Kapitel 7
In Jacaranda House sang Jonathan Hazelstone in seiner Badewanne. Er trug eine Badekappe aus Gummi, um seine empfindlichen Ohren gegen das Wasser zu schützen, und teils wegen der Kappe, teils, weil er ziemlich taub war, sang er erheblich lauter, als er sich das vorstellte. Und so hörte er nichts von dem Schlachtenlärm, der seinen Vortrag von »Vorwärts, ihr christlichen Soldaten« begleitete. Das rosafarbene Wasser um ihn herum wirbelte und strudelte und nahm seltsame und verzwickte Muster an, als es der Knall aus der Elefantenbüchse traf. Aber Jonathan Hazelstone hatte keine Zeit, sich um solche Lappalien zu kümmern. Er war viel zu sehr mit seinen eigenen Schwächen beschäftigt. Die Scham über seine Tat und ein unbewußter Stolz darauf gingen in seinen Gedanken durcheinander, und über beidem hing die schreckliche Erinnerung an vergangene Dinge.
Er versuchte, die entsetzliche Geschichte zu verdrängen, aber sie stellte sich beharrlich immer wieder ein. Trotz seiner Gewissensbisse mußte er immer noch ein bißchen darüber lächeln. Denn schließlich, dachte er, könne es nicht viele noch lebende Menschen geben, die von sich sagen könnten, daß sie getan hätten, was er getan hatte, und ungestraft davongekommen wären. Nicht daß er zum Prahlen geneigt hätte, und sicherlich würde er nicht herumziehen und seine Tat ausposaunen. Andererseits war er so ungeheuer provoziert worden, und letztlich war er der Meinung, sein Handeln sei in gewisser Weise entschuldbar gewesen. »Alte Nashornhaut«, dachte er und erschauerte und wollte sich eben ins Gedächtnis rufen, daß er dem Koch sagen müsse, er solle zum Kochen niemals dieses grauenhafte Zeug verwenden, da erinnerte er sich, daß es gar keinen Koch mehr gab, dem er das sagen konnte. Traurig betrachtete er die rosa Kringel zu beiden Seiten in der Badewanne, stieg dann eilig aus dem Wasser und ließ es ab. Er spülte die Wanne aus, füllte sie von neuem und streute Badesalz hinein, dann legte er sich wieder in das heiße Wasser, um darüber nachzudenken, was als nächstes zu tun sei, um den Folgen der Ereignisse des Nachmittags aus dem Weg zu gehen. Er sah sich, das wußte er, einem schrecklichen Problem gegenüber. Sicher, seine Schwester hatte versprochen, der Polizei ein volles Geständnis abzulegen, und das war ganz in Ordnung, soweit es jene Angelegenheit betraf, aber es würde ihm niemals helfen, ungestraft davonzukommen. Zwangsläufig würde das Auswirkungen nach sich ziehen, und die ganze Geschichte war kaum dazu angetan, ihm bei seiner Karriere behilflich zu sein. Alles in allem war es eine gräßliche Geschichte. Nicht daß er für den verdammten Koch viel Sympathie übriggehabt hätte. Wenn es nicht um ihn gegangen wäre, dann wäre überhaupt nichts von all dem passiert. Außerdem gab es ein paar Sachen, die Jonathan Hazelstone niemals verzieh. Widernatürlichkeit war eine davon. Kommandant van Heerden hätte alle diese Empfindungen geteilt, wenn er sie gekannt hätte, aber mittlerweile waren seine Kräfte ausschließlich auf einen einzigen simplen Gedanken konzentriert, daß nämlich seine Laufbahn als Polizeioffizier und möglicherweise auch als freier Mensch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dadurch beendet war, wie er den Fall Hazelstone behandelt hatte. Durch die Explosion, die das Ende des Schützenpanzers verkündete, war ihm das sonnenklar geworden. Entehrt, entlassen und bestraft, weil er ein Mitschuldiger war, und zwar vor, während und nach dem Mord an den Polizeibeamten, die zweifellos in Wachtmeister Elsens Kugeltornado am Haupttor gefallen waren, würde er den Rest seines Lebens im Gefängnis mit Leuten zubringen müssen, die ihm zu einer solchen Riesenmenge Undank verpflichtet waren, wie sie keine Qual vergelten konnte. Der Tag, an dem er ins Piemburger Gefängnis käme, wäre vielleicht nicht sein letzter, ganz sicher aber sein schlimmster. Von denen, die Geständnisse unterschrieben hatten, nachdem sie von Wachtmeister Els in den Zellen des Piemburger Polizeireviers gefoltert worden waren, gab es zu viele, als daß ihm die Aussicht auf ihre Gesellschaft im Gefängnis hätte lieb sein können.
Nach einem kurzen Schluchzer versuchte Kommandant van Heerden, darüber nachzudenken, wie er sich aus der Bredouille befreien könnte, in die Els ihn geritten hatte. Nur eines konnte ihn im Augenblick retten, und das war die erfolgreiche Verhaftung des Mörders von Miss Hazelstones Zulu-Koch. Nicht daß er auf diese Leistung große Hoffnungen gesetzt hätte, außerdem würde sie nicht das Blutbad erklären helfen, das Els angerichtet hatte. Els würde wegen Massenmords angeklagt werden, und es gab nur die Chance, daß man ihn überreden könnte, Schwachsinn zu simulieren. Wenn man’s recht bedachte, hatte es der Scheißkerl gar nicht nötig zu simulieren. Er war offensichtlich verrückt. Die Tatsachen sprachen für sich selbst.
Von dieser schwachen Hoffnung beflügelt (und ganz sicher nicht von der explodierenden Munition in dem vormals rollenden Verbrennungsofen), erreichte Kommandant van Heerden das Parktor. Er kletterte über den Haufen verknäulten Metalls und sah sich um. Eine schwarze Rauchwolke verdunkelte den Nachthimmel. Sie quoll aus dem offenen Turm des Schützenpanzers und drang aus den Löchern an den Seiten. Sogar der Kommandant in seiner Aufregung nahm den Geruch wahr. Es roch wie sonst nichts auf Erden. Kommandant van Heerden nahm einen tiefen Atemzug von dem ekelhaften Zeug, dann brüllte er in die Nacht hinaus: »Wachtmeister Els«, schrie er, »Wachtmeister Els, wo in drei Teufels Namen sind Sie?«, und bemerkte die Blödheit seiner Frage, sobald er sie von sich gegeben hatte. Els würde sich in dem Moment wohl kaum zeigen. Eher würde er seinen Kommandeur mit demselben Vergnügen in die Ewigkeit schicken, wie er es mit seinen Kameraden getan hatte. Nach einem kurzen Schweigen, das nur vom Knallen und Pfeifen der Kugeln unterbrochen wurde, die im Innern des Schützenpanzers durch die Gegend flogen, schrie der Kommandant noch mal. »Hier spricht Ihr Kommandeur, ich befehle Ihnen, das Feuer einzustellen.«
Kommandant van Heerdens merkwürdiger Befehl verblüffte die Männer im Konvoi unten auf der Straße und ließ ihre Herzen vor Bewunderung heiß erglühen. Der Kommandant war dort oben am Tor und hatte den Irren offenbar gefaßt, der sie niedergemetzelt hatte. Aber ein Rätsel war ihnen diese Entwicklung doch, denn der Kommandant war nicht bekannt dafür, mutig zu sein. Langsam, aber sicher liefen sie zögernd die Straße entlang auf ihn zu.
Wachtmeister Els machte sich in einer ganz anderen Richtung aus dem Staub, während er sich den Kopf darüber zerbrach, wie er aus der Tinte käme, in der er saß. Vor allem mußte er erst mal die Elefantenbüchse verstecken, und dann würde er sich ein Alibi zusammenbasteln. Wenn er an das Format der Flinte dachte, war er nicht sicher, welche Aufgabe schwieriger wäre, und er überlegte gerade, ob er sie nicht einfach auf die Veranda, wo er sie gefunden hatte, zurückbringen solle oder nicht, als er schon wieder auf eine Ligusterhecke stieß. Aus seiner jüngsten Erfahrung mit Ligusterhecken hatte er gelernt, daß sie sich ideal dazu eigneten, etwas zu verstecken. Els linste durch die Hecke, und nachdem er sich vergewissert hatte, daß das Schwimmbecken genau das war, was es zu sein vorgab, und nicht schon wieder eine von Sir Theophilus’ kleinen Fallen, schlüpfte er durch die Einfriedung und schlich hinüber zu einem kleinen, geschmackvollen Pavillon, der an einem Ende der Anlage stand. Einen Moment lang tappte er im Finstern herum, dann zündete er ein Streichholz an. In dessen Lichtschein sah er, daß der Pavillon ein Umkleideraum mit lauter Kleiderhaken an den Wänden war. Zu seinem Schrecken sah er, daß einer der Haken benutzt war. Ein dunkler Anzug hing daran.
Els pustete das Streichholz aus und spähte hinaus zum Schwimmbecken. Der Besitzer des schwarzen Anzugs mußte dort draußen sein und ihn beobachten. Aber in der Wasserfläche des Pools spiegelte sich nichts Unheildrohenderes als die Sterne und der zunehmende Mond, der eben aufging. Die Winkel des Beckens bargen keine seltsamen Schatten, und da wußte Els, daß er hier allein war mit einem dunklen Anzug, einer Elefantenbüchse und der Notwendigkeit, sich ein Alibi auszudenken.
»Ligusterhecken bringen mir anscheinend Glück«, dachte er und nahm sich vor, in seinem Vorgarten eine anzupflanzen, wenn er jemals wieder lebend aus dieser Patsche herauskäme. Er zündete ein zweites Streichholz an und besah sich die Sachen genauer. Zuerst dachte er, er könnte sie vielleicht als Verkleidung benutzen, aber die Hosen waren viel zu weit für ihn, und das Jackett, das er anprobierte, hätte ihm als Wintermantel dienen können. Die schwarze Weste ohne Knöpfe verwirrte ihn ein bißchen, bis er das Beffchen daran entdeckte. Wachtmeister Els gab jeden Gedanken auf, die Sachen zum Verkleiden zu benutzen. Er hatte zu große Ehrfurcht vor der Religion, um diese Gewänder mit seiner Person zu entweihen. Statt dessen benutzte er sie dazu, seine Fingerabdrücke von der Elefantenflinte zu wischen. Da er ein Fachmann im Beseitigen von wichtigen Beweisen war, gab es, als er fertig war, nichts mehr, was ihn und die Flinte hätte miteinander in Verbindung bringen können.
Zwanzig Minuten später verließ Wachtmeister Els in munterer Stimmung den Pavillon und schlenderte fröhlich durch den Park auf Piemburg zu. Hinter sich ließ er alles zurück, was ihn mit dem Massaker am Haupttor in Beziehung brachte. Die Elefantenbüchse war unter den Kleidern des Pfarrers versteckt. In einer Gesäßtasche der Hose steckte sein Revolver, und die Jackentaschen bauschten sich von den leeren Patronenschachteln, die er sorgfältig vom Bunkerfußboden aufgesammelt hatte. Jedes einzelne Stück war gewissenhaft geputzt. Kein Spurenexperte konnte beweisen, daß Wachtmeister Els sie je benutzt hatte. Schließlich (und schon mit einem Stich ins Schrullige) hatte er die Alter-Nashornhaut- Brandy-Flasche in die Innentasche des Jacketts gesteckt. Sie war leer gewesen, und für leere Flaschen hatte er nun mal keine Verwendung.
Aber als er die Flasche in die Tasche schob, machte er eine andere nützliche Entdeckung. Die Tasche enthielt eine Brieftasche und einen Kamm. Wachtmeister Els kramte die anderen Taschen durch und fand darin ein Taschentuch und mehrere andere Dinge.
»Es geht nichts über ’ne sauber gemachte Arbeit«, dachte er, steckte die Sachen ein und machte sich auf den Weg, um dem Bunker einen letzten Besuch abzustatten. Als er dort ankam, hatte er sein Selbstvertrauen wiedergewonnen. Polizeibeamte liefen herum und besahen sich den brennenden Schützenpanzer, aber niemand nahm irgendwelche Notiz von dem Wachtmeister, der für eine Sekunde hinter der Ligusterhecke verschwand, ehe er die Straße in Richtung Piemburg hinunterspazierte. Unterwegs hielt er an, um ein Schild zu lesen, das gerade von einer Gruppe Polizisten angenagelt wurde. Eine Stunde später stand Wachtmeister Els mit Schaum vor dem Mund und allen Symptomen von Tollwut vor der Unfallstation des Piemburger Krankenhauses. Ehe sie ihn ins Bett kriegen konnten, hatte er zwei Schwestern und einen Arzt gebissen.
Am Eingang von Jacaranda Park zeigte Kommandant van Heerden den Männern, die sich unter der Qualmwolke um ihn scharten, ganz ähnliche Symptome. Besonders das Verschwinden von Luitenant Verkramp brachte ihn in Harnisch. »Vermißt? Was soll das heißen: vermißt?« schrie er Sergeant de Haen an.
»Er kam zur Erkundung hier rauf, Sir«, antwortete der Sergeant.
»Ist er etwa in dem Ding hier gekommen?« fragte der Kommandant etwas hoffnungsvoller und sah auf den ausgebrannten Schützenpanzer.
»Nein, Sir. In Maske.«
»In was?« bellte der Kommandant.
»Er war als Busch verkleidet, Sir.«
Kommandant van Heerden traute seinen Ohren nicht. »Als Busch verkleidet? Was denn für ein Busch?«
»Schwer zu sagen, Sir. Kein sehr großer.« Kommandant van Heerden wandte sich den Männern zu. »Jemand von Ihnen einen kleinen Busch hier in der Gegend gesehen?«
Schweigen senkte sich über die Polizisten. Alle hatten sie einen kleinen Busch hier in der Gegend gesehen. »Genau hinter Ihnen steht einer, Sir«, sagte ein Wachtmeister. Der Kommandant drehte sich um und sah auf das, was von der Ligusterhecke übrig war. Das war offenbar nichts, was der verkleidete Verkramp sein konnte oder auch nicht. »Das doch nicht, Sie Dummkopf«, schnauzte er. »Ein herumlaufender Scheiß Busch.«
»Ich weiß nichts davon, daß der Busch geschissen hat, Sir«, sagte der Wachtmeister. »Und ich möchte behaupten, er kann auch nicht rumlaufen, aber eins weiß ich, das verfluchte Ding kann verdammt gut schießen.«
»Was zum Teufel quatscht ihr da?« keifte der Kommandant, als ein nervöses Gekicher durch die Menge ging. Sergeant de Haen klärte ihn auf. »Der Kerl, der den Schützenpanzer außer Gefecht gesetzt hat, saß hinter diesem Busch in Deckung.«
Einen Augenblick später guckte Kommandant van Heerden vorsichtig durch die Tür in den Bunker. Das Innere war immer noch mit dem Qualm verbrannten Pulvers gefüllt, aber trotzdem nahmen die Geruchsnerven des Kommandanten ein ihnen vertrautes, durchdringendes Aroma wahr. Der Bunker stank nach altem Nashornhaut-Brandy. Am Boden gab es weitere Beweise. Eine Brieftasche, ein Kamm und ein Taschentuch lagen mitten im Bunker. Der Kommandant hob sie auf und hielt sie sich vorsichtig unter die Nase. Sie waren praktisch mit Brandy getränkt. Er öffnete die Brieftasche und erblickte in goldenen Lettern einen Namen, der ihm ebenfalls geläufig war: »Jonathan Hazelstone«.
Kommandant van Heerden vertrödelte keine Sekunde länger. Noch während er den Bunker verließ, gab er seine Befehle. Der Park sei zu umstellen. Straßensperren seien auf allen Straßen in der Nähe zu errichten. Suchscheinwerfer hätten das gesamte Parkgelände zu beleuchten. »Wir gehen rein und holen ihn uns«, sagte er zum Schluß. »Bringen Sie die anderen Schützenpanzer und die Schäferhunde her.«
Zehn Minuten später standen die restlichen fünf Schützenpanzerwagen, hundert mit Maschinenpistolen bewaffnete Männer und die neunundsechzig Spürhunde vor dem Parktor, bereit zum Angriff auf Jacaranda House. Kommandant van Heerden kletterte auf einen Panzer und hielt den Leuten von dessen Turm aus eine Ansprache.
»Ehe wir anfangen«, sagte er, »möchte ich Sie lieber warnen, daß der Mann, hinter dem wir her sind, ein gefährlicher Verbrecher ist.« Er machte eine Pause. Den Polizisten, die den ausgebrannten Panzerwagen und die Leichen auf dem Abhang gesehen hatten, brauchte man das nicht zu sagen. »Das Haus ist praktisch eine Festung«, fuhr der Kommandant fort, »und er verfügt über eine Sammlung tödlicher Waffen. Beim ersten Zeichen von Widerstand haben Sie meine Erlaubnis, das Feuer zu eröffnen. Noch irgendwelche Fragen?«
»Was ist mit dem Schwarzen Tod?« fragte Sergeant de Haen ängstlich.
»Der Schwarze Tod? O ja, das waren Schußwunden«, erwiderte der Kommandant geheimnisvoll, verschwand im Innern des Panzers und knallte den Deckel zu. Der Konvoi setzte sich vorsichtig die Auffahrt nach Jacaranda House hinunter in Bewegung.