Kapitel 1
Lord Petrefact drückte den Klingelknopf an der Armlehne seines Rollstuhls und lächelte. Es war kein freundliches Lächeln, doch hätten auch nur wenige von denen, die den Präsidenten des Petrefact-Konzerns etwas besser kannten – und so ein paar Unglückliche gab es wirklich –, ein freundliches Lächeln von ihm erwartet. Selbst Ihre Majestät, die sich gegen ihre Überzeugung von ihrem mit wenig Skrupeln behafteten Premierminister hatte überreden lassen, Ronald Osprey Petrefact in den Adelsstand zu erheben, hatte sein Lächeln als nahezu bedrohlich empfunden. Niedrigeren Würdenträgern wurde ein Lächeln zuteil, das einer Schlange ähneln oder ganz unverhohlen sadistisch sein konnte, je nachdem, welches Ansehen sie bei ihm genossen – ein Maßstab lediglich für ihre augenblickliche Nützlichkeit oder, im unangenehmeren Fall, dafür, daß er sie überhaupt nicht brauchte. Mit einem Wort, Lord Petrefacts Lächeln war nichts anderes als die Nadel seines ganz persönlichen Barometers, das im allerbesten Fall »günstig« anzeigte, weit häufiger aber auf Sturm stand. Und seit seiner Krankheit, hervorgerufen durch die konzentrierten Bemühungen eines von ihm bezahlten Wirtschaftsjournalisten (der sich nichtsahnend herb über Aktien geäußert hatte, die Lord Petrefact kürzlich erworben hatte) und einer boshaften Auster, hatte es ihm sein Lächeln derart verzogen, daß es von der Seite so aussah, als würde er die Zähne blecken.
An diesem besonderen Morgen jedoch war sein Lächeln fast freundlich zu nennen. Es war ihm nämlich eingefallen, wie er, um seine Lieblingsmetapher zu gebrauchen, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte, und da es sich bei einer dieser Fliegen um die Mitglieder seiner eigenen Familie handelte, war der Gedanke außerordentlich erfreulich. Wie so viele große Männer haßte Lord Petrefact seine Nächsten und Teuerstenwobei sich die Nähe generell und im Fall seines Sohnes Frederick das Teuersein konkret direkt proportional zu seinem Haß verhielten. Doch was er vorhatte, würde nicht nur seine unmittelbare Familie ärgern. Die zahlreichen, über die ganze Welt verstreuten und überall teuflisch einflußreichen Petrefacts würden maßlos empört sein, und da er sie noch nie hatte leiden können, bereitete es ihm unsägliches Vergnügen, sich ihre Reaktionen auszumalen.
Es hatte all seiner finanziellen List und Tücke und der Mitwirkung einer amerikanischen Firma bedurft, die er sich durch Betrügereien erschlichen hatte, um ihren Einmischungen in das, was bislang das Familienunternehmen gewesen war, ein Ende zu setzen. Sogar seine Erhebung in den Adelsstand hatte Anlaß zu Bissigkeiten gegeben. Zum Schweigen hatte sie erst seine Drohung gebracht, er würde ins Gefängnis wandern und damit den Namen des ganzen Petrefact-Clans in den Schmutz ziehen, wenn man es ihm verwehrte, seinen eigenen zu adeln. Sie hatten sich damit gebrüstet, eine der ältesten Familien im angelsächsischen Bereich zu sein und ihre Vorfahren bis auf die Zeit vor Wilhelm dem Eroberer zurückverfolgen zu können. Nicht, daß sie sich gesellschaftlich sonderlich hervorgetan hätten. Sie waren so weitgehend unter sich geblieben, daß Onkel Pirkin, der sich in Boston, Massachusetts, der Ahnenforschung widmete und den Stammbaum zusammentrug, diverse Male fiktive Ehefrauen bemühen mußte, um den dem Inzest anhaftenden Makel zu verschleiern.
Aus einem recht undurchsichtigen Grund hatten die Petrefacts eine statistisch gesehen anormale Anzahl angeblich männlicher Nachkommen hervorgebracht. In dieser Hinsicht mußte Lord Petrefact dem alten Pirkin ausnahmsweise recht geben. Denn für die Abnormität die statistische wie auch die sexuelle – hatten ihm seine eigenen Söhne den schlagenden Beweis geliefert. Seine Frau, die verblichene Mrs. Petrefact, hatte recht voreilig damit geprahlt, nie halbe Sachen zu machen, und ihre Behauptung dann prompt widerlegt, indem sie gleich Zwillinge zur Welt brachte. Der Vater hatte diese Geburt mit Mißfallen zur Kenntnis genommen. Schließlich hatte er die Dame ihres Geldes wegen geheiratet und nicht, weil sie auf Anhieb Zwillinge produzieren konnte.
»Es hätte wohl noch schlimmer kommen können«, meinte er zähneknirschend, als man ihm die Botschaft überbrachte. »Sie hätte ja auch Vierlinge werfen können, und noch dazu Töchter.« Als die Zwillinge, Alexander und Frederick, in die Pubertät kamen, hegte sogar ihre betriebsblinde Mutter allmählich Zweifel.
»Sie werden da schon wieder herauswachsen«, erklärte sie ihrem Mann, als dieser sich darüber beschwerte, daß er sie im Bad in weiblichen Dessous ertappt hatte. »Sie haben eben einfach Identitätsprobleme.«
»Was ich da gesehen habe, kam mir durchaus nicht einfach vor«, schnauzte Petrefact sie an, »und was die Identität angeht, so werde ich die beiden erst auseinanderhalten können, wenn einer der kleinen Saukerle keine Ohrringe mehr trägt.«
»Ich will nichts mehr davon hören.«
»Und ich will nichts mehr davon sehen. Also sperr deine verdammten Strapsgürtel gefälligst weg.«
»Aber Ronald, die trage ich doch schon seit Jahren nicht mehr.«
»Ich wünschte, das würde auch für den Rest der Familie gelten«, sagte Petrefact und knallte die Tür zu, um seinen Abscheu zu dokumentieren. Doch das unbestimmte Geschlecht seiner Söhne verfolgte ihn wie ein Gespenst. Erst nachdem Frederick seine Männlichkeit – zumindest teilweise – dadurch unter Beweis gestellt hatte, daß er sich von der besten Freundin seiner Mutter verführen ließ, befreundete sich Lord Petrefact mit dem Gedanken, wenigstens einen männlichen Erben zu haben.
Bei Alexander wußte man es nicht so recht. Zumindest nicht bis zu jenem Abend ein paar Jahre später, an dem Frederick, den die Familie in Oxford wähnte, wo er hingehörte, auf einem Empfang zu Ehren des Ministers für Staatliche Entwicklung von Paraguay aufkreuzte, der drauf und dran war, die Rechte an neunzig Prozent des Mineralaufkommens seines Landes an die Petrefact-Tochtergesellschaft Maulwurf KG zu verkaufen. »Ich muß Ihnen leider mitteilen, daß wir soeben ein Mitglied unserer Familie verloren haben«, verkündete Frederick den versammelten Gästen, wobei er seiner Mutter einen düsteren Blick zuwarf.
»Doch nicht ... du meinst doch nicht ...«, setzte Mrs. Petrefact an.
Frederick nickte. »Tut mir leid, aber mein Bruder ist abgesprungen. Ich habe versucht, ihn davon abzuhalten, aber ...«
»Du meinst, er ist ins Wasser gegangen?« fragte Petrefact hoffnungsvoll.
»O mein armer Alexander«, stöhnte seine Frau. Frederick wartete ab, bis man ihr Schluchzen im ganzen Saal hören konnte. »Noch nicht. Aber sicher, wenn sie wieder zu sich kommt ...«
»Aber du sagtest doch, er sei tot.«
»Nicht tot, aber von uns gegangen«, sagte dieses Scheusal von Frederick. »Ich sagte wörtlich, daß wir ein Mitglied unserer Familie verloren haben. Ich kann mir auch weniger dezente Formulierungen vorstellen, aber keine so treffenden. Ich habe zum Beispiel nicht gesagt ...«
»Dann laß es auch«, schrie Lord Petrefact, der endlich die Bedeutung des geänderten Pronomens begriffen hatte. Seine Frau war da etwas langsamer.
»Warum hast du dann gesagt, daß er abgesprungen ist?« Frederick angelte sich ein Glas Champagner. »Ich stelle mir vor, daß eine derartige Operation immer was mit Abspringen oder vielmehr Absprengen zu tun hat. Und Alexandra, oder damals noch Alexander, hat sich dafür entschieden ...«
»Hör auf!« brüllte Lord Petrefact, aber Frederick ließ sich nicht so leicht zum Schweigen bringen.
»Ich habe mir immer eine Schwester gewünscht«, murmelte er, »und wenn ich vielleicht auch ein bißchen frühreif bin, so kannst du, liebe Mutter, dich wenigstens damit trösten, daß du keinen Sohn verloren, sondern ein Neutrum gewonnen hast.« Doch das war noch nicht alles. Während die ohnmächtige Mrs. Petrefact hinausgetragen wurde, erkundigte sich Frederick bei dem paraguayischen Minister, ob die katholische Kirche die Geschlechtsumwandlung ebenso strikt ablehne wie die Abtreibung.
»Aber natürlich nicht. Man braucht doch bloß an die Kastratenchöre der Kirche zu denken«, beantwortete Frederick seine Frage fröhlich selbst, bevor er sich an die Frau des Ministers wandte und mit geheuchelter Anteilnahme der Hoffnung Ausdruck gab, daß sie diese Operation nicht als allzu schmerzhaft empfunden habe.
Als der Empfang daraufhin ein abruptes Ende fand, faßte Lord Petrefact den festen und unwiderruflichen Entschluß, daß weder sein Sohn noch seine mutmaßliche Tochter je den väterlichen Besitz erben sollten. Auch der verfrühte Tod von Mrs. Petrefact knappe sechs Monate später konnte ihn nicht umstimmen. Frederick wurde, nach Ansicht von Lord Petrefact zu Recht, enterbt, während Alexandra, die schon genügend beschnitten worden war, ein kärgliches Taschengeld erhielt, von dem sie einen Frisiersalon in Croydon betrieb. Von ihrer beider Anwesenheit und den ehelichen Pflichten erlöst, widmete Lord Petrefact sich mit Energie und einer Rücksichtslosigkeit, die durch die Gewißheit beflügelt wurde, daß sein von einem Stab erstklassiger Rechtsanwälte ausgearbeitetes Testament unanfechtbar war, dem Aufstieg zu Ruhm und einem ungeheuren Vermögen. Seinen gesamten Besitz hatte er der Universität Kloone vermacht und ihr als sichtbares Zeichen seines guten Willens und als Beweis für seine Fortschrittlichkeit bereits den allermodernsten Computer hingestellt. Auf diese Weise blieben dem Petrefact-Konzern die Betriebs- und Instandhaltungskosten für den Computer erspart, und außerdem brachte die Abführung der Gewinne in gemeinnützige Kanäle ganz beträchtliche Steuervorteile. Als Lord Petrefact jetzt in seinem Büro mit Blick auf die Themse saß, wanderten seine Gedanken – stets eine Mischung aus Haß auf die Familie und finanziellem Kalkül – wieder einmal nach Kloone. Die Universität hatte zwar seinen Computer, aber in der Person von Professor Waiden Yapp auch jemanden, der sich nicht in erster Linie für das Programmieren verantwortlich fühlte. Yapp war schon bei zu vielen Arbeitskämpfen als Schlichter aufgetreten, als daß man ihn auf die leichte Schulter hätte nehmen können. Lord Petrefact dachte gerade darüber nach, wie hübsch er alles eingefädelt hatte, als Croxley hereinkam.
»Sie haben geläutet?«
Lord Petrefact betrachtete seinen Privatsekretär mit der üblichen Abneigung. Die beharrliche Weigerung dieses Mannes, ihn mit »My Lord« zu titulieren, ärgerte ihn jeden Tag aufs neue. Doch Croxley war schon fast ein halbes Jahrhundert bei ihm, und seine Loyalität zumindest war über jeden Zweifel erhaben. Desgleichen sein Gedächtnis. Bevor es den Computer gab, war Croxley der zuverlässigste menschliche Informationsspeicher, der Lord Petrefact je begegnet war. »Natürlich habe ich geläutet. Ich habe die Absicht, nach Fawcett zu fahren.«
»Nach Fawcett? Aber es ist niemand dort, der Sie versorgen könnte. Das Hauspersonal wurde vor acht Jahren entlassen.«
»Dann sorgen Sie dafür, daß sich irgendeine Privatfirma um Verpflegung und alles andere kümmert.«
»Und brauchen Sie das Reanimationsteam?« Lord Petrefact stierte ihn an. Manchmal fragte er sich wirklich, ob Croxley das Hirn einer Laus hatte. Vermutlich nicht, da er ja dieses phänomenale Gedächtnis besaß, aber es gab Augenblicke, in denen Lord Petrefact doch Zweifel beschlichen.
»Natürlich brauche ich das Reanimationsteam«, brüllte er. »Wofür zum Teufel habe ich denn sonst diesen roten Knopf?« Croxley starrte auf den roten Knopf am Rollstuhl, als erblicke er ihn zum erstenmal.
»Außerdem brauche ich eine Computerprognose für die Produktionssteigerung in der Fabrik in Hull.«
»Es gibt keine.«
»Gibt keine? Es muß eine geben. Ich beschäftige diesen verdammten Computer doch nicht, damit er auf seinem faulen Arsch hockt und keine Prognosen auswirft. Dafür ist das verdammte Ding doch schließlich ...«
»Keine Steigerung. Tatsache ist meinen letzten Informationen zufolge, daß die Produktion seit Inbetriebnahme der neuen Maschine um fast siebzehn Komma drei Periode Prozent gesunken ist. In den Monaten März und April war die Nutzung der Fabrik beschränkt auf ...«
»Schon gut, schon gut«, brauste Lord Petrefact auf. »Verschonen Sie mich.«
Und nachdem er seinen Privatsekretär mit dem Gedanken entlassen hatte, daß dieser verfluchte Mensch selbst ein periodischer Dezimalbruch war und daß er nicht die leiseste Ahnung hatte, warum er diesen Computer überhaupt angeschafft hatte, wo er doch Croxley hatte, lehnte sich Lord Petrefact in seinen Rollstuhl zurück und überdachte die nächsten Schritte seines langwierigen Kampfes gegen seine Arbeiterschaft. Die Schließung der Fabrik in Hull wäre eine kluge symbolische Geste. Aber zuerst mußte er noch die Sache mit Yapp deichseln. Und Fawcett House lag ganz in der Nähe von Kloone.