7
Als Kommandant van Heerden nach dem Mittagessen nach Weezen hineingefahren war und hatte feststellen müssen, daß an dem Tag die Läden nachmittags zu hatten, kam ihm allmählich der Gedanke, daß er das Haus der Heathcote-Kilkoons wohl nie finden werde. Sein früherer Eindruck, daß die Zeit in der kleinen Stadt still stehe, wurde dadurch, daß am Nachmittag keine Menschenseele auf den Straßen zu sehen war, deutlich unterstrichen. Er spazierte herum und suchte nach dem Postamt, nur um endlich festzustellen, daß es geschlossen war; er versuchte es bei dem Laden, in dem er am Morgen gewesen war – mit dem gleichen Erfolg, und schließlich setzte er sich in den Schatten von Queen Victoria und starrte auf die staubige Canna in der kleinen Gartenanlage. Ein magerer gelber Hund, der auf der Veranda des Ladens saß, kratzte sich träge und erinnerte den Kommandanten an seine neue Rolle. »Britische Leute und tolle Hunde machen in der Mittagssonne die Runde«, dachte er, um seine Laune zu heben, und fragte sich, was ein echter Brite, der sich zu dieser Tageszeit in einer fremden Stadt befände, wohl getan hätte. »Er wäre angeln gegangen«, kam ihm in den Sinn, und mit dem unangenehmen Gefühl, er werde ziemlich kritisch beobachtet, was unbewußt von der großen Königin über ihm herrührte, erhob er sich und fuhr zum Hotel zurück.
Auch dort war jetzt das Gefühl der Lähmung, von dem das alte Gebäude so erfüllt war, noch deutlicher spürbar. Die beiden Fliegen waren immer noch in der Drehtür gefangen, aber sie summten nicht mehr. Kommandant van Heerden ging den Gang entlang zu seinem Zimmer und holte sich seine Angel. Nach einigem Gerangel in der Drehtür, die sich sträubte, die Angel und den Korb gleichzeitig aufzunehmen, war er dann schließlich draußen und kämpfte sich die von Unkraut überwucherten Wege hinunter zum Fluß durch. Am Ende des gewaltigen Abflußrohrs zögerte er, guckte erst, in welche Richtung der Fluß strömte, und marschierte dann flußaufwärts, weil er keine Fische fangen wollte, die sich an der edlen Gülle fettgefressen hatten. Er hatte einige Schwierigkeiten, eine Stelle zu finden, die nicht von Ästen versperrt war, aber wenig später machte er sich daran, seine ihm am verheißungsvollsten erscheinende Fliege, ein großes, rotflügeliges Ding, ins Wasser zu praktizieren. Nichts rührte sich unter der Wasseroberfläche, aber der Kommandant war es absolut zufrieden. Er tat, was ein englischer Gentleman an einem heißen Sommernachmittag tun würde, und da er wußte, wie erfolglos Engländer in anderen Dingen waren, bezweifelte er, daß sie etwas fingen, wenn sie angelten. Während die Zeit langsam weiterschlich, sann der Kommandant, der in der Hitze etwas schläfrig wurde, still nach. Mit etwas, das entfernt innerer Einsicht ähnelte, sah er sich, einen fetten Mann mittleren Alters, in ungewohnten Kleidern am Ufer eines unbekannten Flusses stehen und nach nichts Besonderem fischen. Daß er das tat, schien sonderbar, doch war es beruhigend und auf merkwürdige Weise befriedigend. Piemburg und die Polizeidienststelle schienen weit weg und bedeutungslos. Es kümmerte ihn nicht mehr, was dort geschah. Er war weit weg von allem, weg in den Bergen, und war, wenn nicht er selber, so doch zumindest etwas Gleichwertiges, und er dachte gerade darüber nach, was diese Bewunderung für alles Britische eigentlich bedeute, als ihn eine Stimme unterbrach.
»Oh, einen Haken verbirgt die Fliege nie!« sagte die Stimme, und der Kommandant drehte sich um und sah, daß der Vertreter mit den Flatulenzen hinter ihm stand und ihm zusah.
»Sie tut das aber doch«, sagte der Kommandant, der die Bemerkung ziemlich dämlich fand.
»Ein Zitat, ein Zitat«, sagte der Mann. »Tut mir leid, aber ich bin furchtbar versessen auf solche Dinge. Das ist keine besonders gesellige Angewohnheit, aber eine, die sich aus meiner Profession ergibt.«
»Tatsächlich«, sagte der Kommandant kurz angebunden, denn er war nicht ganz sicher, was ein Zitat überhaupt war. Er holte seine Leine ein und stellte mit Bestürzung fest, daß seine Fliege verschwunden war.
»Ich sehe, ich hatte also doch recht«, sagte der Mann. »Schuppig, omnipotent und nett.«
»Wie bitte?« sagte der Kommandant.
»Bloß noch ein Zitat«, sagte der Mann. »Vielleicht sollte ich mich vorstellen. Mulpurgo. Ich unterrichte Englisch an der Universität von Zululand.«
»Van Heerden, Kommandant der Südafrikanischen Polizei Piemburg«, sagte der Kommandant und war von der Wirkung seiner Mitteilung auf Mr. Mulpurgo überrascht. Der war kreideweiß geworden und wirkte ausgesprochen beunruhigt.
»Stimmt irgendwas nicht?« fragte der Kommandant.
»Nein«, sagte Mr. Mulpurgo schwach. »Ganz und gar nicht. Es ist halt nur, daß… naja, ich hatte keine Ahnung, daß Sie… naja… daß Sie Kommandant van Heerden sind.«
»Sie haben also schon von mir gehört?« fragte der Kommandant.
Mr. Mulpurgo nickte. Es war nur zu deutlich, daß er schon von ihm gehört hatte. Der Kommandant baute seine Angel ab.
»Ich glaube nicht, daß ich jetzt noch was fange«, sagte er. »Ist zu spät.«
»Abends ist die beste Zeit«, sagte Mr. Mulpurgo und sah den Kommandanten neugierig an.
»Ach ja? Das ist interessant«, sagte der Kommandant, als sie das Flußufer entlang zurückschlenderten. »Das ist mein erster Angelversuch. Sind Sie ein erfahrener Angler? Sie wissen anscheinend eine Menge darüber.«
»Mein Verhältnis dazu ist rein literarisch«, gestand Mr. Mulpurgo, »ich schreibe eine Dissertation über den >Himmel«
Kommandant van Heerden war erstaunt.
»Ist das nicht ein sehr schweres Thema?« fragte er.
Mr. Mulpurgo lächelte. »Es ist ein Gedicht über Fische von Rupert Brooke«, erklärte er.
»Ach ja?« sagte der Kommandant, der zwar noch nie etwas von Rupert Brooke gehört hatte, aber immer daran interessiert war, von englischer Literatur zu hören. »Dieser Brooke ist ein englischer Dichter?«
Mr. Mulpurgo bestätigte das.
»Er fiel im ersten Weltkrieg«, erläuterte er, und der Kommandant sagte, das täte ihm leid. »Die Sache ist die«, fuhr der Englischdozent fort, »ich glaube, daß es einerseits möglich ist, das Gedicht ganz einfach als eine Allegorie auf die menschliche Situation, la condition humaine, zu deuten, wenn Sie verstehen, was ich meine, daß es aber auch eine tiefere Bedeutung im Sinne des psychoalchemistischen Transformationsprozesses besitzt, wie er von Jung entdeckt wurde.«
Der Kommandant nickte. Er verstand nicht ein Wort von dem, was Mr. Mulpurgo sagte, aber er fühlte sich dennoch dadurch geehrt, daß er es zu hören bekam. Durch diese geduldige Ergebung ermutigt, steigerte sich der Dozent in sein Thema hinein.
»Zum Beispiel die Verse >Man zweifelt nicht, was allen frommt, aus Sumpf und Wasser oftmals kommt< deuten zweifellos an, daß der Dichter die Absicht hat, den Begriff des Steins der Weisen und seine Herkunft aus der prima materia einzuführen, ohne die Aufmerksamkeit des Lesers auch nur im geringsten von dem, oberflächlich gesehen, humorvollen Ton des Gedichts abzulenken.«
Sie gelangten an das kolossale Abwasserrohr, und Mr. Mulpurgo half dem Kommandanten mit seinem Korb hinüber. Der offensichtliche Schreck, mit dem er auf den Namen des Kommandanten reagiert hatte, war angesichts des freundlichen, wenn auch verständnislosen Interesses einer nervösen Schwatzhaftigkeit gewichen.
»Es handelt sich ohne jeden Zweifel um das Individuationsmotiv«, fuhr er fort, als sie den Pfad zum Hotel hinaufspazierten. »»Paradiesische Maden<, >Unvergängliche Mottens<, >Und der Wurm, der niemals stirbt< – alle deuten sie zweifellos darauf hin.«
»Da haben Sie sicher recht«, sagte der Kommandant, als sie sich im Foyer voneinander trennten. Er ging den Korridor entlang zu »Dickdarmspülung Nr. 6« und fühlte sich irgendwie erhoben. Er hatte den Nachmittag auf echt englische Art mit Angeln und einem intellektuellen Gespräch verbracht. Das war ein glückverheißender Beginn seines Urlaubs und machte in gewisser Weise die Enttäuschung wieder wett, die er bei seiner Ankunft im Hotel empfunden hatte. Um das Ereignis zu feiern, beschloß er, vor dem Abendessen ein Bad zu nehmen, und verbrachte einige Zeit mit der Suche nach einem Badezimmer, ehe er wieder in sein Zimmer zurückging und sich von oben bis unten in einem Bottich wusch, der zu diesem Zweck höchst geeignet erschien und höchstwahrscheinlich zu keinem anderen benutzt worden war. Wie der Alte ihn gewarnt hatte, war das kalte Wasser heiß. Der Kommandant probierte den Heißwasserhahn, aber der war genauso heiß, und schließlich besprengte er sich mit warmem Wasser aus einem Schlauch, der eindeutig zu dick war, um als Klistier gedient zu haben, ihm aber gleichzeitig einen ausgesprochen merkwürdigen Geruch anhängte. Dann setzte er sich auf das Bett und las vor dem Abendessen noch ein Kapitel aus Berry & Co. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, denn ganz egal, wie er sich auch setzte, immer saß ihm sein geflecktes Spiegelbild im Kleiderschrankspiegel gegenüber, was ihm das Gefühl gab, es sei die ganze Zeit jemand bei ihm im Zimmer. Um diese unfreiwillige Selbstbeobachtung zu umgehen, legte er sich zurück und versuchte, dahinterzukommen, wovon Mr. Mulpurgo eigentlich geredet hatte. Es hatte ihm vorhin nichts gesagt, und jetzt noch weniger, aber der Satz »Und der Wurm, der niemals stirbt« saß ihm hartnäckig im Gedächtnis. Irgendwie erschien ihm der Satz unwahrscheinlich, aber wenn er sich überlegte, daß Würmer in zwei Teile gerissen werden konnten und trotzdem in getrennten Leben weiterleben, dann, stellte er sich vor, sei es auch möglich, daß, wenn das eine Wurmende todkrank wäre, das andere Ende sich vom Tode seines Kompagnons trennen und weiterleben könne. Vielleicht war es das, was mit »Endlösung« gemeint war. Das war ein Wort, das er nie verstanden hatte. Er mußte Mr. Mulpurgo danach fragen, der offensichtlich ein hochgebildeter Mann war.
Aber als er zum Abendessen in die Brunnenhalle ging, war Mr. Mulpurgo nicht da. Die beiden Damen auf der anderen Seite des Raumes waren die einzige Gesellschaft, und da ihre geflüsterte Unterhaltung durch das Gurgeln des Marmorbrunnens nicht zu verstehen war, aß der Kommandant sein Abendbrot notgedrungen schweigend und sah zu, wie hinter dem Aardvarkberg der Himmel dunkel wurde. Morgen würde er die Adresse der Heathcote-Kilkoons finden und sie wissen lassen, daß er angekommen war.
Siebzig Meilen entfernt in Piemburg kam der Abend, der so ereignislos begonnen hatte, gegen Mitternacht zu neuem Leben. Die zwölf gewaltigen Detonationen, die die Stadt um halb zwölf im Minutenabstand erschütterten, waren taktisch so geschickt plaziert, daß sie Luitenant Verkramps Behauptung, es gebe einen gut organisierten Sabotage- und Umsturzkomplott, voll und ganz bestätigten. Nachdem die letzte Bombe den Horizont in helles Licht getaucht hatte, versank Piemburg noch tiefer in jene Finsternis, für die es so berühmt war. Ohne Strom, Telefon und Sendemast, ohne Straßen- und Eisenbahnverbindungen zur Außenwelt, die durch die Sprengwut von Verkramps Geheimagenten unterbrochen waren, zerbröselten die zarten Bande, mit denen die winzige Metropole ans zwanzigste Jahrhundert gekoppelt war.
Vom Dach des Polizeibüros aus, wo Verkramp frische Luft schnappte, kam ihm die Veränderung ziemlich aufregend vor. Eben war Piemburg noch ein duftiges Gewebe aus Straßenlampen und Neonreklamen gewesen, und im nächsten Moment verschmolz es ununterscheidbar mit den welligen Hügeln von Zululand. Als das ferne Donnern vom Kaiserblick verkündete, daß der Sendemast nicht länger so ein riesiger Schandfleck in der Landschaft war, verließ Verkramp das Dach und eilte die Treppe hinunter zu den Zellen, wo die einzigen Leute in der Stadt, die sich energisch für Stromsperren eingesetzt hätten, von den handbetriebenen Generatoren im Dunkeln noch immer ihre Elektroschocks erhielten. Der einzige Trost für die Freiwilligen war, daß die nackten schwarzen Frauen verschwunden waren, als die Projektoren ausgingen.
In dem ganzen Durcheinander blieb Luitenant Verkramp erschreckend ruhig.
»Alles in Ordnung«, rief er. »Kein Grund zur Besorgnis, setzen Sie das Experiment einfach mit normalen Fotos fort.« Er ging von Zelle zu Zelle und verteilte Taschenlampen, die er für einen Fall wie eben diesen bereitgehalten hatte. Wie üblich war Sergeant Breitenbach weniger gelassen.
»Meinen Sie nicht, daß es wichtiger wäre, dem Grund für den Stromausfall auf die Spur zu kommen?« fragte er. »Es hörte sich so an, als hätte es eine ganze Menge Explosionen gegeben.«
»Zwölf«, sagte Verkramp mit Nachdruck, »ich habe sie gezählt.«
»Zwölf verdammt heftige Explosionen mitten in der Nacht, und Sie machen sich keine Gedanken darüber?« fragte der Sergeant erstaunt. Luitenant Verkramp ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
»Ich habe sie schon eine ganze Weile erwartet«, sagte er wahrheitsgemäß.
»Erwartet?«
»Die Sabotageakte haben wieder angefangen«, sagte er, während er nach unten in das Büro ging. Sergeant Breitenbach, der wörtlich und im übertragenen Sinne immer noch im Dustern tappte, versuchte, ihm zu folgen. Als er endlich im Büro des Kommandanten ankam, sah er, wie Verkramp beim Schein einer Notlampe eine Namensliste überprüfte. Dem Sergeant kam vorübergehend der Gedanke, daß Verkramp auf den Krisenfall bemerkenswert gut vorbereitet war, den der Rest der Stadt offenbar völlig überraschend getroffen hatte.
»Ich möchte, daß diese Leute hier sofort verhaftet werden«, sagte Verkramp zu ihm.
»Wollen Sie nicht erst mal nachprüfen, was überhaupt passiert ist?« fragte Sergeant Breitenbach. »Ich meine, Sie wissen nicht mal genau, daß diese Explosionen von Bomben herrührten.«
Luitenant Verkramp sah ihn ernst an.
»Ich habe genügend Erfahrung mit Sabotageakten, um eine Bombe zu erkennen, wenn ich eine höre«, sagte er. Sergeant Breitenbach beschloß, sich nicht zu streiten. Statt dessen besah er sich die Namensliste, die ihm Verkramp übergeben hatte, und war entsetzt von dem, was er sah. Wenn Verkramp recht hatte und die Stadt durch eine Reihe von Bombenanschlägen erschüttert worden war – die Folgen für das öffentliche Leben in Piemburg wären glimpflich im Vergleich zu dem Chaos, das folgen würde, wenn man die Leute auf der Liste verhaftete. Geistliche, Stadträte, Bankdirektoren, Rechtsanwälte, ja der Bürgermeister selbst schienen Ziel der Verdächtigungen Verkramps zu sein. Sergeant Breitenbach legte die Liste eilig wieder hin. Damit wollte er absolut nichts zu tun haben.
»Glauben Sie nicht, Sie sind ein bißchen voreilig?« fragte er nervös.
Der Meinung war Luitenant Verkramp offenbar absolut nicht. »Wenn ich mich nicht täusche, und das tue ich nicht, dann wurde die Stadt einer vorsätzlichen Sabotagekampagne ausgesetzt. Alle diese Leute sind weithin bekannte…«
»Das kann man wohl sagen«, murmelte der Sergeant.
»… Gegner der Regierung«, fuhr der amtierende Kommandant fort. »Viele von ihnen waren Gartenbaukünstler.«
»Gartenbaukünstler?« fragte der Sergeant, der keinen Fehler daran entdecken konnte, ein Gartenbaukünstler zu sein. Auf seine bescheidene Weise war er selber einer.
»Die Gartenbaukünstler«, erklärte Verkramp, »waren eine Geheimorganisation reicher Farmer und Geschäftsleute, die planten, Zululand zur Zeit des Republik-Referendums aus der Union auszugliedern. Sie waren bereit, Gewalt anzuwenden. Es gehörten Offiziere von den Piemburger Reitergrenadieren dazu, die Waffen aus dem Militärarsenal benutzen wollten.«
»Aber das ist doch zehn Jahre her«, wandte Sergeant Breitenbach ein.
»Leute wie die ändern ihre Meinung nie«, stellte Verkramp apodiktisch fest. »Wollen Sie etwa den Briten verzeihen, was sie unseren Frauen und Kindern in den Konzentrationslagern angetan haben?«
»Nein«, sagte der Sergeant, der zwar weder Frauen noch Kinder während des Burenkriegs in Konzentrationslagern gehabt hatte, der aber die richtige Antwort kannte.
»Na, sehen Sie«, sagte Verkramp. »Also, diese Saubande ist kein bißchen anders, und sie werden es uns nie verzeihen, daß wir Zululand aus dem Britischen Empire herausgelöst haben. Sie hassen uns. Begreifen Sie denn nicht, wie uns die Briten hassen?«
»Doch«, sagte der Sergeant hastig. Er merkte, daß Verkramp sich schon wieder in Rage redete, und wollte lieber nicht mehr da sein, wenn’s soweit war. »Sie haben wahrscheinlich recht.«
»Wahrscheinlich?« schrie Verkramp. »Ich habe immer recht.«
»Klar«, sagte der Sergeant noch hastiger.
»Und was machen sie also, diese Gartenbaukünstler? Sie tauchen eine Zeitlang unter, und dann rotten sie sich mit den Kommunisten und Liberalen zusammen, um unsere herrliche Afrikaander-Republik zu stürzen. Diese Bombenanschläge sind das erste Anzeichen dafür, daß ihr Feldzug begonnen hat. Na, und ich werde nicht unbeteiligt zusehen und sie ungestraft davonkommen lassen. Ich will diese Mistkerle im Gefängnis haben und die Wahrheit aus ihnen rausquetschen, ehe sie wirklich Schaden anrichten können.«
Sergeant Breitenbach wartete, bis der Anfall vorüber war, ehe er nochmal Bedenken äußerte.
»Meinen Sie nicht, es wäre sicherer, erst mal Kommandant van Heerden zu unterrichten. Dann kann der doch den Kopf hinhalten, falls es Scherereien gibt.«
Luitenant Verkramp wollte nichts davon hören. »Die Hälfte der Probleme in dieser Stadt kommt daher, wie der alte Dummkopf die Engländer behandelt«, schimpfte er. »Er geht verdammt nochmal viel zu sanft mit ihnen um. Manchmal denke ich, er mag sie viel lieber als seine eigenen Leute.«
Sergeant Breitenbach sagte, davon sei ihm nichts bekannt. Er wußte nur, daß der Großvater des Kommandanten nach der Schlacht von Paardeberg von den Briten erschossen worden war, und das war mehr, als man von Verkramps Großvater sagen konnte. Der hatte an das britische Heer Pferde verkauft und war praktisch ein »Khaki-Bure« gewesen, aber der Sergeant war zu diskret, um diesen Umstand jetzt zu erwähnen. Statt dessen griff er wieder zu der Liste.
»Wo stecken wir die alle denn bloß hin?« fragte er. »Die Zellen im Obergeschoß werden für Ihre Kaffernboetje-Kur gebraucht, und die im Keller sind auch alle voll.«
»Bringen Sie sie runter ins Gefängnis«, sagte Verkramp, »und sehen Sie zu, daß sie schön voneinander getrennt bleiben. Ich will nicht, daß sie sich irgendwelche Geschichten zurechtlegen.«
Eine halbe Stunde später hatte in den Häusern von sechsunddreißig der einflußreichsten Bürger Piemburgs bewaffnete Polizei eine Razzia veranstaltet, und wütende und verängstigte Männer waren im Schlafanzug in Polizeifahrzeuge geschleppt worden. Der eine oder andere leistete verzweifelt Widerstand, im falschen Glauben, die Zulus hätten sich erhoben und wollten sie in ihren Betten massakrieren, ein Mißverständnis, an dem die totale Finsternis schuld war, in die Verkramps Agenten die Stadt gestürzt hatten. Vier Polizisten wurden bei diesen Auseinandersetzungen verwundet, und ein Kohlenhändler erschoß seine Frau, um sie davor zu bewahren, von den schwarzen Horden vergewaltigt zu werden, ehe die Situation geklärt werden konnte.
Bis zum Morgengrauen waren alle Verhaftungen durchgeführt, obwohl ein oder zwei Versehen noch richtiggestellt werden mußten. Der Mann, den man aus den Armen der Frau des Bürgermeisters gerissen hatte, erwies sich schließlich nicht als der städtische Würdenträger selber, sondern als ein Nachbar, den jener gebeten hatte, ihm bei seiner Wahl zu helfen. Als der Bürgermeister endlich gefaßt wurde, hatte er die Vermutung, er werde wegen Bestechung hochgestellter Leute verhaftet. »Eine Schande«, brüllte er, als er in den Polizeiwagen gestopft wurde. »Sie haben kein Recht, ihre Nase in mein Privatleben zu stecken. Ich bin ihr gemehlter Repräsentant«, ein Protest, der nichts für seine Freilassung tat, sondern in gewisser Weise die Anwesenheit des Nachbarn im Bett seiner Ehefrau erklärte.
Am nächsten Morgen unternahmen Luitenant Verkramp und Sergeant Breitenbach nach ein paar Stunden Schlaf eine Besichtigung aller Einrichtungen, die von den Saboteuren zerstört worden waren. Wieder war Sergeant Breitenbach verblüfft, wie spontan der amtierende Kommandant die Lage erfaßte. Verkramp schien genau zu wissen, wohin sie fahren mußten, ohne daß man es ihm gesagt hatte. Als sie sich die Überreste des Transformators an der Straße nach Durban besahen, fragte der Sergeant den Luitenant, was er nun zu tun gedenke.
»Nichts«, sagte Verkramp zu seiner Verwunderung. »In ein paar Tagen werden wir in der Lage sein, die ganze kommunistische Sippschaft in Zululand zu verhaften.«
»Und was ist mit all den Leuten, die wir gestern abend verhaftet haben?«
»Sie werden vernommen, und ihre Aussagen werden uns helfen, ihre Komplizen zu finden«, erklärte Verkramp.
Sergeant Breitenbach schüttelte verdutzt den Kopf.
»Ich hoffe bei Gott, daß Sie wissen, was Sie tun«, war alles, was er sagte. Auf dem Rückweg fuhren sie beim Gefängnis vorbei, wo Verkramp den Sicherheitsbeamten, die rund um die Uhr die Vernehmungen durchführen sollten, Instruktionen gab.
»Schema F, wie üblich«, sagte er zu ihnen. »Nicht hinsetzen lassen. Kein Schlaf. Machen Sie ihnen am Anfang ein bißchen Dampf. Erklären Sie ihnen, sie kämen nach dem Terroristengesetz vor Gericht und hätten ihre Unschuld zu beweisen. Kein Recht auf einen Anwalt. Und sie können unbefristet und in Einzelhaft eingesperrt bleiben. Irgendwelche Fragen.«
»Irgendwelche, Sir?« sagte einer von den Männern.
»Sie haben doch gehört, was ich gesagt habe«, schnauzte Verkramp. »Ich sagte: Irgendwelche Fragen.<« Die Männer sahen ihn stumm an, und Verkramp entließ sie, und sie marschierten ab, um ihren anstrengenden Dienst zu beginnen. Luitenant Verkramp machte Gefängnisdirektor Schnapps einen Besuch, um sich für die vorübergehenden Mißlichkeiten zu entschuldigen, die er im Gefängnis verursache. Als er in den Teil des Gebäudes zurückkam, in dem die Häftlinge vernommen wurden, stellte Luitenant Verkramp fest, daß seine Anweisungen wortwörtlich befolgt wurden.
»Wer gewann 1948 die Kricket-Weltmeisterschaft?« brüllte Sergeant Scheepers den Direktor der Barclays-Bank an.
»Das weiß ich nicht«, schrie der Direktor, den man schon zweimal in die Hoden getreten hatte, weil er nichts von Kricket verstand.
Verkramp bat den Sergeant, mit ihm mal raus auf den Korridor zu gehen.
»Warum wollen Sie denn das wissen?« fragte er.
»Scheint mir ‘ne ziemlich leichte Frage zu sein«, sagte der Sergeant.
»Da haben Sie sicher recht«, sagte Verkramp. Er ging zur nächsten Zelle, wo der Dechant von Piemburg einem ähnlichen Schicksal entronnen war, weil er gewußt hatte, wie weit Johannesburg und Kapstadt in Straßenkilometern voneinander entfernt sind, wie alt der Premierminister sei und was die Buchstaben USA bedeuten.
»Sie sagten doch irgendwelche Fragen<«, erklärte der Sicherheitsbeamte, als Verkramp den Grund für dieses Frage- und Antwortspiel wissen wollte.
»Ihr bescheuerten Arschlöcher«, kreischte Verkramp, »ich habe »irgendwelche Fragen? <gesagt, nicht »irgendwelche Fragen<. Was muß ich denn noch tun? Es euch Buchstabe für Buchstabe erklären?«
»Ja, Sir«, sagte der Mann. Verkramp rief die Leute nochmal zusammen und gab ihnen klarere Anweisungen.
»Was wir brauchen, ist die Bestätigung dafür, daß diese Männer ein Komplott geschmiedet haben, um die Regierung mit Gewalt zu stürzen«, erläuterte er und ließ die Sicherheitsbeamten das aufschreiben. »Zweitens, daß sie die Schwarzen aktiv zur Rebellion aufgewiegelt haben.« Die Männer schrieben auch das auf. »Drittens, daß sie aus Übersee Geld bekommen haben. Viertens, daß sie alle Kommunisten sind oder mit dem Kommunismus sympathisieren. Ist das vollkommen klar?«
Sergeant Scheepers fragte, ob er dem Bürgermeister erzählen dürfe, daß einer der Stadträte gesagt habe, er sei ein Hahnrei.
»Natürlich«, sagte Verkramp. »Sagen Sie ihm, der Stadtrat sei bereit, ihm entsprechende Beweise zu liefern. Bringen Sie sie soweit, daß sie sich gegenseitig belasten, und wir kommen dieser ganzen Angelegenheit sehr bald auf den Grund.«
Die Männer gingen mit ihren Fragenlisten in die Zellen zurück, und die Verhöre begannen von neuem. Und nachdem Luitenant Verkramp sich überzeugt hatte, daß seine Leute bei der Sache blieben, kehrte er zur Polizeidienststelle zurück, um nachzusehen, ob es irgendwelche Nachrichten von seinen Geheimagenten gäbe. Recht enttäuscht stellte er fest, daß nichts eingetroffen war, aber er vermutete, daß es wohl noch zu früh sei, irgendwelche konkreten Ergebnisse zu erwarten.
Statt dessen beschloß er, die Wirksamkeit der Aversionstherapie auf die freiwilligen Versuchskaninchen im Obergeschoß zu überprüfen, die noch immer in regelmäßigen Abständen schrien. Er schickte nach Sergeant Breitenbach und befahl ihm, ein Kaffernmädchen aus den Zellen hochzubringen.
Der Sergeant ging und kehrte mit etwas zurück, was er wohl für das geeignete Objekt hielt. Sie war mindestens achtundfünfzig und auch, als sie halb so alt war, keine Schönheit gewesen. Luitenant Verkramp war empört.
»Ich habe >Mädchen< gesagt und nicht >Alter Besen<«, schrie er. »Nehmen Sie sie wieder mit und bringen Sie ein richtiges Mädchen her.«
Sergeant Breitenbach ging mit der alten Frau wieder nach unten und fragte sich, woran das wohl lag, daß man einen Schwarzen von siebzig oder achtzig Jahren »Boy« nannte, aber eine gleichaltrige Frau nicht »Mädchen«. Das schien ihm nicht logisch. Schließlich fand er ein sehr hochgewachsenes schwarzes Mädchen, dem er sagte, es solle mit ihm in die obere Etage kommen. Zehn Minuten und acht Polizeiwachtmeister später, von denen einer ein gebrochenes Nasenbein hatte und ein anderer jammerte, er könne seine Testikel nicht wiederfinden, gelang es ihnen, das Mädchen ins Obergeschoß zu schaffen, um lediglich festzustellen, daß Verkramp immer noch nicht zufrieden war.
»Meinen Sie denn wirklich, ein Mann, der noch alle Tassen im Schrank hat, findet das attraktiv?« fragte er und zeigte auf den bewußtlosen und zerschlagenen Körper, den die Beamten auf den Beinen und sich selber von den Füßen zu halten versuchten. »Was ich möchte, ist ‘ne hübsche Kaffernmieze, die jeder Mann attraktiv finden würde.«
»Na, dann gehen Sie doch und holen sich eine«, sagte Sergeant Breitenbach zu ihm. »Gehen Sie einfach runter in die Zellen und sagen Sie einem hübschen, attraktiven schwarzen Mädchen, die Polizisten in der letzten Etage hätten nach ihr geschickt, und dann sehen Sie, was passiert.«
»Der Kummer mit Ihnen ist, Sergeant«, sagte Verkramp, als sie das dritte Mal nach unten gingen, »daß Sie nichts von Psychologie verstehen. Wenn man will, daß Leute etwas für einen tun, darf man sie nicht ängstigen. Das trifft besonders auf Schwarze zu. Man muß Überredungskünste anwenden.« Er blieb vor der Zellentür stehen. Der Sergeant schloß sie auf, und das lange, schwarze Mädchen wurde in die Zelle gestoßen. Verkramp stieg über ihren Körper weg und besah sich die Frauen, die sich gegen die Wand drängten.
»Na, was denn, es gibt doch keinen Grund, Angst zu haben«, sagte er zu ihnen. »Wer von euch Mädchen hätte Lust, mit nach oben zu kommen und sich ein paar Bilder anzusehen. Es sind hübsche Bilder.« Es entstand alles andere als ein spontaner Andrang. Verkramp versuchte es nochmal.
»Niemand wird euch was antun. Ihr braucht keine Angst zu haben.«
Immer noch keine Antwort, vom Stöhnen des Mädchens am Boden mal abgesehen. Verkramps schwaches Lächeln erlosch.
»Packt die Hure da«, schrie er die Wachtmeister an, und im nächsten Augenblick wurde ein mageres schwarzes Mädchen die Treppe hinauf gestoßen.
»Da sehen Sie, was ich mit Psychologie meine«, sagte Luitenant Verkramp zu dem Sergeant, während sie nach oben folgten. Sergeant Breitenbach hatte noch immer seine Zweifel.
»Ich habe bemerkt, daß Sie sich keine große und starke Frau ausgesucht haben«, sagte er.
Im obersten Stockwerk wurden dem Mädchen von mehreren bereitwilligen Beamten, die Verkramp sofort auf seine Behandlungsliste setzte, die Kleider vom Leibe gerissen, worauf es nackt an den Freiwilligen vorbeigeführt wurde. Luitenant Verkramp stellte erfreut fest, daß positive Reaktionen bei ihnen ausblieben.
»Nicht eine Erektion bei auch nur einem von ihnen«, sagte er. »Das ist der wissenschaftliche Beweis, daß die Behandlung anschlägt.«
Sergeant Breitenbach war, wie üblich, skeptischer.
»Die Männer haben schon seit zwei Tagen kein Auge mehr zugetan«, sagte er. »Und wenn Sie Marilyn Monroe im Evaskostüm hier reinbrächten, sie würde wahrscheinlich auch keinen großen Eindruck machen.«
Verkramp sah ihn verächtlich an. »Sie Lustmolch«, sagte er.
»Ich verstehe nicht, was das damit zu tun hat«, sagte der Sergeant. Ich will damit bloß sagen, wenn Sie wirklich wissenschaftlich sein wollen, dann sollten Sie ein weißes Mädchen hier raufbringen und an den Leuten ausprobieren.«
Luitenant Verkramp war außer sich.
»Was für ein widerlicher Vorschlag«, sagte er. »Nicht im Traum würde ich ein weißes Mädchen einer so empörenden Prozedur unterziehen.«
Er gab Anweisungen, mit der Behandlung mindestens noch zwei Tage weiterzumachen.
»Noch zwei Tage wie die, und ich bin tot«, stöhnte einer von den Freiwilligen.
»Besser vergammeln als n’ne Schwarze rammeln«, sagte Verkramp und ging runter in sein Büro, um die Pläne für die Massenbehandlung der restlichen fünfhundertneunzig Mann aufzustellen, die er gegenwärtig unter seinem Kommando hatte.
Im Café Florian machten Verkramps Geheimagenten auf ihrer Suche nach Mitgliedern der Sabotageorganisationen bemerkenswerte Fortschritte. Nach Jahren der Enttäuschung, in denen sie sich in liberale Kreise eingeschlichen hatten, aber außerstande gewesen waren, jemanden zu finden, der auch nur entfernt etwas mit der Kommunistischen Partei zu tun hatte oder zuzugeben bereit war, daß er Gewalt guthieß, waren sie plötzlich auf eine ganze Menge solcher Leute gestoßen. 745.396 hatte 628.461 entdeckt, der etwas über die Explosion am Fernsprechamt zu wissen schien, und 628.461 hatte den sehr bestimmten Eindruck gewonnen, daß 745.396 nicht ganz unbeteiligt an der Zerstörung des Transformators an der Straße nach Durban sei. Genauso war 885.974 in der Universitätsmensa auf 378.550 gestoßen und horchte ihn nun über seine Rolle bei der Beseitigung des Sendemastes aus, während er die Andeutung machte, daß er 378.550 etwas über die Bombe sagen könne, die die Eisenbahnbrücke zerstört hatte. Überall in Piemburg hatten Verkramps Agenten Fortschritte zu melden und waren damit beschäftigt, wie befohlen Botschaften zu verschlüsseln und die Wohnungen zu wechseln. Die Überzeugung, die jeder der Agenten hatte, daß er nämlich einen ganz dicken Fisch an der Angel habe, wuchs noch am nächsten Tag, als 745.396 und 628.461, die einen Treff in der Mensa vereinbart hatten, plötzlich entdeckten, daß sie in 885.974 und 378.550, die dort am Tag zuvor so erfolgreich gewesen waren, daß sie wiederzukommen beschlossen, verständnisvolle Zuhörer hatten. Während die Vereinigung der Verschwörer immer weitere Kreise zog, war Verkramp eifrig mit dem Versuch beschäftigt, die Botschaften zu dechiffrieren. Die komplizierte Angelegenheit wurde dadurch erschwert, daß er keine Ahnung hatte, an welchem Tag die Botschaften abgeschickt waren. Die Nachricht von 378.550 war am Fuß eines Baumes im Park deponiert worden, was der richtige »Briefkasten« für den Sonntag war, aber nachdem Verkramp sich daran zwei Stunden lang mit dem Code für diesen Tag abgemüht hatte, war es ihm schließlich gelungen, »hdfpkymwrqazxtivbnkon«, was absichtlich schwer zu verstehen war, in »Wagen Hund Wurmsei Senke selten banal aus Kopfsprung Korb« zu übersetzen, was gar nicht zu verstehen war. Er probierte es mit dem SamstagsCode und bekam »Dahlie Chrysantheme Dünger dekorativer Fingerhut Gartenzwerg Herbst Blütenpracht schattig« heraus. Er verfluchte den beschränkten Wortschatz von Seite 33 des Piemburger Blumenzwiebelkatalogs, den er wegen seiner leichten Zugänglichkeit als Codebuch für den Sonnabend genommen hatte, wandte sich erschöpft dem Freitags-Codebuch zu und erhielt endlich die entschlüsselte Nachricht, daß Agent 378.550 Instruktionen ausgeführt habe und sich zu neuer Unterkunft begebe. Nach sechs Stunden harter Arbeit hatte Verkramp das Gefühl, daß seine Bemühungen etwas Ergiebigeres als das verdient hätten. Er versuchte es mit der Botschaft von 885.974 und stellte mit Befriedigung fest, daß sie gleich beim ersten Mal richtig aufging und die beruhigende Mitteilung enthielt, daß der Agent mit mehreren mutmaßlichen Saboteuren in Kontakt getreten sei, aber Schwierigkeiten habe, den toten Briefkasten zu erreichen, weil er verfolgt werde. Diese Erfahrung beschränkte sich nicht auf 885.974 allein. Bei ihren Versuchen, herauszufinden, wo die anderen Saboteure wohnten, liefen Verkramps Geheimagenten durch ganz Piemburg hinter einander her. Das führte dazu, daß sie jeden Tag gewaltige Strecken zurücklegten und, wenn sie schließlich nach Hause kamen, zu müde waren, um sich noch hinzusetzen und die Botschaften, die er erwartete, zu chiffrieren. Dann hatten sie auf seine Anweisung hin wiederum jeden Tag die Wohnung zu wechseln, und das zwang sie, immer neue zu finden, so daß im Laufe der Zeit das Gefühl der Desorientierung, das sie wegen der vielfachen Identitäten, die ihre Arbeit erforderte, sowieso schon hatten, sich noch weiter verstärkte. Am Montag wußte 628.461 nicht mehr genau, wer er war oder wo er wohnte oder auch nur, welchen Wochentag man habe. Noch weniger genau wußte er, wo 745.396 wohnte. Nachdem er ihm die Nebenstraßen Piemburgs rauf und runter dreißig Kilometer erfolgreich auf den Fersen geblieben war, überraschte es ihn durchaus nicht, als 745.396 den Versuch, ihn abzuschütteln, aufgab und zu einer Pension in der Bishoff Avenue zurückkehrte, aus der er, wie er festgestellt hatte, bereits vor zwei Tagen ausgezogen war. Am Ende legte sich 745.396 zum Schlafen auf eine Parkbank, und 628.461, der von dem ganzen Herumgerenne mehrere große Blasen an den Füßen hatte, wollte gerade umkehren und zu seiner Bleibe zurückgehen, als er bemerkte, daß ihm jemand folgte. Er legte humpelnd einen Schritt zu, und die Schritte hinter ihm taten dasselbe. 628.461 gab den Kampf auf. Es machte ihm nichts mehr aus, ob er nach Hause verfolgt wurde oder nicht. »Morgen früh ziehe ich ja sowieso um«, dachte er und stieg die Treppe zu seinem Zimmer in der Pension Landsdowne hoch. Hinter ihm machte sich 378.550 auf den Weg zu seiner Bude und brachte die Nacht damit zu, eine Botschaft an Luitenant Verkramp zu verschlüsseln, in der er ihm die Adresse eines mutmaßlichen Saboteurs mitteilte. Da er damit am Montagabend um halb elf anfing und am Dienstag um 2 Uhr morgens fertig war, hatte Verkramp noch größere Schwierigkeiten als sonst dahinterzukommen, was die Nachricht eigentlich besagte. Nach dem Montags-Codebuch lautete sie: »Rate zu Razzia in Überschwemmungswald aber verschmutze in der«, während der Dienstag »Triumphwagen Pharao außerdem Pension Lansdowne wegen Frederick Smith« ergab. Als Luitenant Verkramp zum Schluß gekommen war, »daß Triumphwagen Pharao außerdem Überschwemmungswald aber verschmutze in der« keinen Sinn ergebe, hatte es auch keinen Zweck mehr, eine Razzia in der Pension Lansdowne durchzuführen, denn Frederick Smith hatte inzwischen im YMCA unter dem Namen Piet Retief ein Zimmer gemietet.
Wenn Luitenant Verkramp Schwierigkeiten auf dem Verständigungssektor hatte, so konnte man von Mrs. Heathcote-Kilkoon und Kommandant van Heerden genau dasselbe sagen.
»Bist du sicher, daß er nicht dort ist«, fragte Mrs. Heathcote-Kilkoon den Major, den sie zu seinem täglichen Ausflug nach Weezen geschickt hatte, um dem Kommandanten zu sagen, daß sie ihn zum Mittagessen erwarteten.
»Absolut sicher«, sagte Major Bloxham. »Ich habe fast eine Stunde in der Bar rumgesessen, aber von dem Kerl keine Spur. Fragte den Barkeeper, ob er ihn gesehen hätte. Hatte er nicht.«
»Ich finde das höchst sonderbar«, sagte Mrs. Heathcote-Kilkoon. »Auf seiner Karte stand ausdrücklich, daß er im Hotel absteigt.«
»Verdammt merkwürdige Karte, wenn du mich fragst«, sagte der Colonel. »Liebste Daphne, Kommandant van Heerden hat das Vergnügen…«
»Meiner Meinung nach war das eine sehr amüsante Karte«, unterbrach ihn Mrs. Heathcote-Kilkoon. »Sie beweist, welchen Sinn für Humor der Kommandant hat.«
»Kam mir nicht so vor, als hätte er Sinn für Humor«, sagte der Major, der seine Begegnung mit dem Kommandanten nicht vergessen konnte.
»Ich persönlich meine, wir sollten zufrieden sein, wie sich die Sache entwickelt hat«, sagte der Colonel. »Schließlich sieht’s nicht so aus, als wenn der Mistkerl käme.« Er ging auf den Hof hinaus, der auf der Rückseite des Hauses lag. Dort war Forebode damit beschäftigt, ein gewaltiges schwarzes Pferd zu striegeln. »Alles bereit für morgen, Forebode? Fox fit?«
»Hab ihn heute morgen in der Gegend rumgescheucht«, sagte Forebode, ein magerer Mann mit dicht zusammenstehenden Augen und kurzen Haaren. »Lief ziemlich schnell.«
»Schön, schön«, sagte der Colonel. »Na, wir brechen früh auf.« Drinnen wußte Mrs. Heathcote-Kilkoon immer noch nicht, was sie von der Geschichte halten sollte.
»Bist du sicher, daß du ins richtige Hotel gegangen bist?« fragte sie den Major.
»Ich bin in den Laden gegangen und habe nach dem Hotel gefragt«, versicherte der Major. »Der Kerl versuchte, mir ein Bett zu verkaufen. Dachte wohl, das war’s, was ich wollte.«
»Das klingt ja höchst sonderbar«, sagte Mrs. Heathcote-Kilkoon.
»Ich sagte, ich wollte kein Bett«, sagte der Major. »Und er schickte mich schließlich über die Straße zu dem Hotel.«
»Und die hatten nichts von ihm gehört?«
»Wußten nichts von irgendeinem Kommandanten van Heerden.«
»Vielleicht kommt er morgen zum Vorschein«, sagte Mrs. Heathcote-Kilkoon nachdenklich.