3
Luitenant Verkramp fragte sich so ziemlich das gleiche. Die Nachricht von dem Fiasko im Haus des Kommandanten erreichte ihn über Sergeant Breitenbach, der den Abend damit verbracht hatte, das Telefon des Kommandanten anzuzapfen, und die Geistesgegenwart besaß, den Beobachtungsposten den Befehl zu geben, sich aus der Gegend zu verdrücken, ehe die Streifenwagen dort ankamen. Leider blieben die im ganzen Haus des Kommandanten verteilten Mikrofone da, und Luitenant Verkramp konnte sich ausmalen, daß ihr Vorhandensein seine Beziehungen zum Kommandanten kaum verbessern würde, falls sie gefunden werden sollten.
»Ich hab’s Ihnen ja gesagt, die ganze Sache war ein Fehler«, sagte Sergeant Breitenbach, während Luitenant Verkramp sich anzog.
Verkramp war ganz anderer Ansicht. »Warum macht er so ein Faß auf, wenn er nicht irgendwas zu verbergen hat?« fragte er.
»Wegen dem Loch in der Decke schon mal«, sagte der Sergeant. Luitenant Verkramp sah das nicht so.
»Könnte jedem passiert sein«, sagte er. »Außerdem wird er sowieso dem Wasserwerk die Schuld daran geben.«
»Ich glaube nicht, daß sie die Verantwortung dafür übernehmen«, sagte der Sergeant.
»Je heftiger sie’s abstreiten, desto mehr wird er glauben, sie waren es«, sagte Verkramp, der ein bißchen was von Psychologie verstand. »Ich denke mir aber auf alle Fälle was aus, um die Wanzen zu erklären, keine Bange.«
Er ließ den Sergeant wegtreten, fuhr zum Polizeibüro und war die halbe Nacht damit beschäftigt, sich ein Memorandum aus den Fingern zu saugen, das er dem Kommandanten am nächsten Morgen auf den Schreibtisch legen könnte.
Aber schließlich brauchte er es gar nicht. Als Kommandant van Heerden in der Polizeidienststelle eintraf, war er entschlossen, jemanden, ganz gleich wen, den Schaden an seinem Eigentum bezahlen zu lassen. Er war nicht sicher, welches von den Stadtwerken er verantwortlich machen sollte, und Mrs. Roussouws Erklärungen hatten auch kein Licht in die Angelegenheit gebracht.
»Gott, Sie sehen ja furchtbar aus«, sagte sie, als der Kommandant zum Frühstück runterkam, nachdem er sich mit kaltem Wasser rasiert hatte.
»Mein Scheiß Haus auch«, sagte der Kommandant und betupfte seine Wange mit einem Blutstiller.
»Diese Ausdrücke«, funkte Mrs. Roussouw zurück. Kommandant van Heerden betrachtete sie finster.
»Vielleicht sind Sie so gut, und erklären mir, was hier vorgefallen ist«, sagte er. »Als ich gestern abend heimkam, war das Wasser abgestellt, ein großes Loch in der Schlafzimmerdecke und kein Strom da.«
»Das war der Mann vom Wasserwerk«, erklärte Mrs. Roussouw. »Mit meinem eigenen Mund mußte ich ihn wieder hochbringen.«
Den Kommandanten schauderte es bei dem Gedanken.
»Und was erklärt das?« fragte er.
»Das Loch in der Decke natürlich«, sagte Mrs. Roussouw.
Der Kommandant versuchte, sich die Ereignisse in der Reihenfolge vorzustellen, wie sie sich daraus ergeben hatten, daß Mrs. Roussouw den Mann vom Wasserwerk mit ihrem eigenen Mund wieder hochgebracht hatte, worauf er durch die Decke gefallen war.
»Auf dem Dachboden?« fragte er skeptisch.
»Natürlich nicht. Lächerlich«, sagte Mrs. Roussouw. »Er suchte nach einem Loch im Wassertank. Da habe ich den Strom eingeschaltet… «
Der Kommandant war zu verblüfft, um sie weitererzählen zu lassen.
»Mrs. Roussouw«, sagte er erschöpft, »soll ich dem entnehmen… nein, lassen wir’s lieber. Ich rufe das Wasserwerk an, wenn ich im Büro bin.«
Kommandant van Heerden frühstückte, während Mrs. Roussouw seine Verwirrung dadurch noch steigerte, daß sie ihm erzählte, eigentlich sei der Mann vom Elektrizitätswerk schuld an dem Unglück, weil er den Strom nicht abgeschaltet hätte.
»Das erklärt wohl die Schweinerei hier drin«, sagte der Kommandant mit einem Blick auf den Schutthaufen unter der Spüle.
»Oh nein, das war der Gasmann«, sagte Mrs. Roussouw.
»Wir benutzten doch gar kein Gas«, sagte der Kommandant.
»Weiß ich, hab ich ihm auch gesagt, aber er sagte, in der Hauptleitung war ein Loch.«
Der Kommandant frühstückte zu Ende und begab sich im Zustand äußerster Verwirrung ins Polizeibüro. Obwohl es den Streifenwagenbesatzungen nicht gelungen war, irgendeinen Beweis dafür zu finden, daß sein Haus beobachtet wurde, war der Kommandant davon überzeugt. Er hatte sogar das ungute Gefühl, auf dem Weg zur Polizeidienststelle verfolgt zu werden, aber als er über die Schulter zur Straßenecke zurücksah, war niemand zu sehen.
In seinem Büro brachte er am Telefon eine Stunde damit zu, den Direktoren von Gas-, Elektrizitäts- und Wasserwerk Vorträge zu halten, um der Affäre auf den Grund zu kommen. Es bedurfte der Anstrengung aller drei Direktoren, um ihn davon zu überzeugen, daß ihre Leute niemals den Auftrag erhalten hatten, sein Haus zu betreten, daß mit seiner Strom- oder Wasserleitung alles absolut in Ordnung sei, daß es im Umkreis von einer Meile um sein Haus keinen Verdacht auf ein Loch in der Gasleitung gegeben habe und daß sie schließlich für die seinem Eigentum zugefügten Schäden nicht verantwortlich gemacht werden könnten. Der Kommandant hielt mit seiner Ansicht zu diesem letzten Punkt zurück und sagte, er werde seinen Anwalt konsultieren. Der Direktor des Wasserwerks erklärte ihm, daß es ohnehin nicht Aufgabe seiner Behörde sei, Löcher in Wassertanks zu flicken, und der Kommandant sagte, es wäre auch niemandes Aufgabe, in die Decke seines Schlafzimmers riesige Löcher zu machen, und er werde ganz gewiß nicht für das Vorrecht bezahlen, welche gemacht zu bekommen.
Nachdem er mit diesem Austausch von Höflichkeiten seinen Blutdruck auf eine gefährliche Höhe gebracht hatte, schickte er nach dem Diensthabenden, der aus dem Bett geholt wurde, um am Telefon eine Erklärung für sein Verhalten abzugeben.
»Ich dachte, es wäre ein Jux«, sagte er zum Kommandanten. »Das lag daran, wie Sie geflüstert haben.«
Der Kommandant flüsterte jetzt nicht. Seine Stimme war in den Zellen zwei Stockwerke tiefer zu hören. »Ein Jux?« brüllte er den Sergeant an. »Sie hielten das für einen Jux?«
»Ja, Sir, das kommt jede Nacht ein paarmal vor.«
»Was für ein Jux denn?« fragte der Kommandant.
»Leute rufen an und sagen, sie wären beraubt worden oder vergewaltigt oder sonstwas. Meistens Frauen.«
Kommandant van Heerden erinnerte sich an die Zeit, als er Diensthabender war, und mußte zugeben, daß viele nächtliche Anrufer blinder Alarm gewesen waren. Er entließ den Sergeant mit einer Rüge. »Wenn ich Sie das nächstemal anrufe«, sagte er, »wünsche ich keine langen Diskussionen. Verstanden?« Der Sergeant verstand und wollte gerade das Büro verlassen, als der Kommandant sich das ganze nochmal überlegt hatte. »Wo zum Teufel wollen Sie denn jetzt hin?« fauchte der Kommandant.
Der Sergeant sagte, da er die ganze Nacht auf gewesen sei, gedenke er, jetzt wieder ins Bett zu gehen. Der Kommandant hatte andere Pläne für ihn. »Ich beauftrage Sie mit der Untersuchung des Einbruchs in meinem Haus«, sagte er. »Bis heute nachmittag wünsche ich einen erschöpfenden Bericht darüber, wer dafür verantwortlich war.«
»Ja, Sir«, sagte der Sergeant müde und verließ das Büro. Auf der Treppe begegnete er Luitenant Verkramp, der auch ziemlich erschöpft aussah.
»Er will bis heute nachmittag einen vollständigen Bericht über den Einbruch haben«, teilte der Sergeant Verkramp mit. Der Luitenant seufzte, ging die Treppe wieder nach oben und klopfte beim Kommandanten an.
»Herreinspaziert«, schrie der Kommandant. Luitenant Verkramp spazierte herein. »Was ist denn mit Ihnen los, Verkramp? Sie sehen ja aus, als wären Sie heute Nacht versumpft.«
»Nur ein seichter Kragenmampf«, sprudelte es aus Verkramp hervor, den der Scharfblick des Kommandanten total entnervte.
»Ein was?«
»Ein leichter Magenkrampf«, sagte Verkramp, der versuchte, die Zunge unter Kontrolle zu bekommen. »War nur ein kleiner Fern… äh… Versprecher.«
»Reißen Sie sich doch um Gottes willen zusammen, Luitenant«, sagte der Kommandant zu ihm.
»Ja, Sir«, sagte Verkramp.
»Weswegen sind Sie zu mir gekommen?«
»Es ist wegen dieser Geschichte bei Ihnen zu Hause, Sir«, sagte Verkramp, »ich habe ein paar Informationen, die für Sie vielleicht von Interesse sind.«
Kommandant van Heerden seufzte. Er hätte sich doch denken können, daß Verkramp seine dreckigen Finger speziell in diesem Spiel hätte. »Ja und?«
Luitenant Verkramp schluckte nervös. »Wir von der Sicherheitsabteilung«, begann er, womit er die Last und Verantwortung so weit wie möglich verteilte, »haben vor kurzem Informationen darüber erhalten, daß versucht werden sollte, Ihrem Haus Abhörmikrofone zu installieren.« Er unterbrach sich, um zu sehen, wie der Kommandant die Nachricht aufnähme. Kommandant van Heerden reagierte wie vorausberechnet. Er richtete sich in seinem Sessel auf und starrte Verkramp entsetzt an.
»Großer Gott«, sagte er, »Sie meinen…«
»Richtig, Sir«, sagte Verkramp. »Auf diese Information hin ließ ich Ihr Haus rund um die Uhr überwachen…«
»Sie meinen… «
»Genau, Sir«, fuhr Verkramp fort. »Sie haben wahrscheinlich bemerkt, daß Ihr Haus beobachtet wurde.«
»Stimmt«, sagte der Kommandant, »ich habe sie vergangene Nacht dort gesehen…«
Verkramp nickte. »Meine Leute, Sir.«
»Auf der anderen Straßenseite und hinten in meinem Garten«, sagte der Kommandant.
»Genau, Sir«, bestätigte Verkramp, »wir dachten, sie kämen vielleicht wieder.«
Der Kommandant verlor den Faden. »Wer käme vielleicht wieder?«
»Die kommunistischen Saboteure, Sir.«
»Kommunistische Saboteure? Was zum Teufel sollten denn kommunistische Saboteure in meinem Haus wollen?«
»Wanzen reinsetzen, Sir«, sagte Verkramp. »Nach dem Fehlschlag ihres gestrigen Versuchs dachte ich, sie kämen vielleicht wieder.«
Kommandant van Heerden nahm seinen ganzen Mut zusammen.
»Wollen Sie damit sagen, daß alle diese Gasmänner und Leute vom Wasserwerk in Wirklichkeit kommunistische Saboteure waren…?«
»Verkleidet, Sir. Zum Glück wurde dank der Bemühungen meiner Gegenagenten der Versuch vereitelt. Einer von den Kommunisten fiel durch die Decke… «
Kommandant van Heerden lehnte sich befriedigt in seinem Sessel zurück. Er hatte die Person gefunden, die für das Loch in der Schlafzimmerdecke verantwortlich war. »Es war also Ihre Schuld?« sagte er.
»Absolut«, gab Verkramp zu, »und wir werden dafür sorgen, daß der Schaden sofort behoben wird.«
Die Neuigkeiten nahmen dem Kommandanten eine große Last von der Seele. Andererseits stand er immer noch vor einem ziemlichen Rätsel.
»Was ich vor allen Dingen nicht verstehe, das ist, warum diese Kommunisten ausgerechnet mein Haus anzapfen wollen. Wer sind die überhaupt?« fragte er.
»Leider kann ich noch keine Identität preisgeben«, sagte Verkramp und wich damit auf das Bureau of State Security aus. »Anweisung von BOSS.«
»Bloß, welchen Zweck zum Kuckuck soll es haben, mein Haus anzuzapfen?« fragte der Kommandant, der nicht so dumm war, Anweisungen von BOSS in Zweifel zu ziehen. »Ich sage doch dort nie was Wichtiges.«
Dem stimmte Verkramp zu. »Aber das konnten die nicht wissen, Sir«, sagte er. »Unsere Informationen deuten jedenfalls darauf hin, daß man Material in die Hände zu bekommen hoffte, mit dem man Sie erpressen wollte.« Er sah Kommandant van Heerden sehr scharf an, um zu sehen, wie er reagieren würde.
Der Kommandant war entsetzt.
»Allmächtiger Himmel!« keuchte er und wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch. Verkramp nutzte sofort seinen Vorteil.
»Wenn die über Sie etwas hätten rauskriegen können, was Sexuelles, irgendwas ‘n bißchen Perverses…« Er zögerte. Der Kommandant schwitzte unwahrscheinlich. »… da hätten sie Sie doch am Wickel gehabt, stimmt’s?« Im stillen mußte sich Kommandant van Heerden gestehen, daß das stimmte, aber er gab das Luitenant Verkramp natürlich nicht zu. Er ging den Katalog seiner nächtlichen Gewohnheiten durch und kam zu dem Schluß, daß es darunter einige gebe, von denen die Welt besser nichts wüßte.
»Diese hinterhältige Saubande«, murmelte er und sah Verkramp mit einem Blick an, der an Respekt grenzte. Der Luitenant war also doch kein solcher Dummkopf. »Was werden Sie jetzt tun?« fragte er.
»Zweierlei«, sagte Verkramp. »Das erste ist, den Argwohn der Kommunisten soweit wie möglich stillen, indem wir diese Sache mit Ihrem Haus einfach ignorieren. Sollen die doch denken, wir wüßten gar nicht, was sie im Schilde führen. Schieben wir doch dem Gas… öh… Wasserwerk die Schuld in die Schuhe.«
»Das habe ich bereits getan«, sagte der Kommandant.
»Gut. Wir müssen uns darüber klar sein, daß dieser Vorfall Teil einer das ganze Land überziehenden Verschwörung ist, mit der die Moral der Südafrikanischen Polizei unterminiert werden soll. Es ist von entscheidender Bedeutung, daß wir nichts überhasten.«
»Merkwürdig«, sagte der Kommandant. »Im ganzen Land? Ich hatte keine Ahnung, daß es noch so viele Kommunisten auf freiem Fuße gibt. Ich dachte, wir hätten die Scheißkerle schon vor Jahren alle geschnappt.«
»Sie sprießen wie Drachenzähne aus dem Boden«, versicherte ihm Verkramp.
»Ja, das müssen sie wohl«, sagte der Kommandant, der die Sache so wirklich noch nie betrachtet hatte. Luitenant Verkramp fuhr fort: »Nach dem Fehlschlag ihrer Sabotagetätigkeit gingen sie in den Untergrund.«
»Mußten sie ja wohl«, sagte der Kommandant, den immer noch der Gedanke an die Drachenzähne beschäftigte.
»Sie haben sich reorganisiert und eine neue Kampagne gestartet. Erst, um unsere Moral zu untergraben, und dann, wenn das getan ist, werden sie mit einer neuen Sabotagewelle beginnen«, erklärte Verkramp.
»Soll das heißen«, fragte der Kommandant, »daß sie gezielt versuchen, in den Besitz von Fakten zu gelangen, um damit im ganzen Land Polizeibeamte zu erpressen?«
»Genau, Sir«, sagte Verkramp. »Ich habe Grund zur Annahme, daß sie speziell an sexuellen Entgleisungen südafrikanischer Polizeibeamter interessiert sind.«
Der Kommandant versuchte sich irgendeine sexuelle Entgleisung vorzustellen, die er sich in letzter Zeit hätte zu Schulden kommen lassen, es fiel ihm zu seinem Bedauern aber keine ein. Andererseits konnte er sich Tausende vorstellen, die von den Leuten unter seinem Kommando begangen wurden.
»Na«, sagte er schließlich, »nur gut, daß Wachtmeister Els nicht mehr unter uns ist. Der Dreckskerl ist gerade rechtzeitig abgekratzt, wie die Sache sich anhört.«
Verkramp lächelte. »Das war mir auch schon durch den Kopf gegangen«, sagte er. Wachtmeister Els’ Heldentaten auf dem Gebiet rassenschänderischen Beischlafs waren bei der Piemburger Polizei schon zur Legende geworden.
»Trotzdem sehe ich immer noch nicht, was Sie unternehmen wollen, um diese verfluchte Kampagne zu stoppen«, fuhr der Kommandant fort. »Wenn nicht Els, so gibt es doch immer noch jede Menge Beamte, deren Sexualleben zu wünschen übrig läßt.«
Luitenant Verkramp war entzückt. »Ganz meine Meinung« , sagte er und zog Dr. von Blimensteins Fragebogen aus der Tasche. »Ich habe an dem Problem mit einem führenden Mitglied des psychiatrischen Berufsstandes gearbeitet«, sagte er, »und ich glaube, wir haben uns da was einfallen lassen, was dazu dienen könnte, Hinweise auf die Offiziere und Beamten zu liefern, die für diese Form kommunistischer Infiltration am anfälligsten sind.«
»Wirklich?« sagte der Kommandant, der sich denken konnte, wer das führende Mitglied des psychiatrischen Berufsstandes war. Luitenant Verkramp reichte ihm den Fragebogen.
»Wenn Sie nichts dagegen haben, Sir«, sagte er, »würde ich diese Fragebogen gern an alle Männer dieser Dienststelle verteilen. Mit den Antworten, die wir bekommen, sollte es möglich sein, alle denkbaren Opfer einer Erpressung herauszusieben.«
Kommandant van Heerden sah auf den Fragebogen, der die harmlose Überschrift »Persönlichkeitstest« und den Hinweis »Streng vertraulich« trug. Er warf einen Blick auf die ersten paar Fragen und fand keine, die ihn beunruhigte. Offenbar drehten sie sich um den Beruf des Vaters und um Alter und Zahl der Geschwister. Ehe er auch nur weitergucken konnte, erklärte ihm Verkramp, daß er von Pretoria Anweisungen habe, diese Untersuchung durchzuführen.
»BOSS?« fragte der Kommandant.
»BOSS«, sagte Verkramp.
»In dem Fall«, sagte der Kommandant, »machen Sie weiter.«
»Den hier lasse ich Ihnen zum Ausfüllen da«, sagte Verkramp und verließ das Büro, froh über den Ausgang der Dinge. Er gab Sergeant Breitenbach den Befehl, die Fragebögen zu verteilen, und rief Dr. von Blimenstein an, um ihr mitzuteilen, daß alles, wenn auch nicht nach Plan, da er keinen hatte, so doch wenigstens nach den vorhandenen Möglichkeiten verlaufe. Dr. von Blimenstein hörte das mit großer Freude, und bevor Verkramp bewußt wurde, was er tat, stellte er fest, daß er sie für den Abend zu sich zum Essen eingeladen hatte. Erstaunt über sein Glück legte er den Hörer auf. Es kam ihm kein einziges Mal in den Sinn, daß all die Lügen über kommunistische Erpresser, die er dem Kommandanten aufgetischt hatte, außerhalb seiner verdrehten Phantasie keine Realität besaßen. Seine berufliche Aufgabe war, Staatsfeinde auszurotten, und daraus folgte, daß es Staatsfeinde gab, die auszurotten waren. Die genauen Einzelheiten ihrer Tätigkeiten waren ihm, wenn überhaupt, kaum wichtig. Wie er einmal vor Gericht erklärt hatte, war es das Grundprinzip der Subversion, das zählte, und nicht die Einzelheiten.
Wenn Verkramp damit zufrieden war, wie die Dinge liefen – Kommandant van Heerden, der am Schreibtisch saß, den Fragebogen vor sich, war es nicht. Die Geschichte, die ihm der Luitenant erzählt hatte, war recht überzeugend. Der Kommandant hatte keinen Zweifel, daß kommunistische Unruhestifter in Zululand am Werke seien – nichts anderes konnte die Widerspenstigkeit der Zulus in der Stadt gegen die letzte Fahrpreiserhöhung der Busse erklären. Aber die Saboteure, die als Gasmänner verkleidet in sein eigenes Haus eingedrungen waren, zeigten, daß in ihrer Zerstörungskampagne eine neue Phase begonnen hatte, und eine besonders beunruhigende dazu. Der Bericht des Diensthabenden, daß das Untersuchungskommando ein Mikrofon unter dem Ausguß entdeckt habe, bewies ihm nur, wie genau Luitenant Verkramps Vorhersage gewesen war. Der Kommandant gab dem Sergeant die Anweisung, die Untersuchung der Sicherheitsabteilung zu überlassen, und sandte Verkramp eine Mitteilung, die lautete: »Betr. unser Gespräch heute früh. Anwesenheit von Mikrofon in Küche bestätigt Ihren Bericht. Schlage vor, Sie ergreifen sofort Gegenmaßnahmen. Van Heerden.«
Mit erneutem Vertrauen in die Fähigkeiten seines Stellvertreters beschloß der Kommandant, sich an den Fragebogen zu machen, den Verkramp ihm gegeben hatte. Er füllte die ersten paar Fragen recht frohgemut aus, und erst als er umblätterte, dämmerte ihm langsam, daß er nach und nach in einen Sumpf erotischer Geständnisse geführt wurde, wo jede Frage ihn nur noch tiefer hineinzog.
»Hatten Sie ein schwarzes Kindermädchen?« erschien recht harmlos, und der Kommandant setzte »Ja« ein, um zu entdecken, daß die nächste Frage lautete: »Größe der Brüste? Groß. Mittel. Klein.« Nach leichtem Zögern, das nicht frei von Unruhe war, kreuzte er »Groß« an, um sich als nächstes Gedanken zur Frage »Länge der Brustwarzen? Lang. Mittel. Kurz« machen zu müssen. »Das ist aber ‘ne verdammt komische Tour, den Kommunismus zu bekämpfen«, dachte er und versuchte sich an die Länge der Brustnuppel seines Kindermädchens zu erinnern. Schließlich strich er »Lang« an und sah sich der Frage gegenüber: »Hat schwarzes Kindermädchen Geschlechtsteile gestreichelt? Oft. Manchmal. Selten.« Der Kommandant suchte verzweifelt nach »Nie«, konnte es aber nicht finden. Schließlich kreuzte er »Selten« an und wandte sich der nächsten Frage zu. »Alter der erste Ejakulation? Drei Jahre, vier Jahre…«
»Überlassen aber nicht viel dem Zufall«, dachte der Kommandant, der empört versuchte, sich zwischen sechs Jahren, was absolut nicht stimmte, aber weniger geeignet schien, seine Autorität zu untergraben, und sechzehn Jahren zu entscheiden, was richtiger war. Er hatte gerade als Kompromiß acht Jahre eingesetzt, weil er mal mit zehn Jahren einen nächtlichen Samenerguß gehabt hatte, als er bemerkte, daß er in eine Falle getappt war. Die nächste Frage lautete: »Alter des ersten nassen Traums?« Diesmal fing die Liste der Möglichkeiten mit zehn Jahren an. Als er endlich seine Antwort zur vorigen Frage ausradiert hatte, um sie mit dem Naßtraum mit elf Jahren in Einklang zu bringen, war der Kommandant so allmählich durch und durch schlechter Laune. Er griff zum Telefon und rief in Verkamps Büro an. Sergeant Breitenbach war am Apparat.
»Wo ist Verkramp?« wollte der Kommandant wissen. Der Sergeant sagte, der sei weggegangen, und ob er nicht helfen könne. Der Kommandant sagte, das bezweifle er. »Es geht um diesen verdammten Fragebogen«, erklärte er dem Sergeant. »Wer kriegt den eigentlich zu lesen?«
»Ich denke, Frau Dr. von Blimenstein hat die Absicht«, sagte der Sergeant. »Sie hat ihn ja gemacht.«
»Ach ja?« knurrte der Kommandant. »Na, dann können Sie Luitenant Verkramp mitteilen, daß ich nicht die Absicht habe, Frage fünfundzwanzig zu beantworten.«
»Welche ist denn das?«
»Das ist die, die lautet:>Wie oft masturbieren Sie täglich?««, sagte der Kommandant. »Sie können Verkramp sagen, daß ich es für einen Einbruch in meine Privatsphäre halte, Fragen wie diese zu stellen.«
»Ja, Sir«, sagte der Sergeant, der die möglichen Antworten auf dem Fragebogen musterte, die von fünfmal bis fünfundzwanzigmal reichten.
Der Kommandant knallte den Hörer auf die Gabel, schloß den Fragebogen in seinen Schreibtisch ein und ging in miesester Laune zum Essen. »Drecksweib, will solche Sachen wissen«, dachte er, als er die Treppe hinunterstampfte, und er brummte immer noch vor sich hin, als er mit dem Essen in der Polizeikantine fertig war. »Ich bin im Golfclub, wenn jemand nach mir fragt«, teilte er dem Diensthabenden mit und verließ das Polizeibüro. Er brachte ein paar Stunden mit dem nutzlosen Versuch zu, einen Ball die Bahn entlang zu schlagen, ehe er sich mit dem Gefühl ins Clubhaus zurückzog, daß dies nicht einer seiner Glückstage sei.
Er bestellte sich beim Barmann einen doppelten Brandy und ging damit hinaus an einen Tisch auf der Terrasse, wo er sitzen und erfahreneren Spielern beim ersten Schlag zusehen konnte. Er saß da, saugte die englische Atmosphäre ein und versuchte, die quälende Gewißheit loszuwerden, daß der ruhige Lauf seines Lebens irgendwie auf geheimnisvolle Weise unterhöhlt werde, als ein Knirschen auf dem Kies im Hof des Clubhauses ihn sich über die Schulter umsehen ließ. Ein Vorkriegs-Rolls-Royce hatte soeben geparkt, und die Insassen stiegen aus. Einen Augenblick lang hatte der Kommandant das merkwürdige Gefühl, in die zwanziger Jahre zurückversetzt zu sein. Die beiden Männer, die vorn ausstiegen, trugen Knickerbockers und Hüte, die schon fünfzig Jahre aus der Mode waren, und ihre beiden Begleiterinnen trugen Sonnenschirme und steckten in etwas, das der Kommandant für Karnevalskostüme mit Glockenhüten hielt. Aber es waren weniger die Kleider oder der makellose Vorkriegs-Rolls als die Stimmen, die den Kommandanten so tief berührten. Hoch und auf träge Weise arrogant, schienen sie wie ein Nachhall aus der englischen Vergangenheit zu ihm zu gelangen, und mit ihnen erreichte ihn die plötzliche Gewißheit, daß trotz allem alles gut war auf der Welt. Die Servilität, die zu Kommandant van Heerdens innerstem Wesen gehörte und die keine von ihm auch noch so sehr zur Schau getragene Autorität je tilgen konnte, begann ekstatisch in ihm zu zittern, als die kleine Gruppe an ihm vorbeiging, ohne auch nur mit einem Blick zu zeigen, daß sie von seiner Anwesenheit Notiz genommen hätte. Es war genau dieses Insichselbst-Vertieftsein bis zu einem Punkt, wo es das Ich überstieg und etwas Unwandelbares und Absolutes wurde, eine gottähnliche Selbstherrlichkeit, die Kommandant van Heerden stets in den Engländern zu finden gehofft hatte. Und hier sah er sie nun vor sich im Piemburger Golfclub in Gestalt von vier Damen und Herren mittleren Alters, deren albernes Geschwätz der unwiderlegbare Beweis dafür war, daß er trotz Kriegen, Katastrophen und drohenden Revolutionen nichts Wichtiges gab, worüber man sich sorgen mußte. Besonders bewunderte der Kommandant die Eleganz, mit der der Anführer des Quartetts, ein rötlicher Mann in den Fünfzigern, mit den Fingern nach dem schwarzen Golfjungen schnippte, ehe er zur ersten Abschlagstelle hinüberging.
»Ist ja absolut köstlich«, kreischte eine von den Damen über nichts Besonderes, als sie ihm folgten.
»Ich habe doch immer schon gesagt, Boy ist ein Bestrafungsfanatiker«, sagte der rötliche Mann, ehe sie außer Hörweite waren.
Der Kommandant blickte ihnen nach, dann lief er eilig in die Bar, um sich beim Barmann Auskunft zu holen.
»Nennen sich Dornford Yates-Club«, berichtete ihm der Barmann. »Fragen Sie mich nicht, warum. Jedenfalls takeln sie sich auf und reden gespreizt über eine Firma namens Bury & Co. die vor ein paar Jahren pleite ging. Der Kerl mit dem roten Gesicht ist Colonel Heathcote-Kilkoon. Er ist der, den sie Bury nennen. Die pummelige Lady ist seine Alte. Der andere Typ ist Major Bloxham. Nennen ihn Boy, was das Dollste dabei ist, denn er muß mindestens achtundvierzig sein. Wer die dünne Frau ist, weiß ich nicht.«
»Wohnen sie hier in der Nähe?« fragte der Kommandant. Er verabscheute die ziemlich abschätzige Einstellung des Barmanns Leuten gegenüber, die ihm überlegen waren, aber er wünschte sich verzweifelt, mehr über die vier zu hören.
»Der Colonel hat ein Haus oben in der Nähe vom Piltdown Hotel, aber die meiste Zeit scheinen sie auf einer Farm in der Gegend von Underville zu verbringen. Die hat einen ganz schrägen Namen, >White Woman< oder so ähnlich. Ich habe gehört, die treiben’s da oben auch ziemlich schräg.«
Der Kommandant bestellte sich noch einen Brandy und nahm ihn mit raus an seinen Tisch auf der Terrasse, um auf die Rückkehr der Gesellschaft zu warten. Wenig später gesellte sich der Barmann zu ihm, blieb in der Tür stehen und machte ein gelangweiltes Gesicht.
»Ist der Colonel schon lange hier Mitglied?« fragte der Kommandant.
»Ein paar Jahre«, sagte der Barmann, »als sie alle von Rhodesien oder Kenia oder was weiß ich woher runterkamen. Scheinen auch ‘ne ganze Menge Kleingeld zu haben.«
Als der Kommandant bemerkte, daß der Mann ihn ziemlich gespannt betrachtete, trank er aus und schlenderte hinüber, um sich den alten Rolls-Royce näher anzusehen.
»1925er Silver Ghost«, sagte der Barmann, der ihm gefolgt war. »Prima Zustand.«
Der Kommandant grunzte. Langsam wurde ihm die Gesellschaft des Barmanns lästig. Er ging auf die andere Seite des Wagens, um den Barmann sogleich neben sich zu finden.
»Sind Sie wegen irgendwas hinter ihnen her?« fragte der Mann im Verschwörerton.
»Wie zum Teufel kommen Sie denn darauf?« fragte der Kommandant.
»Ich dachte ja bloß«, sagte der Barmann, und irgendwas brummelnd, daß ein Wink manchmal genauso gut sei wie ein Tip, was der Kommandant nicht begriff, ging der Mann wieder ins Clubhaus zurück. Wieder allein, beendete der Kommandant die Besichtigung des Wagens und wollte gerade weggehen, da sah er etwas auf dem Rücksitz liegen, was ihn wie angewurzelt stehenbleiben ließ. Es war ein Buch, von dessen Umschlagrückseite teilnamslos das Porträt eines Mannes blickte. Mit seinen hohen Wangenknochen, den leicht gesenkten Lidern, der tadellos geraden Nase und dem gestutzten Schnurrbart sah das Gesicht am Kommandanten vorbei in eine helle und gesicherte Zukunft. Durch das Fenster spähend blickte Kommandant van Heerden auf das Porträt, und wie er noch so blickte, wußte er mit einer Sicherheit, die alles Verstehen überstieg, daß er sich auf seiner Suche nach dem Herzen eines englischen Gentleman unmittelbar vor einer neuen Entdeckung befand. Dort vor ihm auf dem Rücksitz des Rolls war mit einer Genauigkeit, wie er sie nie für möglich gehalten hätte, das Gesicht des Mannes abgebildet, der er immer schon sein wollte. Das Buch war von Dornford Yates und trug den Titel Wie andere Menschen sind. Der Kommandant nahm sein Notizbuch heraus und schrieb sich den Titel auf.
Als Colonel Heathcote-Kilkoon und seine Begleitung zum Clubhaus zurückkamen, war der Kommandant schon weg. Er hatte sich auf den Weg zur Stadtbücherei gemacht, im sicheren Wissen, daß er jetzt endlich, aus den Werken Dornford Yates’, die Lösung des Rätsels erfahren werde, das ihm nun schon so lange zu denken gab, nämlich wie man ein englischer Gentleman wird.
Als Luitenant Verkramp an dem Abend das Polizeibüro verließ und nach Hause fuhr, um sich umzuziehen, war er ein äußerst glücklicher Mensch. Die Leichtigkeit, mit der er den Argwohn des Kommandanten zerstreut hatte, die Ergebnisse, die er aus den Fragebogen erhielt, die Aussicht, den Abend mit Dr. von Blimenstein zu verbringen, alles trug zum Wohlgefühl des Luitenant bei. Vor allem aber die Tatsache, daß das Haus des Kommandanten noch immer mit Abhörmikrofonen gespickt war und er im Bett liegen und jede Bewegung des Kommandanten belauschen könne, die der zu machen indiskret genug war, verlieh dem Erfolgsgefühl Verkramps erst die Würze. Wie der Kommandant, so war auch Luitenant Verkramp der Meinung, unmittelbar vor einer Entdeckung zu stehen, die sein ganzes Leben ändern und ihm vom bloßen Stellvertreter zu einer Autoritätsstellung verhelfen würde, die seinen Fähigkeiten angemessener war. Während er darauf wartete, daß das Badewasser einlief, stellte er den Empfänger in seinem Schlafzimmer richtig ein und überprüfte das Bandgerät, das daran angeschlossen war. Bald hörte er den Kommandanten in seinem Haus herumschlurfen und Schränke auf- und zumachen. Befriedigt darüber, daß seine Abhöranlage richtig funktionierte, schaltete Verkramp sie wieder ab und ging ins Bad. Er war gerade fertig und stieg aus der Badewanne, da klingelte es an der Wohnungstür.
»Verdammt«, sagte Verkramp, der nach einem Handtuch grapschte und sich fragte, wer zum Kuckuck ihn in diesem ungelegenen Augenblick besuchte. Er ging in den Flur, eine Tropfspur Badewasser hinter sich herziehend, machte gereizt die Tür auf und sah zu seiner Verwunderung Frau Dr. von Blimenstein auf dem Treppenabsatz stehen. »Ich brauche keine…«, sagte Verkramp, womit er automatisch auf das Wohnungstürklingeln in ungelegenen Momenten reagierte, ehe ihm klar wurde, wer ihn besuchen kam.
»Wirklich nicht, Liebling?« sagte Frau Dr. von Blimenstein mit lauter Stimme und öffnete ihren Bisammantel, unter dem ein engsitzendes Kleid aus irgendeinem ungeheuer glänzenden Stoff zum Vorschein kam. »Bist du sicher, du brauchst keine…«
»Um Gottes willen«, sagte Verkramp und blickte sich entsetzt um. Ihm war nur allzu klar, daß seine Nachbarn äußerst wohlanständige Leute waren und daß Dr. von Blimenstein trotz all ihrer Bildung und ihres beruflichen Ansehens als Psychiaterin im günstigsten Fall nicht übermäßig bedacht darauf war, die gesellschaftlichen Gepflogenheiten zu beachen. Und jetzt, wo er ein Badetuch um die Taille und die Doktorin weiß der Teufel was um die Taille und oben und unten rum trug, lag der Fall gar nicht günstig. »Komm schnell rein«, keuchte er. Ein bißchen enttäuscht vom Empfang, den er ihr bereitete, zog Dr. von Blimenstein ihren Mantel enger um sich und betrat die Wohnung. Verkramp machte die Tür schnell zu und hastete an ihr vorbei in die Geborgenheit seines Badezimmers. »Ich habe dich noch gar nicht erwartet«, rief er leise. »Ich wollte zur Klinik kommen und dich abholen.«
»Ich konnte es nicht mehr erwarten, dich zu sehen«, schrie die Doktorin zurück, »und ich dachte, ich würde dir eine kleine Überraschung bereiten.«
»Die ist dir wirklich gelungen«, murmelte Verkramp, der verzweifelt nach einem Socken suchte, der sich irgendwo im Badezimmer versteckt hatte.
»Ich hab nicht ganz verstanden. Du mußt etwas lauter sprechen.«
Verkramp fand den Socken unter dem Waschbecken. »Ich sagte, du hast mich überrascht.« Als er sich aufrichtete, schlug er mit dem Kopf gegen das Waschbecken und fluchte.
»Du bist doch nicht böse auf mich, daß ich einfach so reingeschneit komme?« fragte die Ärztin. Im Badezimmer saß Verkramp auf dem Wannenrand und zog sich den Socken an. Er war naß.
»Nein. Natürlich nicht. Komm, wann du willst«, sagte er mürrisch.
»Meinst du das auch wirklich? Ich meine, ich möchte nicht, daß du von mir denkst, ich… naja… drängte mich auf«, fuhr die Ärztin fort, während Verkramp, der ihr immer noch versicherte, daß sie ihn so oft wie möglich besuchen solle, entdeckte, daß alle seine Sachen, die er sorgfältig auf den Klodeckel gelegt hatte, naß geworden waren, nur weil sie zu früh gekommen war. Als Luitenant Verkramp schließlich aus dem Bad kam, fühlte er sich ausgesprochen naß und klebrig und auf den Anblick, auf den sein Auge fiel, absolut nicht vorbereitet. Dr. von Blimenstein hatte ihren Bisammantel abgelegt und lag provozierend auf seinem Sofa ausgebreitet. Sie trug ein leuchtendrotes Kleid, das mit einer Schmiegsamkeit ihre Körperformen umschloß, die Verkramp erstaunte und ihn sich fragen ließ, wie sie wohl da je hineingekommen sei.
»Gefällt’s dir?« fragte die Doktorin und streckte sich aufreizend. Verkramp schluckte und sagte, das täte es, sehr sogar. »Das ist der neue Naß-Look aus Stretch-Nylon.« Verkramp ertappte sich dabei, wie er hypnotisiert auf ihre Brüste starrte, und sah sich der entsetzlichen Vorstellung gegenüber, dazu verdonnert zu sein, in der Öffentlichkeit einen Abend mit einer Frau zu verbringen, die etwas am Leibe trug, was sowas Ähnliches wie ein halbdurchsichtiges, knallrotes Trikot war. Sein Ruf, ein nüchternes und gottesfürchtiges Leben zu führen, war etwas, worauf er immer stolz gewesen war, und als frommes Mitglied der Holländischen Reformiertenkirche in der Verwoerd Street war er über die Aufmachung der Ärztin entsetzt. Als sie zum Piltdown Hotel hinauffuhren, war sein einziger Trost der Gedanke, daß der scheußliche Fummel so eng sei, daß sie darin bestimmt nicht tanzen könne. Luitenant Verkramp tanzte nicht. Das hielt er für Sünde.
Am Hotel öffnete der Portier den Wagenschlag, und Verkramps Gefühl gesellschaftlicher Unzulänglichkeit, das sich bereits durch die Feststellung, daß sein Volkswagen neben einem Cadillac parkte, enorm gesteigert hatte, nahm durch das Betragen des Mannes weiter zu.
»Die Brassière, bitte«, sagte Verkramp.
»Die was, Sir?« fragte der Portier, die Augen auf Dr. von Blimensteins Busen gerichtet.
»Die Brassière«, sagte Verkramp.
»Sowas haben wir hier nicht, Sir«, sagte der Portier. Dr. von Blimenstein eilte ihm zu Hilfe.
»Die Brasserie«, sagte sie.
»Ach, Sie meinen den Grillroom«, sagte der Portier, der noch immer kaum seinen Augen trauen wollte, und beschrieb ihnen den Weg zur Colour Bar. Mit Entzücken stellte Verkramp fest, daß es dort ziemlich dunkel war, so daß er in einer Ecknische mit hohen Lehnen den Blicken der Öffentlichkeit entzogen war. Außerdem hatte Dr. von Blimenstein ihm aus der Verlegenheit geholfen und Dry Martinis beim Weinkellner bestellt, der Verkramps vergeblichen Versuchen, etwas auch nur annähernd Vertrautes auf der Weinkarte zu finden, hochnäsig zugesehen hatte. Nach den drei Martinis fühlte Verkramp sich entschieden besser.
Dr. von Blimenstein erzählte ihm von der Aversionstherapie.
»Das geht ganz einfach«, sagte sie. »Der Patient wird auf ein Bett geschnallt, und dann werden Dias über seine spezielle Perversion auf eine Leinwand projiziert. Wenn man es zum Beispiel mit einem Homosexuellen zu tun hat, zeigt man ihm Fotos mit nackten Männern.«
»Tatsächlich«, sagte Verkramp. »Wie ungeheuer interessant. Und was macht man dann?«
»Im selben Augenblick, wo man ihm das Foto zeigt, bringt man ihm auch einen Elektroschock bei.«
Verkramp war fasziniert. »Und das heilt ihn?« fragte er.
»Am Ende zeigt der Patient jedesmal, wenn ein Foto projiziert wird, Anzeichen von Angst«, sagte die Ärztin.
»Das glaube ich gern«, sagte Verkramp, dessen Experimente mit Elektroschocks bei seinen Häftlingen vollkommen die gleiche Angst hervorgerufen hatte.
»Die Behandlung muß sechs Tage ohne Unterbrechung durchgeführt werden, um wirklich erfolgreich zu sein«, fuhr Dr. von Blimenstein fort, »aber du wärest überrascht, wieviele Heilungen uns mit dieser Methode geglückt sind.«
Verkramp sagte, er wäre nicht im geringsten überrascht. Während des Essens erklärte ihm Dr. von Blimenstein, zur Behandlung der Fälle von Rassenmischung unter den Piemburger Polizeibeamten habe sie eine modifizierte Form der Aversionstherapie im Sinn. Verkramp, der von Gin und Wein total umnebelt war, versuchte dahinterzukommen, was sie wohl meine. »Ich verstehe nicht ganz…«, begann er.
»Nackte schwarze Weiber«, sagte die Ärztin und lächelte über ihr bohlendickes Steak hinweg. »Dias von nackten schwarzen Weibern auf die Leinwand werfen und gleichzeitig einen Elektroschock beibringen.« Verkramp sah sie mit unverhüllter Bewunderung an.
»Brillant«, sagte er. »Fabelhaft. Du bist ein Genie.« Dr. von Blimenstein lächelte geziert. »Die Idee stammt nicht von mir«, sagte sie bescheiden, »aber man könnte wohl sagen, daß ich sie den südafrikanischen Bedürfnissen angepaßt habe.«
»Ein Durchbruch«, sagte Verkramp. Der Durchbruch, könnte man sagen.«
»Hoffen wir das beste«, murmelte die Doktorin.
»Zum Wohl«, sagte Verkramp und hob sein Glas, »ich trinke auf deinen Erfolg.«
Dr. von Blimenstein erhob ihr Glas. »Auf unseren Erfolg, Liebling, auf unseren Erfolg.« Sie tranken, und während sie tranken, kam es Verkramp vor, als sei er in seinem Leben das erste Mal wirklich glücklich. Er aß in einem schicken Hotel mit einer schönen Frau zu Abend, mit deren Hilfe er drauf und dran war, Geschichte zu machen. Nicht länger bestünde die Gefahr, daß Südafrika zu einem Land würde, in dem die Farbigen den Führern Weiß-Südafrikas Alpträume verursachten. Mit Dr. von Blimenstein an seiner Seite würde Verkramp in der ganzen Republik Kliniken aufmachen, in denen man mit Hilfe der Aversionstherapie weiße Perverse von ihren Sexgelüsten nach schwarzen Frauen heilte. Er beugte sich über den Tisch zu ihren hinreißenden Brüsten vor und ergriff ihre Hand.
»Ich liebe dich«, sagte er schlicht.
»Ich liebe dich auch«, flüsterte die Doktorin, die ihn mit einer beinahe raubtierhaften Gespanntheit anstarrte. Verkramp blickte sich nervös im Restaurant um und stellte zu seiner Erleichterung fest, daß sie von niemandem beobachtet wurden.
»Auf anständige Art und Weise natürlich«, sagte er nach einer Pause.
Dr. von Blimenstein lächelte. »Liebe ist nie anständig, Liebling«, sagte sie. »Sie ist düster und gewalttätig und leidenschaftlich und grausam.«
»Ja… na schön…«, sagte Verkramp, der die Liebe noch nie von dieser Seite betrachtet hatte. »Ich wollte nur sagen, daß die Liebe rein ist. Das heißt, meine Liebe.«
In Dr. von Blimensteins Augen schien eine Flamme zu flackern und zu erlöschen. »Liebe heißt Begehren«, sagte sie. Unter ihrer Nylonhülle drängten sich ihre Brüste auf den Tisch und wölbten sich mit einer mütterlichen Bedrohung vor, die Verkramp als störend empfand. Er verlagerte seine eng zusammengepreßten Beine unter dem Tisch und überlegte, was er sagen könne.
»Ich brauche dich«, flüsterte die Ärztin, die ihr Verlangen damit unterstrich, daß sie ihre rotlackierten Fingernägel dem Luitenant in die Handfläche grub. »Ich brauche dich wahnsinnig.« Luitenant Verkramp erschauerte unwillkürlich. Unter dem Tisch schlossen sich Dr. von Blimensteins üppige Knie eng um seine Beine. »Ich brauche dich«, wiederholte sie, und Verkramp, der allmählich den Eindruck hatte, er äße mit einem brünstigen Vulkan Abendbrot, hörte sich sagen: »Wär’s nicht an der Zeit zu gehen?«, ehe ihm die Deutung klar wurde, die die Ärztin seinem plötzlichen Wunsch, die relative Sicherheit des Restaurants zu verlassen, sicherlich geben würde.
Als sie zum Auto hinausgingen, hakte sich Dr. von Blimenstein bei Verkramp unter und zog ihn fest an sich. Er öffnete für sie die Wagentür, und die Doktorin glitt unter Nylongeraschel auf ihren Sitz. Verkramp, dessen Gefühl gesellschaftlicher Unzulänglichkeit angesichts der unverhüllten Kundgabe der Begierden der Frau Doktor total in das Gefühl sexueller Unzulänglichkeit umgeschlagen war, kletterte zögernd neben sie.
»Du verstehst nicht«, sagte er und ließ den Motor an, »ich möchte nichts tun, was die Schönheit dieses Abends beflecken könnte.« Dr. von Blimenstein streckte im Dunkeln die Hand aus und preßte innig sein Bein.
»Du darfst dich nicht schuldig fühlen«, murmelte sie. Verkramp setzte den Wagen mit einem Ruck zurück.
»Ich achte dich zu sehr«, sagte er.
Dr. von Blimensteins Bisammantel wogte sacht, als sie den Kopf gegen seine Schulter lehnte. Ein schweres Parfüm wehte Verkramp übers Gesicht.
»Was bist du für ein schüchterner Junge«, sagte sie.
Verkramp steuerte das Auto vom Hotelgelände auf die Straße nach Piemburg. Weit unter ihnen flimmerten die Lichter der Stadt und erloschen. Es war Mitternacht.
Verkramp fuhr langsam den Berg hinunter, teils weil er Angst hatte, wegen Trunkenheit am Steuer aufgeschrieben zu werden, vor allem aber, weil ihn die Aussicht auf das schreckte, was ihn erwartete, wenn sie erstmal wieder in seiner Wohnung wären. Zweimal bestand Dr. von Blimenstein darauf anzuhalten, und zweimal fand Verkramp sich von ihren Armen umschlungen, während ihre Lippen seinen dünnen Mund suchten und fanden. »Ganz locker, Liebling«, sagte sie zu ihm, als Verkramp sich in einer fieberhaften Mischung aus Ablehnung und Zustimmung wand, die sowohl sein Gewissen, als auch Dr. von Blimensteins Annahme befriedigte, er gehe darauf ein. »Sex muß gelernt sein.« Das brauchte man Verkramp nicht zu sagen.
Er startete den Wagen von neuem und fuhr weiter, während ihm Dr. von Blimenstein erklärte, für einen Mann sei es ganz normal, daß er Angst vor Sex habe. Als sie vor Verkramps Wohnhaus hielten, hatte ihn die Euphorie, die der Erklärung der Ärztin gefolgt war, wie sie die rassenschänderischen Polizeibeamten kurieren werde, völlig verlassen. Die merkwürdige Mischung aus animalischer Leidenschaft und klinischer Sachlichkeit, mit der die Doktorin den Sex anging, hatte im Luitenant eine Aversion gegen das Thema erzeugt, die mit keinen Elektroschocks verstärkt zu werden brauchte.
»Tja, das war ein sehr netter Abend«, sagte er hoffnungsvoll, als er sein Auto direkt neben dem der Ärztin parkte, aber Dr. von Blimenstein hatte nicht die Absicht, sich so schnell zu verabschieden.
»Du lädst mich doch noch zu einem Gutenachttrunk ein?« fragte sie, und als Verkramp zögerte, fuhr sie fort: »Ich habe, scheint’s, sowieso meine Handtasche bei dir oben vergessen, also muß ich schon einen Moment mit raufkommen.«
Verkramp stieg schweigend die Treppe nach oben. »Ich möchte die Nachbarn nicht stören«, erklärte er flüsternd. Mit einer Stimme, die die Absicht zu haben schien, Tote aufzuwecken, sagte Dr. von Blimenstein, sie werde so leise sein wie eine Maus, und nutzte die Situation, indem sie ihn auf den Mund zu küssen versuchte, während er nach seinem Schlüssel kramte. Drin zog sie sich den Mantel aus und setzte sich aufs Sofa, wobei sie eine solche Menge Bein zeigte, daß sie das Begehren, das ihre Unterhaltung erstickt hatte, beinahe wieder entfacht hätte. Sie ließ ihr Haar über die Sofakissen fallen und hob die Arme zu ihm empor. Verkramp sagte, er mache schnell ein bißchen Kaffee, und ging in die Küche. Als er zurückkam, hatte Dr. von Blimenstein die Deckenbeleuchtung aus- und eine Leselampe in der einen Zimmerecke angeknipst und drehte am Radio herum. »Versuche bloß, ‘n bißchen Musik reinzukriegen«, sagte sie. Die Lautsprecher über dem Sofa knackten. Verkramp setzte die Kaffeetassen ab und ging hinüber, um das Radio zu bedienen, aber Dr. von Blimenstein war nicht mehr an Musik interessiert. Sie stand mit demselben sanften Lächeln vor ihm, das Verkramp an dem Tage auf ihrem Gesicht erblickt hatte, als sie ihm das erste Mal im Krankenhaus begegnet war, und bevor er ihr entwischen konnte, hatte die schöne Ärztin ihn mit jener Sachkunde aufs Sofa gepreßt, die Verkramp einst so sehr bewundert hatte. Als ihre Lippen seine schwachen Proteste zum Schweigen brachte, verlor der Luitenant jedes Schuldgefühl. Er lag hilflos in ihren Armen, und es gab nichts, was er hätte tun können.