, außen wirkte alles ruhig und friedlich. Die Nacht war dunkel, aber droben schienen die Sterne, und die Lichter von Piemburg im Tal unter ihm tauchten den Himmel in orangerote Glut. Die Lichter von Jacaranda House blinzelten einladend durch den Park herüber. Grillen sangen, und fernes Verkehrsgemurmel kam von der Straße aus Vlockfontein sanft zu ihm herübergeweht. Nichts in der Welt bereitete Luitenant Verkramp auf den Schrecken vor, der plötzlich über ihn hereinbrechen sollte. Nicht daß ihn körperlich etwas erschreckt hätte. Es war viel schlimmer. Es war fast etwas Unwirkliches an dem Schrei, der in seinem lädierten Ohr explodierte, und auch an der schrecklich verkrümmten, unheimlichen Gestalt, die plötzlich über ihm auftauchte. Er konnte nicht sehen, was es war. Er spürte bloß ihren ekelhaften Atem und hörte den Geisterschrei, der unsagbar grauenhaft war und, daran zweifelte er kein bißchen, aus den tiefsten Tiefen der Hölle kam. Alle Bedenken, die Luitenant Verkramp gegen die Geschichte mit dem verhexten Busch gehabt hatte, lösten sich im Augenblick in nichts auf, und im nächsten Augenblick fiel Verkramp, als er sich zur Seite warf, genau in den Höllenrachen, aus dem seiner Meinung nach der Schrei ertönt war. Und während er am Boden des Grabens auf den Eisenspießen steckte und sein Geschrei durch den Park schallte, starrte er, halb tot vor Angst und Schmerzen, nach oben und wußte, daß er in alle Ewigkeit verdammt sei. In seinem Fieberwahn sah er ein Gesicht in sein Grab herunterstarren, ein Gesicht, das satanisch zufrieden aussah: Und das Gesicht war das von Wachtmeister Els. Luitenant Verkramp wurde ohnmächtig.
Seine beiden Gefährten waren unterdessen wieder am Fuß des Hügels angelangt, wobei sie auf ihrer Flucht nicht nur den Luitenant zurückgelassen hatten, sondern auch einen Kometenschweif aus Blättern, Zweigen, Helmen und dem ganzen Drum und Dran ihres Berufes. Sie hätten sich gar nicht so abzuhetzen brauchen. Die Nachricht von der entsetzlichen Begegnung war ihnen vorausgeeilt. Wachtmeister Eisens Schrei, auch diminuendo noch grauenhaft, war wie eine fürchterliche Bestätigung des drohenden Untergangs hinunter zu den Wagen gedrungen, die immer noch die Straße aus Vlockfontein blockierten.
Die Polizisten, die in der Nähe der Lastwagen und Schützenpanzer herumlagen, erstarrten. Einige, die damit beschäftigt waren, Tollwut- und Beulenpestschilder aufzustellen, hörten auf zu arbeiten, starrten in die Finsternis und versuchten zu ergründen, welcher neue Horror dem tödlichen Busch entsprungen war. Sogar die Schäferhunde zuckten bei dem Laut zusammen. Und mitten in Jacaranda Park blieb Kommandant van Heerden, in Todesängsten wegen der Ming, unwillkürlich stehen, als er den Schrei hörte. Niemand, der ihn vernommen hatte, würde ihn wohl je vergessen. Wenn Wachtmeister Els über die Wirkung der Elefantenbüchse schon verblüfft gewesen war, so war er es über die Ergebnisse seines Versuchs, psychologische Kriegführung anzuwenden, noch viel mehr. Sein Auftritt als auferstandener Toter hatte bei seinen Pflanzenfeinden Früchte getragen, wie er sie nicht für möglich gehalten hätte, aber als er den leiser werdenden Schreien aus dem Graben lauschte, kam ihm vorübergehend der Schatten eines Zweifels. Es war etwas an diesen Schreien, an ihrem Klang, was ihm irgendwie bekannt vorkam. Er ging hinüber zu dem Graben und sah hinunter, und durch die Blätter, die es bedeckten, machte er mühsam ein Gesicht aus, und auch an diesem Gesicht kam ihm irgend etwas bekannt vor. Wenn es nicht so eine knollige Nase und so geschwollene Backen gehabt hätte, hätte er fast gemeint, Luitenant Verkramp sei da unten. Bei dem Gedanken, daß der Luitenant da unten aufgespießt liege, griente er still in sich hinein. Geschähe dem Blödmann recht, wenn er dafür, daß er ihn die ganze Nacht in der Gegend rumrennen ließ, da unten läge, wo er ihn doch schon vor Stunden hätte ablösen müssen, dachte er, als er wieder in seinem Bunker verschwand. Er nahm noch mal einen kräftigen Schluck Brandy, und als er die Flasche gerade wieder in seine Hosentasche stecken wollte, hörte er ein Geräusch, das ihn auf der Stelle zu der Schießscharte flitzen ließ. Irgend etwas kam die Straße herauf. Irgendein Fahrzeug, und ein Gefühl von Vertrautheit streifte sein Ohr. Es hörte sich genau wie ein Schützenpanzerwagen an. »Wurde auch verdammt noch mal Zeit«, dachte Els, als die Scheinwerfer um die Ecke schwenkten und einen Moment lang die Leichen beleuchteten, die gegenüber auf dem Abhang lagen. Einen Augenblick später fiel ein ganz anderes Licht auf die Szenerie. Ein Suchscheinwerfer drang durch die Nacht und verwandelte die Ligusterhecke in einen leuchtenden Fleck inmitten einer ansonsten finsteren Umgebung. »Na schön, ihr Sauhunde, allzu viel ist Scheiß ungesund«, schrie Els in die Nacht, aber ehe er noch mehr sagen konnte, löste sich die Ligusterhecke um seinen Bunker herum langsam auf. Als die Kugeln in die Bunkerwände einschlugen und die Schießscharte von Leuchtspurkugeln hell aufflammte, wußte Els, daß es ihm nun an den Kragen ging. Das hier war nicht die Ablösung, auf die er gewartet hatte. In einem letzten verzweifelten Versuch, die Tragödie abzuwenden, richtete Wachtmeister Els die Elefantenbüchse auf den Panzerwagen. Er hielt das Feuer so lange zurück, bis der Panzer nur noch zehn Schritte von der Toreinfahrt entfernt war, dann drückte er ab. Wieder und wieder schoß er, und mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Befriedigung sah er als Schattenriß vor dem Suchscheinwerfer, wie das mächtige Panzerfahrzeug rasselnd zum Stehen kam und langsam in seine Bestandteile zerfiel. Seine Geschütze waren verstummt, die Bereifung nur noch Gummifetzen, und seine Besatzung rieselte sanft, doch unaufhörlich durch hundert Löcher, die in seine Seiten gebohrt waren. Nur ein Mann war eben noch zu dem Versuch imstande, aus dem Ding herauszukommen, und als er sich zuckend aus der Turmöffnung wand, erblickte Els mit erschreckender Deutlichkeit die vertraute Uniform und die Mütze der südafrikanischen Polizei. Der Mann plumpste wieder ins Innere des Turms zurück, und Els, dem zum ersten Mal vage die Größe seines Vergehens dämmerte, wußte, daß er nur einen Steinwurf vom Galgen entfernt war. Er feuerte einen letzten Schuß ab. Der Suchscheinwerfer explodierte, und es war finstere Nacht. Mit verzweifelter Kraftanstrengung sammelte Els alle Beweise seiner jüngsten Aktivitäten zusammen, stolperte aus dem Bunker und schlich sich, seinen grauenhaften Komplizen hinter sich herschleifend, durch den Park davon.