Kapitel 18
»Sie wollen also sagen, daß Professor Yapp das Haus heute morgen verlassen hat, ohne Ihnen Bescheid zu sagen, und daß Sie diesen Brief und den Scheck vorgefunden haben, als Sie vom Einkaufen zurückkamen?«
Rosie stand im Salon des New House und murmelte: »Ja, Mum.«
»Und nennen Sie mich nicht Mum, Mädchen«, sagte Emmelia, »das habe ich von Annie im Laufe von zweiunddreißig Jahren mehr als genug gehört, und außerdem bin ich nicht Ihre Mum.«
»Nein, Mum.«
Emmelia gab es auf. Sie hatte einen anstrengenden Tag hinter sich, an dem sie, völlig gegen ihre sonstige Gewohnheit, die wichtigsten Familienmitglieder angerufen hatte, um sie davon in Kenntnis zu setzen, daß sie einen Familienrat einberufen wolle, und sie hatte sich zu viele Einwände unterschiedlichster Art anhören müssen, um sonderlich guter Laune zu sein. »Hat er gesagt, wohin er wollte?«
Rosie schüttelte den Kopf.
»Hat er irgendwas von der Mühle gesagt?«
»O ja, Mum, er redete ständig davon.«
»Und was für Sachen wollte er wissen?«
»Wie die Bezahlung war und was sie dort machten und so was.«
Nachdem Emmelia auf diese Weise die unerfreuliche Bestätigung für das, was sie bereits wußte, erhalten hatte, war sie mehr denn je davon überzeugt, daß der Familienrat umgehend einberufen werden mußte.
»Und haben Sie es ihm gesagt?«
»Nein, Mum.«
»Warum nicht?«
»Ich weiß nicht, Mum. Mir hat nie jemand was davon erzählt.«
Emmelia dankte dem Himmel und ging über die wiederholte Implikation, daß sie Rosie Coppetts Mutter war, hinweg. Die Frau war so offensichtlich dumm, daß man wahrhaft von Glück sagen konnte, daß Yapp sich eine so schlecht informierte Vermieterin ausgesucht hatte. Falls das alles war, was er sich ausgesucht hatte. Der Scheck und die Nachricht mit der Unterschrift »Liebe Grüße, Walden« ließ auf eine weniger enthaltsame und Emmelias Einschätzung zufolge sicherlich perverse Beziehung schließen. Und was zum Teufel meinte er, wenn er schrieb, er würde sich bei diesem geistig unterbelichteten Wesen »nach angemessener Frist« melden? Sie stellte Rosie diese Frage, doch die konnte darauf lediglich antworten, daß der Professor ein richtiger Gentleman sei. Nachdem Emmelia Yapp selbst erlebt hatte, hegte sie diesbezüglich starke Zweifel, die sie jedoch für sich behielt. »Also, ich muß schon sagen, das hört sich alles recht sonderbar an«, sagte sie schließlich. »Aber da er Ihnen das Geld nun mal gegeben hat, sehe ich keinen Grund, warum Sie es nicht behalten sollten.«
»Schon, Mum«, meinte Rosie, »aber was ist mit Willy?«
»Was soll denn mit ihm sein?«
»Daß er einfach so weggelaufen ist.«
»Hat er das noch nie gemacht?«
»Aber nein, Mum, niemals. Nicht in all den Jahren, seit wir verheiratet sind. Kommt jeden Abend pünktlich zum Essen nach Hause, und wenn es nicht fertig ist, wird er richtig wütend, und ich ...«
»Verstehe«, sagte Emmelia, die Wichtigeres im Sinn hatte als die häuslichen Gewohnheiten eines Zwerges und seiner übergewichtigen Frau. »Wenn das so ist, täten Sie wohl besser daran, zur Polizei zu gehen und ihn als vermißt zu melden. Ich begreife nicht recht, warum Sie das nicht längst getan haben.« Rosie saß mit krampfhaft verschränkten Fingern da. »Das wollte ich nicht, Mum. Willy wird immer so wütend, wenn ich von mir aus was mache, ohne es ihm zu sagen.«
»Ich kann mir nicht recht vorstellen, wie er etwas dagegen haben könnte, wenn er gar nicht da ist, um Ihnen was zu sagen«, meinte Emmelia. »Also dann, gehen Sie auf die Polizeiwache und erstatten Sie Meldung.«
»Ja, Mum«, sagte Rosie und folgte Annie gehorsam in die Küche.
Sobald Emmelia wieder an ihrem Schreibtisch saß, versuchte sie, dieses deprimierende Gespräch zu verdrängen. Sie mußte alle Vorbereitungen für die Familienzusammenkunft treffen und außerdem noch entscheiden, wo sie stattfinden sollte. Der Richter, der Brigadegeneral und die holländische Verwandtschaft, die Van der Fleet-Petrefacts, hatten London vorgeschlagen, während Osbert, dem der Großteil des Petrefactschen Besitzes in Buscott und sehr viel Land in der Umgebung gehörte, eine panische, an Phobie grenzende Angst davor hatte, als im Ausland lebender Grundbesitzer angeprangert zu werden, sobald er auch nur einen Schritt aus seinem Revier tat. Aber für Emmelia gab es einen noch gewichtigeren Grand dafür, das Treffen in Buscott anzuberaumen. Das würde ihr nämlich die peinliche Mühe ersparen, die in der Mühle hergestellten Produkte in allen Einzelheiten zu beschreiben. An Ort und Stelle könnten sich alle mit eigenen Augen davon überzeugen, wie absolut unerläßlich es war, diesen Verräter Ronald dazu zu zwingen, Yapp zurückzupfeifen, bevor der Name Petrefact im öffentlichen Bewußtsein untrennbar mit Dildos, Happy Susishandgetriebenen männlichen Keuschheitsgürteln und französischen Kondomen verbunden war. Ein einziger Blick in die Fabrik würde genügen, um den Richter auf der Stelle zum Mörder werden zu lassen, während der Brigadegeneral seine fixe Idee von der Züchtung braungetupfter Wüstenrennmäuse auf der Stelle aufgeben würde. Nein, das Treffen mußte hier auf dem Familiensitz in Buscott abgehalten werden. In diesem Punkt würde sie sich durchsetzen. Und außerdem würde sie darauf bestehen, daß es am folgenden Wochenende stattfand. Da konnte es wenigstens keine Ausreden geben. Kein Richter sprach am Samstag oder Sonntag ein Urteil. In der wohlvertrauten, aseptischen Umgebung seiner Universitätswohnung in Kloone zog Waiden Yapp sich aus und nahm ein mit Desinfektionsmittel angereichertes Bad. Der Rückweg von Buscott war grauenvoll gewesen. Erst mußte er zwei Meilen laufen, um an einen gefüllten Reservekanister zu gelangen, und dann mußte er sich von dem Tankstellenmenschen, der ihn zu seinem Wagen zurückfuhr, diverse peinliche Bemerkungen über Gerüche anhören, die sich zuerst auf seine Klamotten und dann auf den alten Vauxhall bezogen. Yapp hatte ihm zu erklären versucht, daß er erst kürzlich eine Kläranlage besichtigt hätte, worauf der Mann meinte, der Gestank erinnere ihn irgendwie an den Krieg. Und nach einigen Minuten des Schweigens hatte er sich recht treffend über die Ausdünstungen der Gefallenen bei Monte Cassino ausgelassen, wo er gekämpft hatte. Aber zumindest hatte er Yapp mit so viel Benzin versorgt, daß dieser bis zur Tankstelle kommen, dort tanken und ohne weitere Unterbrechung nach Kloone zurückfahren konnte. Während er jetzt in seinem antiseptischen Bad lag, überlegte er die nächsten Schritte. Er mußte sich auf alle Fälle um seine Kleidung kümmern, bevor am nächsten Morgen die Putzfrau kam, und ebenso dringend mußte er den Kofferraum des alten Vauxhall säubern. Aber auch weniger Konkretes gab es zu bedenken, und nachdem er sich abgetrocknet hatte, in saubere Sachen geschlüpft war, die Willyverseuchten in einen großen Abfallsack gestopft und diesen fest verschnürt hatte, richtete sich sein Sinnen und Trachten auf Essen und Doris. Er bereitete sich eine Schüssel mit Müsli, da dies die Vorzüge vegetarischer und gleichzeitig nahrhafter Kost in sich vereinte, setzte sich ans Computerterminal und schaltete ein.
Auf dem Bildschirm erschienen beruhigende Zeichen in jener intimen Sprache, die Yapp so liebevoll für seine Unterhaltungen mit Doris entwickelt hatte. Jetzt war er wieder in seiner ureigenen, einzigartigen Welt und konnte sich einem Gehirn anvertrauen, dessen Denkweise seinem eigenen entsprach. Es gab Dinge, die er ihm mitteilen mußte. Und jetzt, wo er nicht mehr unter dem grausamen Druck stand, blitzschnell handeln zu müssen, kam ihm auch der Gedanke, daß Doris ihm vielleicht helfen konnte. Müslimampfend und den Blick andächtig auf den Bildschirm gerichtet, faßte er einen Entschluß. Ein umfassendes Geständnis seiner Aktivitäten in Buscott mit genauen Zeit- und Datumsangaben zu allem, was er getan hatte oder was ihm widerfahren war, würde ihm sicherlich eine gewisse Klarheit verschaffen und gleichzeitig Doris mit sämtlichen Fakten versorgen, die sie brauchte, um als völlig neutraler Beobachter ebenso vorurteilsfreie Schlüsse zu ziehen. Während es draußen Nacht wurde, vertraute Yapp in seinen vier weißgetünchten Wänden dem Computer seine intimsten Gedanken und Gefühle über den verblichenen Willy Coppett und Rosie und über ihre und seine Handlungen an. Mit den Einzelheiten nahm er es dabei so genau, daß weder das fehlte, was die Damen in der Teestube gesagt hatten, als er nach einer Unterkunft fragte, noch die Bemerkungen, die Mr. Parmiter über Steuerhinterziehung und den vorteilhaften Kauf des Bedford gemacht hatte. Die Stunden vergingen, Mitternacht kam und ging, und noch immer saß Yapp da, ins Gespräch mit seinem mikroprozessierten alter ego vertieft. Die Fingerspitzen auf der Tastatur sorgten für die sofortige Übermittlung all dessen, was er sich Punkt für Punkt in Erinnerung rief, an das elektronische Labyrinth. Damit rückte die gefährliche und chaotische Realität in weite Ferne, da sie in kleinste Einheiten positiver und negativer elektronischer Impulse zerlegt und dann wieder zu einer zahlenmäßigen Komplexität zusammengefügt wurde, die so wenig Erkenntnis über das wahre Wesen der Welt erforderte, wie Yapp hineinprogrammiert hatte. Nur bei einer Frage gab es Meinungsverschiedenheiten. Als ein ziemlich erschöpfter Yapp um fünf Uhr früh mit der Eingabe von Daten zu Interpretationszwecken aufhörte und einem matten Impuls nachgebend fragte: »Wer hat Willy ermordet?«, antwortete Doris, ohne zu zögern »Jemand.« Yapp starrte todmüde auf die Anzeige.
»Das weiß ich«, schrieb er, »aber wer hatte ein Motiv?«
»Rosie«, gab Doris zurück.
Yapp schüttelte den Kopf und tippte wütend: »Wer hatte die Möglichkeit?«
Wieder erschien der Name Rosie auf dem Bildschirm. Erbost flitzten Yapps Finger über die Tastatur. »Und warum hätte sie das tun sollen?« wollte er wissen. »Sie ist in dich verliebt.« Die Worte flimmerten vor seinen Augen.
»Du bist nur eifersüchtig«, entgegnete er. Diese Worte blieben unwidersprochen auf dem Bildschirm stehen. Yapp schaltete ihn ab, stand auf, wankte zum Bett hinüber und ließ sich in voller Montur hineinfallen.
Auf der Polizeiwache von Buscott saß Rosie Coppett auf einem Stuhl und weinte. Sie hatte getan, was Miss Petrefact ihr geraten hatte. Doch sobald sie dem diensthabenden Polizisten von Willys Verschwinden berichtet hatte, mußte sie erfahren, daß man ihn gefunden hatte. Einen kurzen Augenblick lang war sie glücklich gewesen. Aber dieses Glück war nicht von Dauer.
»Tot«, sagte der Polizist mit der brutalen Dummheit eines jungen Mannes, der glaubte, daß Rosie Coppett, nur weil sie einfältig war, auch keine Gefühle habe. Doch genau das Gegenteil traf zu. Rosies Gefühle waren so übermächtig, daß sie sie nicht anders ausdrücken konnte als durch Weinen. Es hatte ein paar Sekunden gedauert, bis das Lächeln über die scheinbar gute Nachricht von ihrem Gesicht verschwand, und in dieser Zeit hatte der Polizist den Sergeant geholt. »Na, na«, sagte der Sergeant und legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter. »Es tut mir wirklich leid.« Das war das letzte freundliche Wort, das am heutigen Tag jemand für Rosie übrig hatte, aber sie hörte es gar nicht. Von da an verlangte man von ihr nachzudenken. Inzwischen war der Kriminalinspektor von Briskerton eingetroffen und hatte den Sergeant beiseite geschoben. Man hatte Rosie in einen Raum geführt, dessen Kahlheit ebenso ms Auge sprang wie der übermäßige Wandschmuck in ihren kleinen Zimmern in der Rabbitry Road, und hatte ihr Fragen gestellt, die sie nur damit beantworten konnte, daß sie weinte und sagte, sie wisse es nicht. Hatte Willy irgendwelche Feinde? Rosie bestritt das. Aber jemand hat ihn getötet, Mrs. Coppett, also kann das doch nicht stimmen, oder? Rosie wußte nicht, daß Willy getötet worden war. ermordet, Mrs. Coppett, ermordet. Dieses Wort machte kaum Eindruck auf Rosie. Willy war tot. Nie wieder würde sie das Abendessen für ihn richten oder ihn wütend erleben, weil sie Blondie ins Gemüsebeet gelassen hatte. Nie wieder würden sie am Sonntagnachmittag Spazierengehen. Und nie wieder konnte sie ihm am Zeitungskiosk an der Ecke Postkarten mit niedlichen Pelztierchen kaufen. Nie, nie wieder.
Die Gewißheit kam und ging und kehrte jedesmal heftiger zurück. Die Fragen, die man ihr stellte, hatten nichts mit dieser schrecklichen Erkenntnis zu tun. Sie beantwortete sie fast unbewußt. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie ihn zuletzt gesehen hatte. War es Montag oder Dienstag oder MittwochMrs. Coppett? Aber die Zeit spielte ebensowenig eine Rolle wie die Art und Weise, auf die Willy umgekommen war. Der einzige Gedanke, den sie in ihrer Beschränktheit fassen konnte, war die Aussicht auf eine Ewigkeit ohne Willy.
Inspektor Garnet betrachtete sie eingehend über den Tisch hinweg und versuchte, sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob er es mit einer dummen, aber unschuldigen Frau zu tun hatte, einer dummen und schuldigen oder einer Frau, deren Dummheit nur List war und die instinktiv wußte, wie sie ihre Schuld hinter einer Fassade geistlosen Kummers verbergen konnte. Eine lange Laufbahn als Detektiv und ein kurzer Lehrgang in Kriminologie hatten ihn dahingehend beeinflußt, daß er alle Verbrecher, und ganz besonders Gattenmörder, für beschränkt, emotional instabil und zumindest partiell schlau hielt. Beschränkt mußten sie sein, wenn sie ernsthaft glaubten, gegen das Gesetz verstoßen zu können und damit durchzukommen; emotional instabil, um in der Lage zu sein, derart gewalttätige Verbrechen zu begehen; und in gewisser Weise schlau, weil die Quote unaufgeklärter Verbrechen trotz zunehmend brillanter Nachforschungsarbeit der Polizei anstieg.
Nachdem sich der Inspektor Willys fürchterliche Verletzungen angesehen hatte, war für ihn jeder Zweifel ausgeschlossen, daß er es mit einem Verbrechen aus Leidenschaft zu tun hatte. In Buscott gab es nichts, was einen Anreiz für Gangster oder organisierte Banden hätte bieten können. Und aufgrund des vorläufigen Berichts der Gerichtsmedizin schied die Möglichkeit aus, daß Willy sexuell mißbraucht worden war. Nein, alles deutete auf einen ganz gewöhnlichen, wenn auch abscheulichen Mord aus persönlichen Motiven hin. Immerhin war Mrs. Coppett eine ausnehmend kräftige Frau, während ihr verstorbener Mann extrem klein gewesen war. Auch nach dem Motiv brauchte der Inspektor nicht lange zu suchen. Ein Motiv lieferte der Zwergenwuchs des Toten, ein anderes sein allgemein bekannter Jähzorn. Dazu kam noch die Tatsache, daß Mrs. Coppett sich erst dann die Mühe gemacht hatte, ihren Mann als vermißt zu melden, als er bereits gefunden worden war. Das wies auf eine gewisse Schläue ihrerseits hin, die durch ihre Weigerung, seine Fragen rundheraus zu beantworten, bestätigt wurde. Ganz besonders irritierte es den Inspektor, daß sie nicht in der Lage war anzugeben, wann der Tote das Haus verlassen hatte, falls das vor seinem Tod überhaupt der Fall war.
Während Inspektor Garnet sein unergiebiges Verhör bis in die Nacht hinein fortsetzte, statteten andere Kriminalbeamte der Rabbitry Road 9 einen Besuch ab. Sie machten sich Notizen über Rosies Vorliebe für Freistilringer und Männer mit all jenen physischen Merkmalen, an denen es ihrem verstorbenen Mann so auffallend fehlte, holten Yapps Hemd von der Wäscheleine und untersuchten den Flecken, machten sich weitere Notizen über Willys Wiege und Yapps ungemachtes Bett und gelangten mit Hilfe der bereitwilligen Unterstützung der Nachbarn zu völlig falschen Schlüssen.
Mit diesem neuen Beweismaterial kehrten sie zur Polizeiwache zurück und berieten sich mit dem Inspektor. »Ein Professor hat also dort gewohnt?« fragte er. »Wieso das denn, zum Teufel?«
»Keine Ahnung. Von den Nachbarn wußte es auch niemand, aber ein paar haben übereinstimmend ausgesagt, daß sie am Dienstag abend gesehen haben, wie sich Mrs. Coppett und dieser Kerl auf dem Treppenabsatz umarmt und geküßt haben. Und das alte Mädchen von nebenan und ihr Mann behaupten, die Coppetts hätten sich ständig gezankt. Einen besonders üblen Streit muß es letzte Woche unmittelbar nach der Ankunft des Professors gegeben haben.«
»Soso. Und wo ist dieser Professor jetzt? Und wie heißt er?«
»Ist heute morgen abgereist. Mrs. Mane, die alte Kuh aus dem Nebenhaus, behauptet gesehen zu haben, daß er das Haus verließ, kurz nachdem Mrs. Coppett zum Einkaufen gegangen war. Er fährt einen Vauxhall, amtliches Kennzeichen CFE 9306 D. Sein Name ist Yapp.«
»Sehr gut«, sagte der Inspektor und kehrte zu Rosie zurück, während das Hemd mit dem Flecken ins gerichtsmedizinische Labor geschickt wurde.
»Also, ich würde gern etwas über diesen Mann erfahren, der sich Professor Yapp nennt«, erklärte er Rosie. »Was für eine Art von Beziehung hatten Sie zu ihm?«
Aber Rosies Gedanken richteten sich ausschließlich auf die trostlose Leere, die ihr Leben jetzt, da Willy daraus verschwunden war, bestimmen würde; außerdem wußte sie nicht, was eine Beziehung war. Der Inspektor erklärte es ihr mit einfachsten Worten. Rosie sagte, er sei nett zu ihr gewesen, wirklich sehr nett. Das glaubte der Inspektor sofort, doch war sein Sarkasmus an sie verschwendet. Durch das Gefühl des Verlustes völlig betäubt, verfiel sie wieder in dumpfes Schweigen. Selbst als der Inspektor einen letzten Versuch unternahm, sie, wie bei solchen Verhören durchaus üblich, mit Hilfe eines Schocks aus ihrer Unfähigkeit, seine Fragen zu beantworten, zu reißen, und sie mitnahm, um Willys Leiche zu identifizieren, verharrte sie in ihrem Schmerz. »Das ist nicht mein Willy«, sagte sie durch einen Tränenschleier. »Das ist überhaupt niemand.«
»Sie steht unter Schock, das arme Ding«, meinte der Sergeant. »Sie ist zwar dumm wie Bohnenstroh, aber sie hat genauso Gefühle wie wir alle.«
»Sie wird noch ein viel ärmeres Ding sein, wenn ich erst mit ihr fertig bin«, entgegnete der Inspektor. Aber auch er wollte allmählich ins Bett, und so bekam Rosie ein paar Decken und wurde mit einem Becher Kakao in eine Zelle gesteckt. In dem Zimmer, in dem das Verhör stattgefunden hatte, durchsuchte ein Kriminalbeamter den Inhalt ihrer Tasche und stieß auf den Scheck und Yapps Brief.
»Damit ist die Sache so gut wie erledigt«, sagte Inspektor Garnet zum Sergeant. »Morgen früh werden wir uns von der Bank seine Adresse geben lassen und ihn in Untersuchungshaft nehmen. Oder spricht was dagegen, ihn auch unter Druck zu setzen?«
»Sie können mit dem Saukerl machen, was Sie wollen. Aber ich garantiere Ihnen, daß Rosie Coppett niemanden umbringen könnte, schon gar nicht Willy. Sie ist zu weichherzig und zu dumm. Und außerdem waren sie einander sehr zugetan. Das ist allgemein bekannt.«
»Den Nachbarn anscheinend nicht. Die wissen ganz andere Dinge zu berichten.«
»Als wüßten das nicht alle Nachbarn«, entgegnete der Sergeant und kehrte an seinen Schreibtisch zurück. Wenn man doch bloß nicht diese Typen von der Kriminalpolizei aus Briskerton gerufen hätte! Es gab andere Dinge in Buscott, in die sie getrost ihre Nase hätten stecken können, aber Rosie Coppett als Mörderin zu verdächtigen ging einfach zu weit. Auf seinem Hof am Ende einer Schotterstraße, etwa eine Meile von der Rabbitry Road entfernt, schlief Mr. Jipson fast so friedlich wie Willy. Eine Woche war vergangen, seit er den leblosen Körper in den Kofferraum des alten Vauxhall gelegt hatte, und während dieser Woche hatte sich Mr. Jipson mit seinem Gewissen arrangiert. Er hatte die Vorderfront seines Traktors genauestens auf abgesplitterte Farbe untersucht, konnte aber nichts entdecken. Er hatte ihn mehrere Male mit dem Schlauch abgespritzt, ihn dann in den Ententeich neben dem Wohnhaus gefahren und anschließend den Kuhstall damit ausgemistet, so daß er über und über mit Dreck bespritzt war. Zum Glück war seine Frau im Krankenhaus und ließ sich ihre Innereien herausnehmen (wie er das beschrieb, was man üblicherweise Hysterektomie nennt), so daß sie nicht auf die Idee kommen konnte, ihm lästige Fragen zu stellen. Ansonsten hätte sie vielleicht eine Veränderung an ihm bemerkt. Aber jetzt war Mr. Jipson wieder der alte. Daß er Willy getötet hatte, war ein Unfall, der jedem hätte passieren können. Schließlich war es nicht seine Schuld, daß der verdammte Zwerg ausgerechnet in seinen Traktor gerannt war, und so sah Mr. Jipson auch nicht ein, warum er für diesen Unfall den Kopf hinhalten sollte. Er arbeitete hart und verdiente sich einen anständigen Lebensunterhalt, und er war nicht gewillt, das alles aufzugeben, indem er die Angelegenheit hinausposaunte. Es war eben ... passiert. Und außerdem mußten die Leute in dem alten Vauxhall etwas zu verbergen gehabt haben, sonst hätten sie Willy nicht so gründlich versteckt. Was Mr. Jipsons schwach entwickeltes Gewissen betraf, so war letzteres das ausschlaggebende Argument. Niemand, der nicht Dreck am Stecken hatte, wäre in dieser Hitze mit einem toten Zwerg im Kofferraum durch die Gegend gefahren, ohne die Sache zu melden. Und was hatten die Leute am Abend des Unfalls überhaupt hier gemacht? Sie waren nicht im Wagen, und in der Nähe konnten sie auch nicht gewesen sein, sonst hätten sie ihn mit der Leiche gesehen und Alarm geschlagen. Als Mr. Jipson sich die genaue Stelle ins Gedächtnis rief, an der der Wagen gestanden hatte, fiel ihm das Gebüsch ein. Das gehörte bereits zu Mr. Osbert Petrefacts Grund und Boden, und der hatte doch immer Schwierigkeiten mit Wilderern. Und Wildern war ein Verbrechen, was man von Verkehrsunfällen nicht unbedingt behaupten konnte, und deshalb verdienten die Wilderer das, was sie bekommen hatten, sehr viel eher als er. Mr. Jipson schlief den Schlaf des Gerechten.