Kapitel 4

Miss Hazelstone setzte sich, von ihrer Beichte offenbar erschöpft, still in ihrem Sessel zurück und blickte glücklich in ihre unmittelbare Vergangenheit. Kommandant van Heerden ließ sich ihr gegenüber in einen Sessel plumpsen und blickte weit weniger zufrieden in seine unmittelbare Zukunft. Was Miss Hazelstone ihm offenbart hatte, das würde sie, da hatte er keinen Zweifel, der ganzen Welt auf die Nase binden, wenn er ihr auch nur halbwegs die Gelegenheit dazu bot, aber diese Enthüllungen mußten unter allen Umständen auf der Stelle verhindert werden. Seine eigene Karriere, der gute Ruf der führenden Familie Zululands, die ganze Zukunft Südafrikas hing ohne jede Frage von Miss Hazelstones Schweigen ab. Seine erste Aufgabe war also, dafür zu sorgen, daß kein einziges Wort über die Ereignisse dieses Nachmittags aus Jacaranda Park heraussickerte. Kommandant van Heerden hatte wenig Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten, das zu verhindern. Und in die von Wachtmeister Els hatte er schon überhaupt keins. Der Kommandant wußte aus bitterer Erfahrung, daß Wachtmeister Els außerstande war, irgend etwas, sei es Geld, Frau, Penis oder Gefangene, von Klatsch ganz zu schweigen, für sich zu behalten. Und was Miss Hazelstone zu berichten hatte, war ja nun nicht mehr bloß Klatsch. Es war politisch, rassisch, gesellschaftlich – Sie sagen es! – Dynamit. Genau an diesem Punkt seiner Betrachtungen sah er den Wachtmeister sich dem Haus nähern. Er machte den Eindruck eines braven Hundes, der seine Pflicht getan hat und jetzt eine Belohnung erwartet. Hätte er einen Schweif gehabt, er hätte ohne jeden Zweifel damit gewedelt. Statt dessen zog er ein grauenerregendes Anhängsel hinter sich her, von dem der Kommandant nur dankbar bemerkte, daß der Wachtmeister den Anstand besaß, nicht damit zu wedeln. Fünfpennys sterbliche Überreste waren etwas, womit niemand, nicht einmal Els, hätte wedeln wollen.

Kommandant van Heerden handelte rasch. Er ging hinaus auf die Veranda und machte die Tür hinter sich zu. »Wachtmeister Els«, kommandierte er, »hier sind Ihre Befehle.« Der Wachtmeister ließ den Kopfkissenbezug fallen und nahm eifrig Habtachtstellung an. Ohne Bäumeklettern und Leicheneinsammeln konnte er es aushalten, aber er liebte es, wenn man ihm Befehle gab. Gewöhnlich bedeuteten sie, daß er die Erlaubnis erhielt, jemandem Schaden zuzufügen. »Schaffen Sie diesen ... dieses Ding da weg«, befahl der Kommandant.

»Jawoll, Sir«, sagte Els dankbar. Fünfpenny ödete ihn langsam an.

»Begeben Sie sich zum Haupttor und bleiben Sie dort, bis Sie abgelöst werden. Sorgen Sie dafür, daß niemand das Grundstück betritt oder verläßt. Absolut niemand. Das heißt, auch keine Weißen. Haben Sie verstanden?«

»Jawoll, Sir.«

»Falls jemand reinkommt, sorgen Sie dafür, daß er nicht wieder rauskommt.«

»Darf ich Waffen einsetzen, um denjenigen aufzuhalten, Sir?« fragte Els.

Kommandant van Heerden zögerte. Er wollte kein Blutbad oben am Haupttor von Jacaranda Park. Auf der anderen Seite war die Lage einfach so verzweifelt, und ein einziges Wörtchen an die Presse würde Zeitungsleute rudelweise herlocken, daß er bereit war, drastische Maßnahmen zu ergreifen. »Ja«, sagte er schließlich. »Sie dürfen schießen.« Und da er sich plötzlich erinnerte, was es für ein Geschrei gegeben hatte, als ein verwundeter Reporter ins Krankenhaus von Piemburg hatte geschafft werden müssen, setzte er hinzu: »Und treffen Sie gleich richtig, Els, treffen Sie richtig.« Klagen aus dem Leichenschauhaus waren leichter zu widerlegen. Kommandant van Heerden ging wieder ins Haus, und Wachtmeister Els machte sich auf den Weg, um das Haupttor zu bewachen. Er war noch nicht weit gegangen, als ihm der Gedanke kam, die Elefantenbüchse garantiere ihm mit Sicherheit, daß nichts Größeres als eine Küchenschabe lebend aus Jacaranda Park herauskäme. Er kehrte um und holte sich die Waffe von der Veranda, dann stapfte er, nachdem er sich noch mit ein paar Schachteln Revolvermunition aus dem Polizeiwagen versorgt hatte, frohen Herzens die Auffahrt hinauf. Als Kommandant van Heerden ins Zimmer trat, sah er mit Erleichterung, daß Miss Hazelstone noch immer wie erstarrt in ihrem Sessel saß. Zumindest ein Problem war jetzt gelöst. Nicht ein Wort von den Injektionen würde Wachtmeister Els zu Ohren kommen. Der Gedanke, was das nach sich ziehen könne, sollte Els von diesem neuen Zeitvertreib Wind bekommen, war dem Kommandanten sorgenvoll im Kopf herumgegangen. Es hatte in letzter Zeit sowieso schon genug Klagen von Nachbarn über die Schreie gegeben, die aus den Zellen des Piemburger Polizeireviers drangen, ohne daß Wachtmeister Els den Häftlingen peinvolle Penisinjektionen verabreichte. Und Els hätte sich nicht damit zufriedengegeben, Novocain zu spritzen. Er wäre zu Salpetersäure übergegangen, ehe man hätte Apartheid sagen können.

Nachdem Els erst einmal weg war, konnte der Kommandant an den nächsten Schritt denken. Er ließ Miss Hazelstone in ihrem Sessel sitzen und ging zum Telefon, das im Topfpflanzendschungel in der Halle versteckt war. Er machte zwei Anrufe. Der erste ging an Luitenant Verkramp im Polizeirevier.

Später sollte sich Luitenant Verkramp an dieses Telefongespräch mit dem Schauder erinnern, der einen immer befallt, wenn man sich noch einmal der ersten Vorzeichen einer Katastrophe erinnert. Damals hatte er sich bloß gefragt, was zum Teufel dem Kommandanten eigentlich fehle. Van Heerden hörte sich an, als sei er nahe an einem Nervenzusammenbruch. »Verkramp, sind Sie’s?« kam seine Stimme in einem erstickten Flüsterton durchs Telefon.

»Natürlich bin ich’s. Was zum Kuckuck haben Sie denn sonst gedacht?« Verkramp verstand die Antwort nicht, aber sie klang so, als versuche der Kommandant etwas sehr Unappetitliches runterzuschlucken. »Was ist denn los? Stimmt mit Ihnen irgend etwas nicht?« erkundigte sich Verkramp hoffnungsvoll. »Hören Sie auf, blöde Fragen zu stellen, und hören Sie zu«, flüsterte der Kommandant barsch. »Ich möchte, daß Sie jeden einzelnen Polizeibeamten in Piemburg in die Kaserne zurückrufen.«

Luitenant Verkramp war entsetzt. »Das geht doch nicht«, sagte er. »Das Rugbyspiel läuft im Augenblick. Das gibt einen Heidenaufstand, wenn ...«

»Es gibt einen Heidenaufstand, wenn Sie’s nicht tun«, schnauzte der Kommandant. »Das war Nummer eins. Zweitens, jeder Urlaub, inklusive Krankenurlaub, ist gestrichen. Verstanden?«

Luitenant Verkramp war nicht sicher, was er verstanden hatte. Es hörte sich an, als wäre der Kommandant übergeschnappt. »Rufen Sie alle Mann in die Kaserne zurück«, fuhr der Kommandant fort. »Ich will jeden einzelnen in voller Bewaffnung und so schnell wie möglich hier haben. Bringen Sie auch die Schützenpanzer und die Schäferhunde mit, ach, und vergessen Sie die Suchscheinwerfer nicht. Bringen Sie allen Stacheldraht, den wir besitzen, und die Tollwutschilder mit, die wir bei der Seuche letztes Jahr benutzt haben.«

»Die Tollwutschilder?« brüllte Luitenant Verkramp. »Sie wollen die Schäferhunde und die Tollwutschilder?«

»Und vergessen Sie die Beulenpestschilder nicht. Bringen Sie sie auch mit.«

Luitenant Verkramp versuchte, sich den ungeheuerlichen Seuchenausbruch in Jacaranda Park vorzustellen, bei dem die Bevölkerung sowohl vor der Tollwut als auch vor der Beulenpest gewarnt werden mußte.

»Ist mit Ihnen auch bestimmt alles in Ordnung?« fragte er. Es klang, als rede der Kommandant im Fieber. »Natürlich ist mit mir alles in Ordnung«, schnappte der Kommandant zurück. »Warum zum Teufel sollte denn etwas nicht in Ordnung mit mir sein?«

»Naja, ich dachte nur ...«

»Es interessiert mich einen Dreck, was Sie dachten. Sie werden hier nicht zum Denken bezahlt. Sie werden dafür bezahlt, daß Sie meinen Befehlen gehorchen. Und ich befehle Ihnen, jedes verdammte Schild, das wir haben, herzuschaffen und jeden verdammten Polizisten und jeden verdammten Schäferhund ...« Kommandant van Heerdens Aufzählung ging weiter, während Verkramp in seinem Hirn verzweifelt nach den Gründen für diesen Einsatz suchte. Van Heerdens letzte Anordnung überbot alles Dagewesene. »Kommen Sie über eine Schleichroute hierher. Ich will kein öffentliches Aufsehen.« Und ehe der Luitenant fragen konnte, wie er wohl mit einem Konvoi aus sechs Schützenpanzern, fünfundzwanzig Lastwagen und zehn Suchscheinwerfern, ganz zu schweigen von den siebzig Schäferhunden und den mehreren Dutzend riesigen Warnschildern, die den Ausbruch von Beulenpest und Tollwut bekanntgaben, jedes öffentliche Aufsehen vermeiden solle, hatte der Kommandant den Hörer bereits aufgelegt. Kommandant van Heerdens zweiter Anruf ging an den Polizeikommissar von Zululand. Während der Kommandant zwischen all der Fauna und Flora in der Halle stand, zögerte er einen Augenblick, ehe er diesen zweiten Anruf losließ. Wenn er seine Forderung nach Ausnahmebefugnissen vorbrächte, sah er im Geiste eine Reihe von Schwierigkeiten sich über seinem Haupt zusammenbrauen, von denen nicht die geringste der schiere Unglaube war, auf den seine erklärte Ansicht als Polizeioffizier sicher stoßen würde, daß die Tochter des seligen Richters Hazelstone nicht nur ihren Zulu-Koch ermordet, sondern vor dieser Tat bereits acht Jahre lang regelmäßig mit ihm rumgehurt habe, nachdem sie seine Zeugungsorgane mit intramuskulären Injektionen massiver Dosen Novocain total taub und gefühllos gemacht hatte. Kommandant van Heerden wußte, was er mit einem untergebenen Beamten täte, der ihn mitten an einem heißen Sommernachmittag anriefe, um ihm so eine Lügengeschichte aufzutischen. Er beschloß, die Einzelheiten des Falles wegzulassen. Er würde die möglichen politischen Folgen einer Mordtat hervorheben, in die die Tochter eines außerordentlich bedeutenden Richters verwickelt sei, der zu seinen Lebzeiten Südafrikas Hauptverfechter der Todesstrafe gewesen war, und den Bericht über Miss Hazelstones subversive Aktivitäten, den Luitenant Verkramp nach Pretoria geschickt hatte, dazu benutzen, die Notwendigkeit von Ausnahmebefugnissen zu rechtfertigen. Kommandant van Heerden faßte sich ein Herz, griff zum Telefon und machte seinen Anruf. Überrascht stellte er fest, daß der Kommissar gegen seine Forderungen gar keine Einwände erhob. »Ausnahmebefugnisse, van Heerden? Aber natürlich, bedienen Sie sich. Sie wissen am besten, was zu tun ist. Ich überlasse die Angelegenheit vollkommen Ihnen. Tun Sie, was Sie für das beste halten.«

Kommandant van Heerden legte den Hörer mit verdutztem Stirnrunzeln auf die Gabel. Er hatte den Kommissar nie gemocht und vermutete, daß seine Gefühle erwidert wurden. Und wirklich hegte der Kommissar die glühende Hoffnung, daß Kommandant van Heerden eines Tages einen so unverzeihlichen Fehler beginge, daß man ihn kurzerhand degradieren könne, und so hysterisch, wie sich der Kommandant am Telefon benommen hatte, schien ihm, daß der Tag seiner Rache nahe sei. Sofort strich er alle Termine für den nächsten Monat, nahm seinen Jahresurlaub an der Südküste und hinterließ die Anweisung, daß er nicht gestört werden dürfe. Die nächste Woche brachte er in der Sonne liegend im sicheren Wissen zu, daß er van Heerden genügend Leine gelassen hatte, damit der sich daran aufhängte.

Mit Ausnahmeermächtigungen ausgestattet, die ihn zum Herrn über Tod und Leben von 70 000 Piemburgern machten und ihm das Recht gaben, Zeitungsartikel zu verbieten und nach Gutdünken alle, deren Nase ihm nicht gefiel, zu verhaften, einzusperren und zu foltern, war der Kommandant immer noch kein glücklicher Mensch. Die Ereignisse des Tages hatten ihren Tribut von ihm gefordert.

Um von seinen Problemen Abstand zu gewinnen, wandte er sich einem lebensgroßen Porträt von Sir Theophilus Hazelstone zu, das am Fuß der großen Treppe hing und ihn im vollen Schmuck seiner Insignien als Ritter des Königlichen Victoriaordens und Vizekönig von Matabeleland zeigte. Sir Theophilus stand da, in Hermelin gehüllt, die scharlachrote Uniform mit edelsteinverzierten Sternen und Orden verheerender Schlachten übersät, von denen jeder den Tod von mindestens zehntausend Soldaten repräsentierte, den sie der Unfähigkeit ihres Generals zu verdanken hatten. Des Vizekönigs Linke ruhte arthritisch auf dem Heft eines Schwertes, das aus seiner Scheide zu ziehen er immer viel zu feige gewesen war, während seine Rechte an einer geflochtenen Leine ein Wildschwein hielt, das extra aus Böhmen importiert worden war, um der Ehre teilhaftig zu werden, die Familie Hazelstone in diesem bedeutenden Kunstwerk darzustellen. Kommandant van Heerden war besonders von dem Wildschwein beeindruckt. Es erinnerte ihn an Wachtmeister Els. Er konnte nicht wissen, daß das arme Tier erst an ein Eisengerüst gekettet werden mußte, ehe der Vizekönig den Raum mit diesem lebenden Familienemblem betrat, und das auch nur, nachdem ihn der Künstler dazu überredet und ihm eine halbe Flasche Brandy eingetrichtert hatte. All das entging dem Kommandanten und ließ ihn im festen Glauben an die bedeutenden Qualitäten dieses Staatsmannes, dessen Enkelin er vor den Folgen ihrer Torheiten bewahren wollte.

Geistig gestärkt durch den Anblick dieses Porträts sowie eines ähnlichen vom seligen Richter Hazelstone, auf dem er genauso unbarmherzig aussah, wie ihn der Kommandant von jenem Tag im Gericht in Erinnerung hatte, als er elf Männer vom Stamm der Pondos wegen des Diebstahls einer Ziege zum Tode verurteilte, stieg Kommandant van Heerden langsam die Treppe nach oben, um nach einem Plätzchen zu suchen, wo er sich ausruhen könne, bis Luitenant Verkramp mit der Verstärkung kam.

Wenn Jacaranda Park erst einmal von der Außenwelt abgeschnitten wäre, würde er sich an die Aufgabe machen, Miss Hazelstone davon zu überzeugen, daß sie ihren Koch niemals ermordet und sich den ganzen Quatsch mit der Spritze und der Liebesaffäre ausgedacht hatte. Er war sicher, daß er die alte Dame zur Vernunft bringen könne, und wenn nicht, dann gäben ihm die Ausnahmebefugnisse das Recht, sie unbefristet und ohne Beistand eines Rechtsanwalts festzuhalten. Notfalls würde er auf den Terroristenerlaß pochen und sie in Einzelhaft bis ans Ende ihrer Tage einsperren, die durch geeignete Maßnahmen und eine zwangsläufig strenge Behandlung noch verkürzt werden konnten. Das war zwar kaum die Art und Weise, wie er mit einer Dame ihrer Herkunft hätte umgehen wollen, aber im Augenblick fiel ihm nichts Besseres ein. Als er oben angelangt war, blieb er einen Augenblick stehen, um wieder zu Atem zu kommen, dann ging er die Galerie entlang, die die ganze Länge von Jacaranda House einnahm. Wenn die Halle unten mit Porträts und ausgestopften Köpfen vollgepfropft war, so waren die Wände der Galerie entsprechend mit Trophäen vergangener Schlachten vollgehängt. Zu beiden Seiten erblickte der Kommandant zu seiner Verblüffung Waffen aller Formen und Größen, Waffen jedes Alters und Typs, die, soweit der Kommandant feststellen konnte, nur eines gemeinsam hatten, daß sie nämlich alle perfekt in Ordnung und dermaßen tödlich waren, daß er das absolut haarsträubend fand. Er blieb stehen und untersuchte eine Maschinenpistole. Tadellos geölt und intakt hing sie neben einer uralten Donnerbüchse. Kommandant van Heerden staunte. Die Galerie war ein regelrechtes Waffenarsenal. Hätte Miss Hazelstone nicht angerufen, um ihr Malheur mit Fünfpenny anzuzeigen, und sich statt dessen entschlossen, Jacaranda House zu verteidigen, dann hätte sie mit diesen Waffen die gesamten Polizeistreitkräfte Piemburgs wochenlang in Schach halten können. Der Kommandant gratulierte sich zu seinem Glück, daß Miss Hazelstone so kooperativ war, öffnete eine der Türen, die von der Galerie abgingen, und sah hinein.

Wie er erwartet hatte, war es ein Schlafzimmer und mit so viel Geschmack und Eleganz ausgestattet, wie es dem Heim der führenden südafrikanischen Expertin zurückhaltender Raumgestaltung angemessen war. Chintzvorhänge und eine dazu passende Tagesdecke auf dem Bett verliehen dem Raum eine heitere, duftige Note. Was auf dem Bett lag, hatte den entgegengesetzten Effekt. Es hatte überhaupt nichts Geschmackvolles oder Elegantes an sich, und niemand hätte es als duftig bezeichnen können. Denn dort lag – und seine Unangemessenheit wurde durch das Reizvolle der anderen Einrichtungsgegenstände noch hervorgehoben – der Körper eines großen, behaarten und vollkommen nackten Mannes. Was für den aufgescheuchten Zustand des Kommandanten noch schlimmer war: Der Körper trug alle Anzeichen, erst vor kurzem verblutet zu sein. Er war praktisch über und über mit Blut bedeckt.

Durch die schreckliche Entdeckung einer weiteren Leiche völlig aus dem Gleichgewicht gebracht, wankte der Kommandant auf die Galerie zurück und lehnte sich gegen die Wand. Mit einer Leiche pro Nachmittag kam er noch so ungefähr zu Rande, besonders, wenn sie schwarz war, aber zwei, von denen eine auch noch weiß war, erfüllten ihn mit Verzweiflung. Jacaranda House nahm langsam den Charme eines Schlachthofs an. Und was das schlimmste war: Diese zweite Leiche machte jede Möglichkeit, den Fall zu vertuschen, zuschanden. Miss Hazelstone davon zu überzeugen, daß sie ihren schwarzen Koch nicht umgebracht habe, war eine Sache. Das Verschwinden von Zulu-Köchen war eine simple Routineangelegenheit. Der Mord an einem Weißen aber würde schlicht bekanntgegeben werden müssen. Es würde eine Untersuchung stattfinden. Fragen würden gestellt werden, und eins käme zum anderen, bis die ganze Geschichte von Miss Hazelstone und ihrem Zulu-Koch ans Tageslicht gekommen wäre.

Nach kurzer, verzweifelter Überlegung hatte der Kommandant seinen Mut wieder soweit zurückgewonnen, um noch mal um die Tür herum ins Mordzimmer zu gucken. Die Leiche war noch da, wie er zu seinem Leidwesen bemerkte. Andererseits besaß sie bestimmte Eigenschaften, die Kommandant van Heerden nach seiner Erfahrung mit Leichen ungewöhnlich fand. Eine ganz besonders fesselte seine Aufmerksamkeit. Die Leiche hatte eine Erektion. Der Kommandant lugte noch mal um die Ecke, um seinen Verdacht bestätigt zu finden, und in dem Augenblick bewegte sich die Leiche und begann zu schnarchen.

Einen Moment lang war Kommandant van Heerden durch den Beweis, daß der Mann noch lebte, so erleichtert, daß er fast losgelacht hätte. Im nächsten Augenblick wurde ihm die volle Bedeutung seiner Entdeckung klar, und das Lächeln erstarb ihm auf dem Gesicht. Er hatte nicht den geringsten Zweifel, daß der Mann, der vor ihm auf dem Bett lag, der wahre Mörder Fünfpennys sei. Der Kommandant starrte auf die Gestalt auf dem Bett, und da bemerkte er den Brandygeruch in der Luft. Im nächsten Moment knallte er mit dem Fuß gegen eine Flasche, die auf dem Boden lag. Er bückte sich und hob sie auf. Alter Nashornhaut-Brandy, stellte er voll Ekel fest. Das war die Brandymarke, für die auch Wachtmeister Els besonders schwärmte, und wenn noch etwas nötig war, um seinen Verdacht zu bestätigen, daß der Kerl auf dem Bett ein gefährlicher Verbrecher sei, dann war es die Erkenntnis, daß, wenn er auch nur eine von Wachtmeister Eisens lasterhaften Neigungen mit ihm gemein habe, er mit allergrößter Sicherheit auch andere, noch unmoralischere mit ihm teile. Mit der Flasche in der Hand ging Kommandant van Heerden auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Draußen auf der Galerie versuchte er, sich darüber klarzuwerden, welchen Einfluß diese Entdeckung auf seine Pläne hätte. Daß der Mann ein Mörder sei, daran hatte er keinen Zweifel. Daß er im Augenblick sternhagelvoll sei, war auch klar. Was ein Rätsel blieb, war, daß Miss Hazelstone sich zu einem Verbrechen bekannte, das sie gar nicht begangen hatte. Und noch rätselvoller war ihm, daß sie ihr Geständnis mit diesem ganzen aus der Luft gegriffenen Mist rausputzte, daß sie mit ihrem Zulu-Koch geschlafen und ihm Novocain-Spritzen verabreicht habe. Kommandant van Heerden drehte sich der Kopf vor lauter Möglichkeiten, und da er nicht in der Nähe eines so gefährlichen Mörders bleiben wollte, ging er die Galerie entlang bis zum Absatz am Ende der Treppe. Jetzt wünschte er sich, er hätte Wachtmeister Els nicht zur Bewachung des Haupttors losgeschickt, und gleichzeitig fragte er sich allmählich, wann Luitenant Verkramp wohl mit den Hauptverbänden einträfe. Er lehnte sich über das Geländer und starrte auf das Tropenmausoleum in der Halle hinunter. Dicht neben ihm blinzelte der Kopf eines ausgestopften Nashorns kurzsichtig in die Ewigkeit. Kommandant van Heerden blinzelte zurück und fragte sich, an wen von seinen Bekannten es ihn erinnere, aber da wurde ihm mit einem Schlage der wahre Sinn von Miss Hazelstones Geständnis klar, und das sollte sein Leben radikal verändern.

Er hatte plötzlich bemerkt, daß das Gesicht des Mörders auf dem Bett ihn an jemanden erinnerte. Diese Erkenntnis ließ ihn eilig die Treppe hinunterstolpern, von wo er auf das riesige Porträt Sir Theophilus’ emporstarrte. Einen Augenblick später war er wieder in dem Schlafzimmer. Er pirschte sich behutsam ans Bett vor und äugte vorsichtig auf das Gesicht auf dem Kopfkissen hinunter. Er sah, was er erwartet hatte. Trotz dem aufgesperrten Mund und den Augen mit den schweren Tränensäcken darunter, trotz all der Jahre voller Ausschweifungen und sexueller Hemmungslosigkeit und Strömen alten Nashornhaut-Brandys hatten die Züge des Mannes auf dem Bett eine unverwechselbare Ähnlichkeit mit denen Sir Theophilus’ und des verstorbenen Richters Hazelstone. Nun wußte er, wer der Mann war. Es war Jonathan Hazelstone, Miss Hazelstones jüngerer Bruder. Und während dem Kommandanten eine ganz neue Erkenntnis dämmerte, machte er auf dem Absatz kehrt, um das Zimmer zu verlassen. In diesem Augenblick bewegte sich der Mörder wieder. Der Kommandant blieb wie angewurzelt stehen und beobachtete mit einer Mischung aus Furcht und Abscheu, wie sich eine blutverschmierte Hand auf dem behaarten Oberschenkel des Mannes ihren Weg nach oben tastete und das stattliche erigierte Glied ergriff. Kommandant van Heerden wartete keine Sekunde länger. Keuchend hastete er aus dem Zimmer und eilte die Galerie hinunter. Ein Mann, der eine Flasche alten Nashornhaut-Brandy verdrücken konnte und dennoch überlebte, egal, wie komatös sein Zustand auch war, war zweifellos ein Wahnsinniger, und wenn er zu allem Überfluß auch noch mit einer Erektion daliegen konnte, während sein Leib sich gegen die gräßlichen Schädigungen durch den Brandy zu wehren versuchte, dann war er ganz ohne Frage ein Sexbesessener, dessen Sexualgelüste so stark sein mußten, daß nichts vor ihm sicher war. Kommandant van Heerden fiel wieder ein, in welcher Haltung Fünfpenny am Fuße des Piedestals gelegen hatte, und er meinte langsam zu wissen, wie der Zulu-Koch gestorben war, und in seinen Überlegungen hatte die Elefantenbüchse keinen Platz. Ohne einen Moment zu zögern, eilte er die Treppe hinunter und verließ das Haus. Er mußte Wachtmeister Els zu Hilfe holen, ehe er versuchte, den Mann zu verhaften. Als er die Auffahrt mit langen Schritten hinaufging, begriff er, warum Miss Hazelstone ihr abscheuliches Geständnis abgelegt hatte, und während er das erkannte, sproß in der Brust des Kommandanten ein neuer und tieferer Respekt vor den alten Familienbanden der Briten.

»Ritterlichkeit. Es ist pure Ritterlichkeit«, sagte er sich. »Sie opfert sich, um den guten Namen der Familie zu schützen.« Im Augenblick war ihm nicht ganz klar, wieso das Geständnis, den schwarzen Koch umgebracht zu haben, den guten Namen der Familie schützte, aber er vermutete, das sei besser, als wenn der Bruder gestehen müsse, den besagten Koch in ein frühes Grab gevögelt zu haben. Er fragte sich, wie hoch wohl die Strafe für so ein Verbrechen wäre.

»Verdient, gehängt zu werden«, sagte er voller Hoffnung, aber dann erinnerte er sich, daß noch nie ein Weißer für einen Mord an einem Schwarzen gehängt worden war. »Unzucht ist was anderes«, dachte er. Egal, sie konnten ihn immer wegen »Handlungen, die geeignet sind, Rassenkonflikte hervorzurufen«, rankriegen, ein Vergehen, das mit zehn schweren Stockschlägen bestraft wurde, und wenn einen Zulu- Koch zu bumsen nicht geeignet war, Rassenkonflikte hervorzurufen, dann wußte zumindest er nicht, was sonst. Er würde Wachtmeister Els darüber befragen müssen. Der Wachtmeister hatte in derlei Dingen mehr Erfahrung als er.