Kapitel 26

Die eigentliche Entscheidung über Yapps Zukunft fiel jedoch ganz woanders. Für ihre erste Attacke nämlich hatte sich Emmelia das kleine Dorf Mapperly ausgesucht, wo eine winzige Miss Ottram in dem kleinen Postamt arbeitete. Das Dorf lag zwanzig Meilen von Buscott entfernt, und Emmelia war wiederholt hingefahren, um den Tagesablauf ihres Opfers auszukundschaften. Miss Ottram verließ ihr Haus am Dorfrand jeden Morgen um Viertel nach acht, ging zum Postamt am anderen Ende des Dorfes, verbrachte den Tag hinter dem Schalter und ging um fünf Uhr wieder nach Hause. Wahrscheinlich, wie ihr Brief an Frederick vermuten ließ, um sich um ihr Gärtchen mit Miniaturpflanzen zu kümmern. An besagtem Abend blieb Miss Ottrams Minigarten unversorgt. Als sie sich beim Heimgehen gerade zwischen zwei Straßenlaternen befand, öffnete sich neben ihr eine Autotür, und eine heisere Stimme fragte sie nach dem Weg zu einem Anwesen, das Little Burn heißen sollte.

»Ich kenne kein Haus, das so heißt«, sagte Miss Ottram, »zumindest nicht hier in der Gegend.«

»Es liegt an der Pyvil Road«, sagte die Stimme. »Vielleicht könnten Sie mir auf der Karte zeigen, wo das ist.« Miss Ottram kam näher. Im nächsten Augenblick bekam sie eine Decke über den Kopf und wurde in den Wagen gezerrt. »Keinen Ton, oder Sie werden Bekanntschaft mit meinem Messer machen«, drohte die Stimme, als Miss Ottrams erstickte Schreie unter der Decke hervordrangen. Sofort hörte sie zu schreien auf. Nachdem man ihr die Hände hinter den Rücken gebunden hatte, fuhr der Wagen los, hielt eine Meile später aber schon wieder an. Miss Ottram spürte, wie die Hände des Fahrers sie packten, und dann hörte sie wieder die Stimme.

»Verdammt«, sagte sie, »zu viel Verkehr.« Und damit wurde Miss Ottram, noch immer mit der Decke über dem Kopf, auf die Straße hinausgestoßen, und der Wagen brauste davon. Eine halbe Stunde später wurde Miss Ottram von einem vorbeifahrenden Autofahrer entdeckt und auf die Polizeiwache von Briskerton gebracht. Dort erzählte sie ihre Geschichte, ausgeschmückt mit übertrieben anschaulichen und unzutreffenden Einzelheiten.

»Er hat also gesagt, er würde Sie vergewaltigen?« fragte Inspektor Garnet.

Miss Ottram nickte. »Er sagte, wenn ich nicht tue, was er sagt, dann würde ich Bekanntschaft mit seinem Messer machen, und dann hat er mir die Hände hinter dem Rücken gefesselt.« Der Inspektor betrachtete die Handschellen, mit denen sich zwei Feuerwehrleute ziemlich lange herumgeplagt hatten. Sie waren extrem solide und hatten ein Sperrschloß, so daß Miss Ottram sie sich unmöglich selbst angelegt haben konnte. »Was mir gar nicht gefällt, ist diese Drohung mit dem Messer«, sagte der Sergeant, nachdem man Miss Ottram in einem Streifenwagen nach Hause gebracht hatte. »Erinnert mich an diesen Mord, den wir vor kurzem hatten ...«

»Das ist mir schon klar«, sagte der Inspektor nervös, »aber dieser Bastard von Professor sitzt doch. Mich interessiert eher diese Decke.«

Eingehend betrachteten sie das Beweisstück. »Katzenhaare. Eine teure Decke voller Katzenhaare. Das ist immerhin schon etwas. Jetzt müssen wir abwarten, ob uns das Labor vielleicht noch ein paar Hinweise liefern kann.«

Der Inspektor ging nach Hause und verbrachte eine unruhige Nacht.

Emmelia erging es nicht sehr viel besser. Auch sie hatte Schwierigkeiten mit dem Einschlafen. Es war eben doch nicht dasselbe, ob man nur plante, Zwerge zu belästigen, oder ob man diesen Plan auch in die Tat umsetzte. Und jetzt machte sie sich Sorgen wegen Miss Ottram. Mit dieser Decke über dem Kopf war es nicht auszuschließen, daß sie überfahren wurde. Außerdem hatte sie ihr mit Sicherheit einen tödlichen Schrecken eingejagt. Emmelia wog diesen Schrecken gegen das Urteil »lebenslänglich« ab, das über Yapp verhängt worden war, und versuchte sich damit zu trösten, daß Miss Ottrams schreckliches Erlebnis teilweise zu rechtfertigen war. »Immerhin muß das Leben in Mapperly doch recht öde sein«, redete sie sich ein, »und dumme Frauen, die auf Anzeigen von einsamen Herzen antworten, müssen damit rechnen, sich Ärger einzuhandeln. Jedenfalls hat sie für den Rest ihres Lebens wenigstens was zu erzählen.«

Als sie drei Tage später erneut zuschlug, traf es eine reifere, geschiedene Zwergin namens Mrs. May Fossen, die in einem Gemeindewohnhaus am Rande von Briskerton wohnte. Mrs. Fossen ließ gerade ihren Chihuahua zu seinem abendlichen Verdauungsspaziergang heraus, als sie plötzlich einer maskierten Gestalt in einem Überzieher gegenüberstand, aus dem das größte Siewissenschon-Was hervorragte, das sie je im Leben gesehen hatte.

»Es war einfach gigantisch«, berichtete sie Inspektor Garnet. »Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß jemand so ein großes Ding hat. Ich möchte nicht wissen, was er mit mir angestellt hätte, wenn ich ihm nicht geistesgegenwärtig die Tür vor der Nase zugeknallt hätte.«

»Und Sie sagen, daß er eine Maske trug?« sagte der Inspektor, der es vorzog, lieber nicht über die zu erwartenden Folgen zu spekulieren, die die Einführung eines so riesigen Siewissenschon-Was in eine geschiedene Person restringierter Größe gehabt hätte.

»Ja, so ein gräßliches, schwarzglänzendes Ding, aber es war das Siewissenschon ...«

»Aber sicher. Es war sehr vernünftig von Ihnen, die Tür zuzuknallen und sie zu verriegeln. Wirklich sehr vernünftig. Erinnern Sie sich vielleicht, dieses Messer gesehen zu haben?« Er zog ein großes Metzgermesser hervor, das man in ihrem Garten gefunden hatte. Mrs. Fossen schüttelte den Kopf. »Dann wollen wir Sie auch nicht mehr länger aufhalten. Zwei Polizisten werden Sie nach Hause fahren, und wir werden Ihr Haus überwachen, bis dieser Verrückte gefaßt worden ist.« An diesem Abend hatte Emmelia keinerlei Schlafschwierigkeiten. Sie hatte ihr Ziel erreicht, ohne physische Gewalt anwenden zu müssen. Und das Metzgermesser würde der Polizei sicher zu denken geben. In dieser Beziehung hatte sie recht. Gleich am folgenden Morgen versammelte Inspektor Garnet seine Leute um sich. »Wir haben drei wichtige Informationen über den Mann, den wir suchen. Das Labor hat die Katzen identifiziert, die auf der Decke im Fall Miss Ottram geschlafen haben. Siamesische, burmesische, ziemlich viele getigerte und zumindest eine persische. Dann das Messer. Es ist alt und abgewetzt, und man fand daran Spuren von Löwenzahnwurzeln. Und schließlich noch diese Handschellen. Sie sind eindeutig von Hand gefertigt, und zwar von einem Kunstschmied, der sein Handwerk versteht. Wenn es also gelingt, weitere Informationen zu bekommen, die uns zu einem Katzenliebhaber und Gesundheitsapostel führen, der in seiner Freizeit Kunstschmiedearbeiten macht, können wir diesen Fall sicher bald aufklären.«

»Es wäre wohl vermessen zu fragen, ob es irgendwelche Fingerabdrücke gibt?« sagte der Sergeant. »Nur Schmutzflecken. Außerdem müßte er schon ein Vollidiot sein, wenn er sich ohne Handschuhe an die Arbeit macht.«

»Es kommt doch sowieso nur ein total Verrückter auf die Idee, Zwerge vergewaltigen zu wollen«, meinte der Sergeant,

»zumal mit einem Penis von der Größe eines kleinen Baumstumpfes, wie Mrs. Fossen ihn beschrieben hat.« Inspektor Garnet sah ihn mitleidig an. »Ich würde nicht zu viel auf das geben, was sie sagt. Schließlich muß jemand mit ihrer Statur einen normalen Penis als riesig empfinden. Es ist alles eine Frage der Perspektive. Wenn Sie einem Dachshund bis an die Knie reichen würden, würden Sie einen Bleistift auch für einen Knüppel halten.«

Während der nächsten Tage statteten die Polizisten den Katzenhandlungen in der Umgebung Besuche ab, ließen sich in zwei Körnerfresserläden die Namen sämtlicher Kunden geben, die sie anschließend befragten, und fühlten den Angestellten mehrerer Schmiedeeisen-Werkstätten auf den Zahn. Da ihre Nachforschungen sie keinen Schritt weiterbrachten, sah sich Emmelia zu jener wilden Verzweiflungstat gezwungen, die sie sich gerne erspart hätte.

Ihr nächstes Opfer war eine Miss Consuelo Smith, deren Antwort auf Fredericks Inserat auf einen durchaus lockeren Lebenswandel schließen ließ. Nicht erwähnt hatte sie allerdings, daß sie Kampfsporterfahrung und einen Schwarzen Gürtel hatte. Diese bestürzende Tatsache entdeckte Emmelia erst, nachdem sie Miss Smith angerufen, sich als jener Gentleman restringierter Größe aus der Rubrik Bekanntschaften ausgegeben und einen Treffpunkt vor der Memorial Hall in Lower Busby vereinbart hatte. Als der gebrauchte Ford anhielt und Emmelia die Tür öffnete, hüpfte Miss Smith behende auf den Beifahrersitz. Erst dann merkte sie, daß sie offenbar in den falschen Wagen gestiegen war.

»He, wo fahren Sie denn hin?« schrie sie, als Emmelia beschleunigte. »Sie sind gar kein Schweißzwerg. Sie sind verdammte Norm.«

»Ja, meine Liebe«, krächzte Emmelia, der es nicht ganz leicht fiel, diesen Vorwurf zu akzeptieren, »aber ich habe eine große Vorliebe für kleine Leute.«

»Der Teufel soll mich holen, wenn ich einen Riesen an mir herumfummeln lasse. Also halten Sie auf der Stelle an«, kreischte Miss Consuelo. Emmelia griff nach ihrem Messer. »Sie werden jetzt tun, was ich Ihnen sage, oder ich durchbohre Sie wie den anderen«, sagte sie, wurde aber prompt eines Besseren belehrt. Mit der Linken schlug ihr Miss Consuelo das Messer aus der Hand, und mit der Rechten versetzte sie ihrem Adamsapfel einen Handkantenschlag, der Emmelia die Sprache verschlug. Während sie nach Luft rang und versuchte, den Wagen wieder unter Kontrolle zu bekommen, ging Miss Consuelo zu drastischeren Maßnahmen über. Sie versuchte, die Hoden ihres Entführers in die Finger zu bekommen, erwischte aber statt dessen den Dildo. Im Gegensatz zu Mrs. Fossen erstarrte Consuelo nicht in Ehrfurcht vor seiner Größe. Im Gegenteil. Sie betrachtete dies eindeutig als Vorteil, stürzte sich mit der Erfahrung einer echten Halbweltdame darauf und bohrte ihre Zähne hinein. Zu ihrer maßlosen Überraschung stieß Emmelia keinen infernalischen Schmerzensschrei aus, sondern fuhr an den Straßenrand und hielt an.

»Also gut, Sie können jetzt aussteigen«, sagte sie, nachdem sie ihre Stimme wiedererlangt hatte, aber jetzt hielt Consuelo mit einer Zähigkeit fest, die plötzlicher Angst entsprang. Ein Mann, der vergleichsweise ruhig reden konnte, während ihn jemand tief in seinen empfindlichsten Körperteil biß, war entweder ein extremer Masochist oder ein Wesen, das über eine derart phänomenale Selbstkontrolle verfügte, daß sie keinerlei Risiko eingehen wollte. Für den Bruchteil einer Sekunde öffnete sie ihren Mund, holte tief Luft und biß dann noch kräftiger zu. Aber Emmelia hatte die Nase voll. Sie beugte sich hinüber, öffnete die Beifahrertür und stieß Consuelo in den Straßengraben. Dann knallte sie die Tür zu und fuhr davon. Consuelo saß im Graben und starrte den entschwindenden Rücklichtern nach. Erst jetzt merkte sie, daß sie noch etwas im Mund hatte. Angewidert spuckte sie es aus und ließ ihren Gefühlen freien Lauf.

Zehn Minuten später stolperte sie in einem Zustand hysterischen Entsetzens über das, was sie getan hatte, über die Schwelle der Polizeistation von Lower Busby, wo sie sich gleich darauf den Mund mit einem Desinfektionsmittel ausspülte und zwischendurch zu erklären versuchte, was geschehen war. »Wollen Sie damit sagen, daß Sie diesem Bastard die Schwanzspitze abgebissen haben, ohne daß er auch nur gequietscht hat?« fragte der Polizist entgeistert und kniff vor Entsetzen die Schenkel zusammen.

»Was, glauben Sie, versuche ich Ihnen denn die ganze Zeit zu erklären?« murmelte Consuelo.

»Aber was hatte sein Ding da überhaupt zu suchen. Sie sagen, daß dieser Mann Sie mitgenommen und dann versucht hat, Sie zu belästigen...«

»Ich habe dem Saukerl keine Chance gegeben«, prustete Consuelo. »Ich habe ihm einen Schlag in die Magengrube versetzt, und nachdem er dann diese Erektion hatte, habe ich in das verdammte Ding reingebissen, und die Spitze war noch da, als ich mich mit Gewalt aus dem Auto befreite.«

»Noch wo?«

»Zwischen meinen Zähnen, Sie Dummkopf.« Wieder spülte sich Consuelo den Mund aus. »Ich habe sie ausgespuckt und bin dann gleich hierher gelaufen.«

Der Polizist erbleichte und schlug die Beine noch fester übereinander. »Also, dazu kann ich nur sagen, wenn das stimmt, dann muß da draußen irgendein armer Scheißkerl herumlaufen, der sich nichts sehnlicher wünscht, als daß er Ihnen nie begegnet wäre. Ist inzwischen sicher schon verblutet. Man darf gar nicht daran denken.«

Empört warf Consuelo Smith den Kopf in den Nacken. »Das gefällt mir«, sagte sie verbittert. »Sie regen sich über die Probleme von so einem Scheißkerl auf. Noch dazu von einem genormten. Ich wette, wenn ich vergewaltigt und ermordet worden wäre, hätten Sie keinen Funken Mitleid mit mir gehabt. Aber nur weil ich ihn gebissen ...«

»Schon gut, schon gut. Sie haben ja recht. Es ist eben nur so, daß ...«

»... er zufällig männliche Norm war«, fuhr Consuelo fort. Doch als wenig später Inspektor Garnet eintraf, wurde sie sichtlich verlegen, als sich herausstellte, daß sein Suchtrupp die Spitze des Dildo gefunden hatte.

»Scheiße«, sagte er wütend und starrte auf das verdammte Ding. »Ausgerechnet jetzt, wo wir schon sicher waren, daß das Schwein nicht mehr zuschlagen kann und wir nur noch die Krankenhäuser durchkämmen und uns den erstbesten Kerl ohne Schwanzspitze greifen müssen, was finden wir da? Eine künstliche. Und was verrät uns die?«

»Daß dieser Bastard genau wußte, worauf er sich mit dieser menschlichen Mausefalle einließ«, sagte der Polizist, dem es noch immer schwerfiel, normal zu gehen. »Wirklich ein dickes Ei«, sagte der Inspektor, was den Polizisten erneut zusammenzucken ließ. »Da braucht man keinen Psychiater, um rauszufinden, daß unser Mann impotent und sexuell so unzulänglich ist, daß er es nicht mit einer anständigen Frau aufnehmen kann.«

»Vor Consuelo würde ich das nicht unbedingt so ausdrücken. Sie reagiert nicht sehr freundlich auf ...« Jetzt brauste der Inspektor auf. »Freundlich?« schrie er. »Nachdem ich gesehen habe, was sie mit dieser Kreuzung aus einem Gürtelreifen und einem Penis angestellt hat, würde ich nicht im Traum daran denken, diese verdammte Hexe auch nur in die Nähe meiner delikatesten Teile zu lassen.«

»Das habe ich nicht gemeint. Ich meinte Ihre Bemerkung von wegen anständige Frau. Sie ist eine Zwergenrechtlerin. Sie spricht von männlichen Normen.«

»Davon kann sie reden, bis sie schwarz wird. Trotzdem ist das, was sie mit diesem Ding angestellt hat, alles andere als normal.«

Gemeinsam begaben sie sich zu Consuelo und legten ihr das neue Beweisstück vor.

»Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Miss Smith«, sagte der Inspektor, »Sie haben sich sicher keine Syphilis geholt ...«

Aber Consuelo hörte gar nicht hin. Ihre Aufmerksamkeit wurde ganz von der Plastikeichel gefesselt. »Ich wußte doch gleich, daß da etwas nicht stimmte«, sagte sie. »Kein Wunder, daß es nicht Zeter und Mordio geschrien hat.«

»Wobei ›es‹ das entscheidende Wort ist«, meinte der Inspektor. »Offenbar haben wir es mit einem sexuellen Psychopathen zu tun, der ihn nicht hochkriegen kann und ...«

»Blödsinn«, unterbrach ihn Consuelo. »Sie haben es mit einer Frau zu tun.«

Inspektor Garnet lächelte mitfühlend. »Aber natürlich, Miss Smith. Noch dazu mit einer Frau von erheblicher Intelligenz, wenn ich das so sagen darf.«

»Ich meine doch nicht mich, Sie Schwachkopf. Die Person, die mich angefallen hat, war eine Frau. Das hätte ich gleich merken müssen. Anfangs sprach sie mit tiefer Stimme, aber später klang sie dann schrill und um ein paar Oktaven höher.«

»Das ist durchaus verständlich, nach dem, was Sie ...«

»Schlaumeier«, sagte Consuelo verächtlich. »Das da ist ein falscher, stimmt's? Deshalb hat sie auch nicht geschrien.« Mutlos ließ sich der Inspektor auf einen Stuhl sinken. »Und Sie sind ganz sicher, daß es eine Frau war?«

»Absolut. Außerdem klang ihre Stimme affektiert, so von oben herab.«

»Nun, wenn man das alles in Betracht zieht, dann könnte man wohl sagen, daß sie ...«, begann der Inspektor, als ihn ein Blitzen in ihren Augen zum Schweigen brachte. »Gut, jetzt brauchen wir bloß noch eine vornehme Lesbe aufzustöbern, die sich Katzen hält, ein Metzgermesser und das letzte Drittel eines künstlichen Penis verloren hat und als Hobby Handschellen schmiedet. Viele solche Frauen wird es wohl kaum geben.«

»Sie fährt außerdem einen Cortina, ist einsfünfundsechzig groß und wiegt etwa fünfundsechzig Kilo. Und am linken Handgelenk hat sie eine Verletzung.«

»Vielen Dank, Miss Smith. Sie haben uns sehr geholfen. Und jetzt wird Sie ein Streifenwagen nach Hause bringen. Sollten wir noch weitere Informationen von Ihnen benötigen ...«

»Verflucht noch mal«, unterbrach ihn Consuelo, »wenn hier grundsätzlich so beschissen gearbeitet wird, dann ist es kein verdammtes Wunder, daß so viele Verbrechen geschehen. Wollen Sie denn nicht mal wissen, wie es kam, daß ich überhaupt in dieses Auto gestiegen bin? Sie glauben doch nicht im Ernst, daß ich mitten in der Nacht durch die Gegend renne und in fremde Autos einsteige, ohne einen verdammt guten Grund zu haben, oder? Auch wenn ich nicht mal halb so groß bin wie Sie, bekomme ich doch den Eindruck, daß ich mehr Hirn im Kopf habe, als unter Ihren Helm paßt.«

»Ich trage keinen Helm«, entgegnete der Inspektor gereizt und betrachtete den abgebissenen Dildo mit einem Anflug von Sympathie. »Also, warum sind Sie eingestiegen?«

»Weil ich auf ein Inserat in der Gazette geantwortet habe, in dem eine Dame gesucht wurde, und daraufhin heute nachmittag einen Anruf bekam.«

»Eine Dame? Was für eine Sorte Dame?«

»Meine Sorte natürlich«, sagte Consuelo, kramte in ihrer Handtasche und zog schließlich die ausgeschnittene Anzeige hervor.

Der Inspektor las. »Ein einsamer, gutsituierter Gentleman mittleren Alters und restringierter Größe sucht ... Antworten Sie öfter auf derartige Anzeigen?«

»So gut wie jeden Tag«, sagte Consuelo. »Schließlich sieht man sie doch überall, oder etwa nicht? Heutzutage kann man doch kaum mehr eine Zeitung aufschlagen, ohne über Hilferufe einsamer Zwerge zu stolpern, die Gesellschaft suchen. Gebrauchen Sie doch mal Ihr Hirn.«

»Kein Grund, grob zu werden«, sagte der Inspektor. »Wir wollen Ihnen doch nur helfen.«

»So? Also wenn ich Ihre Hilfe brauche, dann rufe ich die Feuerwehr«, sagte Consuelo und sammelte ihre Sachen zusammen. »Auch wenn ich eine Person restringierter Größe bin – obwohl ich es vorziehe, schlicht und einfach als Zwerg bezeichnet zu werden –, leide ich zumindest nicht unter der Behinderung durch ein restringiertes Hirn. Die überlasse ich Ihnen.«

Als sie gegangen war, seufzten alle erleichtert auf. »Zumindest hat sie uns ein paar nützliche Hinweise gegeben«, sagte der Inspektor. »Ich möchte, daß die anderen Opfer daraufhin überprüft werden, ob sie auch auf diese Annonce in der Seufzerspalte geantwortet haben.«

»Seufzerspalte ist wirklich das richtige Wort dafür«, sagte der Sergeant, während er die Dildospitze in eine Plastiktüte stopfte. »Und wenn wir noch ein paar einsame und verzweifelte Zwerginnen finden, werden wir ihre Häuser beschatten lassen und dieses Scheusal hoffentlich auf frischer Tat ertappen.« Diese Hoffnung war jedoch nur von kurzer Dauer. Consuelo Smith hatte sich bereits ans Telefon gehängt und die Exklusivrechte an ihrer Geschichte so erfolgreich an mehrere Fleet-Street-Zeitungen verkauft, daß am nächsten Morgen als Schlagzeile auf den Titelseiten von vier überregionalen Tageszeitungen stand: ZWERGENSCHÄNDER SCHLÄGT

ERNEUT ZU.

Im Handumdrehen war Briskerton von Reportern überschwemmt, die darauf versessen waren, auf eigene Faust Nachforschungen anzustellen, und Inspektor Garnet zu der Aussage provoziert hatten, die Verhaftung und Verurteilung von Professor Yapp wegen Mordes an Willy Coppett sei durchaus kein Justizirrtum.

»Wenn das so ist, würde es Ihnen dann etwas ausmachen, uns zu verraten, welche Maßnahmen die Polizei ergreifen will, um die anderen Zwerge in dieser Gegend zu schützen?« fragte ein Reporter, der die Telefonistin von der Polizeistation bestochen und auf diese Weise erfahren hatte, daß Consuelo Smith die dritte Zwergin war, die innerhalb weniger Tage überfallen worden war.

»Kein Kommentar«, sagte der Inspektor.

»Dann sind Sie also nicht der Ansicht, daß es eine Verbindung zwischen diesen letzten drei Überfällen des Zwergenschänders und dem Mord an Mr. Coppett gibt?«

»Ganz bestimmt nicht«, sagte der Inspektor, der gleich darauf eine äußerst unangenehme Unterredung mit dem Polizeidirektor hatte, welcher die Ansicht des Reporters teilte. »Aber diese neuerlichen Überfälle sind von einer Frau verübt worden«, sagte der Inspektor unlogischerweise. »Die Experten von der Gerichtsmedizin haben bei ihrer Untersuchung dieser Decke überzeugende Beweise sichergestellt. Sie haben Spuren von Gesichtspuder und Lippenstift darauf gefunden. Und ein paar gefärbte Haare.«

»Und wahrscheinlich hat Sie Ihr sogenannter Verstand noch nicht auf die Idee gebracht, daß der Fall Professor Yapp weitgehend auf der Aussage von Mrs. Coppett basierte. Wenn Sie wissen, was Ihrer Karriere nützt, dann nehmen Sie sie in Untersuchungshaft, bevor wir noch einen verfluchten Mord am Hals haben.«

Nach diesem Gespräch war Inspektor Garnet selbst in mörderischer Laune. »Es ist alles Ihre Scheißschuld«, brüllte er den Sergeant auf der Polizeiwache von Buscott an. »Dieses ganze Geschwafel, von wegen, daß dieses Weib schwachsinnig und weichherzig und ihrem kostbaren Willy mit Haut und Haar zugetan ist.«

»Das war sie. Das kann ich beschwören.«

»Nur zu Ihrer Information, sie hat eine so verdammte Vorliebe für Zwerge, daß sie den kleinen Kerl abgeschlachtet und uns in die Scheiße geritten hat, indem sie uns Yapp auf dem Tablett serviert hat. So schwachsinnig ist sie!«

»Aber was ist mit der Leiche im Kofferraum und dem ganzen Blut auf seinem Hemd?«

»Das sie freundlicherweise auf der Wäscheleine hat hängen lassen, damit wir es finden. Und was das Verstauen der Leiche im Kofferraum dieses Wagens angeht – ist Ihnen eigentlich schon mal der Gedanke gekommen, daß Yapp, wenn er ihren Mann wirklich umgebracht hätte, seinen eigenen Wagen als provisorischen Sarg genommen hätte? Er hätte die Leiche sicher nicht in den Vauxhall gelegt. Aber sie! – Um den armen Kerl anzuschwärzen. Und wo ist sie jetzt?«

»Oben im New House, bei den Petrefacts«, sagte der Sergeant. »Aber wie kommt es, daß Sie Ihre Meinung so plötzlich geändert haben?«

»Ich stelle hier die Fragen, Sergeant, Frage Nummer eins ist ... nein, ich sage Ihnen lieber gleich die Antwort. Katzen. Siamesische, burmesische, eine persische und jede Menge andere. Und alle pennen sie auf teuren Decken. Habe ich recht?« Der Sergeant glotzte ihn an und nickte. »Ich könnte nicht genau sagen, wie viele es sind, aber Miss Petrefact hat eine ganze Katzenpension.«

»Vielen Dank. Zweitens: Dildos und speziell angefertigte Handschellen. Es gibt einen Sexshop in Buscott, der solche Sachen verkauft.«

»Hergestellt werden sie in der Mühle«, gab der Sergeant zu. Der Inspektor rieb sich die Hände. »Da haben wir’s. Ich wußte es doch. Es war also nicht schwer für sie, da ranzukommen.«

»Schon, aber welches Motiv hat sie?«

»Frustration«, sagte der Inspektor, der damit seine ursprüngliche Theorie völlig über den Haufen warf. »Sexuelle Frustration. Heiratet einen verfluchten Zwerg, dabei ist sie eine verdammt massige Frau mit einem entsprechenden Geschlechtstrieb. Und er kann ihr nicht mehr bieten als höchstens ein paar Zentimeter. Also was macht sie?«

»Daran möchte ich lieber nicht denken.«

»Entwickelt einen Freistilringer- und Muskelmänner- Komplex. Sie haben doch gesehen, was für Fotos in ihrer Küche hingen. Was wollen Sie mehr? Irgendwann dreht sie durch, befördert ihren Mann ins Jenseits und stopft ihn in den Wagen des Professors. Und als er wegen Mordes verknackt wird, fängt sie an, ihre Frustrationen an Zwerginnen auszuagieren. Sagen Sie bloß, daß ich nicht recht habe.«

»Hört sich verrückt an«, sagte der Sergeant. »Genau das ist sie. Und jetzt gehen Sie hinauf zu Miss Petrefacts Haus und holen sich in aller Stille diese Dame Coppett, ohne daß es jemand merkt, und dann bringen wir sie ebenso lautlos nach Briskerton, wo dieses verdammte Weib ein Geständnis ablegen wird, und wenn wir sie eine Woche lang Tag und Nacht bearbeiten müssen.«

»Ich weiß nicht recht, ob das so in aller Stille geht«, sagte der Sergeant. »Miss Petrefact wird es früher oder später merken, und so, wie ich sie kenne, wird sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen. Diese Stadt ist so gut wie Eigentum der Petrefacts, und der Vetter der alten Dame ist Richter. Die werden Ihnen alle möglichen Anwälte wegen wasweißich auf den Hals hetzen, bevor Sie auch nur ein Wort ...«

»In aller Stille, habe ich gesagt«, wiederholte der Inspektor, »und genau das habe ich auch gemeint.«

Wie sich herausstellte, erübrigte sich ein Besuch im New House. Rosie Coppett wurde vor Mandrakes Tierhandlung gesichtet und willigte begeistert ein, als man ihr eine Spazierfahrt im Streifenwagen anbot. Noch um sechs Uhr abends half sie der Polizei bei ihren angeblichen Nachforschungen.