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Kommandant van Heerden war nicht der einzige, der unter der Einbildung litt, er habe Halluzinationen. In Piemburg liefen Luitenant Verkramps Bemühungen, die subversiven Elemente des Staates auszurotten, darauf hinaus, daß es einen neuen, grotesken Ausbruch von Sabotageakten gab, diesmal auf den Straßen der Stadt. Und wieder hatten die Gewalttaten ihren Ursprung in der Verschlungenheit der Nachrichtenwege zwischen dem Sicherheitschef und seinen Agenten.
Der Donnerstags-Briefkasten von 628.461 lag im Vogelpark. Um genau zu sein, in einer Abfallkiste vor dem Straußengehege, was jeder für eine sehr geeignete Stelle hielt, weil es vollkommen logisch war, daß man dort Dinge hineinwarf, und sie war auch genau der geeignete Punkt für einen als Landstreicher verkleideten Sicherheitsbeamten, um Dinge herauszunehmen. Jeden Donnerstagmorgen schlenderte 628.461 durch den Vogelpark, kaufte sich beim Eisverkäufer ein Eis, wickelte seine Botschaft in das klebrige Silberpapier und warf sie in den Abfallkorb, während er so tat, als sehe er dem Leben und Treiben der Strauße zu. Jeden Donnerstagnachmittag erschien der Sicherheitsbeamte van Rooyen in dem Vogelpark, zünftig in Lumpen gekleidet und eine leere Sherryflasche in der Hand, und spähte voller Hoffnung in die Abfallkiste, um sie jedesmal leer zu finden. Die Tatsache, daß die Botschaft hinterlegt und inzwischen von jemand anderem entfernt worden war, kam keinem in den Sinn. 628.461 wußte nicht, daß Wachtmeister van Rooyen seine Botschaft nicht gefunden hatte, und Wachtmeister van Rooyen hatte keine Ahnung, daß Agent Nr. 628.461 überhaupt existierte. Er wußte nur, daß ihm Luitenant Verkramp gesagt hatte, er solle das klebrige Eiskrempapier aus dem Abfallkorb nehmen, und da war keins.
Am Donnerstag nach der Abreise des Kommandanten verschlüsselte 628.461 eine wichtige Botschaft, in der er Verkramp mitteilte, daß er die anderen Saboteure überredet habe, ausnahmsweise gemeinsam zu handeln, und zwar zu dem Zweck, ihre Verhaftung zu erleichtern, während sie gerade ein Ding drehten, für das sie alle gehenkt werden konnten. Er hatte vorgeschlagen, den Hluwe-Staudamm zu sprengen, der ganz Piemburg und halb Zululand mit Wasser versorgte, und da niemand ganz allein einen Staudamm in die Luft sprengen kann, hatte er darauf bestanden, daß alle daran teilnähmen. Zu seiner großen Überraschung stimmten alle elf seinem Vorschlag zu und gingen heim, um Botschaften an Verkramp zu chiffrieren, in denen sie ihm dringend rieten, am Freitagabend seine Leute ja am Staudamm zu haben. Ungeheuer erleichtert durch die Aussicht, endlich ein bißchen Schlaf zu bekommen, spazierte 628.461 am Donnerstagmorgen zum Vogelpark, um seine Botschaft zu hinterlegen. Mit wahrem Schrecken aber beobachtete er, daß 378.550 ihm folgte, und mit wirklicher Bestürzung bemerkte er, als er sich seinen Eiskrem kaufte, daß 885.974 ihn aus dem Gebüsch auf der gegenüberliegenden Seite belauerte. 628.461 aß sein Eis vor dem Wiedehopfkäfig, um keine Aufmerksamkeit auf den Abfallkorb am Straußengehege zu lenken. Eine halbe Stunde später aß er ein zweites Eis, während er müde auf die Pfauen starrte. Nach einer Stunde kaufte er sich schließlich einen dritten Eskimobecher und schlenderte gemächlich hinüber zu den Straußen. Hinter ihm beobachteten 378.550 und 885.974 seine Bewegungen mit gespannter Neugier. Dasselbe taten die Strauße. 628.461 aß seinen Eisbecher auf, warf das Silberpapier in den Abfallkorb und wollte gerade die Szene verlassen, als er gewahr wurde, daß alle seine Irreführungsversuche umsonst gewesen waren. Mit einer Gier, die daher rührte, daß man sie eine ganze Stunde hatte warten lassen, kamen die Strauße an den Zaun gestürzt, steckten ihre Köpfe in den Abfallkorb, und ein Glücksvogel verschlang die Eisverpackung. 628.461 vergaß sich völlig.
»Verfluchte Scheiße«, sagte er. »Sie haben’s. Die verdammten Viecher fressen aber auch alles.«
»Haben’s? Was denn?« fragte 378.550, der glaubte, daß er gemeint gewesen sei, und über die Gelegenheit froh war, seine Rolle als Schatten aufgeben zu können.
628.461 riß sich zusammen und sah 378.550 argwöhnisch an.
»Sie sagten eben: >Sie haben’s<«, wiederholte 378.550.
628.461 versuchte, sich aus seiner Lage herauszuwinden. »Ich sagte: >Ich hab’s<«, erklärte er. »>Ich hab’s<. Sie fressen alles.«
378.550 tappte noch immer im Dunkeln. »Das habe ich immer noch nicht verstanden«, sagte er.
»Also«, sagte 628.461, der verzweifelt zu erklären versuchte, was die Allesfresserei der Strauße mit seiner Treue zur Sache des Weltkommunismus zu tun hatte. »Ich überlegte mir gerade, daß wir sie dazu kriegen könnten, Sprengstoff zu fressen, und dann laufen lassen, und sie würden überall in der ganzen Stadt explodieren.«
378.550 sah ihn voll Bewunderung an. »Das ist ja genial«, sagte er. »Absolut genial.«
»Natürlich«, sagte 628.461, »müßten wir den Sprengstoff erst in irgendwas Wasserfestes packen. Dann sie dazu kriegen, daß sie’n schlucken. Einen Zünder dran und peng! hat man die perfekte Sabotagewaffe.«
885.974, der in seinem Gebüsch nicht übergangen werden wollte, kam zu ihnen herüber.
»Pariser«, schlug er vor, als er in den Plan eingeweiht worden war. »Man tut den Sprengstoff in Pariser und bindet sie oben zu, da ist er wasserdicht aufgehoben.«
Eine Stunde später debattierten sie den Plan im Café Florian mit den übrigen Saboteuren. 745.396 machte Einwände, weil Strauße zwar vielleicht alles fräßen, aber er bezweifle, ob selbst sie so dämlich seien, ein Kondom voller Sprengstoff zu schlucken.
»Wir probieren’s heute nachmittag mal aus«, sagte 628.461, der das Gefühl hatte, 745.396 ziehe irgendwie seine Treue zum Marxismus-Leninismus in Zweifel, und man stimmte über den Antrag ab. Nur 745.396 war immer noch dagegen, und er wurde überstimmt.
Während der Rest der Gruppe die Mittagszeit damit verbrachte, Botschaften an Verkramp zu verschlüsseln, um ihn darauf aufmerksam zu machen, daß das Hluwe-Damm-Projekt abgesagt sei und er eines Ansturms detonierender Strauße gewärtig sein solle, wurde 885.974, der als erster auf den Gedanken mit den Parisern gekommen war, losgeschickt, um zwölf Dutzend der besten Qualität zu besorgen.
»Nimm Crêpe de Chine«, sagte 378.550, der mit einer anderen Marke unglückliche Erfahrungen gemacht hatte, »auf die gibt’s Garantie.«
885.974 ging in die große Drogerie an der Market Street und verlangte von dem jungen Mann hinter dem Fototresen zwölf Dutzend Crêpe de Chine.
»Crêpe de Chine?« fragte der Verkäufer, der offenbar neu in dem Laden war. »Wir führen keinen Crêpe de Chine. Da müssen Sie in ein Kurzwarengeschäft gehen. Das hier ist eine Drogerie.«
88.597, der allein schon wegen der Menge, die er verlangte, furchtbar verlegen war, wurde sehr rot.
»Das weiß ich«, flüsterte er. »Sie verstehen doch, was ich meine. In Päckchen zu drei Stück.«
Der Verkäufer schüttelte den Kopf. »Er wird nur nach Metern verkauft«, sagte er, »aber ich frage mal, ob wir welchen haben«, und ehe 885.974 ihn daran hindern konnte, hatte er sich mit lauter Stimme quer durch den ganzen Laden an ein Mädchen gewandt, das an einem anderen Ladentisch ein paar Kunden bediente.
»Der Herr hier wünscht zwölf Dutzend Crêpe de Chine, Sally. Sowas verkaufen wir doch gar nicht, oder?« fragte er, und 885.974 stellte fest, daß er augenblicklich zum Gegenstand beträchtlichen Interesses von zwölf Frauen mittleren Alters wurde, die ganz genau wußten, was er haben wollte, auch wenn’s der Verkäufer nicht wußte, und die über die Manneskraft erstaunt waren, auf die die geforderte Menge schließen ließ.
»Ach, um Gottes willen, lassen Sie’s gut sein«, murmelte er und flüchtete aus dem Laden. Schließlich bekam er, was er wollte, indem er in einer anderen Drogerie sechs Zahnbürsten und zwei Tuben Haarcreme kaufte und Durex Federleicht verlangte.
»Sie schienen mir geeigneter zu sein«, erklärte er, als er am Nachmittag vor dem Straußengehege auf die anderen Agenten stieß. Mit einer Einmütigkeit, wie sie bei früheren Treffen wahrlich nicht geherrscht hatte, machten sich die Agenten daran, einen Strauß dazu zu bringen, den in einer Gummihülle versteckten Sprengstoff zu schlucken.
»Am besten, wir probieren’s erstmal mit Sand«, schlug 628.461 vor und füllte welchen in einen Durex Federleicht, eine Tätigkeit, die einigen Ekel bei einer Dame hervorrief, die die Enten auf einem nahegelegenen Teich fütterte. Er wartete, bis sie weg war, dann warf er dem Strauß den Überzieher hin. Der Vogel nahm ihn und spuckte ihn wieder aus. 628.461 nahm einen Stock und angelte das Ding mit einiger Mühe aus dem Gehege. Ein zweiter Versuch war gleichermaßen erfolglos, und als ein dritter Versuch, ein halbes Pfund latexumhüllter Erde in das Verdauungssystems des Vogels zu schmuggeln, gescheitert war, schlug 628.461 vor, das Ding mit Eiskrem einzuschmieren.
»Heute morgen schienen sie das zu mögen«, sagte er. Er hatte es langsam satt, durch den Zaun nach, wie es schien, gefüllten Kondomen zu stöbern. Nachdem 378.550 schließlich zwei Eisbecher und eine Tafel Schokolade gekauft und man die Gummihülle erst mit Eiskrem, dann mit Schokolade und zum Schluß mit einer Mischung aus beidem eingerieben hatte, wurde die Unternehmung durch das Eintreffen eines Parkwärters gestört, den die die Enten fütternde Dame herbeigeholt hatte. 628.461, der den Pariser gerade zum achten Mal aus dem Straußengehege gefischt hatte, stopfte ihn in seine Tasche.
»Sind das die Männer, die Sie gesehen haben, als sie versuchten, die Strauße mit irgendwas Unbekanntem zu füttern?« fragte der Wärter.
»Ja, das sind sie«, sagte die Dame mit Nachdruck.
Der Wächter wandte sich an 628.461.
»Haben Sie versucht, den Vogel dazu zu verleiten, eine bestimmte Menge von irgend etwas zu verschlucken, das sich in einem Ding befand, das die Dame genau gesehen haben will?« fragte er.
»Natürlich nicht«, sagte 628.461 entrüstet.
»Doch«, sagte die Dame, »ich hab’s gesehen.«
»Dann darf ich Sie bitten weiterzugehen«, sagte der Wächter.
Während sich die kleine Schar davon machte, wies 745.396 darauf hin, wie recht er gehabt hatte.
»Ich habe euch ja gesagt, Strauße sind nicht so dumm«, sagte er, womit er 628.461 nur noch mehr in Rage brachte. Der hatte nämlich gerade festgestellt, daß die Gummihülle in seiner Tasche geplatzt war.
»Ich meine, dir wäre gesagt worden, du solltest Crêpe de Chine besorgen«, knurrte er 885.974 an und versuchte aus seiner Tasche Sand, Schokolade, Eiskrem und Straußenköttel zu entfernen.
»Was mache ich nun bloß mit zwölf Dutzend Parisern?« fragte 885.974.
Es war 378.550, dem schließlich die Lösung einfiel. »Popkorn und Honig«, sagte er plötzlich.
»Was ist damit?« fragte 628.461.
»Man überzieht sie mit Popkorn und Honig, und ich garantiere euch, sie schlucken die Dinger.«
Im ersten Laden, zu dem sie kamen, kaufte 378.550 ein Paket Popkorn und einen Topf Honig. Dann ließ er sich von 885.794 einen von den Parisern geben und ging zum Vogelpark zurück, um sein Rezept auszuprobieren.
»Es hat phantastisch geklappt«, berichtete er zehn Minuten später. »Er schluckte das Ding mit einem Happs.«
»Und was machen wir, wenn wir sie alle abgefüllt und die Zünder eingestellt haben?« fragte 745.396 skeptisch.
»Natürlich eine Popkorn-Spur bis ins Stadtzentrum legen«, sagte 628.461 zu ihm. Die Gruppe löste sich auf, um ihre Sprengstoffvorräte herbeizuholen, und kam abends um neun wieder im Vogelpark zusammen. Das Gefühl gegenseitigen Mißtrauens, das ihre Treffen früher so sehr durchdrungen hatte, war echter Kameradschaft gewichen. Verkramps Agenten fingen an, sich zu mögen.
»Wenn das funktioniert«, sagte 628.461, »besteht kein Grund, weshalb wir’s nicht auch mit dem Zoo versuchen sollten.«
»Verdammt will ich sein, wenn ich die Löwen mit Parisern füttere«, sagte 745.396.
»Gar nicht nötig, sie mit irgendwas zu füttern«, sagte 885.974, der keine Lust hatte, noch mehr Kondome zu kaufen. »Die wären auch so explosiv genug.«
Waren Verkramps Agenten auch fröhlich – von ihrem Chef konnte das nicht behauptet werden. Die Überzeugung, daß irgendwas gefährlich schiefgegangen war mit seinen Plänen, der kommunistischen Subversion ein Ende zu bereiten, hatte sich verstärkt, als der Waffenmeister entdeckte, daß erhebliche Mengen an Sprengstoff und Zündern aus dem Polizeiarsenal abhanden gekommen waren.
Er meldete seinen Fund oder vielmehr dessen Fehlen an Luitenant Verkramp. Diese Meldung, die genau zu einem Bericht der Polizei-Sprengtruppe paßte, in dem es hieß, daß die bei allen Anschlägen benutzten Sprengkapseln von einer Bauart seien, wie sie in der Vergangenheit allein von der Südafrikanischen Polizei benutzt wurde, ließ in Verkramp allmählich die Erkenntnis reifen, daß er auf irgendwie merkwürdige Weise wohl einen größeren Bissen in den Mund genommen hatte, als er runterschlucken konnte. Das war eine Erkenntnis, die er mit fünf Straußen im Vogelpark teilte. Was am Anfang als herrliche Möglichkeit erschienen war, seinen Ehrgeiz zu stillen, hatte sich zu etwas entwickelt, wovon es keinen Weg zurück mehr gab. Sicherlich sahen es die Strauße in diesem Lichte, wie die Geheimagenten zu ihrem Schrecken feststellen mußten, als sie die explosiven Vögel aus ihrem Gehege freiließen. Gesellig bis zum letzten und offenbar der Meinung, daß es, was die mit Popkorn überzogenen Pariser anging, ruhig noch weitergehen könne, eilten die fünf Strauße mit großen Schritten hinter den Agenten her, die Kurs auf die Stadt nahmen. Als die Mischung aus Rudel und Schar das obere Ende der Market Street erreicht hatte, waren die Agenten der Panik nahe.
»Wir teilen uns vielleicht besser«, sagte 628.461 ängstlich.
»Teilen? Teilen? Wir lösen uns verdammt nochmal schlicht und einfach auf, wenn zum Kuckuck nochmal die Vögel von hier nicht verschwinden«, sagte 745.396, der von Anfang an den ganzen Plan nicht gutgeheißen und die Freundschaft eines Straußen gewonnen zu haben schien, der wenigstens 300 Pfund in ungeladenem Zustand wog und einen Fünfzehn-Minuten-Zünder intus hatte. Im nächsten Augenblick machten sich die Agenten durch Nebenstraßen aus dem Staub, um den wahrscheinlichen Auswirkungen ihres Experiments zu entgehen. Furchtlos, unbarmherzig und mühelos rasten die Strauße hinter ihnen her. An der Ecke Market und Stanger Street sprang 745.396 auf einen fahrenden Bus auf und sah zu seinem Entsetzen durch das Rückfenster, wie die Silhouette seines Straußes in aller Gemütlichkeit ein paar Meter entfernt hinter ihnen hertrabte. Bei der Ampel an der Chapel Street war er immer noch da. 745.396 war mit einem Satz aus dem Bus und flitzte in das Majestic Cinema, in dem Die tollkühnen Adler gezeigt wurde.
»Die Vorstellung ist zu Ende«, sagte der Portier im Foyer.
»Das glauben Sie«, sagte 745.396, die Augen auf den Strauß geheftet, der neugierig durch die Glastür äugte. »Ich möchte bloß mal auf die Toilette.«
»Die Treppe runter, links«, sagte der Portier und ging hinaus auf den Bürgersteig, um den Strauß zum Weitergehen zu bewegen. 745.396 ging hinunter zur Toilette, riegelte sich in eine Zelle ein und wartete auf die Explosion. Er war immer noch da, als der Portier fünf Minuten später zu ihm runterkam und an die Tür klopfte.
»Hat dieser Strauß irgendwas mit Ihnen zu tun?« fragte er, während 745.396 Papier von der Rolle abriß, um zu beweisen, daß er das Örtchen zu seinem eigentlichen Zweck benutzte.
»Nein«, sagte 745.396 ohne Überzeugung.
»Na, Sie können ihn jedenfalls nicht einfach so draußen lassen«, sagte der Portier, »er behindert noch den Verkehr.«
»Das können Sie laut sagen«, sagte 745.396.
»Was kann ich laut sagen?« fragte der Portier.
»Nichts«, schrie 745.396 wütend. Er war mit seinem Latein am Ende. So auch der Strauß, wie es schien.
»Eine letzte Frage: Lassen Sie immer…«, sagte der Portier, aber weiter kam er nicht. Der Eindruck außergewöhnlicher Stille überfiel ihn, auf den eine Feuerwand und ein furchtbarer Knall folgten. Als die Fassade des Majestic Cinema auf die Straße stürzte und die Lichter erloschen, sank Agent Nr. 745.396 langsam auf den zerborstenen Toilettensitz und lehnte sich gegen die Wand. Da saß er noch immer, als ihn am nächsten Tag die Bergungsleute fanden: mit Mörtel bedeckt und mausetot.
Gerüchte, wonach Piemburg von ganzen Herden automatisch explodierender Strauße heimgesucht würde, verbreiteten sich die ganze Nacht über wie ein Lauffeuer. Dasselbe taten die Strauße. Ein besonders tragischer Vorfall ereignete sich im Büro der Gesellschaft zur Erhaltung der Wildtiere Zululands, wo ein Strauß, den ein Vogelfreund hereingebracht hatte, während der Untersuchung durch den Vereins-Tierarzt explodierte.
»Ich glaube, er hat sowas wie ‘ne Magenverstimmung«, erklärte der Mann. Der Tierarzt horchte mit seinem Stethoskop am Kropf des Vogels, dann stellte er seine Diagnose.
»Sodbrennen«, sagte er mit einer Endgültigkeit, die durch die nachfolgende Detonation durchaus bestätigt wurde. Als der Nachthimmel in Mauersteine, Mörtel und die vermischten Überreste von Vogelfreund und Veterinär zerbarst, mußte auch der Sitz der Gesellschaft zur Erhaltung der Wildtiere, historisch bedeutsam und selbst Gegenstand einer Erhaltungsvorschrift der Piemburger Ratsversammlung, für immer dran glauben. Nur eine Rauchwolke und ein paar große Federn, gleichsam das Sinnbild eines vertriebenen Prinzen von Wales, schwebten träge hinauf zum Mond.
In seinem Büro lauschte der amtierende Kommandant Verkramp mit wachsender Verzweiflung den dumpfen Explosionen. Was immer auch in Trümmern lag – und so wie es sich anhörte, mußte es sich um einen großen Teil des Geschäftszentrums der Stadt handeln –, seine eigene Karriere würde sich in Kürze dazu gesellen. Im wütenden Versuch, seine bangen Ahnungen zu beruhigen, hatte er eben die wenigen Botschaften seiner Geheimagenten durchforstet, nur um darin die Bestätigung zu finden, daß sein Plan, wenn nicht gar alle ihre Bemühungen gescheitert waren. Agent Nr. 378.550 hatte ihm mitgeteilt, daß die Sabotagegruppe aus elf Leuten bestünde.
Agent Nr. 885.974 hatte ihm dasselbe zu sagen. Und 628.461 auch. Eine schreckliche Übereinstimmung hatten diese Botschaften an sich. In jedem Fall berichtete sein Agent von elf Leuten. Verkramp zählte einen zu den elfen hinzu und erhielt zwölf. Er hatte zwölf Agenten im Einsatz. Der Schluß war unausweichlich, und das waren, wie es schien, auch die Folgen. Verzweifelt nach einem Ausweg aus der Patsche suchend, in die er sich selbst manövriert hatte, erhob sich Luitenant Verkramp von seinem Schreibtisch und ging hinüber ans Fenster. Er kam gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie ein großer Strauß mit langen, zielstrebigen Schritten die Straße heruntergetrabt kam. Mit einem unterdrückten Fluch öffnete Verkramp das Fenster und blickte dem Vogel nach. »Schluß!« fauchte er und stellte mit Erstaunen fest, daß zumindest einem seiner Befehle gehorcht wurde. Mit einem gewaltigen Blitz und einer Druckwelle, die das Fenster über ihm aus dem Rahmen fetzte, löste sich der Strauß in seine Einzelteile auf, und Verkramp fand sich auf dem Fußboden seines Büros wieder, zwingend davon überzeugt, daß sein Verstand Schaden gelitten habe.
»Unmöglich. Es kann kein Strauß gewesen sein«, flüsterte er, während er ans Fenster zurückhumpelte. Die Straße war mit Glasscherben übersät, und auf einer leeren, geschwärzten Stelle mitten auf der Straße waren zwei Füße alles, was von dem explodierten Ding übriggeblieben war. Verkramp sah, daß es ein Strauß gewesen war, denn die Füße hatten nur zwei Zehen.
Die nächsten zwanzig Minuten handelte Luitenant Verkramp mit rasender Geschwindigkeit. Er verbrannte alle Akten, die ihn mit seinen Agenten in Verbindung bringen konnten, und vernichtete ihre Botschaften, und nachdem er dem Polizei-Waffenmeister die Anweisung gegeben hatte, das Schloß an der Tür zur Waffenkammer auszuwechseln, verließ er die Polizeidienststelle im schwarzen Ford des Kommandanten. Eine Stunde später hatte er jeder Bar in der Stadt einen Besuch gemacht und zwei von seinen Agenten aufgestöbert, die im Criterion Hotel in der Verwoerd Street auf den Erfolg ihrer letzten Sabotageversuche tranken.
»Polente«, sagte 628.461, als Verkramp die Bar betrat, »du ziehst am besten Leine«. 885.974 goß seinen Drink runter und ging hinaus. 628.461 blickte ihm nach und sah zu seiner Überraschung, daß Verkramp ihm folgte.
»Er verhaftet ihn«, dachte er und bestellte sich noch ein Bier. Einen Augenblick später sah er auf und stellte fest, daß Verkramp mit finsterem Blick auf ihn runtersah.
»Komm mit raus«, sagte Verkramp barsch. 628.461 rutschte von seinem Barhocker und ging hinaus. Draußen sah er zu seinem Erstaunen seinen Sabotagegenossen unbewacht in dem Polizeiauto sitzen.
»Ich sehe, einen von ihnen haben Sie schon geschnappt«, sagte 628.461 zu Verkramp und stieg zu 885.974 in den Wagen.
»Von ihnen? Von ihnen?« stotterte Verkramp hysterisch. »Er ist nicht sie. Er ist wir.«
»Wir?« fragte 628.461 verblüfft.
»Ich bin 885.974. Und wer bist du?«
»Oh, mein Gott«, sagte 628.461.
Verkramp stieg auf den Fahrersitz und blickte sich giftig zu ihnen um.
»Wo sind die anderen?« zischte er.
»Die anderen?«
»Die anderen Agenten, du Idiot«, schrie Verkramp. Die nächsten zwei Stunden suchten sie alle Bars und Cafés ab, während Verkramp über die Gottlosigkeit wetterte, öffentliche Einrichtungen zu sabotieren und Strauße in einer geschlossenen Ortschaft explodieren zu lassen.
»Ich gebe euch den Auftrag, in die kommunistischen Organisationen einzusickern, und was tut ihr?« brüllte er. »Jagt die Hälfte dieser Scheiß Stadt in die Luft, das tut ihr. Und ihr wißt, wo euch das hinbringt, nicht wahr? Ans Ende des Henkerstricks im Zentralgefängnis von Pretoria.«
»Sie hätten uns doch warnen können«, sagte 628.461 vorwurfsvoll. »Sie hätten uns auch sagen könnten, daß noch andere Agenten im Einsatz waren.«
Verkramp wurde dunkelrot.
»Euch warnen?« schrie er. »Ich habe erwartet, daß ihr euren gesunden Menschenverstand benutzt, und nicht, daß ihr in der Gegend rumzieht und euch gegenseitig sucht.«
»Also, wie zum Teufel sollten wir denn wissen, daß wir alle Polizeispitzel sind?« fragte 885.974.
»Ich hätte eigentlich gedacht, selbst Idioten wie ihr würden den Unterschied zwischen einem guten Afrikaander und einem kommunistischen Juden erkennen.«
885.974 dachte darüber nach.
»Wenn das so einfach ist«, sagte er schließlich, indem er sich unsicher an sowas Ähnliches wie Logik klammerte, »dann verstehe ich nicht, wie man uns die Schuld geben kann. Ich meine, die kommunistischen Juden müssen uns doch bloß ansehen, um zu wissen, daß wir gute Afrikaander sind. Ich meine, welchen Sinn hat es, gute Afrikaander auf die Suche nach kommunistisichen Juden zu schicken, wenn die kommunistischen Juden einfach… «
»Mann, halt’s Maul«, brüllte Verkramp, der sich so langsam wünschte, er hätte das Thema gar nicht erst zur Sprache gebracht.
Bis gegen Mitternacht hatten sie sieben weitere Agenten in den verschiedensten Stadtteilen aufgegabelt, und in dem Polizeiwagen wurde es ziemlich eng.
»Was sollen wir Ihrer Meinung nach jetzt tun?« fragte 378.550, als sie auf der Suche nach den restlichen drei Agenten zum fünften Male um den Park herumfuhren. Verkramp hielt an.
»Ich sollte euch eigentlich festnehmen«, knurrte er, »ich sollte euch wegen terroristischer Umtriebe vor Gericht bringen, aber… «
»Sie werden’s nicht tun«, sagte 885.974, der über die Sache ein bißchen nachgedacht hatte.
»Wieso denn nicht?« schrie Verkramp.
»Weil wir alle aussagen werden, daß Sie uns den Auftrag gegeben haben, den Transformator in die Luft zu jagen, und den Gasometer und den… «
»Nichts davon habe ich zu euch gesagt. Ich habe euch gesagt, ihr solltet die kommunistischen Saboteure ausfindig machen«, kreischte Verkramp.
»Und wer hat uns den Schlüssel zur Waffenkammer der Polizei gegeben?« fragte 885.974. »Wer hat uns mit Sprengstoff versorgt?«
»Und wie steht’s mit den Botschaften, die wir Ihnen geschickt haben?« fragte 628.461.
Verkramp starrte durch die Windschutzscheibe und dachte über seine kurze, schwere Zukunft nach, an deren Ende der Henker im Zentralgefängnis in Pretoria stand.
»Na schön«, sagte er. »Was wollt ihr von mir?«
»Daß Sie uns durch die Straßensperren schleusen. Daß Sie uns nach Durban bringen und jedem von uns 500 Rand geben«, sagte 885.974, »und daß Sie dann vergessen, daß Sie uns jemals gesehen haben.«
»Und was ist mit den übrigen drei Agenten?« fragte Verkramp.
»Das ist Ihr Problem«, sagte 885.974. »Sie können sie ja morgen suchen.«
Sie fuhren zur Polizeidienststelle zurück, wo Verkramp das Geld zusammenkratzte, und zwei Stunden später stiegen neun Agenten in Durban am Flughafen aus dem Wagen. Luitenant Verkramp sah ihnen nach, wie sie im Flughafengebäude verschwanden, dann fuhr er zurück nach Piemburg. Der Sergeant an der Straßensperre auf der Straße nach Durban winkte ihn zum zweiten Mal durch, während er sich in Gedanken notierte, daß der amtierende Kommandant angespannt und krank aussah. Um vier Uhr morgens lag Verkramp in seiner Wohnung im Bett, starrte in die Dunkelheit und überlegte, wie er die anderen drei Agenten finden solle. Um sieben stand er auf und fuhr ins Café Florian. 885.974 hatte ihm den Tip gegeben, dort nach ihnen zu suchen. Um elf fuhr der Wagen des Kommandanten noch einmal durch die Straßensperre an der Straße nach Durban, und diesmal hatte der Amtierende zwei Männer bei sich. Als er zurückfuhr, hatten elf Agenten Piemburg für immer verlassen. Und 745.396 lag im städtischen Leichenschauhaus und wartete darauf, identifiziert zu werden.
Im Kurhaus Weezen schlief der Kommandant tiefer und fester als es seine Halluzination ihn hatte erwarten lassen. Er erwachte am nächsten Morgen mit einem leichten Kater, fühlte sich aber nach einem ausgedehnten Frühstück in der Brunnenhalle viel besser. In der gegenüberliegenden Ecke setzten die beiden alten kurzhaarigen Damen ihre endlose, geflüsterte Unterhaltung fort.
Später am Morgen spazierte der Kommandant nach Weezen in der Hoffnung, vielleicht auf Mrs. Heathcote-Kilkoon zu stoßen, die irgendwas von »morgen« gemurmelt hatte, als er sie ins Bett gebracht hatte. Er war gerade an der Hauptstraße angekommen und schlenderte auf ihr entlang, als hinter ihm laut eine Hupe ertönte und er mit einem Satz von der Straße war. Er blickte sich wütend um und sah Major Bloxham am Steuer des alten Rolls sitzen.
»Hopsen Sie rein«, rief der Major. »Sind genau der Mann, nach dem ich suche.«
Der Kommandant stieg auf den Vordersitz und bemerkte mit Genugtuung, daß der Major nicht sehr wohl aussah.
»Um die Wahrheit zu sagen«, sagte der Major auf die Frage des Kommandanten, ob er sich von dem abendlichen Vergnügen erholt habe, »ich bin heute morgen nicht in allerbester Form. Eines muß ich Ihnen lassen, ihr Buren vertragt euren Schnaps. Ich frage mich, wie Sie heute nacht in ihr Kurhaus zurückgefunden haben.«
Kommandant van Heerden lächelte über das Kompliment. »Es braucht mehr als nur ein paar Gläser, um mich unter den Tisch zu kriegen«, murmelte er bescheiden.
»Ach übrigens«, sagte der Kommandant, als sie nach Weezen hineinfuhren, »da wir gerade von Tischen reden, geht’s der Frau im Dinnerjacket gut?«
»Was? La Marquise, meinen Sie?« fragte der Major. »Ulkig, daß Sie darauf zu sprechen kommen. Tatsächlich ist sie heute morgen nicht ganz sie selbst oder er selbst, schwer zu sagen, was, nicht wahr. Sagte, sie sei ein bißchen angegriffen.«
Kommandant van Heerden wurde sehr weiß auf seinem Sitz. Wenn das Wort »angegriffen« in diesem Zusammenhang überhaupt etwas bedeutete, und der Kommandant war sicher, daß es das täte, dann glaubte er La Marquise nur zu gern, daß sie die Wahrheit sagte. Er hatte nun kaum noch Zweifel, daß er nicht geträumt hatte, als er Els unter dem Tisch sah. Einer betrunkenen Lesbe die Hosen auszuziehen, war genau die Art ungalanten Benehmens, das alle Kennzeichen Wachtmeister Els’ trug. Aber Wachtmeister Els war tot. Der Kommandant schlug sich mit diesem Problem eines auferstandenen Els herum, bis sie an der Bar von Weezen anlangten.
»Müssen den Kater ersäufen«, sagte der Major und ging in die Bar. Der Kommandant folgte ihm hinein.
»Gin-Peppermint für mich«, sagte Major Bloxham. »Und für Sie, alter Junge?«
Der Kommandant sagte, er wolle dasselbe, aber mit seinen Gedanken war er immer noch woanders.
»Hat sie gesagt, was passiert ist?« fragte er.
Major Bloxham warf ihm einen neugierigen Blick zu.
»Scheinen ziemliches Interesse an ihr zu haben«, sagte er schließlich. »Faszinierend, was?« Der Kommandant sah ihn durchdringend an, und der Major fuhr fort: »Warten Sie mal, ich erinnere mich, daß sie beim Frühstück was ziemlich Eigenartiges sagte. Ah, jetzt weiß ich’s wieder. Sie sagte: >Ich fühle mich hinten nach völlig zerbumst.< Ja, genau. Schien mir für eine Frau recht ordinär.«
Dem konnte der Kommandant nicht zustimmen. Falls er wirklich Els unter dem Tisch gesehen hatte, war er ziemlich sicher, daß die Dame nicht mehr als die simple Wahrheit sagte. Geschieht der blöden Kuh ganz recht, wenn sie sich Männerkleider anzieht, dachte er.
»Übrigens läßt Ihnen Daphne was ausrichten«, sagte der Major. »Möchte wissen, ob Sie morgen mit zur Jagd rauskommen.«
Der Kommandant löste seine Gedanken von der Geschichte mit Els und der transvestitischen Lesbierin und versuchte, sie auf die Jagd zu konzentrieren.
»Ich würde sehr gern«, sagte er, »aber ich müßte mir ein Gewehr leihen.«
»Natürlich handelt es sich nur um eine Schleppjagd«, fuhr der Major fort, ehe ihm dämmerte, daß der Kommandant ans Fuchsschießen dachte. Ein ähnlich fürchterliches Mißverständnis bestand beim Kommandanten.
»Schleppjagd?« sagte er und sah den Major mit ziemlichem Abscheu an.
»Gewehr?« sagte Major Bloxham mit dem gleichen Widerwillen. Er sah sich hastig in der Bar um, um sicherzugehen, daß niemand zuhörte, dann beugte er sich zum Kommandanten hinüber.
»Hören Sie zu, alter Junge«, sagte er im Verschwörerton, »ein Wort genügt dem Weisen und so weiter, aber wenn Sie sich von mir einen Rat geben lassen wollen, dann würde ich die Sache nicht in der Gegend herumposaunen, na, Sie wissen, was ich meine.«
»Wollen Sie damit sagen, daß Colonel Heathcote-Kilkoon…«, stotterte der Kommandant, der sich vorzustellen versuchte, wie der Colonel mit Schleppe aussähe.
»Genau, alter Junge«, sagte der Major. »Er ist sehr kitzlig in solchen Sachen.«
»Das überrascht mich nicht im geringsten«, sagte der Kommandant.
»Behalten Sie’s für sich«, sagte der Major. »Wie wär’s mit noch einem Drink? Sie sind dran, glaube ich.«
Der Kommandant bestellte noch zwei Gin-Peppermint, aber nun meinte er zu verstehen, welche Rolle Major Bloxham in der Familie Heathcote-Kilkoon spielte. Die nächste Bemerkung des Majors bestätigte das.
»Hoch, Allerwertester!« sagte er und erhob sein Glas.
Der Kommandant stellte seines wieder auf die Bar und sah ihn streng an.
»Das ist verboten«, sagte er, »das ist Ihnen wohl klar.«
»Was ist, alter Junge?« fragte der Major.
Nun war es an dem Kommandanten, sich hastig in der Bar umzusehen.
»Schleppjagden«, sagte er schließlich.
»Wirklich? Wie ungewöhnlich. Ich hatte keine Ahnung«, sagte der Major. »Ich meine, es ist nicht so, daß jemand dabei verletzt wird oder so.«
Der Kommandant rutschte unruhig auf seinem Barhocker herum.
»Ich nehme an, das hängt davon ab, auf welcher Seite man sich befindet«, murmelte er.
»Ein bißchen anstrengend für den armen Kerl vorneweg. Ich meine, so weit zu rennen, aber es ist ja nur zweimal die Woche«, sagte der Major.
Kommandant van Heerden erschauerte.
»Sie teilen dem Colonel einfach mit, was ich gesagt habe«, erklärte er dem Major. »Sagen Sie ihm, sie sind streng verboten.«
»Mach ich, alter Junge«, sagte der Major, »obwohl ich mich verzweifelt frage, warum sie das sind. Aber Sie müssen ja in solchen Dingen Bescheid wissen, wo Sie bei der Polizei sind und so weiter.«
Sie saßen da und tranken schweigend aus, jeder mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.
»Sind Sie absolut sicher, daß sie verboten sind, alter Junge?« fragte Major Bloxham schließlich. »Ich meine, es geht dabei nicht etwa grausam zu oder sowas. Es wird niemand wirklich zur Strecke gebracht.«
»Das möchte ich verflucht nochmal hoffen«, sagte der Kommandant ziemlich wütend.
»Wir jagen nur nach dem Frühstück einen Kaffer mit einem Beutel Anissamen um den Bauch in die Gegend, und eine Stunde später setzen wir ihm alle nach.«
»Anissamen?« fragte der Kommandant. »Wofür ist denn der Anissamen gut?«
»Verleiht ihm einen bestimmten Duft, verstehen Sie?« erklärte der Major.
Kommandant van Heerden schüttelte sich. Parfümierte Kaffern, die von als Frauen verkleideten gut fünfzigjährigen Männern durch das Land gejagt wurden, war mehr als er ertragen konnte.
»Und was denkt Mrs. Heathcote-Kilkoon darüber?« fragte er besorgt. Er glaubte nicht, daß eine elegante Dame wie sie an einer Schleppjagd überhaupt Gefallen finden könnte.
»Was? Daphne? Die findet’s großartig. Ich glaube, sie ist versessener darauf als alle anderen«, sagte der Major. »Hat einen fabelhaften Sitz, nicht wahr.«
»Das habe ich auch schon bemerkt«, sagte der Kommandant, der den Kommentar über Mrs. Heathcote-Kilkoons Anatomie für völlig unangebracht hielt. »Und was trägt sie?«
Major Bloxham lachte. »Sie ist eine von der alten Schule. Hart wie Eisen. Trägt erstmal ‘n Steifen…«
»Einen Steifen? Meinen Sie, sie trägt einen steifen Hut?« fragte der Kommandant.
»Nichts weniger als das, alter Junge, und sie schont die Peitsche nicht, das kann ich Ihnen sagen. Gnade Gott dem Mann, der einen Zaun verweigert. Die Frau zahlt’s ihm heim.«
»Bezaubernd«, sagte der Kommandant, der sich vorzustellen versuchte, wie es wohl wäre, wenn er es von Mrs. Heathcote-Kilkoon heimgezahlt bekäme, die nichts weniger als einen steifen Hut trug.
»Wir können Ihnen ein rassiges Halbblut zur Verfügung stellen«, sagte der Major.
Der Kommandant klammerte sich fest an seinen Hocker.
»Das glaube ich Ihnen gern«, sagte er finster, »aber ich würde Ihnen raten, es nicht zu versuchen.«
Major Bloxham erhob sich.
»Kalte Füße gekriegt, was?« sagte er hämisch.
»Es sind nicht meine Füße, um die ich besorgt bin«, sagte der Kommandant.
»Naja, ich fahre jetzt am besten nach White Ladies zurück«, sagte der Major und ging auf die Tür zu. Kommandant van Heerden trank seinen Drink aus und folgte dem Major hinaus. Der stieg gerade in den Rolls.
»Ach übrigens, ich frage das nur aus Interesse«, sagte der Kommandant, »was tragen Sie zu dieser… äh… diesem Anlaß?«
Major Bloxham lächelte obszön.
»Pink, alter Junge, Pink. Was sonst trägt ein Gentleman Ihrer Ansicht nach?« Er legte den Gang ein, und der Rolls glitt davon und ließ den Kommandanten wieder einmal mit einem Gefühl der Ernüchterung zurück, das ihn offenbar immer dann ereilte, wenn er die Idealgestalten seiner Phantasie mit der Realität verglich. So stand er einen Augenblick da, dann schritt er langsam auf den Platz, blieb vor der Großen Königin stehen und sah ihr ins Gesicht. Zum ersten Mal verstand er diesen Blick verhüllter Abscheu, den er dort sah. »Kein Wunder«, dachte er, »es kann nicht viel Spaß gemacht haben, Königin einer Nation von Tunten zu sein.« Er dachte noch, wie symbolisch es doch sei, daß ihr eine Taube die Bronzestirn bekleckert hatte, dann drehte er sich um und schlenderte gemächlich zum Mittagessen ins Kurhaus zurück.
»Verboten?« brüllte Colonel Heathcote-Kilkoon, als der Major berichtete, was der Kommandant gesagt hatte. »Jagen ist verboten? Habe mein ganzes Leben lang noch keinen solchen Quatsch gehört. Der Kerl ist ein Lügner. Und hat Angst vor Pferden, das sollte mich nicht wundern. Was hat er noch gesagt?«
»Gab zu, daß er Füchse schießt«, sagte der Major.
Colonel Heathcote-Kilkoon explodierte.
»Verdammt noch eins, ich hab’s doch schon immer gesagt, der Kerl ist ein Lump«, schrie er. »Wenn ich mir überlege, daß ich mir die Leber damit ruiniert habe, daß ich mit einem Schweinehund wie ihm Toasts ausgebracht habe.«
»Schrei nicht so, Henry-Liebes«, sagte Mrs. Heathcote-Kilkoon, die aus dem Nebenzimmer kam, »ich glaube nicht, daß das mein Kopf aushält, und außerdem: Willy ist tot.«
»Willy ist tot?« fragte der Colonel. »War gestern noch recht fit.«
»Geh und sieh doch selber nach«, sagte Mrs. Heathcote-Kilkoon traurig. Die beiden Männer gingen ins Nebenzimmer.
»Liebe Güte«, sagte der Colonel, als sie in das Goldfischglas guckten. »Möchte wissen, wie das passiert ist.«
»Hat sich wahrscheinlich zu Tode gesoffen«, sagte Major Bloxham obenhin. Colonel Heathcote-Kilkoon sah ihn eisig an.
»Ich halte das nicht für sehr komisch«, sagte er und stelzte aus dem Haus. Major Bloxham schlenderte bekümmert auf die Veranda, wo er La Marquise vorfand, die die Aussicht bewunderte.
»Und nur der Herr der Schöpfung ist ein Graus«, sagte er freundlich. La Marquise sah ihn wütend an.
»Darling, Sie haben’s wunderbar raus, das Richtige zur falschen Zeit zu sagen«, fauchte sie und watschelte mühsam über den Rasen davon. Und der Major stand da und fragte sich, was in sie gefahren sei.