Kapitel 15
Während der Prozeß gegen Jonathan Hazelstone vorbereitet wurde, plagte sich Kommandant van Heerden mit dem Problem herum, das ihm das anhaltende Verschwinden der Schwester des Gefangenen bereitete. Trotz der intensivsten Jagd auf sie ging Miss Hazelstone der Polizei einfach nicht ins Netz. Kommandant van Heerden erhöhte die ausgesetzte Belohnung, aber trotzdem lief keine weiter nennenswerte Information im Piemburger Polizeirevier ein. Der einzige Trost für den Kommandanten war, daß Miss Hazelstone seine Probleme nicht noch dadurch vergrößerte, daß sie sich etwa mit ihrem Anwalt oder einer Zeitung außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs in Verbindung setzte.
»Sie ist ein listiges altes Teufelsweib«, sagte er zu Luitenant Verkramp und stellte mit Erschrecken fest, daß die Bewunderung, die er einst für sie empfunden hatte, wieder zurückgekehrt war.
»Ich würde mir keine Gedanken um die alte Schachtel machen, wahrscheinlich kreuzt sie einfach zur Verhandlung auf«, gab ihm Verkramp optimistisch zur Antwort. Der Sturz, bemerkte der Kommandant im stillen, hatte den Luitenant nicht um seine Fähigkeit gebracht, Dinge zu äußern, die darauf zielten, seinen Kommandeur aus der Fassung zu bringen. »Wenn Sie so verdammt klug sind, was würden Sie denn dann vorschlagen, wo wir nach ihr suchen sollen?« knurrte der Kommandant.
»Wahrscheinlich sitzt sie in Jacaranda House und lacht sich ins Fäustchen«, sagte Verkramp und ging, um eine Liste aller schwarzen Köche zusammenzustellen, die dafür bekannt waren, daß sie gern Chicken Maryland auf die Speisekarte setzten. »Hämischer Scheißkerl«, murmelte der Kommandant.
»Irgendwann kriegt er’s von jemandem noch mal so richtig heimgezahlt.«
Es war eigentlich Wachtmeister Els’ Initiative, die zur Verhaftung von Miss Hazelstone führte. Schon die ganze Zeit seit seinem Kampf mit dem Dobermann hatte Els seine Entscheidung bereut, den Kadaver einfach so auf dem Rasen von Jacaranda House liegenzulassen.
»Ich hätte ihn ausstopfen lassen sollen. Er hätte in der Diele sehr nett ausgesehen«, sagte er während eines müßigen Augenblicks zum Kommandanten.
»Ich hätte gedacht, der wäre schon ausgestopft genug gewesen«, hatte der Kommandant geantwortet. »Außerdem, wer hat schon mal davon gehört, daß man einen Hund ausstopfen läßt?«
»Es gibt doch haufenweise ausgestopfte Löwen und Warzenschweine und so Sachen in der Halle von Jacaranda House. Warum sollte ich denn keinen ausgestopften Hund in meiner Diele haben?«
»Sie haben Ideen, die gehen glatt über Ihren Horizont hinaus«, sagte der Kommandant. Els war weggegangen, um den Wärter im »Hintern« über das Ausstopfen von Hunden zu befragen. Der Alte schien über solche Sachen Bescheid zu wissen.
»Du mußt ihn zu einem Präparator bringen«, sagte ihm der Wärter. »Es gibt einen am Museum, aber ich würde erst mal nach’m Preis fragen. Ausstopfen ist ’ne kostspielige Sache.«
»Ich würde dafür schon ein bißchen was springen lassen«, sagte Els, und sie gingen zusammen zum Bischof, um ihn über den Hund auszufragen.
»Ich glaube, er hatte einen Pedigree«, erzählte ihnen der Bischof.
»Was ist denn ein Pedigree?« fragte Els.
»Ein Stammbaum«, sagte der Bischof, der sich fragte, ob der Tod des Hundes etwa auch noch der Liste der Verbrechen hinzugefügt werden sollte, die er angeblich begangen hatte. »Eine affektierte Sorte Hunde, die einen Stammbaum haben«, sagte Els zum Wärter. »Man sollte doch denken, er pißt gegen Laternenpfähle genau wie andere Hunde.«
»Verhätschelt, wenn du mich fragst«, sagte der Wärter. »Klingt mehr nach einem Schoßhündchen als nach einem richtigen Dobermann. Kein Wunder, daß du ihn so einfach um die Ecke bringen konntest. Ist wahrscheinlich vor Schreck gestorben.«
»Das ist er verdammt noch mal nicht. Er kämpfte wie verrückt. Der wildeste Hund, der mir je begegnet ist«, sagte Els verärgert.
»Ich glaub das erst, wenn ich ihn sehe«, sagte der Wärter, und Els hatte sich auf der Stelle entschlossen, den Dobermann zu holen, um den Makel an seiner Ehre zu tilgen. »Bitte um Erlaubnis, Jacaranda House zu besuchen«, sagte er später am selben Tage zum Kommandanten. »Erlaubnis, was zu tun?« fragte der Kommandant ungläubig. »Rauf nach Jacaranda House zu fahren. Ich möchte mir die Hundeleiche holen.«
»Sie müssen nicht ganz bei Trost sein, Els«, sagte der Kommandant. »Ich hatte gedacht, Sie hätten von dem verdammten Anwesen allmählich die Nase voll.«
»Ist doch gar nicht übel dort«, sagte Els, dessen Erinnerungen an den Park ganz anders waren als die des Kommandanten. »Es ist verdammt schrecklich dort, und Sie haben da oben schon genug Schaden angerichtet«, sagte der Kommandant. »Sie halten sich da raus, haben Sie verstanden?« Und Els hatte seiner Wut Luft gemacht, indem er auf dem Gefängnishof ein paar schwarze Sträflinge kujonierte.
Am Abend beschloß Kommandant van Heerden, bei den Straßensperren um Piemburg herum Stichproben zu machen. In ihm begann sich der Verdacht zu regen, daß sich seine erzwungene Abwesenheit von der Außenwelt negativ auf die Moral seiner Leute auswirke, und da er es für unwahrscheinlich hielt, daß Miss Hazelstone um elf Uhr nachts draußen und auf Achse sei und ihn, falls sie’s wäre, in dem Polizeiwagen sähe, beschloß er, seine Runde zu machen, wenn seine Männer sehr wahrscheinlich auf ihrem Posten eingeschlafen waren. »Fahren Sie langsam«, sagte er zu Els, als er im Fond des Wagens Platz genommen hatte. »Ich möchte mich einfach ein bißchen umsehen.«
Eine Stunde lang wurden Polizisten, die an Straßenecken und Straßensperren Dienst taten, von van Heerden mit Fragen belästigt.
»Wie wollen Sie wissen, daß sie nicht als Nigger verkleidet durchgekommen ist?« fragte er einen Sergeant, der an der Straße nach Vlockfontein Dienst tat und sich über die vielen Autos beklagte, die er zu durchsuchen hatte.
»Wir haben sie alle kontrolliert, Sir«, sagte der Sergeant. »Kontrolliert? Wie haben Sie sie denn kontrolliert?«
»Wir unterziehen sie einem Hauttest, Sir.«
»Hauttest? Nie davon gehört.«
»Wir nehmen ein Stückchen Sandpapier, Sir. Reiben damit an der Haut, und wenn das Schwarz runtergeht, sind sie weiß. Wenn nicht, sind sie’s nicht.«
Kommandant van Heerden war beeindruckt. »Beweist Initiative, Sergeant«, sagte er, und sie fuhren weiter. Als sie wenig später nach Town Hill hinauffuhren, um dort die Straßensperre zu inspizieren, bemerkte Wachtmeister Els. daß der Kommandant eingeschlafen war.
»Es ist bloß der Alte, der seine Runde macht«, sagte Els zum diensthabenden Wachtmeister und wollte schon umkehren und zum Gefängnis zurückfahren, als er bemerkte, daß sie ganz nahe bei Jacaranda Park waren. Er sah über die Schulter und betrachtete die schlafende Gestalt hinten im Wagen. »Bitte um Erlaubnis, nach Jacaranda House raufzufahren, Sir«, sagte er leise. Auf dem Rücksitz schnarchte der Kommandant geräuschvoll. »Danke, Sir«, sagte Els mit einem Lächeln, und der Wagen fuhr an der Straßensperre vorbei den Hügel nach Jacaranda House hinauf. Beiderseits der Straße beleuchteten die Suchscheinwerfer die Warnschilder, die wie Reklametafeln für irgendwelche makabren Ferienorte wirkten: Beulenpest – irgendein schauerlicher Strand, und Tollwut – ein Wildpark. Ohne jede Ahnung von seinem Reiseziel schlief Kommandant van Heerden geräuschvoll auf seinem Rücksitz, als der Wagen durch das Tor von Jacaranda House fuhr und mit leise auf dem Kies knirschenden Reifen langsam die Auffahrt hinunterrollte.
Els parkte den Wagen vor dem Haus und verschwand geräuschlos in der Nacht, um seine Trophäe aufzusammeln. Es war dunkel, Wolken verhüllten den Mond, und der Wachtmeister hatte einige Mühe, den Kadaver des Dobermanns zu finden.
»Das ist ja ulkig«, dachte er bei sich, während er den Rasen absuchte, »ich könnte schwören, ich hätte das Mistvieh hier liegengelassen«, und suchte weiter nach dem Köter. Im Fond des Polizeiwagens schnarchte Kommandant van Heerden lauter als zuvor. Dann fiel er seitwärts über den Sitz und schlug mit dem Kopf gegen die Scheibe. Im nächsten Moment war er hellwach und starrte hinaus in die Finsternis. »Els«, sagte er laut, »warum haben Sie angehalten, und warum sind die Scheinwerfer aus?« Vom Fahrersitz kam keine tröstende Antwort, und während Kommandant van Heerden ängstlich im Fond des Wagens saß und sich fragte, wohin Els verdammt noch mal verschwunden sei, glitt sacht eine Wolke vom Mond, und der Kommandant erblickte vor sich die Haustür von Jacaranda House. Wimmernd duckte er sich in die Polster und verfluchte seine Dummheit, das Gefängnis verlassen zu haben. Drohend ragte über ihm die Fassade des großen Hauses auf, dessen unbeleuchtete Fenster düstere Schrecken kündeten. Vor Angst stöhnend, öffnete der Kommandant die Wagentür und trat auf den Vorplatz. Eine Sekunde später saß er auf dem Fahrersitz und suchte nach dem Schlüssel. Der war weg. »Das hätte ich wissen sollen, daß der Schweinehund so was tut«, schnatterte der Kommandant in seiner Angst, und während er auf Eisens Rückkehr wartete, gab er sich das Versprechen, daß der Dobermann nicht der einzige sei, der ausgestopft werde. Während die Minuten weiter verrannen und Els seine Suche nach dem verschwundenen Toby fortsetzte, nahm die Angst des Kommandanten immer weiter zu.
»Ich kann doch nicht die ganze Nacht hier sitzenbleiben«, dachte er. »Ich werde mich mal nach ihm umsehen«, und damit stieg er aus und stahl sich heimlich in den Garten. Die Büsche um ihn herum nahmen seltsame und erschreckende Formen an, und der Mond, der sich nur wenige Minuten zuvor so erleuchtend gezeigt hatte, entdeckte eine geeignete Wolke, um sich dahinter zu verstecken. Der Kommandant, der nicht zu schreien wagte, stolperte im Dunkeln in ein Blumenbeet und fiel flach aufs Gesicht. »Hunderosen«, dachte er bitter und fuhr sich mit der Hand ins Gesicht, und als er sich wieder aufrappelte, sahen und hörten Kommandant van Heerdens Augen und Ohren zwei Dinge, die das Herz in seiner Brust zum Rasen brachten. Der Motor des Wagens auf dem Vorplatz wurde angelassen. Els hatte den Dobermann gefunden und fuhr ab. Als die Scheinwerfer des Autos herumschwenkten und die Front von Jacaranda House in helles Licht tauchten, stand der Kommandant wie angewurzelt in dem Blumenbeet und starrte auf etwas am Nachthimmel, das viel bedrohlicher war als das Haus selbst. Aus einem der Schornsteine der verlassenen Villa stieg langsam, aber unaufhörlich eine dünne Rauchwolke. Kommandant van Heerden war nicht allein. Der Kommandant griff sich ans Herz, fiel rückwärts in die Rosen und verlor das Bewußtsein. Als er von der Ohnmacht, die er später seine erste Herzattacke zu nennen beliebte, wieder zu sich kam, hörte er eine Stimme, von der er gehofft hatte, er höre sie nie wieder.
»Nächte des Weins und der Rosen, Kommandant?« erkundigte sie sich, und als der Kommandant nach oben sah, erblickte er vor den dahinziehenden Wolken Miss Hazelstones zarte Gestalt. Sie war gekleidet, wie er sie früher gekannt hatte, und trug Gott sei Dank nicht den fürchterlichen lachsrosa Anzug.
»Ich hoffe, Sie wollen nicht die ganze Nacht hier liegenbleiben«, fuhr Miss Hazelstone fort. »Kommen Sie rein, ich koche Ihnen ein bißchen Kaffee.«
»Will keinen Kaffee«, murmelte der Kommandant und befreite sich aus den Rosen.
»Sie mögen keinen wollen, aber den brauchen Sie ganz offenbar, damit Sie wieder nüchtern werden. Ich dulde es nicht, daß zu dieser nachtschlafenden Zeit betrunkene Polizisten in meinem Garten herumtorkeln und mir die Beete zertrampeln«, und Kommandant van Heerden, der sich dieser Autorität, der er nie widerstehen konnte, einfach beugte, fand sich von neuem im Salon von Jacaranda House. Der Raum lag im Dunkeln, von der Lampe an einem Filmprojektor abgesehen, der auf einem kleinen Tischchen stand.
»Ich habe mir eben nur rasch ein paar von meinen alten Filmen angesehen, bevor ich sie verbrenne«, sagte Miss Hazelstone, und der Kommandant begriff die dünne Rauchwolke, die er hatte aus dem Schornstein steigen sehen. »Im Gefängnis werde ich sie mir nicht angucken können, und außerdem denke ich, es ist besser, Vergangenes zu vergessen.
Finden Sie nicht auch, Kommandant?«
Dem mußte der Kommandant zustimmen. Das Vergangene war etwas, wofür er ein Vermögen bezahlt hätte, wenn er es hätte vergessen können. Unglücklicherweise stand es ihm nur allzu gegenwärtig vor seinem geistigen Auge. Hin- und hergerissen zwischen Angst und einem Gefühl der Achtung und Rücksicht, das durch das unregelmäßige Klopfen seines Herzens für ihn nur noch überzeugender wurde, ließ es der Kommandant mit sich geschehen, daß er in einen Sessel gesetzt wurde, von dem er, so nahm er an, sich nie wieder erheben werde, während Miss Hazelstone eine Leselampe anknipste. »Es ist noch etwas Kaffee vom Abendbrot da«, sagte sie. »Ich werde ihn leider heiß machen müssen. Normalerweise hätte ich Ihnen ja frischen machen lassen, aber ich bin zur Zeit ziemlich knapp mit Personal.«
»Ich brauche absolut keinen Kaffee«, sagte der Kommandant und bedauerte seine Worte auf der Stelle. Er hätte eine Chance zu fliehen gehabt, wenn Miss Hazelstone in die Küche gegangen wäre. Statt dessen sah sie ihn zweifelnd an und setzte sich ihm gegenüber in den Ohrensessel.
»Ganz wie Sie wollen«, sagte sie. »Sie sehen gar nicht besonders betrunken aus. Nur etwas blaß.«
»Ich bin nicht betrunken. Es ist mein Herz«, sagte der Kommandant.
»In dem Fall ist Kaffee das allerschlechteste für Sie. Er regt an, nicht wahr? Sie sollten auf alles verzichten, was Sie anregt.«
»Das weiß ich«, sagte der Kommandant.
Es entstand eine Pause, die schließlich von Miss Hazelstone beendet wurde.
»Ich nehme an, Sie sind gekommen, um mich endlich zu verhaften«, sagte sie. Der Kommandant konnte sich nichts vorstellen, was er lieber getan hätte, aber er schien nicht die Kraft dazu zu haben. Hypnotisiert von der Atmosphäre des Hauses und der Miene sanfter Melancholie, die ihn an der alten Dame so faszinierte, saß er in seinem Sessel und lauschte seinem Herzklopfen.
»Vermutlich hat Jonathan bereits gestanden«, sagte Miss Hazelstone im Ton höflicher Konversation. Der Kommandant nickte.
»So ein Quatsch«, fuhr Miss Hazelstone fort. »Der arme Junge leidet an so ungeheuren Schuldgefühlen. Ich kann mir einfach nicht denken, warum. Ich vermute, weil er eine so unschuldige Kindheit hatte. Schuld ist so oft der Ersatz für etwas wirklich Böses. Sie müssen das doch auch aus Ihrem Beruf kennen, Kommandant.«
In seinem Beruf, da mußte ihr der Kommandant zustimmen, war das sehr oft so, aber er sah nicht die Beziehung zu dem Fall eines Mannes, der mehrere Gefängnisstrafen hinter sich hatte. Von neuem fühlte er sich nicht nur einem Gefühl der Achtung, sondern auch einer inneren Unruhe unterliegen, die Miss Hazelstones Konversation in ihm auszulösen schien. »Ich habe an einer solchen Schwäche nie gelitten«, fuhr Miss Hazelstone geziert fort. »Ich hatte ohnehin Mühe, etwas für mich zu tun zu finden, was nicht so deprimierend gut war. Zum Teufel, auch ich habe gemerkt, wie schrecklich Güte ist. So langweilig. Aber vermutlich haben Sie nicht ebenso viele Gelegenheiten, sich von ihr angeekelt zu fühlen.«
»Da haben Sie wohl recht«, sagte der Kommandant, dessen Ekelgefühle von ganz anderen Ursachen herrührten. »Wie Sie sicher bemerkt haben werden, habe ich alles unternommen, um etwas Frohsinn in mein Leben zu bringen«, fuhr Miss Hazelstone fort. »Wissen Sie, ich schreibe nämlich für Zeitungen.«
Das wußte Kommandant van Heerden nur zu gut.
»Eine kleine Kolumne hin und wieder über Mode und geschmackvolles Wohnen.«
»Ich habe ein paar von Ihren Artikeln gelesen«, sagte der Kommandant.
»Hoffentlich haben Sie meine Ratschläge nicht befolgt«, fuhr Miss Hazelstone fort. »Sie waren ironisch gemeint, und ich hatte viel Spaß dabei, mir die gräßlichsten Farbkombinationen auszudenken. Aber jedermann nahm meine Empfehlungen für bare Münze. Ich glaube, ich kann in aller Aufrichtigkeit sagen, daß ich mehr Häuser unbewohnbar gemacht habe als alle Termiten Südafrikas zusammen.«
Kommandant van Heerden starrte sie entgeistert an. »Warum um alles in der Welt haben Sie das denn getan?« fragte er. »Ein Gefühl moralischer Schuldigkeit«, murmelte Miss Hazelstone. »Mein Bruder hat sein Leben der Verbreitung von Licht und Güte geweiht, ich habe nur versucht, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Wenn die Leute es vorzogen, meinem Rat zu folgen, orangerote Gardinen neben kastanienbraune Tapeten zu hängen, sollte dann ich sie ausgerechnet daran hindern? Leute, die meinen, weil sie rosa Haut haben, seien sie schon kultiviert, wogegen schwarze Haut den Menschen zum Wilden macht, glauben einfach alles.«
»Sie wollen damit sagen, daß Sie nicht an die Apartheid glauben?« fragte der Kommandant erstaunt. »Ehrlich, Kommandant, was für eine dämliche Frage«, erwiderte Miss Hazelstone. »Verhalte ich mich so, als glaubte ich daran?«
Kommandant van Heerden mußte zugeben, daß das nicht der Fall war.
»Sie können nicht acht Jahre mit einem Zulu zusammenleben und immer noch an Rassentrennung glauben«, fuhr Miss Hazelstone fort. »Um die Wahrheit zu sagen : Die Filme, die ich mir eben angesehen habe, habe ich mal von Fünfpenny gemacht.
Ob Sie wohl was dagegen hätten, sich einen anzusehen?«
Kommandant van Heerden zögerte. Was er von dem Koch bereits gesehen hatte, machte ihn nicht geneigt, noch mehr zu sehen.
»Ich bewundere Ihr Zartgefühl«, sagte Miss Hazelstone, »aber Sie brauchen keine Bedenken zu haben. Ich habe absolut nichts dagegen, Sie an meinen Erinnerungen teilnehmen zu lassen.« Und sie stellte den Projektor an.
Wenig später sah der Kommandant auf einer Leinwand am anderen Ende des Zimmers den Gegenstand der Leidenschaft Miss Hazelstones sich im Garten von Jacaranda House herumbewegen, so wie er einige Jahre zuvor im Sommer gewesen war. Die Bilder waren aus demselben Blickwinkel und in derselben Ecke des Gartens geschossen worden wie beinahe zehn Jahre später sein Hauptdarsteller. Auf den ersten Blick hatte der Kommandant die Illusion, es habe gar keinen Mord gegeben, und er habe die Ereignisse der vergangenen Tage bloß geträumt. Es war eine Illusion, die nicht dauerte. Als Fünfpenny auf der Leinwand immer größer wurde, entschied sich der Kommandant dafür, daß er die ihm bekannte Wirklichkeit der grotesken Szene vorzöge, deren Zeuge er gerade wurde. Fünfpennys Leiche, bemerkte er, hatte etwas geradezu Gesundes ausgestrahlt. Lebend hatte der Zulu-Koch ganz ohne Zweifel was Krankhaftes.
Groß und schwer gebaut, hüpfte er wie eine grauenhafte schwarze Nymphe über die Wiese, verhielt einen Augenblick, um die Büste Sir Theophilus’ zu liebkosen, und küßte sie schließlich leidenschaftlich auf ihren stummen Mund. Dann war er wieder weg, huschte im Garten herum und breitete seine abstoßenden Reize in einer Reihe von Pirouetten und Kreiselbewegungen aus, die keinen anderen Zweck hatten, als seine Unterwäsche aufs allerunvorteilhafteste zur Schau zu stellen. Er trug ein sehr kurzes grellrotes Röckchen mit lila Besätzen; wie der Kommandant wohl erriet, war es aus Gummi.
Als Fünfpenny seine letzte Pirouette drehte und seine Darbietung mit einem Knicks beendete, verstand der Kommandant, warum Miss Hazelstone ihn umgebracht hatte. Wenn man nach dem Film gehen durfte, hatte der Koch das schlicht herausgefordert.
Der Film war zu Ende, und Miss Hazelstone schaltete den Projektor aus. »Na?« sagte sie.
»Jetzt begreife ich, warum Sie ihn erschossen haben«, sagte der Kommandant.
»Sie begreifen überhaupt nichts«, sagte Miss Hazelstone bissig. »Was Sie soeben gesehen haben, wirkt für Ihren plumpen Verstand vielleicht ziemlich fürchterlich. Für mich ist es schön.« Sie machte eine Pause. »So ist das Leben: Ein schwarzer Mann, der so tut, als wäre er eine weiße Frau, in Kleidern aus einem Material, das für ein heißes Klima total ungeeignet ist, tanzt Ballettschritte, die er nie zu Gesicht bekommen hat, auf einem aus England importierten Rasen, küßt das steinerne Gesicht eines Mannes, der sein Volk ausgerottet hat, und wird von einer Frau gefilmt, die weit und breit als Sachwalterin des guten Geschmacks gilt. Nichts könnte besser das Leben in Südafrika veranschaulichen.«
Kommandant van Heerden wollte gerade sagen, daß er sie nicht für sehr patriotisch halte, als Miss Hazelstone sich erhob. »Ich hole meinen Koffer. Ich habe schon einen fertig gepackt«, sagte sie und ging auf die Tür zu, als ein dunkler Schatten durch die Glastür gesaust kam und sie zu Boden stieß. Wachtmeister Els hatte einige Zeit gebraucht, um in der Finsternis den Kadaver des Dobermanns ausfindig zu machen, und letzten Endes hatte ihn mehr der Gestank als seine Augen zu dem Abfallhaufen hinter dem Haus geführt, auf den Miss Hazelstone den Hund geworfen hatte. Els trug den Leichnam vorsichtig zum Wagen und legte ihn in den Kofferraum. Er stieg ein, ließ den Motor an und fuhr langsam davon, dankbar, daß der Kommandant nicht aufgewacht war. Erst als er halbwegs den Hügel zur Stadt hinuntergefahren war, brachten ihn die fehlenden Schnarcher vom Rücksitz darauf, daß er sich geirrt hatte.
Fluchend wendete er den Wagen und raste zurück zum Park. Er hielt in der Auffahrt an und sah sich um. Kommandant van Heerden war nirgends zu erblicken. Els stieg aus, spazierte um das Haus herum und spähte endlich in den beleuchteten Salon, wo der Kommandant und Miss Hazelstone sich miteinander unterhielten. Im Finstern fragte Els sich vergeblich, was zum Teufel da vor sich gehe. »Der schlaue alte Teufel«, dachte er schließlich, »kein Wunder, daß er mir nicht erlauben wollte, hier raufzufahren.« Und Els meinte langsam, er begreife, warum der Kommandant da saß und sehr freundlich mit einer Frau plauderte, auf deren Kopf eine Belohnung ausgesetzt war. Jetzt war ihm klar, warum der Kommandant so versessen daraufgewesen war, Jonathan Hazelstone den Mord an Fünfpenny anzuhängen.
»Der alte Knochen macht ihr den Hof«, dachte er, und eine ihm unbekannte Hochachtung für den Kommandanten erwachte in Eisens Gemüt. Seine Liebeswerbungen gingen stets mit Gewaltandrohungen und Erpressungen einher, und es erschien ihm nur natürlich, daß der Kommandant, dessen Mangel an Charme fast seinem glich, ziemlich drastische Methoden würde anwenden müssen, um sich für eine Frau von Miss Hazelstones Reichtum und Stand überhaupt interessant zu machen. »Erst verhaftet er ihren Bruder wegen Mordes, und dann setzt er auf den Kopf der alten Schachtel eine Belohnung aus. Auch ’ne Art, sich eine Mitgift zu verschaffen«, rief Wachtmeister Els und überlegte im selben Moment, wie er den Plan vereiteln könne. Im Nu war er über den Rasen weg im Zimmer. Als er sich auf des Kommandanten Verlobte stürzte, schrie er: »Ich fordere die Belohnung. Ich habe sie gefaßt.« Und als er vom Boden hochschaute, wunderte er sich, warum der Kommandant so erleichtert aussah.