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Als Kommandant van Heerden die Piemburger Stadtbücherei verließ, hielt er sein Exemplar von Wie andere Menschen sind mit einem Gefühl der Vorfreude in der Hand, wie er sie zuletzt als kleiner Junge empfunden hatte, wenn er sonntags morgens vor dem Kino Comics tauschte. Er eilte die Straße entlang, wobei er ab und zu einen Blick auf den Umschlag warf, auf dem vorn ein Zierrahmen und hinten das Porträt des großen Schriftstellers zu sehen waren. Jedesmal, wenn er auf dieses Gesicht mit seinen leicht verhangenen Lidern und dem flotten Schnurrbart sah, war er von der Bedeutung gesellschaftlicher Hierarchie erfüllt, nach der es seine Seele verlangte. Alle Zweifel an der Existenz von Gut und Böse, die ihm fünfundzwanzig Jahre als Beamter bei der Südafrikanischen Polizei natürlich aufgebürdet hatten, verflüchtigten sich angesichts des Selbstvertrauens, das diesem Porträt entströmte. Nicht daß Kommandant van Heerden auch nur einen Augenblick lang Grund gehabt hätte, die Existenz des Bösen zu bezweifeln. Es war das Fehlen des Gegenteils, was er geistig so lähmend fand, und da der Kommandant mit etwas, was begrifflichem Denken auch nur nahekam, nichts anfangen konnte, mußte das Gute, wonach er suchte, sichtbar sein, um geglaubt zu werden. Mehr noch, es mußte in irgendeiner gesellschaftlich akzeptablen Form faßbar sein, und hier endlich, eine Arroganz ausstrahlend, die keinen Zweifel duldete, lieferte das Gesicht, das vom Umschlag von Wie andere Menschen sind an ihm vorbeiblickte, den unwiderlegbaren Beweis, daß es all die Tugenden wie Ritterlichkeit und Mut, denen Kommandant van Heerden im stillen so große Hochachtung zollte, immer noch gab auf der Welt.

Als er zu Hause angekommen war und es sich in einem Sessel bequem gemacht hatte, eine Kanne Tee und eine Tasse neben sich, klappte er das Buch auf und begann zu lesen. »Eve Malory Carew reckte ihr reizendes, anmutiges Kinn«, las er, und wie er so las, entschwand um ihn die Welt niedriger Verbrechen, die Welt von Mord und Betrug, Raub und Überfall, Feigheit und Verrat, mit der sein Beruf ihn täglich in Berührung brachte, um durch eine neue Welt ersetzt zu werden, in der hübsche Damen und wundervolle Männer sich sorglos, selbstsicher und geistreich auf ein unweigerlich glückliches Ende zu bewegten. Während er die Erlebnisse von Jeremy Broke und Captain Toby Rage verfolgte, ganz zu schweigen von Oliver Pauncefote und Simon Beaulieu, wußte der Kommandant, daß er endlich in seinem Element war. Luitenant Verkramp, Sergeant Breitenbach und die sechshundert Mann unter seinem Kommando versanken in glücklichem Vergessen, während die Stunden vergingen und der Kommandant, dessen Tee inzwischen eiskalt war, weiterlas. Gelegentlich wiederholte er sich einen besonders packenden Absatz laut, um die Worte noch genußvoller auszukosten. Nachts um eins sah er auf die Uhr und war erstaunt, daß die Zeit so unbemerkt vergangen war. Trotzdem, es lag kein Grund vor, morgens zeitig aufzustehen, und außerdem war er schon wieder bei einer aufregenden Episode angelangt.

»Die Perlen, die George mir schenkte, liegen, bleich und verdrießlich, neben mir«, las er laut mit einer Stimme, die er sich vage als angemessene Verkörperung einer Frauenstimme vorstellte, »ich habe sie abgenommen. Ich möchte seine Perlen nicht an mir; mich verlangt nach deinen Armen.«

Während der Kommandant es als herrliche Befreiung empfand, aus der wirklichen Welt gemeiner Erfahrungen in eine Welt reiner Phantasie zu entfliehen, tat Luitenant Verkramp genau das Gegenteil. Jetzt, da die sexuellen Phantasievorstellungen, die er während vieler schlafloser Nächte um Frau Dr. von Blimenstein gerankt hatte, sich nur allzu wahrscheinlich erfüllen sollten, fand Verkramp die Aussicht unerträglich. Vor allem waren die Reize, die eine abwesende und nur geträumte Dr. von Blimenstein besaß, völlig verschwunden und hatten dem Bewußtsein Platz gemacht, daß sie eine massiv gebaute Frau mit enormen Brüsten und muskulösen Beinen war, deren sexuelle Bedürfnisse zu befriedigen er nicht die geringste Lust hatte. Und schließlich waren die Wände seiner Wohnung so gebaut, daß die Geräusche in der einen Wohnung in der anderen deutlich gehört werden konnten. Um seinen Ärger vollzumachen, war die Doktorin betrunken.

Im törichten Versuch, bei ihr das weibliche Gegenstück eines Whisky-Schlappschwanzes hervorzurufen, traktierte Verkramp sie mit Scotch aus einer Flasche, die er für besondere Gelegenheiten aufbewahrte, und er war nicht nur von der Fähigkeit der Doktorin geschockt, harte Schnäpse zu vertragen, sondern auch von der Tatsache, daß das verdammte Zeug offensichtlich als Aphrodisiakum wirkte. Er beschloß, den Prozeß umzudrehen, und ging in die Küche, um noch etwas schwarzen Kaffee zu bereiten. Er hatte eben den Herd angeschaltet, als ihn ein Wahnsinnsgetöse ins Wohnzimmer zurückeilen ließ. Dr. von Blimenstein hatte sein Tonbandgerät in Gang gesetzt.

»I want an oldfashioned house with an oldfashioned fence and an oldfashioned millionaire«, schrie Eartha Kitt.

Dr. von Blimenstein, die mitsang, war bescheidener in ihren Forderungen. »I want to be loved by you, just you and nobody else but you«, schmachtete sie mit einer Stimme, die um etliche Dezibel über der gesetzlichen Höchstgrenze lag.

»Um Himmels willen«, sagte Verkramp und versuchte, sich an ihr vorbei zum Tonbandgerät zu schieben, »du weckst ja alle Nachbarn auf.«

Das Quietschen von Sprungfedern in der Wohnung darüber ließ vermuten, daß Verkramps Nachbarn vom Verlangen der Doktorin Notiz nahmen, auch wenn er es nicht tat.

»I want to be loved by you alone, buu bupie duup«, sang Dr. von Blimenstein weiter und schloß Verkramp in ihre Arme. Im Hintergrund trug Miss Kitt zu seiner Verlegenheit bei, indem sie der Welt zum einen ihr Verlangen nach Ölquellen und zum anderen Verkramps Vorliebe für farbige Sängerinnen mitteilte.

»Wasso falsch an der Liebe, Baby?« fragte die Doktorin, wobei es ihr gelang, Albernheit und Sex auf eine Weise zu verbinden, die Verkramps besonders irritierend fand.

»Ja«, sagte er beschwichtigend und versuchte, sich ihrer Umarmung zu entwinden, »wenn du… «

»… wärst das einzige Girl auf der Welt und ich der einzige Boy«, plärrte die Ärztin.

»Um Gottes willen«, kreischte Verkramp, den diese Vorstellung entsetzte.

»Das seid ihr aber nicht«, kam eine Stimme aus der Wohnung darüber, »mich gibt’s auch noch.«

Von dieser Unterstützung angefeuert befreite sich Verkramp aus den Armen der Ärztin und fiel auf das Sofa.

»Gib mir, gib mir, wonach ich mich sehne«, sang die Doktorin und wechselte die Melodie.

»Ein bißchen Scheiß Schlaf«, schrie der Mann oben, den das sprunghafte Repertoire der Ärztin offenbar anödete.

In der Wohnung nebenan, in der ein Religionslehrer mit seiner Frau wohnte, hämmerte jemand an die Wand.

Verkramp rappelte sich vom Sofa hoch und warf sich auf das Tonbandgerät.

»Gestatte, daß ich diese Niggergöre abdrehe«, rief er. Miss Kitt war mittlerweile mit Diamanten beschäftigt.

»Laß doch die Niggergören. Mich hast du angedreht«, schrie Dr. von Blimenstein, packte Verkramp an den Beinen und brachte ihn krachend zu Boden. Auf ihm hockend preßte sie sich mit einer Gier an ihn, daß ihm der Gummiknopf ihres Strumpfgürtels in den Mund rutschte, während sie an seinen Hosenknöpfen herumfummelte. Mit einem Ekel, der seiner Unkenntnis der weiblichen Anatomie entsprach, spuckte Verkramp das Ding wieder aus, um sich lediglich einer noch abscheulicheren Aussicht gegenüber zu sehen. Während sein Horizont von Schenkeln, Strumpfgürteln und jenen Teilen der Doktorin auf obszöne Weise eingegrenzt wurde, die in seinen Phantasievorstellungen eine so große Rolle gespielt hatten, bei näherer Bekanntschaft ihren Reiz aber total einbüßten, rang Verkramp verzweifelt nach Luft.

An diesem kritischen Punkt der Lage geschah es, daß Kommandant van Heerden sich unwissentlich einzumischen beliebte. Durch Verkramps elektronische Gerätschaften ungeheuer verstärkt, gesellte sich des Kommandanten Falsettstimme mit ihrem besonderen Charme zu Miss Kitts Alt und Dr. von Blimensteins eindringlichen Aufforderungen an Verkramp, endlich mal stillzuliegen.

»Simon«, quäkte der Kommandant, der keine Ahnung von der Wirkung hatte, die er eine halbe Meile entfernt erzielte, »vergangene Nacht begruben wir hier lebend unsere Liebe, unsere herrliche, selige Leidenschaft trugen wir lebendig zu Grabe.«

»Was ist das?« fragte Dr. von Blimenstein, die in ihrer besoffenen Rage bisher alle flehentlichen Bitten Verkramps überhört hatte.

»Laß mich los«, kreischte Verkramp, dem des Kommandanten Mitteilung, daß er etwas lebendig begrübe, besonders wichtig erschien.

»Da drin wird jemand umgebracht«, quietschte die Frau des Religionslehrers nebenan.

»Ich muß verrückt gewesen sein. Ich dachte wohl, ich müsse sterben«, fuhr der Kommandant fort.

»Was ist das denn?« schrie Dr. von Blimenstein wieder, die in ihrer Betrunkenheit versuchte, zwischen Verkramps wilden Schreien und dem leidenschaftlichen Geständnis des Kommandanten zu unterscheiden, eine Dechiffrieraufgabe, die durch Eartha Kitt, die sich soeben als Türkin ausgab, nicht leichter gemacht wurde.

Im Flur drohte der Mann von oben, die Tür aufzubrechen.

Im Zentrum dieses Mahlstroms aus Lärm und Bewegung starrte Luitenant Verkramp leichenblaß in die leuchtendroten Rüschen von Dr. von Blimensteins raffinierten Höschen, dann nahm er, von der hysterischen Furcht überwältigt, daß er jeden Moment kastriert werden könne, den Happen zwischen die Zähne.

Mit einem Schrei, der eine halbe Meile entfernt vernommen werden konnte und die Wirkung hatte, daß der Kommandant aufhörte, laut zu lesen, schoß Dr. von Blimenstein vorwärts durchs Zimmer und zog den halb wahnsinnigen Verkramp, der sich hoffnungslos in ihrem Strumpfgürtel verheddert hatte, hinter sich her.

Für Luitenant Verkramp waren die nächsten paar Minuten ein Vorgeschmack auf die Hölle. Hinter ihm warf sich der Mann von oben, der mittlerweile zweifelsfrei davon überzeugt war, Zeuge irgendeines entsetzlichen Verbrechens zu sein, gegen die Tür. Vor ihm warf sich Dr. von Blimenstein, die ihrerseits davon überzeugt war, daß sie schließlich ihrem Liebhaber doch noch sexuellen Appetit gemacht hatte, jedoch fürchtete, der könne sich auf eher orthodoxe Weise äußern, auf den Rücken. Als die Tür mit einem Krachen aufsprang, äugte Verkramp durch die zerrissenen leuchtendroten Rüschen mit all dem Weltschmerz eines geköpften Rhodeländer Gockels. Der Mann von oben stand angesichts des Schauspiels sprachlos in der Tür.

»Jetzt, Liebling, jetzt«, kreischte Dr. von Blimenstein und wand sich ekstatisch. Verkramp kam wütend auf die Beine.

»Wie können Sie es wagen, hier einzubrechen?«, schrie er und versuchte seine Verlegenheit in berechtigte Wut umzuwandeln. Vom Fußboden aus mischte sich Dr. von Blimenstein viel wirkungsvoller ein.

»Coitus interruptus«, brüllte sie, »coitus interruptus!« Verkramp griff den Ausdruck dankbar auf, der ihm irgendwie medizinisch vorkam.

»Sie ist Epileptikerin«, erklärte er, als die Doktorin immer weiter zuckte, »sie ist aus Fort Rapier«.

»Himmel«, sagte der Mann, der nun seinerseits furchtbar verlegen war. Die Frau des Religionslehrers drängte sich ins Zimmer.

»Ja doch, ja doch«, sagte sie zu der Ärztin, »ist ja alles gut. Wir sind ja hier«.

In dem Durcheinander schlich Verkramp davon und schloß sich in seinem Badezimmer ein. Dort saß er, weiß vor Demütigung und Ekel, bis der Krankenwagen kam, um die Ärztin in die Klinik zurückzubringen. Im Wohnzimmer schrie Dr. von Blimenstein immer noch betrunken irgendwas über erogene Zonen und die Gefühlsrisiken eines unterbrochenen Koitus.

Als alle weg waren, tauchte Verkramp wieder aus dem Badezimmer auf und besah sich angeekelt das Chaos in seinem Wohnzimmer. Der einzige Trost, den er dem Horror des ganzen Abends abgewinnen konnte, war die Erkenntnis, daß sich sein Verdacht gegen den Kommandanten bestätigt hatte. Verkramp versuchte sich zu erinnern, was diese grauenhafte Falsettstimme gesagt hatte. Es hatte sich um das lebendige Begraben von irgend jemandem gedreht. Irgendwie erschien ihm das höchst unwahrscheinlich, aber der ganze Abend war geeignet gewesen, in Luitenant Verkramp den Verdacht zu erregen, daß gerade die angesehensten Leute zu den bizarresten Dingen in der Lage waren. Einer Sache war er sich absolut sicher – nie wieder wollte er Frau Dr. von Blimenstein zu Gesicht bekommen.

Kommandant van Heerden, der, von neuem vom Entschluß durchdrungen, sich wie ein Gentleman zu benehmen, am nächsten Morgen in seinem Büro aufkreuzte, war genau der gleichen Ansicht. Frau Dr. von Blimensteins Fragebogen hatte in der Piemburger Polizeidienststelle einen Proteststurm entfacht.

»Er ist Teil einer Kampagne gegen die Verbreitung des Kommunismus«, erklärte der Kommandant Sergeant de Haen, der delegiert worden war, um den Groll der Leute zum Ausdruck zu bringen.

»Was hat denn die Größe der Brustnuppel von irgendeinem Kaffernweib mit der Verbreitung des Kommunismus zu tun?« wollte der Sergeant wissen. Kommandant van Heerden gab zu, daß diese Gedankenverbindung ziemlich vage war.

»Am besten fragen Sie Luitenant Verkramp danach«, sagte er. »Das ist seine Angelegenheit, nicht meine. Wenn’s nach mir geht, braucht keiner das schauerliche Ding auszufüllen. Ich jedenfalls habe bestimmt nicht die Absicht.«

»Ja, Sir. Vielen Dank, Sir«, sagte der Sergeant und eilte davon, um Verkramps Anordnungen zu widerrufen.

Am Nachmittag kehrte der Kommandant in den Golfclub zurück in der Hoffnung, einen Blick auf das Quartett zu erhaschen, das sich Dornford Yates-Club nannte. Er schlug ein paar Bälle in das Wäldchen, um dem Anschein Genüge zu tun, und ging recht bald wieder zum Clubhaus zurück. Als er sich der Terrasse näherte, sah er zu seiner Freude, wie sich der altmodische Rolls geräuschlos von der Hauptstraße her die Auffahrt herunterschob und den Golfplatz überblickend stehenblieb. Mrs. Heathcote-Kilkoon saß am Steuer. Sie trug eine blaue Wolljacke mit entsprechender Bluse und passenden Handschuhen. Einen Moment blieb sie im Wagen sitzen, dann stieg sie aus und ging so nachdenklich um den Kühler herum, daß es den Kommandanten im Innersten rührte.

»Entschuldigen Sie bitte«, rief sie zu ihm hinüber und lehnte sich mit einer anmutigen Bewegung gegen die Haube, wie sie der Kommandant nur in den teureren Frauenzeitschriften gesehen hatte, »ob Sie mir wohl helfen könnten?«

Kommandant van Heerdens Pulsfrequenz ging sprunghaft nach oben. Er sagte, es wäre ihm eine Ehre, wenn er ihr helfen könne.

»Ich bin so ein Dummerchen«, fuhr Mrs. Heathcote-Kilkoon fort, »ich verstehe absolut nichts von Autos. Ob Sie wohl einfach mal einen Blick hineinwerfen und mir sagen könnten, ob irgendwas nicht stimmt?«

Mit einem Heldenmut, der seine totale Unkenntnis in Autodingen im allgemeinen und in Vorkriegs-Rolls-Royces im besonderen Lügen strafte, fummelte der Kommandant an den Schließen der Kühlerhaube herum und war alsbald fettverschmiert auf der Suche nach irgend etwas, was darauf hindeuten könnte, warum der Wagen am oberen Ende der Golfclub-Auffahrt so unerwartet den Dienst aufgesagt hatte. Hinter ihm stand Mrs. Heathcote-Kilkoon und trieb ihn mit nachsichtigem Lächeln und dem nichtssagenden Geschwätz einer bezaubernden Frau zum Handeln an.

»Ich fühle mich so hilflos, wenn’s um Maschinen geht«, gurrte sie, während der Kommandant, der ihre Gefühle teilte, den Finger voller Hoffnung in einen Vergaser steckte. Er kam nicht weit, was er als gutes Zeichen wertete. Als er wenig später den Keilriemen und den Ölmeßstab inspiziert hatte, womit seine Autokenntnisse mehr oder weniger erschöpft waren, gab er das ihn überfordernde Unternehmen auf.

»Tut mir furchtbar leid«, sagte er, »aber ich kann keinen offenkundigen Fehler finden.«

»Vielleicht habe ich ganz einfach kein Benzin mehr«, lächelte Mrs. Heathcote-Kilkoon. Kommandant van Heerden sah auf die Benzinuhr und stellte fest, daß sie »Leer« anzeigte.

»Stimmt«, sagte er. Mrs. Heathcote-Kilkoon flüsterte Entschuldigungen. »Und Sie haben sich auch noch so viel Mühe gemacht«, säuselte sie, aber Kommandant van Heerden war viel zu glücklich, um zu empfinden, daß er überhaupt mit irgendwas Mühe gehabt hatte.

»War mir ein Vergnügen«, sagte er errötend und wollte gerade gehen, um sich die Schmiere von den Händen zu waschen, als ihn Mrs. Heathcote-Kilkoon zurückhielt.

»Sie sind so reizend«, sagte sie, »ich muß Ihnen einen Drink spendieren«.

Der Kommandant versuchte einzuwenden, daß das nicht nötig sei, aber sie wollte davon nichts hören. »Ich telefoniere mit der Werkstatt nach etwas Benzin«, erklärte sie ihm, »und dann komme ich zu Ihnen auf die Veranda.«

Wenig später nippte der Kommandant an einem kühlen Drink, während Mrs. Heathcote-Kilkoon, die ihren durch einen Halm saugte, ihn nach seiner Arbeit fragte.

»Das muß ja absolut bezaubernd sein, als Kriminalbeamter zu arbeiten«, sagte sie. »Mein Mann ist pensioniert, wissen Sie.«

»Das wußte ich nicht«, sagte der Kommandant.

»Natürlich befaßt er sich nebenbei immer noch ein bißchen mit Börsenpapieren«, fuhr sie fort, »aber das ist halt nicht das gleiche, nicht wahr?«

Der Kommandant sagte, das wäre es wohl nicht, obwohl er nicht genau wußte, inwiefern es nicht das gleiche war. Während Mrs. Heathcote-Kilkoon weiterschwatzte, nahm der Kommandant gierig die Einzelheiten ihrer Garderobe auf, die Krokodillederschuhe, die dazu passende Handtasche und die unaufdringlichen Perlen, und staunte über ihren ausgezeichneten Geschmack. Selbst die Art, wie sie die Beine überschlug, hatte eine Gelassenheit an sich, die der Kommandant unwiderstehlich fand.

»Stammt Ihre Familie aus diesem Teil der Welt?« wollte Mrs. Heathcote-Kilkoon wenig später wissen.

»Mein Vater hatte eine Farm im Karoo«, erzählte ihr der Kommandant. »Er züchtete Ziegen.« Ihm war klar, daß sich das nach einer ziemlich dürftigen Betätigung anhörte, aber nach allem, was er von den Engländern wußte, standen Landbesitzer bei ihnen hoch im Kurs. Mrs. Heathcote-Kilkoon seufzte.

»Ich schwärme ja so fürs Land«, sagte sie. »Das ist ein Grund, weshalb wir nach Zululand kamen. Mein Mann zog sich nach dem Krieg nach Umtali zurück, wissen Sie, und es gefiel uns da oben sehr, aber irgendwie machte ihm das Klima zu schaffen, und so zogen wir hier runter. Wir wählten Piemburg, weil uns beiden die Atmosphäre hier ausnehmend gefällt. So fabelhaft fin de siècle, finden Sie nicht auch?«

Der Kommandant, der nicht wußte, was fin de siècle bedeutete, sagte, ihm gefalle Piemburg, weil es ihn an die gute alte Zeit erinnere.

»Wie recht Sie haben«, sagte Mrs. Heathcote-Kilkoon. »Mein Mann und ich sind absolut nostalgiesüchtig. Wenn wir doch nur die Uhr zurückstellen könnten. Die Eleganz, der Charme, die Zuvorkommenheit dieser unwiderruflich vergangenen heißgeliebten alten Zeiten«, seufzte sie, und der Kommandant, der spürte, daß ihm in seinem Leben ausnahmsweise mal ein gleichgesinnter Geist begegnet war, seufzte mit ihr. Als wenig später der Barmann meldete, daß die Werkstatt Benzin in den Rolls gefüllt habe, erhob sich der Kommandant.

»Ich möchte Sie nicht aufhalten«, sagte er höflich.

»Es war sehr liebenswürdig von Ihnen, daß Sie mir geholfen haben«, sagte Mrs. Heathcote-Kilkoon und streckte ihm ihre behandschuhte Hand entgegen. Der Kommandant ergriff sie, und in einer plötzlichen Regung, die der Seite neunundvierzig von Wie andere Menschen sind entsprang, drückte er sie an seine Lippen. »Ihr Diener«, murmelte er.

Er war weg, ehe Mrs. Heathcote-Kilkoon irgend etwas sagen konnte, und fuhr bald seltsam gehobener Stimmung nach Piemburg hinunter. An dem Abend nahm er sich Berry & Co aus der Bücherei mit und fuhr nach Hause, um aus den Seiten neue Inspirationen zu schöpfen.

»Wo bist du denn gewesen?« fragte Colonel Heathcote-Kilkoon, als seine Frau nach Hause kam.

»Du wirst es einfach nicht glauben, aber ich habe mich mit einem richtigen ollen Buren unterhalten. Keiner von deinen Bluffern, sondern die Originalware. Absolut noch aus der Arche. Du wirst es einfach nicht glauben, aber er hat mir zum Abschied tatsächlich die Hand geküßt.«

»Wie gräßlich«, sagte der Colonel und ging in den Garten hinaus, um nach seinen Azaleen zu sehen. Wenn es etwas gab, was er nach Termiten und dreisten Kaffern nicht leiden konnte, dann waren es Afrikaander. Im Wohnzimmer saß Major Bloxham und las Country Life.

»Sie können ja wohl nicht alle Schweine sein«, sagte er herablassend, als Mrs. Heathcote-Kilkoon ihm von dem Kommandanten erzählte, »bloß kann ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern, jemals einem begegnet zu sein, der’s nicht war. In Kenia kannte ich mal einen Kerl namens Botha. Wusch sich nie. Wäscht sich dein Freund?«

Mrs. Heathcote-Kilkoon schnaubte erbost und ging nach oben, um sich vor dem Abendessen noch etwas auszuruhen. Während sie dort in der Stille des Spätnachmittags lag und dem sanften Geplätscher des Rasensprengers lauschte, empfand sie vage Reue über das Leben, das sie einst geführt hatte. In Croydon geboren, war sie von der Selsdon Road über den Dienst bei der Weiblichen Hilfs-Air-Force nach Nairobi gekommen, wo sie sich aufgrund ihrer provinziellen Herkunft eine Stellung und einen Mann mit Geld angeln konnte. Seit jenen sorglosen Tagen war sie inzwischen langsam den schwarzen Kontinent hinuntergewandert, war sie südwärts gespült worden auf der verebbenden Flut des Empire und hatte sich mit jedem neuen Breitengrad mehr von jenem feinen, anspruchsvollen Wesen zugelegt, das Kommandant van Heerden so bewunderte. Nun war sie müde. Das affektierte Geziere, das für jede Form von Gesellschaftsleben in Nairobi so notwendig gewesen war, war in Piemburg, dessen Atmosphäre im Vergleich dazu kleinbürgerlich war, fehl am Platze. Sie war immer noch gedrückter Stimmung, als sie sich zum Abendessen umzog.

»Was nutzt es, immer weiter so zu tun, als wären wir, was wir nicht sind, wenn kein Hahn danach kräht, daß wir’s nicht sind?« fragte sie wehmütig. Colonel Heathcote-Kilkoon sah sie mißbilligend an.

»Müssen den Schein wahren!« bellte er.

»Ohren steif halten, altes Mädchen«, sagte Major Bloxham, dessen Großmutter in Brighton eine Schneckenbude besessen hatte. »Kannst die Truppe doch nicht im Stich lassen.«

Aber Mrs. Heathcote-Kilkoon wußte nicht mehr, zu welcher Truppe sie eigentlich gehörte. Die Welt, in die sie geboren war, war untergegangen und mit ihr die gesellschaftlichen Ambitionen, die das Leben erträglich gemacht hatten. Die Welt, die sie sich mit Heuchelei und Verstellung erschaffen hatte, verging. Nachdem sie den Zulu-Diener beschimpft hatte, weil er die Suppe von der falschen Seite serviert hatte, stand Mrs. Heathcote-Kilkoon vom Tisch auf und ging mit ihrem Kaffee in den Garten. Dort schritt sie unter dem leuchtenden Nachthimmel lautlos über den Rasen und dachte über den Kommandanten nach. »Er hat so was Wirkliches an sich«, murmelte sie leise. Bei ihrem Port debattierten Colonel Heathcote-Kilkoon und der Major über den Kampf um die Normandie. Sie hatten absolut nichts Wirkliches an sich. Sogar der Port war aus Australien.